Der Kampf gegen den Alkohol im Jahre 1910


Absinthverbot in Kraft

Am 7. Oktober 1910 ist das eidg. Gesetz betreffend das Absinthverbot in Kraft getreten. So ganz von selbst ist dies aber nicht geschehen und diejenigen, die am 5. Juli 1908 geglaubt, einen endgültigen Sieg errungen zu haben, sahen, dass sie zu früh triumphiert und dass es noch eines kleinen kriegerischen Nachspiels bedurfte. Die ersten Monate des Jahres 1910 verstrichen nämlich; ohne dass man weder die Botschaft noch den Gesetzesentwurf des Bundesrates bezüglich der Durchführung des Verbotes zu Gesicht bekam. Dagegen machten offiziöse Mitteilungen die Runde in der Presse, die Angelegenheit sei höchst verwickelt, eine Definition der Nachahmungen beinahe unmöglich, die Entschädigungen würden die Summe von 4 Millionen erreichen und man könne auf jeden Fall bis zum 5. Juli 1910 nicht bereit sein, sondern mit knapper Not bis zum 7. Oktober 1910, welches Datum nach einer ganz willkürlichen Auslegung für dasjenige ausgegeben wurde, an dem das Ausführungsgesetz in Kraft zu treten hätte.
Am 10. Mai 1910 veröffentlichte der Bundesrat seine Botschaft und seinen Gesetzesentwurf. Die sorgfältige Durchsicht dieser Schrift zeigte bald dem schweizerischen Initiativkomitee gegen den Absinth, das die Ereignisse aufmerksam verfolgte, dass dieser Gesetzesentwurf gefährliche Verfügungen enthielt. Während z. B. Art. 32 ter der Bundes Verfassung alle Nachahmungen des Absinths verbot, um so allfälligem Missbrauch von vorneherein entgegenzutreten, untersagte der Entwurf nur die Nachahmungen, die eine öffentliche Gefahr bedeuteten und wurde es dem Bundesrat überlassen, zu entscheiden, wann das Einschreiten der Behörden angezeigt sei. Eine solche Bestimmung aufnehmen hiesse jedoch, einer Menge von Imitationen Tür and Tor öffnen and das Absinthverbot selbst zum grossen Teil illusorisch machen.
Das Initiativkomitee gegen den Absinth hat sich daher in Zeitungsartikeln and einer Petition an die eidg. Räte dieser bedauernswerten Bestimmung widersetzt. Die Diskussion des Gesetzesentwurfs begann im Nationalrat am 13. Juni and dank der Bemühungen von Hrn. Nationalrat Lagier, Mitglied der Kommission, und verschiedener anderer Abgeordneten, wurde mit schwacher Mehrheit beschlossen, die beanstandeten Worte "öffentliche Gefahr" fallen zu lassen and so unsern Wünschen zu entsprechen: Am 20. Juni beriet auch der Ständerat die Angelegenheit and nachdem Herr Bundesrat Schobinger im Namen des Bundesrates berichtet hatte, letzterer gebe seine ursprüngliche Fassung auf, erklärte er sich mit dem vom Nationalrat angenommenen Text einverstanden~ Damit war unsere Sache gewonnen.
Nun blieb nur noch die Referendumsfrist bis zum 4. Oktober. Die Wirte von Genf versuchten, ihre Kollegen in den andern Kantonen zu veranlassen, mit ihnen das Referendum zu verlangen. Allein das Zentralkomitee and auch die Mehrzahl der Kantonal Sektionen des schweizerischen Wirtevereins verschlossen dem ihr Ohr: Im letzten Augenblick tat der Verband der Spirituosen Händler, dem eine Bestimmung im Gesetze besonders nahe ging, als ob er die Offensive ergreifen wollte. Da jedoch bald die Einsicht kam, dass das Referendum zu nichts führen würde, verzichtete er darauf and es trat das Gesetz am 7. Oktober 1910 in Kraft. Wie sich aus den bis jetzt veröffentlichten Berichten zeigt, ist die Anwendung in den einzelnen Kantonen sehr verschieden; es herrschte lange eine merkliche Unsicherheit, hauptsächlich aus Mangel an genügenden Instruktionen von Bern. Dies sollte im neuen Jahre anders werden, damit wir dem Ausland, das unsern Versuch mit Interesse verfolgt, als ein Volk erscheinen, das seinen Gesetzen gehorcht.
Am 22. August 1910 veröffentlichte der Bundesrat seine Botschaft and seinen Entwurf zu einer eidg. Verordnung betreffend die Ausrichtung von Entschädigungen an die durch das Absinthverbot Betroffenen. Die eidg. Räte haben sich in ihrer Dezembersession damit befasst and sich eher freigebiger gezeigt als der Bundesrat: die Entschädigungen werden wahrscheinlich die Summe von 2 Millionen überschreiten. Wie wir schon oft betont, sind wir aus Billigkeitsgründen der Gewährung von bescheidenen Entschädigungen nie feindlich gesinnt gewesen, aber die eidg. Räte scheinen uns doch das zulässige Mass überschritten and sich auf eine gefährliche Bahn begeben zu haben. Es nimmt uns wunder, wie sie sich den Fabrikanten von Kunstweinen gegenüber verhalten, die ebenso grosse Aufmerksamkeit verdienen und weniger gefährlich sind als die Absinthfabrikanten.
Das Bundesgesetz betreffend das Absinthverbot vom 24. Juni hat in Art. 5 and 6 auch die Motion Gobat and Genossen erledigt, zu deren Gunsten eine zahlreich unterzeichnete Petition eingereicht worden ist and die eine Erhöhung des Preises des Alkohols verlangte, um dadurch durch dessen Verbrauch herabzusetzen. Die beschlossene Preiserhöhung hat die Voraussagung derjenigen bestätigt, die dafür hielten, es sei eine starke and zugleich in alkoholgegnerischer Beziehung wirkungsvolle Preiserhöhung unmöglich, solange die Freibrennerei in ihrer heutigen Form bestände. Die angenommene Preiserhöhung wird die Einnahmen der Alkoholverwaltung vermehren, ist jedoch zu schwach, um eine Verminderung des Verbrauchs herbeizuführen. Daraus darf man der Alkoholverwaltung nicht etwa einen Vorwurf machen, denn so lange die Freibrennerei zugelassen ist, käme ein anderes Vorgehen für sie dem Selbstmorde gleich, ohne dass dabei die Gesundheit des Volkes einen Nutzen hätte.
(Jahrbuch des Alkoholgegners, 1911)


Die Daten der schweizerischen Bewegung gegen den Absinth

I. Periode der unmittelbaren Vorbereitung

1. November 1899


Das Zentralkomitee des Blauen Kreuzes ernennt eine "Commission anti absinthique", die während 5 Jahren durch Vorträge, Anschläge den Bahnhöfen usw. den Kampf gegen den Absinth vorzubereiten sucht.
Juni 1902 Erscheinen des Romans von T. Combe: "Celle qui tua trois fois", der eine wuchtige Anklage gegen den Absinth ist.
7. April 1905 Die belgische Repräsentantenkammer beschliesst in erster Debatte mit 127 gegen 3 Stimmen das Absinthverbot. Dieses ermutigende Ereignis macht auf die schweizerischen Alkoholgegner grossen Eindruck.

II. Periode des Kampfes

28. August 1905 Das Verbrechen des Absinthtrinkers Laufray in Commugny, der Frau und Kinder ermordet und sich selbst zu entleiben versucht, ruft eine tiefe Entrüstung hervor.
3. September 1905 Die Bewohner von Commugny beschliessen in einer Versammlung im Schulhaus dem waadtländischen Grossen Rat eine Petition einzureichen, um das Verbot des Kleinverkaufs von Absinth zu verlangen.
13. November 1905 Die waadtländische Petition, die 82'476 Unterschriften trägt (34'423 Männer, 48'053 Frauen) wird dem waadtländischen Grossen Rate eingereicht.
23. November 1905

Der waadtländische Grosse Rat ladet auf den Bericht seiner Kommission hin den Regierungsrat einstimmig ein, binnen kurzem einen Bericht und eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, wobei den Wünschen der Petitionäre in möglichst weitgehendem Masse Rechnung getragen würde.

17. Dezember 1905 Eine Versammlung von Vertretern der alkoholgegnerischen und gemeinnützigen Vereine der ganzen Schweiz beschliesst, unverzüglich ein eidgenössisches Initiativbegehren in Umlauf zu bringen, das dahin ginge, Herstellung, Einfuhr und Verkauf des Absinthes im ganzen Gebiet der Eidgenossenschaft zu verbieten.
Januar 1906 Eine Genfer Petition, die die Unterschriften von 34'702 Erwachsenen, davon 9'432 Stimmberechtigten, trägt und gleich wie die waadtländische das Verbot des Kleinverkaufs von Absinth verlangt, wird dem Genfer Grossen Rat eingereicht.
15. Mai 1906 Der waadtändische Grosse Rat nimmt mit 126 gegen 40 Stimmen den Gesetzesvorschlag an, der den Kleinverkauf des Absinthes verbietet.
1. August 1906 Lancierung des eidgenössischen Initiativbegehrens.
23 September 1906 Das waadtländische Verbotsgesetz wird, da die Wirte das Referendum verlangt haben, vor das Volk gebracht und mit einer Mehrheit von 7'037 Stimmen, 23'062 Ja gegen 16'025 Nein, angenommen.
31. Januar 1907 Die zugunsten der eidgenössischen Initiative gegen den Absinth gesammelten Unterschriften, 167'814 an der Zahl, werden der Bundeskanzlei abgeliefert.
2. Februar 1907 Der Grosse Rat von Genf beschliesst mit 55 gegen 21 Stimmen das Verbot des Kleinverkaufs von Absinth.
14. April 1907 Infolge des von den Wirten verlangten Referendums haben sich die Genfer Stimmberechtigten über das kantonale Absinthgesetz auszusprechen und behalten es mit einer Mehrheit von 760 auf 14'922 Stimmen bei.
1. Mai 1907 Der Bundesrat beantragt in seiner Botschaft an die eidgenössischen Räte, dem Volk Verwerfung der Absinthinitiative zu empfehlen
1. Januar 1908 Inkrafttretung des Absinthverbotes in Genf.
7. April 1908 Nationalrat und Ständerat beschliessen, dieser mit 24 gegen 12 Stimmen, jener mit 82 gegen 53 Stimmen, entgegen dem Vorschlag des Bundesrates, dem Volke die Annahme des Initiativbegehrens zu empfehlen.
5. JuIi 1908 Die eidgenössische Initiative wird vom Schweizervolk und den Kantonen mit 241'078 Ja und 132'669 Nein und von 23 Kantonen und Halbkantonen gegen zwei (Neuenburg und Genf) angenommen.

III. Nachspiel

 

20. Mai 1910 Der Bundesrat richtet an die eidg. Räte eine Botschaft und legt ihnen einen Gesetzesentwurf zur Ausführung von Art. 32ter des Bundesverfassung (Absinthverbot) vor.
24. Juni1910 Die eidgenössischen Räte nehmen das Gesetz betr. das Absinthverbot an. Entsprechend dem Verlangen des eidgenössischen Initiativkomitees gegen den Absinth verbietet das Gesetz alle Nachahmungen und nicht nur solche, die eine öffentliche Gefahr bedeuten (Vorschlag des Bundesrates).
22. August 1910 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Erlass eines Bundesbeschlusses über die Ausrichtung von Entschädigungen an die bisherigen Absinthproduzenten.
5. Oktober 1910 Veröffentlichung der Vollziehungsverordnung.
7. Oktober 1910 Inkrafttretung des eidgen. Absinthverbotes.
22. Dezember 1910 Die eidgenössischen Räte nehmen en Bundesbeschluss betreffend die Ausrichtung von Entschädigungen an.
(Jahrbuch des Alkoholgegners, 1911)


IV Die Aufhebung

18. Dezember 1998 Die Eidg. Räte verabschieden die neue Bundesverfassung ohne Absinthverbot.
18. April 1999 Die neue Bundesverfassung wird von Volk und Ständen angenommen.
1. Januar 2000 Die neue Bundesverfassung tritt in Kraft. Das Absinthverbot bleibt aber auf Gesetzes- und Verordnungsstufe erhalten.
13. Dezember 2002 Ständerat Cornu verlangt mit einer parlamentarischen Initiative die Aufhebung des Absinth-Verbotes.
15. August 2003

Die ständerätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben untertützt die Aufhebung des Absinth-Verbotes.

24. September 2003 Der Ständerat nimmt die Initiative ohne Debatte an.
12. März 2004 Der Bundesrat befürwortet eine Aufhebung des Absinth-Verbotes und eine Streichung der entsprechenden Passagen im Lebensmittelgesetz. Er will den Absinth anderen Spirituosen gleichstellen.
17. März 2004 Der Ständerat beschliesst die Annahme des Gesetzesentwurfs.
14. Juni 2004 Der Nationalrat stimmt mit grosser Mehrheit den vom Ständerat beschlossenen Gesetzesänderungen zu. Das Absinthverbot ist damit abgeschafft - ein Referendum gegen den Beschluss wurde nicht ergriffen.
2004/2005 Der Bundesrat erarbeitet die Änderungen der Lebensmittelverordung sowie der Zusatzstoff- und der Inhalts- und Fremdstoffverordnung. ("Um die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten zu schützen, wird gleichzeitig der zulässige Thujongehalt vom Departement des Innern analog den Bitterspirituosen und in Übereinstimmung mit europäischen Bestimmungen limitiert.")
1. März 2005 Die Gesetzesänderung tritt in Kraft, der "neue" Absinth wird legal.
(Nach der chronologischen Linkliste der SFA)
Die Volksinitiative
Die Gesetzestexte (1908 - 2005)
Absinth: Nicht Mythos, sondern Realität, Artikel der Eidg. Alkoholverwaltung
Merkblatt über die Herstellung von Absinth, herausgegeben von der Eidg. Alkoholverwaltung (2005)
Ein 100-jähriges Gesetz wird gestrichen, Artikel in comunica 1/2005, Eidg. Alkoholverwaltung, Seite 17

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Volksabstimmungen zur Alkoholpolitik: Sechs alkoholpolitische Kraftakte

Geschichte des Beirates von SAS - SFA/ISPA 1913-1982
Schweizerischer Rat für Alkoholprobleme
1995: Wirt ist ein ganz spezieller Beruf

1987: Alkoholpolitik zwischen Wirtschaft und Gesundheit
Prof. Dr. Gustav von Bunge 1844 - 1920
"Die Alkoholfrage", Vortrag von Prof. Dr. Gustav von Bunge
Die Alkoholartikel der Bundesverfassung von 1885
Die Alkoholartikel in der Bundesverfassung Ende 1999
Die Alkoholartikel in der Bundesverfassung 2000
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Die Urheber der Volksinitiative «gegen Suchtmittelreklame»
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Absinthverbot in Kraft (1910)
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Ausserdem:

Chroniken zur schweizerischen Alkoholpolitik
Heim:

Hier ist die Familie Muster in Ecublens  
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