Chronik der AlkoholpolitikInhalt: Alkoholpolitische Miszellen = Blitzlichter 2000/2001 - Ethische Grundsätze - Ein alkoholpolitischer Überblick zum Jahrhundertwechsel - Alkoholpolitische Jahreschronik 1999/2000 - Die Staumauer der Alkoholpolitik hat ihre Löcher (8/2000) - Wogende Wellen & Wechselnde Winde (1997) - Alkoholpolitische Aktualitäten im Herbst 1990 Chronik der Alkoholpolitik im 21. Jahrhundert Die neuen Chroniken finden Sie auf der folgenden Seite. |
Löcher in der Mauer und Silberstreif am HorizontEin alkoholpolitischer Überblick zum JahrhundertwechselPolitische Massnahmen sind der eine Teil der Massnahmen zur Prävention von Alkoholproblemen. Information, der andere Teil, ist zwar nötig, aber nicht hinreichend, um die Probleme in den Griff zu nehmen. Auf gesundheitsorientierte alkoholpolitische Vorschriften darf daher nicht verzichtet werden. Die alkoholpolitische StaumauerLöcher in der alkoholpolitischen Staumauer hatte Josef Odermatt, jahrzehntelang Mitarbeiter der SFA, vor 50 Jahren erkannt. Mit viel Eifer gingen die SFA, die Abstinenten, Ärzte, Pfarrer, Frauen…. daran, Politiker und Stimmbürger diese Löcher stopfen zu lassen. Bis Anfang der 80er Jahre wurde gestopft, dann kann es ohne grosse Diskussion im Zug der wirtschaftlichen Liberalisierung zu einer Trendwende. Deren Ergebnisse sehen wir heute: Die Löcher sind wieder grösser geworden. Die Zahl der Verkehrstoten hat sich 2000 gegenüber dem Vorjahr leicht erhöht; ein Fortschritt konnte demnach nicht erreicht werden. Auch in Sachen Alkohol am Steuer ist ein Rückschritt festzustellen. Die neue Promillegrenze - seit Jahrzehnten (!) fordern alle Fachleute eine Herabsetzung auf 0,5 - lässt immer noch auf sich warten. Die Jugendlichen, die sich mit Alkohol berauschen, werden immer jünger. Anders als früher neigen Jugendliche heute dazu, exzessiv zu trinken - manchmal bis zum Ausschalten jeglicher Abwehrreflexe. So hat laut Schweizerischer Fachstelle für Alkohol und andere Drogenprobleme die Anzahl der Alkoholräusche von Jugendlichen seit 1986 deutlich zugenommen. Damals gaben erst 6,4 Prozent der 15-jährigen an, in den letzten acht Wochen vor der Befragung mehr als drei Alkoholräusche gehabt zu haben; 1998 waren es bereits 11,5 Prozent. Und das soll so weitergehen: erst diesen Sommer ist ein "Apfelbier" mit zwei Prozent Alkohol auf den Markt gekommen. Man nehme an, hiess es bei der Lancierung, "das neue Getränk kommt beim jungen Publikum an, insbesondere bei den Frauen." Und sie kommen leicht dazu: Erschreckend war das Ergebnis eines Tests im Kanton Bern: Nur 11 von 79 getesteten Geschäften hielten sich an des gesetzliche Verkaufsverbot. Ähnlich geht es in anderen Kantonen zu. Immer leichter zu Bier: Das neue Berner Gastgewerbegesetz erlaubt neu Alkoholverkauf an den Shops von Tankstellen. " Eine Alkoholbewilligung erhält nur, wer auch Lebensmittel anbietet," bedauert die Kiosk AG mit Blick auf die kleinen Kioske. Aber auch billiger wird der Rausch: Einheimischer und importierter Schnaps werden seit Juni 1999 gleich hoch besteuert. Die Folgen waren zu erwarten. Es werden mehr vorher teurere Spirituosen (Wodka, Whisky) importiert und konsumiert. Erhebungen der SFA haben gezeigt, dass der Konsum hochprozentiger Drinks kurzfristig um 25% zugenommen hat. Besonders markant war der Anstieg bei jungen Männern im Alter von 15 bis 29 Jahren: +52%! Der Silberstreif am HorizontEine gewisse Schmerzgrenze scheint erreicht zu sein: Das Bundesamt für Gesundheit will in der Lebensmittelverordnung gesamtschweizerisch ein generelles Verkaufs- und Abgabeverbot für vergorene Alkoholgetränke an Personen unter 16 Jahren einführen. Die heutigen Regeln sind kantonal unterschiedlich. Eine einheitliche Regelung besteht heute nur für Schnäpse: Gesamtschweizerisch liegt die Grenze bei 18 Jahren. Über den Konsum von Alkoholika bestehen keinerlei Vorschriften. Im Januar wurden (z.B.) die Berner aktiv: Jugendliche sollen nicht mehr so leicht zu Alkohol kommen: Restriktivere Vergabe von Alkoholbewilligungen z.B. bei Eintagsanlässen und Jugendfesten, verschärfte Polizeikontrollen und Ausweiskontrolle durch das Personal. Die Eidg. Kommission für Alkoholfragen hat einen nach dem Vorbild der WHO einen Schweizerischen Alkohol-Aktionsplan vorgestellt. Er schlägt u.a. vor, Konsumenten und Konsumentinnen so zu informieren und motivieren, dass sie keine Alkoholprobleme für sich und andere entwickeln. Eine präventive Alkoholpolitik soll durch Steuerungsmassnahmen wie Preisbildungsbeeinflussungen und gesetzliche Regelungen (z.B. Besteuerung alkoholischer Getränke, Altersbeschränkungen, Beschränkung der Öffnungszeiten und der Angebotsdichte, 0.5-Promille-Grenze usw.) Alkoholproblemen vorbeugen. Am 21. Februar 2001 hat die Ministerkonferenz der WHO Europa in Stockholm eine Erklärung über "Jugend und Alkohol" beschlossen. Sie ergänzt die "Europäische Charta Alkohol" die 1995 in Paris verabschiedet wurde. Wir bringen nur einige Ziele; der ganze Text im Internet gefunden werden. (Wir hoffen auf eine Konferenz "Alkohol und Verkehr"…) Die folgenden Ziele sollen bis zum Jahr 2006 erreicht werden: a) die Zahl Jugendlicher,
die mit dem Alkoholkonsum beginnen, wesentlich verringern; Alkoholpolitische Jahreschronik 1999/2000Sie erinnern sich sicher noch daran: Am 1. Januar 2000 hat ein neues Jahr begonnen. Der Lärm in den Medien und auf den Strassen hat dafür gesorgt, dass Sie diesen Moment nicht übersehen konnten, aber was hat sich dabei geändert? Was ist übrig geblieben? Eigentlich nicht viel. Dabei wäre dieses Datum für uns Schweizer von grosser Bedeutung: Am 1. Januar
2000 ist die neue Bundesverfassung in Kraft getreten. Haben Sie die
Abstimmungsvorlage behalten? Nicht? Darum zitiere ich Ihnen den Artikel:
Vom vorauseilenden GehorsamGesetze und Behörden haben sich an die Verfassung zu halten. Ändert sich die Verfassung, müssen die Gesetze und Verordnungen nachziehen. Bei der Alkoholpolitik sind in einer Art vorauseilenden Gehorsams die Vorschriften schon vorher geändert worden. Die meisten kantonalen Wirtschaftsgesetze sind im letzten Jahrzehnt ihres Sinnes entleert worden. Zeitungen melden - wie wir schon berichteten - gelegentlich über die Resultate: "Es hat viel mehr neue Wirtschaften und mehr Alkoholunfälle nach Mitternacht. Die alkoholfreien Restaurants sind (fast) verschwunden. Was soll das Striptease-Lokal im Dorf? Gibt es ein Bierpatent für den Kuhstall? usw. usf." Leider hat sich seit dem letzten Kalender die Situation verschlechtert und leider wird es so weitergehen. Was die Zeitungen verschweigen: Die Folgen waren zu erwarten und sind auch vorausgesagt worden. Auch bei den Spirituosen eilte der Gehorsam der Verfassung voran: Seit 1.7.99 werden importierte Spirituosen gleich niedrig besteuert wie einheimische. Die erwarteten Folgen sind eingetroffen: Höhere Importe, Zunahme von Kauf und Konsum. Die ersten definitiven Zahlen werden erst nach Druck dieses Kalenders erscheinen. Sie werden zeigen, dass das alte Ziel der "Verminderung des Konsums" verfehlt wurde, und der neue Ratschlag der "Berücksichtigung" nebulös bleibt. Mit der Herabsetzung der Promillegrenze geht es nur sehr langsam vorwärts. Hier bestand Hoffnung, dass die Schweiz die europäischen 0,5 Promille akzeptiert - aber inzwischen haben Irland, Grossbritannien und Italien eine gemeinsame Lösung blockiert. Triumphierend begrüssten einige Zeitungen diese Blockade - in der Hoffnung, die Schweiz werde hier nun nicht vorauseilen, sondern bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten. Ende Jahr wissen wir mehr. Ist Alkoholpolitik nicht aktuell?Der Chronist bedauert, dass er über so wenig Fortschritte berichten kann. Im letzten Jahr wurde nämlich die gesundheitspolitische Diskussion von der Revision des Betäubungsmittelgesetzes beherrscht; die Alkoholpolitik erhält nicht so viel Beachtung, wie es der Grösse des Problems angemessen wäre. Das Bundesamt für Gesundheit hat zwar Vorschläge in die Vernehmlassung zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes geschickt, welche die präventiven Massnahmen gegen die "Betäubungsmittel" und gegen Alkohol einander annähern möchten. Die Alkoholpolitiker sind zwar eigentlich für gemeinsame Massnahmen, haben aber wenig Öffentlichkeitswirkung. Von den Drogenpolitikern hört man, es sei denn der Wunsch, Cannabis müsse wie in diesem Zusammenhang wie Alkohol behandelt werden - und da ist Härte nicht angesagt. Heftig äusserten sich die am Alkoholverkauf Interessierten "Wir sind keine Drogenhändler!" Europäischer Aktionsplan und Charta AlkoholFür die Region
Europa der Weltgesundheitsorganisation hat eine Konferenz der Gesundheitsminister
in Paris im Dezember 1995 eine Charta verabschiedet, die als Richtlinie
für die Erreichung des Zieles „Gesundheit für alle im Jahre 2000"
dienen sollte. Ende 1999 muss festgestellt werden, dass die meisten
europäischen Länder das Ziel der Verminderung der Alkoholprobleme
nicht erreicht haben; in vielen Ländern (z.B. in Osteuropa wegen der
Öffnung für die multinationalen Alkoholkonzerne und in Skandinavien
wegen Lockerung der alkoholpolitischen Vorschriften) ist der Alkoholkonsum
sogar angestiegen. In der Schweiz kann man die privaten und staatlichen
Stellen, die überhaupt davon Kenntnis genommen haben, an der Fingern
einer Hand abzählen. Die alkoholpolitischen Entscheidungen sind davon
nicht beeinflusst worden, sie haben diesen unverbindlichen Richtlinien
meistens sogar widersprochen. Jetzt erhalten wir eine zweite Chance:
Im September 1999 ist ein zweiter Europäischer Aktionsplan Alkohol,
diesmal für die Jahre 2000 bis 2005, verabschiedet worden. "Hat der Staat die Pflicht, für die Folgen aufzukommen, so hat er auch das Recht, den Ursachen zu wehren." (Botschaft an die Landsgemeinde, AR 1899) "Die Staumauer der Alkoholpolitik hat ihre Löcher"Diesen Satz hat J. Odermatt, einer meiner Lehrmeister, im Jahre 1950 geprägt, also vor genau 50 Jahren. Ihm war klar, dass Vorschriften zur Prävention von Alkoholproblemen und damit zur Gesundheitsförderung gehören. Ihm war auch klar, dass Information und Vorleben und Mitleben genau so wichtig sind. Eines ohne die anderen wirkt nicht. Nach dem Ende des Krieges begann der wirtschaftliche Aufschwung ; die kriegs- und krisenbedingten Vorschriften wurden auf vielen Gebieten gelockert. Mit dem Nachholen von Freiheit und Genuss begann auch der Alkoholkonsum anzusteigen. Die Löcher in der Gesetzgebung wurden sichtbar und man begann, sie zu stopfen. Die Steuern auf gebrannten Wassern wurden stufenweise erhöht, vor auf importierte Prestigetränke wie Whysky, Wodka, Cognac usw. Zu einer allgemeinen Alkoholsteuer reichte es allerdings nicht ; dieses Loch ist noch heute ungestopft. Allerdings gelang es, eine " Getränkesteuer " zu verhindern, die auch gerade die alkoholfreien Getränke als Konkurrenten von " Wein und Bier " treffen sollte. Eine bedeutende Verschärfung des Alkoholgesetzes - das leider trotz vielen Wünschen und gescheiterten Anläufen bis heute auf den Schnaps beschränkt bleibt erfolgte im Jahre 1980: Die Werbung für gebrannte Wasser wurde eingeschränkt und allzu konsumfördernde Verkaufsmethoden wurden verboten. Spirituosen dürfen nicht mehr an Jugendliche unter 18 Jahren verkauft oder ausgeschenkt werden. Offen gegen diese letzte Regelung tritt niemand auf ; sie wird aber leider stillschweigend kaum innegehalten. Viele kantonale Wirtschaftsgesetze wurden verbessert. Sorgsam verschärften die Parlamente einzelne Vorschriften Verkauf und Ausschank alkoholischer Getränke sollten erschwert werden. Am revolutionärsten war die ab 1982 eingeführte Vorschrift, dass Bier in den Gaststätten nicht mehr das billigste Getränk sein durfte. Diese jugendfreundliche Bestimmung fand guten Anklang in der Öffentlichkeit. Die Wirte gingen aber bis vor Bundesgericht, um diese " Fessel " abzustreifen und noch heute braucht man gelegentlich den Rechenschieber, um das billigste Getränk zu orten. Einige Löcher konnten bis heute nicht einmal auf dem Papier gestopft werden: Zwar haben viele Gemeinden Alkohol- und Tabakwerbung auf öffentlichem Grund verboten, aber zweimal haben die Stimmbürgerinnen und -bürger es abgelehnt, sich - und vor allem ihre Kinder - vor der Berieselung durch Alkohol- und Tabakwerbung zu schützen. Einmal das Volk und mehr als einmal das Parlament haben darauf verzichtet, mit einer Alkoholsteuer zu einen dem Bund höchst willkommene Gelder zu beschaffen und zum andern durch höhere Preise den Konsum zu hemmen. Auf 0,5 Promille warten wir immer noch… Trendwende ohne DiskussionDie Revision des Wirtschaftsgesetzes des Kantons Appenzell Ausserrhoden im Jahre 1981 war vielleicht das erste Anzeichen einer Trendwende : Die Bedürfnisklausel für alkoholführende Wirtschaften wurde unter lautem Jubel über Bord geworfen.("In den Voralpen beginnt die Freiheit beim Alkohol", spottete die "Weltwoche".) Diesem schlechten Beispiel folgten fast alle Kantone - und in fast allen Kantonen stellt man seither fest, dass zu viele Alkoholquellen neu aufgehen und dass die Alkoholfreien " überraschenderweise " aussterben. Im gleichen Aufwasch wurden oft andere Einschränkung liquidiert wie z.B. die Polizeistunde oder das Wirtepatent. Schlanke Gesetze werden Mode - oder besser noch gar keine Gesetze. Betrüblich an diesen kantonalen Revisionen ist nicht nur ihr Inhalt, sondern der Mangel an Dialog und Reflexion. Die internationalen Fachleute auf dem Gebiete der umfassenden Alkoholprävention - in der Schweiz vertreten durch die Eidg. Kommission für Alkoholfragen EKA und die SFA - vertreten die Ansicht, dass jede Erleichterung der Erhältlichkeit - wie sie die Revisionen bringen - tendenziell den Konsum und damit die Alkoholprobleme fördert. Der Alkoholkonsum
hatte in Europa seit 1950 so stark zugenommen, dass die WHO einen
Europäischen Aktionsplan Alkohol ausarbeite, der 1995 in Paris als
" Europäische Charta Alkohol " auch von der Schweiz zwar angenommen,
aber nicht übernommen wurde. Sogar bei den harten Getränken kam es
zu einem folgenschweren Trendwechsel : Internationale Verträge zwingen
die Schweiz, einheimische und importierte Getränke gleich hoch zu
besteuern. Leider folgte der Bundesrat den Wirtschaftsinteressen und
besteuerte alle Spirituosen gleich niedrig. Auf die seit den 60er
Jahren weltweit erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde
überhaupt nirgends eingegangen. Kaum eine Regierung und kein Parlament
haben sich mit den Argumenten der EKA und der SFA auseinandergesetzt.
Das einzige unwidersprochene Argument war und ist: Diese Vorschriften
sind veraltet und gehören daher beseitigt. Ob alte Regelungen auch
zeitgemäss sein können, wurde nie hinterfragt. Wogende Wellen - Wechselnde WindeDie schweizerische Alkoholpolitik treibt zur Zeit ziemlich richtungslos auf den Wogen. Winde aus allen Richtungen treiben das Schiff bald vorwärts, bald rückwärts, bald rechts und bald links. Früher war es offensichtlich einfacher. Dr. V. Steiger in "Entwicklung, Grundzüge und Durchführung der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung" und noch R. Mory in "100 Jahre Alkoholgesetz - Historisches" konnten (vielleicht etwas vereinfacht gesehen) von einem starken Wind berichten, der seit 1884 blies und die schweizerische Alkoholpolitik - wenn auch gegen teilweise heftige Gegenwinde - vorwärtstrieb. 1885 und 1887 wurden in zwei Volksabstimmungen die Grundlagen für die schweizerische Alkoholpolitik gelegt, wie sie heute noch besteht: 1. Für die Bewirtschaftung und die Besteuerung (nur) der gebrannten Wasser wird die eidgenössische Alkoholverwaltung eingerichtet. 2. Der Reingewinn der Alkoholverwaltung geht z.T. an die Kantone (Alkoholzehntel). 3. Die Kantone erhalten (wieder) das Recht, die Handels- und Gewerbefreiheit für das alkoholführende Gasgewerbe einzuschränken. In der Folge wurde die Branntwein-Gesetzgebung eingeführt und zeitigte erfreuliche Erfolge. Die kantonalen Gastwirtschaftsgesetze brachten nach und nach deutliche volkgesundheitsorientierte Vorschriften, z. B. die Bedürfnisklausel, d.h. das Recht, die Zahl der alkoholführenden Gaststätten im Interesse des öffentlichen Wohles zu beschränken. Im Jahr 1908 nahm das Volk die Initiative zum Verbot des Absinths an; am 7. Oktober 1910 trat das Gesetz in Kraft. In den 20er Jahren war - trotz oder vielleicht sogar wegen der Alkoholprohibition in den Vereinigten Staaten - der Gegenwind stärker: die Neuordnung der Alkoholgesetzgebung (Ausweitung der Kompetenz) und eine Initiative für das Kantons- und Gemeindeverbotsrecht für gebrannte Wasser wurden abgelehnt. 1930 wurde dann eine veränderte Revision der Alkoholordnung angenommen; eine zu deren Abschaffung lancierte Initiative der Alkoholinteressenten wurde 1941 abgelehnt. Ohne weitere Volksabstimmungen konnte 1932 das revidierte Alkoholgesetz in Kraft gesetzt und später verbessert werden. Besonders bemerkenswert: am 1. Januar 1983 traten Bestimmungen in Kraft, welche die Werbung für gebrannte Wasser stark einschränkte, den Handel regulierte und unter anderem die Abgabe gebrannter Wasser an Jugendliche unter 18 Jahren verbot. In fast allen kantonalen Gastwirtschaftsgesetzen wurde in den 80er Jahren ein Passus eingeführt, wonach Bier nicht mehr das billigste Getränk in den Gaststätten sein durfte. Ende 80er anfangs der 90er Jahre änderten sich aber die Windverhältnisse deutlich. Volksgesundheitliche Interessen verlieren mehr und mehr an Bedeutung. Schlagworte dieser Zeit sind: Persönliche Verantwortung statt staatliche Kontrolle, Selbstregulierung durch Marktkräfte, Shareholdervalue. (Auch die zwei ersten Schlagworte orientieren sich am privatwirtschaftlichen Gewinnstreben, allerdings am Shareholdervalue der Besitzenden und nicht am Verdienst der Arbeitenden oder an den sozialen Kosten des Konsums.) Gegen diese Versuche, soziale Probleme durch die Marktkräfte lösen zu lassen, stellen sich die volksgesundheitlich orientierten Kreise mit dem Schlagwort entgegen: "Alkohol ist keine Ware wie alle andern!" Diese These bildet die Grundlage zur "Europäischen Charta Alkohol", die im Dezember 1995 von der "Europakonferenz Gesundheit, Gesellschaft und Alkohol" verabschiedet wurde. Auf Einladung der Weltgesundheitsorganisation haben 46 Mitgliedstaaten der Europäischen Region der WHO teilgenommen. Diese Charta ist durch zwei Eigenheiten gekennzeichnet: Sie fordert alkoholspezifische Massnahmen und basiert auf ethischen Prinzipien. Sie formuliert 5 Rechte: Alle Bürger haben das Recht, auf Schutz vor Alkoholproblemen, auf Information und Aufklärung, auf ein vor Alkoholproblemen und Alkoholwerbung geschütztes Jugendalter, auf Zugang zu Therapie und das Recht, vor Druck zum Alkoholkonsum geschützt zu werden. Leider ist es in der Schweiz - wie in den meisten europäischen Ländern - um diese Charta recht still geworden, obwohl die Schweiz der WHO einen Beitrag zu deren Durchsetzung zugesprochen hat. Als Grundlage für ihre Tätigkeit in Brüssel (Europäische Gemeinschaft), Strassburg (Europarat) und Kopenhagen (WHO Europa) benützt diese Charta das Bündnis "Eurocare", dem private Stellen angehören, u.a. die SFA, die ASA und das Internationale Blaue Kreuz. "Eurocare" sieht ihre Aufgabe im "Einsatz für die Verhütung alkoholbedingter Schäden in Europa." Es ist ihr gelungen, in Brüssel erstmals gesundheitliche Aspekte in die bisher rein wirtschaftlich orientierte Diskussion über Alkoholika zu bringen. Ein Grundproblem der schweizerischen Alkoholpolitik liegt darin, dass Alkoholgesetz und Alkoholverwaltung nur auf Spirituosen Anwendung finden. Eine interdepartementale Projektgruppe des Bundes empfiehlt: 1. Die Alkoholbewirtschaftung soll darauf ausgerichtet sein, die Alkoholprobleme zu vermindern. 2. Eine bessere Deckung der alkoholbedingten Sozialkosten ist anzustreben. 3. Eine allgemeine Alkoholsteuer ist gerechtfertigt. 4. Der Alkoholzehntel ist mit der erweiterten Verwendungsmöglichkeit beizubehalten und gemäss dem Verursacherprinzip auf den Ertrag aller besteuerten alkoholischen Getränke auszudehnen. 5. Die Kantone sollen im Interesse der Gesundheit und zum Schutze der Jugend den Kleinhandel mit gebrannten Wassern und alkoholhaltigen Erzeugnissen zusätzlich regeln können. Unterstützt wurden diese Vorschläge durch eine Tagung der "Eidg. Kommission für Alkoholfragen". Sie fanden in den Medien nur ein schwaches, fast ausschliesslich negatives Echo ("Schnapsidee aus Bern"). Der wirtschaftlich orientierte Gegenwind hat verhindert, dass diese Vorschläge der Fachleute in die "Reform der Bundesverfassung" aufgenommen worden sind. Im "Verfassungsentwurf 1996" haben Juristen und Politiker nur die Branntweinsteuer und den Branntweinzehntel gelassen, sogar die bestehenden kantonalen Kompetenzen sollen verschwinden. Die Gegenwinde wehen z.T. aus dem Ausland: Anpassung an Europa und an die Weltwirtschaft. Bisher wurden importierte Spirituosen (besonders Whisky, Wodka, Gin) viel stärker besteuert als die einheimischen Schnäpse. Mit dieser Bevorzugung von Schweizer Produkten ist nun Schluss. Wie hoch soll der Einheitssatz sein? Leider ist von der Politik eine niedrige, an "Europa" angepasste Steuer vorgesehen, welche die Preise von Whisky, Wodka u. Co. purzeln lassen - und zu einer Zunahme des Konsums führen werden. Gleiches ist beim Wein zu erwarten: Die bisher kontingentierte Einfuhr (billiger) Weine mus freigegeben werden. Die in einem Jahrhundert aufgebauten Gastwirtschaftsgesetze sind in vielen Kantonen fast einem Kahlschlag zum Opfer gefallen: Aufhebung der Bedürnisklausel, Ausdehnung der Öffnungszeiten, Verzicht auf Fähigkeitsausweis usw. Marktkräfte sollen walten: Wer nicht "gut" genug ist, geht ein. Da die sozialen Kosten des Alkohols nicht von der Wirtschaft, sondern von der Gesellschaft getragen werden, wird das Entstehen von Alkoholproblemen nicht verhindert, was vorher die staatlichen Vorschriften machten. Je leichter es ist, zu Alkohol zu kommen - zum Kaufen oder zum Soforttrinken - desto mehr wird konsumiert und desto mehr Alkoholprobleme entstehen.Sich auf die Selbstverantwortung des "mündigen Bürgers" zu verlassen, mutet angesichts der gesundheitsgefährdeten und vor allem abhängigkeitsbildenden Produkten fast zynisch an. Besonders wenn für die herbeigerufene "andere Prävention" das Geld fehlt und bei der Finanzierung von Suchttherapie gespart werden soll. Es scheint so zu sein, dass für die Alkoholprobleme weder Produzenten noch Händler noch Politiker eine juristische, finanzielle oder ethische Verantwortung übernehmen wollen. Eduard Muster (ASA) Vortr-Mr.doc 3.4.97 Mr/md (Referat gehalten an der Tagung der Internationalen Abstinentenverbände in Männedorf) |
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