Alkoholpolitik ist Gesundheitspolitik


«Die Staumauer der Alkoholpolitik hat ihre Löcher» - Trendwende ohne Diskussion
Rückblick im Jahr 2000


«Die Staumauer der Alkoholpolitik hat ihre Löcher»
Diesen Satz hat J. Odermatt, einer meiner Lehrmeister, im Jahre 1950 geprägt, also vor genau 50 Jahren. Ihm war klar, dass Vorschriften zur Prävention von Alkoholproblemen und damit zur Gesundheitsförderung gehören. Ihm war auch klar, dass Information sowie Vorleben und Mitleben genau so wichtig sind. Eines ohne die anderen wirkt nicht. Nach dem Ende des Krieges begann der wirtschaftliche Aufschwung; die kriegs- und krisenbedingten Vorschriften wurden auf vielen Gebieten gelockert. Mit dem Nachholen von Freiheit und Genuss begann auch der Alkoholkonsum anzusteigen. Die Löcher in der Gesetzgebung wurden sichtbar und man begann, sie zu stopfen. Die Steuern auf gebrannten Wassern wurden stufenweise erhöht, z. B. auf importierten Prestigegetränke wie Whisky, Wodka, Cognac usw. Zu einer allgemeinen Alkoholsteuer reichte es allerdings nicht. Dieses Loch ist noch heute ungestopft. Allerdings gelang es, eine «Getränkesteuer» zu verhindern, die auch gerade die alkoholfreien Getränke als Konkurrenten von «Wein und Bier» treffen sollte.

Eine bedeutende Verschärfung des Alkoholgesetzes, das leider trotz vielen Wünschen und gescheiterten Anläufen bis heute auf den Schnaps beschränkt bleibt, erfolgte im Jahre 1980: Die Werbung für gebrannte Wasser wurde eingeschränkt und alle konsumfördernden Verkaufsmethoden wurden verboten. Spirituosen dürfen nicht mehr an Jugendliche unter 18 Jahren verkauft oder ausgeschenkt werden. Offen gegen diese letzte Regelung tritt niemand auf; sie wird aber leider stillschweigend kaum innegehalten. Viele kantonale Wirtschaftsgesetze wurden verbessert. Sorgsam verschärften die Parlamente einzelne Vorschriften. Verkauf und Ausschank alkoholischer Getränke sollten erschwert werden. Am revolutionärsten war die ab 1982 eingeführte Vorschrift, dass Bier in den Gaststätten nicht mehr das billigste Getränk sein durfte. Diese jugendfreundliche Bestimmung fand guten Anklang in der Öffentlichkeit. Die Wirte gingen aber bis vor Bundesgericht, um diese «Fessel» abzustreifen und noch heute braucht man gelegentlich den Rechenschieber, um das billigste Getränk zu orten.

Einige Löcher konnten bis heute nicht einmal auf dem Papier gestopft werden: Zwar haben viele Gemeinden Alkohol- und Tabakwerbung auf öffentlichem Grund verboten, aber zweimal haben die Stimmbürgerinnen und -bürger es abgelehnt, sich und vor allem ihre Kinder vor der Berieselung durch Alkohol- und Tabakwerbung zu schützen. Einmal das Volk und mehr als einmal das Parlament haben darauf verzichtet, mit einer Alkoholsteuer zum einen dem Bund höchst willkommene Gelder zu beschaffen und zum andern durch höhere Preise den Konsum zu hemmen. Auf 0,5 Promille warten wir immer noch . . .

"Hat der Staat die Pflicht, für die Folgen aufzukommen, so hat er auch das Recht, den Ursachen zu wehren." Botschaft an die Landsgemeinde AR 1899

Trendwende ohne Diskussion
Die Revision des Wirtschaftsgesetzes des Kantons Appenzell-Ausserrhoden
im Jahre 1981 war vielleicht das erste Anzeichen einer Trendwende: Die Bedürfnisklausel für alkoholführende Wirtschaften wurde unter lautem Jubel über Bord geworfen. («In den Voralpen beginnt die Freiheit beim Alkohol», spottete die «Weltwoche»). Diesem schlechten Beispiel folgten fast alle Kantone und in fast allen Kantonen stellt man seither fest, dass zu viele Alkoholquellen neu aufgehen und dass die alkoholfreien Gaststätten «überraschenderweise» aussterben. Im gleichen Aufwasch wurden oft andere Einschränkungen liquidiert wie z.B. die Polizeistunde oder das Wirtepatent. Schlanke Gesetze werden Mode oder besser noch gar keine Gesetze.

Betrüblich an diesen kantonalen Revisionen ist nicht nur ihr Inhalt, sondern der Mangel an Dialog und Reflexion. Die internationalen Fachleute auf dem Gebiete der umfassenden Alkoholprävention in der Schweiz vertreten durch die Eidg. Kommission für Alkoholfragen EKA und die Schweizerische Fachstelle für Alkoholprobleme SFA vertreten die Ansicht, dass jede Erleichterung der Erhältlichkeit wie sie die Revisionen bringen tendenziell den Konsum und damit die Alkoholprobleme fördert. Der Alkoholkonsum hat in Europa seit 1950 so stark zugenommen, dass die WHO einen Europäischen Aktionsplan Alkohol ausarbeitete, der 1995 in Paris als «Europäische Charta Alkohol» auch von der Schweiz zwar angenommen, aber nicht übernommen wurde. Sogar bei den harten Getränken kam es zu einem folgenschweren Trendwechsel: Internationale Verträge zwingen die Schweiz, einheimische und importierte Getränke gleich hoch zu besteuern. Leider folgte der Bundesrat den Wirtschaftsinteressen und besteuerte alle Spirituosen gleich niedrig.

Auf die seit den 60er Jahren weltweit erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde überhaupt nirgends eingegangen. Kaum eine Regierung und kein Parlament haben sich mit den Argumenten der EKA und der SFA auseinandergesetzt. Das einzige unwidersprochene Argument war und ist: Diese Vorschriften sind veraltet und gehören daher beseitigt. Ob alte Regelungen auch zeitgemäss sein können, wurde nie hinterfragt.
Eduard Muster


Liebe Leserinnen und Leser

Kein Zweifel. Die Politik beeinflusst unsere Arbeit. Das wird uns immer dann drastisch vor Augen geführt, wenn Gesetze und Vorschriften gelockert werden und gleich darauf die Probleme rund um den Suchtmittelkonsum zunehmen. Die Aufhebung der Bedürfnisklauseln in den Kantonen und die Herabsetzung der Schnapssteuern sind nur einige Beispiele. Der Artikel von Edi Muster zeigt, dass uns zur Zeit auf diesem Gebiet der Wind ins Gesicht bläst. So schnell wird uns die Arbeit kaum ausgehen. Umso dankbarer sind wir für Menschen, die sich aus der Suchtarbeit heraus politisch engagieren oder von der Politik her unsere Arbeit tatkräftig unterstützen, wie es unser lnterviewpartner Otto Zwygart tut. Entscheide, wie der des Genfer Parlamentes zeigen aber, dass der Wind auch wieder wenden könnte. Auch wenn gewisse Kreise gleich wieder die sakrosankte Handels und Gewerbefreiheit in Gefahr sehen. Es kann nicht genug gesagt werden: Suchtmittel sind keine Handelswaren wie Waschpulver und Haferflocken! Nicht einfach um Recht zu bekommen, sondern den Menschen zuliebe, die unter die Räder der Suchtmittel und deren Auswirkungen geraten, müssen wir unsere Anliegen immer wieder einbringen und uns neben der täglichen Arbeit auch in der Politik Gehör verschaffen. Auch das ist Prävention!
Walter Liechti

Blaues Kreuz, 15. August 2000


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Beiträge zur Alkohol-Geschichte der Schweiz
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Geschichte des Beirates von SAS - SFA/ISPA 1913-1982
Direktoren von Zentralstelle und Fachstelle von 1901 bis 2003  
Schweizerischer Rat für Alkoholprobleme
1995: Wirt ist ein ganz spezieller Beruf

1987: Alkoholpolitik zwischen Wirtschaft und Gesundheit

Prof. Dr. Gustav von Bunge

Die Alkoholartikel der Bundesverfassung von 1885

Die Alkoholartikel in der Bundesverfassung Ende 1999
Die Alkoholartikel in der Bundesverfassung 2000
Prohibition - kein aktuelles Problem
Volksinitiative «gegen Suchtmittelreklame»
Die Urheber der Volksinitiative «gegen Suchtmittelreklame»
50 Jahre Alkoholpolitik in der Schweiz (1938)
Revision des Alkoholgesetzes von 1980
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Negative Trendwende in der Alkoholpolitik
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Chroniken zur schweizerischen Alkoholpolitik

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