Die Alkoholartikel der Bundesverfassung von 1885


Botschaft
des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Ausführung der Artikel 31, 32, 32bis und Uebergangsbestimmung 6 der Bundesverfassung. (Erlass eines Bundesgesetzes über die Herstellung und Besteuerung von Branntwein).
(Vom 8. Oktober 1886)

Tit.

Am 25 Oktober 1885 sind sowohl von der Mehrheit der abstimmenden Bürger, als von der Mehrheit der Kantone folgende Aenderungen der Bundesverfassung von 1874 angenommen worden.

Art. 31.*

Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfang der Eidgenossenschaft gewährleistet.
Vorbehalten sind
   a. Das Salz und Pulverregal, die eidgenössischen Zölle, die Eingangsgebühren von Wein und andern geistigen Getränken, sowie and, Bunde ausdrücklich anerkannte Verbrauchssteuern, nach Massgabe Art. 32.

   b. Die Fabrikation und der Verkauf gebrannter Wasser, nach Massgabe des Art. 32bis.
   c. Das Wirthschaftswesen und der Kleinhandel mit geistigen Getränken in dem Sinne, dass die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung die Ausübung des Wirthschaftsgewerbes und des Kleinhandels mit geistigen Getränken den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen können.

   d. Sanitätspolizeiliche Massregeln gegen Epidemien und Viehseuchen.
   e. Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, über Besteuerung des Gewerbebetriebes und über die Benutzung der Strassen. Diese Verfügungen dürfen den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen.

Art. 32.

Die Kantone sind befugt, die im Art. 31 litt. a erwähnten Eingangsgebühren von Wein und andern geistigen Getränken unter folgenden Einschränkungen zu erheben:
   a. Bei dem Bezug derselben soll der Transit in keiner Weise belästigt und der Verkehr überhaupt so wenig als möglich gehemmt und mit keinen andern Gebühren belegt werden.
   b. Werden die für den Verbrauch eingeführten Gegenstände wieder aus dem Kanton ausgeführt, so sind die bezahlten Eingangsgebühren ohne weitere Belästigung zurückzuerstatten.
   c. Die Erzeugnisse schweizerischen Ursprungs sind mit niedrigern Gebühren zu belegen als diejenigen des Auslandes.
   d. Eingangsgebühren von Wein und andern geistigen Getränken schweizerischen Ursprungs dürfen da, wo solche schon bestehen, nicht erhöht, und in Kantonen, welche noch keine beziehen, nicht eingeführt werden.
   e. Die Gesetze und Verordnungen der Kantone über den Bezug der Eingangsgebühren sind der Bundesbehörde vor Vollziehung derselben zur Gutheissung vorzulegen, damit die Nichtbeachtung vorstehender Grundsätze verhindert werden kann.
   Mit Ablauf des Jahres 1890 sollen alle Eingangsgebühren, welche dermalen von den Kantonen erhoben werden, sowie ähnliche, von einzelnen Gemeinden bezogene Gebühren ohne Entschädigung dahinfallen.

Art. 32bis

   Der Bund ist befugt, im Wege der Gesetzgebung Vorschriften über die Fabrikation und den Verkauf gebrannter Wasser zu erlassen. Bei dieser Gesetzgebung sollen diejenigen Erzeugnisse, welche entweder ausgeführt werden oder eine den Genuss ausschliessende Zubereitung erfahren haben, keiner Besteuerung unterworfen werden. Das Brennen von Wein, Obst und deren Abfällen, von Enzianwurzeln, Wachholderbeeren und ähnlichen Stoffen fällt betreffend die Fabrikation und Besteuerung nicht unter die Bundesgesetzgebung.
   Nach dem Wegfall der in Artikel 32 der Bundesverfassung erwähnten Eingangsgebühren auf geistigen Getränken kann der Handel mit solchen, welche nicht gebrannt sind, von den Kantonen keinen besonderen Steuern unterworfen werden, noch andern Beschränkungen als derjenigen, welche .um Schutze vor gefälschten oder gesundheitsschädlichen Getränken nothwendig sind. Jedoch bleiben hierbei in Betreff des Betriebes von Wirtschaften und des Kleinverkaufs von Quantitäten unter zwei Liter die den Kantonen nach Artikel 31 zustehenden Kompetenzen vorbehalten.
   Die aus der Besteuerung des Verkaufs gebrannter Wasser erzielten Reinennahmen verbleiben den Kantonen, in welchen sie zum Bezug gelangen.
   Die Reineinnahmen des Bundes aus der inländischen Fabrikation und aus dem entsprechenden Zollzuschlag auf eingeführte gebrannte Wasser werden unter die sämtlichen Kantone nach Verhältnis der durch die jeweilig letzte eidgenössische Volkszählung ermittelten faktischen Bevölkerung vertheilt. Von den daherigen Einnahmen haben die Kantone wenigstens 10% zur Bekämpfung des Alkoholismus in seinen Ursachen und Wirkungen zu verwenden.

Uebergangsbestimmungen zur Bundesverfassung.
Art. 6

   Wenn vor Ende des Jahres 1890 ein Bundesgesetz im Sinne des Artikels 32 b1a eingeführt wird, so fallen schon mit dessen Inkrafttreten die von den Kantonen und Gemeinden nach Artikel 32 bezogenen Eingangsgebühren auf geistigen Getränken dahin.
   Wenn in diesem Falle die auf die einzelnen Kantone und Gemeinden berechneten Antheile an der zur Vertheilung kommenden Summe nicht hinreichen würden, um die dahingefallenen Gebühren auf geistigen Getränken nach dem durchschnittlichen jährlichen Nettoertrage in den Jahren 1880 bis und mit 1884 zu ersetzen, so wird den betroffenen Kantonen und Gemeinden bis Ende des Jahres 1890 der daherige Ausfall aus derjenigen Summe gedeckt, welche den übrigen Kantonen nach der Volkszahl zukommen würde, und erst der Rest auf die letztern nach ihrer Volkszahl vertheilt.
   Ausserdem ist auf dem Wege der Bundesgesetzgebung zu bewirken, dass denjenigen Kantonen oder Gemeinden, für welche das Inkrafttreten dieses Beschlusses eine fiskalische Einbusse zur Folge haben kann, diese Einbusse nicht auf einmal in ihrem vollen Umfange, sondern nur allmälig bis zum Jahre 1895 erwachse. Die hiezu erforderlichen Entschädigungssummen sind vorweg aus den in Artikel 32bis, Alinea 4, bezeichneten Reineinnahmen zu entnehmen.


   Diese Revision der Verfassung hatte zum Zweck, dem Bunde und den Kantonen zur Bekämpfung der überhandnehmenden Trunksucht und insbesondere zur Einschränkung des missbräuchlichen Branntweingenusses auf gesetzgeberischem Gebiete eine Reihe neuer Kompetenzen zu verleihen.

   Zur Durchführung der Maßregeln, weiche in diesem Kampfe gegen den Alkoholismus speziell dem Bunde zugetheilt worden sind, haben wir nun die Ehre, Ihnen den Entwurf eines

Gesetzes betreffend die Herstellung und Besteuerung von Branntwein

mit nachfolgender Botschaft zur Genehmigung vorzulegen.

   Wir beginnen damit, die Aufgabe genauer zu präzisiren, welche nach unserer Ansicht dem zu erlassenden Bundesgesetze zu stellen ist.
Dasselbe soll
   eine Erhöhung des Preises des Konsumbranntweins bewirken;
   eine bessere Qualität dieses Getränkes sichern;
   die Übelstände beseitigen, welche mit dem jetzigen Brennereibetriebe und Branntweinverkauf verbunden sind;
   ein finanzielles Resultat ergeben, welches genügend ist, um den in Art. 32bis der Bundesverfassung und Art. 6 ihrer Uebergangsbestimmungen übernommenen Verpflichtungen zur Entlastung der nicht gebrannten Getränke gerecht zu werden.

Diesen Postulaten soll entsprochen werden
   bei möglichster Schonung der Finanzquellen des Bundes;
   bei möglichster Wahrnehmung der in der Brennerei liegenden land- und industriewirthschaftlichen lnteressen;
   bei möglichst einfacher Gestaltung der Administration und möglichst sicherer Durchführbarkeit der Vorschriften.

Die Lösung endlich muss sich rechtfertigen können vor den Forderungen der
   allgemeinen Volkswirthschaft und sozialpolitischen Opportunität,
   Beobachtung der in den Handelsvorträgen niedergelegten Verpflichtungen.

*(Die zum Inhalt der alten Verfassung hinzugekommenen Revisionsbeschlüsse sind mit kursiver Schrift gedruckt*. Beigefügt ist gleichgebliebene, aber mit den abgeänderten Bestimmungen in Zusammenhang stehende Artikel 32.)
Quelle: Schweizerisches Bundesblatt, 6. November 1886

*(Wegen der besseren Lesbarkeit haben wir die Schriftwahl umgekehrt: Kursiv geschrieben sind die alten Artikel. Die Hervorhebungen haben wir beigefügt. webmaster)
Siehe auch: Eidg. Alkoholverwaltung: Historische Hintergründe (Die Seite ist verloren gegangen...)

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Geschichte des Beirates von SAS - SFA/ISPA 1913-1982
Schweizerischer Rat für Alkoholprobleme
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Prof. Dr. Gustav von Bunge 1844 - 1920
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