Prof. Dr. Gustav von Bunge
1844
– 1920
Ansprache von Prof. Dr. Markus Mattmüller bei der
Einweihung des neuen Grabmals von G. von Bunge, 20. August 1990, Wolf-Gottesacker
in Basel
Denkmäler haben einen
Sinn: Sie rufen uns Personen und Ereignisse in Erinnerung, die in einer
bestimmten Situation wichtig gewesen sind und die etwas gestaltet haben,
was in die Gegenwart hineinwirkt. Damit geben sie uns Impulse für
unser heutiges Handeln.
Gustav von Bunge erinnert an einen Durchbruch: den Durchbruch einiger
fortschrittlicher Frauen und Männer zur Hilfe an die vorher kaum
beachteten Suchtopfer; die Alkoholfrage ist ja das Feld gewesen, auf dem
die Gesellschaft das Problem der Süchtigkeit zuerst erkannt hat und
auf dem durch einige Pioniere die ersten Gegenmassnahmen unternommen wurden.
Der Kampf gegen später auftauchende Volksseuchen wie Tabak- und Drogenmissbrauch
hat von den Erfahrungen der Alkoholismusprophylaxe profitieren können.
Alkoholmissbrauch war im 19.Jh. im wesentlichen auf ein Getränk bezogen:
man redete von einer Schnapspest, und diese erlebte zwei massive Höhepunkte;
einen ersten nach den liberalen Verfassungsänderungen der 1830er
Jahre, welche die Errichtung von Gaststätten freigab, und eine zweite
im neuen Bundesstaat, als das Alkoholangebot durch Eisenbahntransporte
und Wegfall der kantonalen Zölle stark erhöht und verbilligt
wurde; es entstand eine eigentliche Notlage breiter Volksschichten. die
von Philanthropen, Schriftstellern (wie Gotthelf) und Behörden wahrgenommen
und drastisch geschildert wurde.
Ein Bericht sagt: "Jede Ortschaft hatte ihre Schnapsbrennerei, grössere
Dörfer vier bis fünf, in denen Kartoffeln und andere brennbare
Stoffe zu Schnaps verarbeitet wurden. Im Amt Aarburg rechnete man auf
30 Einwohner einen Brennhafen". Und ein Pfarrer fügt bei: "Der
Schnaps musste in der Haushaltung verbraucht werden, während die
Milch nach aussen verkauft wurde. So bestand vielerorts das Frühstück
aus schwarzem Kaffe und Schnaps. Schon kleinere Kinder wussten zu berichten,
wie dieser beim Trinken im Hals brannte. Bei einem Schulfestchen erklärte
uns schon nachmittags um zwei Uhr die Lehrerin: Mini Chind si alli voll."
Zu einem Zeitpunkt war das Mass voll: in einem Jahrzehnt geschahen um
1880 jene drei Durchbrüche, die den Kampf Alkoholismus in der Schweiz
einleiteten: nämlich die Gründung des Blauen Kreuzes durch Louis
Lucien Rochat (1877). 1885 nahmen die Räte und das Stimmvolk den
Verfassungsartikel über das Alkoholmonopol an, den Bundesrat Carl
Schenk, auf den übrigens auch das erste Fabrikgesetz zurückgeht,
geschaffen hatte und der in der Folge den Schnapskonsum wesentlich einschränkte,
und am 23. November 1886 hielt der neuberufene Physiologieprofessor Gustav
von Bunge in der Aula an der Augustinergasse seine Antrittsvorlesung
über die Alkoholfrage, die das Manifest der wissenschaftlichen Lehre
über Alkoholwirkung und Alkoholmissbrauch geworden ist.
Bunge hat einige weitverbreitete Fehlmeinungen definitiv widerlegt: Alkohol
ist nicht lebensnotwendig, er wärmt nicht, ernährt nicht, hilft
nicht beim Verdauen, er schädigt sowohl die körperliche als
auch die geistige Leistungsfähigkeit. Schon mit diesen Feststellungen
schockierte der Redner die hochansehnliche Versammlung, weil er ein Tabu
der akademischen Männerwelt verletzte. Doch nicht genug: Weil er
die soziale Verantwortung der Universitätslehrer ernst nahm, drückte
er sich nicht vor den praktischen Folgen seiner Erkenntnisse, sondern
machte Vorschläge zur Eindämmung der Volkskrankheit: Aus einem
halben Jahrhundert vergeblicher Versuche der Mässigkeitsvereine zog
er die Folgerung, dass dem süchtigen Alkoholiker nur Totalabstinenz
helfen kann, und er machte gleich auch noch die sozial verantwortungsbewussten
Menschen darauf aufmerksam, dass sie durch das Beispiel der Abstinenz
den Süchtigen mehr halfen als durch die diesen nicht mögliche
Mässigkeit. "Die Mässigen sind die Verführer!"
formulierte er provokativ, und machte so auf den gesamtgesellschaftlichen
Zusammenhang der Sucht aufmerksam. Die Antrittsvorlesung machte offenbar
starken Eindruck.
Carl Spitteler, nachmals berühmter Dichter und Nobelpreisträger,
berichtet in einem Zeitungsreferat:
"Herr Prof. Bunge hat letzten Dienstagabend in der Aula über
die Alkoholfrage im weitesten kulturhistorischen Sinne dieses Wortes einen
sehr anregenden Vortrag gehalten. Ich erinnere mich nicht, jemals eine
schärfere, wirkungsvollere Philippika gegen den Alkohol gehört
zu haben. Die wissenschaftliche Überlegenheit des Physiologen, seine
nüchterne, scharfe Dialektik im Bunde mit der Wärme der Überzeugung,
alles wirkte zusammen um die gebildeten Zuhörer ganz anders zu gewinnen,
als dies eine gewöhnliche Temperenzlerrede je vermocht hätte.
Beim Verlassen des Saales zeigten viele meiner Bekannten Spuren mehr oder
minder tiefgehender Zerknirschung."
Es gibt wohl wenige der feierlichen akademischen Antrittsvorlesungen,
die eine solche Wirkung erreichen; Bunges Rede, in einer immer wieder
aufgelegten Broschüre verbreitet und in viele Sprachen übersetzt,
wurde zum Startsignal der ärztlichen Antialkoholbewegung. Durch Bunge
angeregt, sind mehrere Generationen von Ärzten, Pfarrern und Lehrern,
ihrer Funktion als Trendsetter bewusst, ohne persönliche Notwendigkeit
zur Abstinenz gekommen.
Mein Vater, der auch in Basel Medizin studiert hat, hat mir eindrücklich
von der Wirkung auf die Studierenden berichtet. Ein Jahr später schloss
sich der berühmte Psychiater Auguste Forel vom Burghölzli in
Zürich dem Feldzug gegen den Alkohol an; er ist der Gründer
der ersten Trinkerheilanstalt und der Anreger von nicht religiösen
Abstinenzvereinen: Damit war die zuerst von den einfachen Leuten des Blauen
Kreuzes erprobte Heilmethode der Totalabstinenz in die wissenschaftliche
Medizin aufgenommen.
Der wissenschaftliche Kampf gegen den Alkoholismus hat also mit Bunge
begonnen. Auf dem Grabstein, dessen Wiederherstellung wir heute mit Freude
zur Kenntnis nehmen, steht die Sentenz: "Wir ernten beständig,
was wir nicht gesät haben; wir sollen auch säen, was wir nicht
ernten können." Das kennzeichnet die wegweisende Auffassung
eines akademischen Lehrers, der seine Aufgabe nicht nur in der Weitergabe
des überlieferten Kulturgutes sieht, sondern nötigenfalls auch
eine Infragestellung der bisherigen Lehren wagt und die Konsequenzen daraus
zieht.
Gerhart
Hauptmann und "Die Alkoholfrage"
Gerhart
Hauptmann (* 15. November 1862 in Obersalzbrunn in Niederschlesien;
† 6. Juni 1946 in Agnetendorf, heute Ortsteil von Jelenia Góra)
war ein deutscher Schriftsteller des Naturalismus. 1912 erhielt er den
Literaturnobelpreis.
Ende der 1880er Jahre wurde
Hauptmann mit der einsetzenden Sozialistenverfolgung ("Gesetz
gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie")
konfrontiert. Er suchte 1888 Schutz in Zürich bei seinem älteren
Bruder Carl.
Dort begegnete er dem Psychiater Auguste Forel, dessen Kenntnisse über
die menschliche Psyche Hauptmann fortan begleiteten.
Mit seinem 1889 uraufgeführten
Drama "Vor Sonnenaufgang" sorgte er für einen der grössten
Skandale der deutschen Theatergeschichte. Das bürgerliche Publikum
war schockiert, weil in Hauptmanns Stück Sexualität und Alkoholismus
freimütig dargestellt wurden. Biographischer Hintergrund von "Vor
Sonnenaufgang" ist der Einfluss von Hauptmanns Freunden wie Alfred
Ploetz und Ferdinand Simon, die beide Medizin studierten, so dass der Dramatiker
selbst dem Alkohol abgeschworen hat und Abstinent geworden ist. Eine Quelle
Hauptmanns war Gustav Bunges Schrift "Die Alkoholfrage" (Leipzig
1887), aus der er wörtlich eine Figur – Alfred Loth – zitieren
lässt. ..........................................................................................................
Vor Sonnenaufgang
(Aus dem Drama von Gerhart Hauptmann, geschrieben 1889)
Helene.
Ja, warum trinken Sie denn eigentlich nicht? Bitte, sagen Sie
es doch.
Loth, zu Hoffmann. Damit du doch beruhigt bist:
ich trinke heut schon deshalb nicht, weil ich mich ehrenwörtlich
verpflichtet habe, geistige Getränke zu meiden.
Hoffmann. Mit andern Worten, du bist glücklich
bis zum Mässigkeitsvereinshelden herabgesunken.
Loth. Ich bin völliger Abstinent.
Hoffmann. Und auf wie lange, wenn man fragen
darf, machst du diese...
Loth. Auf Lebenszeit.
Hoffmann. Pf! gerechter Strohsack!!
Offen gesagt, für so kindisch... verzeih das harte Wort.
Loth. Du kannst es gerne so benennen.
Hoffmann. Wie in aller Welt bist du nur darauf
gekommen?
Helene. Für so etwas müssen Sie einen
sehr gewichtigen Grund haben denke ich mir wenigstens.
Loth. Der existiert allerdings. Sie, Fräulein!
und du, Hoffmann! wisst wahrscheinlich nicht, welche furchtbare Rolle
der Alkohol in unserem modernen Leben spielt... Lies Bunge, wenn du dir
einen Begriff davon machen willst. Mir ist noch gerade in Erinnerung,
was ein gewisser Everett über die Bedeutung des Alkohols für
die Vereinigten Staaten gesagt hat. Notabene, es bezieht sich auf einen
Zeitraum von zehn Jahren. Er meint also: der Alkohol hat direkt eine Summe
von drei Milliarden und indirekt von sechshundert Millionen Dollar verschlungen.
Er hat dreihunderttausend Menschen getötet, hunderttausend Kinder
in die Armenhäuser geschickt. weitere Tausende in die Gefängnisse
und Arbeitshäuser getrieben, er hat mindestens zweitausend Selbstmorde
verursacht. Er hat den Verlust von mindestens zehn Millionen Dollar durch
Brand und gewaltsame Zerstörung verursacht, er hat zwanzigtausend
Witwen und schliesslich nicht weniger als eine Million Waisen geschaffen.
Die Wirkung des Alkohols, das ist das Schlimmste, äussert sich sozusagen
bis ins dritte und vierte Glied. Hätte ich nun das ehrenwörtliche
Versprechen abgelegt, nicht zu heiraten, dann könnte ich schon eher
trinken, so aber... meine Vorfahren sind alle gesunde, kernige und, wie
ich weiss, äusserst mässige Menschen gewesen. Jede Bewegung,
die ich mache, jede Strapaze, die ich überstehe. jeder Atemzug gleichsam
führt mir zu Gemüt, was ich ihnen verdanke. Und dies, siehst
du, ist der Punkt.
ich bin absolut fest entschlossen, die Erbschaft, die ich gemacht habe,
ganz ungeschmälert auf meine Nachkommen zu bringen.
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Das Abenteuer meiner Jugend
(Aus den Lebenserinnerungen von G. Hauptmann)
"Der Grundzug unseres damaligen Wesens und Lebens war Gläubigkeit.
So glaubten wir an den unaufhaltsamen Fortschritt der Menschheit... Die
Jugend hoffte auf vielschichtige soziale Reformen, wobei die Alkoholreform
bereits begonnen hatte und erste Früchte zeigte. Man war begeistert
von den Erkenntnissen der Wissenschaft, besonders der Naturwissenschaften
und der Medizin, sowie von den Errungenschaften der Technik...Nicht nur
wir, die ganze Epoche Ende der achtziger Jahre des vorigen Säkulums
atmete Gläubigkeit."
Erinnerungen
an Bunge
Wenn ein junges Mädchen vor
50 Jahren einer Berühmtheit begegnete, so hatte es vor lauter Respekt
und Bewunderung Herzklopfen zu bekommen oder ein Zittern in den Knien zu
verspüren. Als junges Ding von kaum 19 Jahren machte auch ich darin
keine Ausnahme; als ich dem weltbekannten Prof. Bunge vorgestellt werden
sollte, pochte mein Herz heftiger als mein Finger an der Tür seiner
Studierstube, die sich im Mansardenstock des Lehrgebäudes für
Anatomie und Physik der Universität Basel befand. Zu meiner Enttäuschung,
wie ich heute noch gestehen muss, sah ich mich beim Eintritt einem älteren,
eher kleinen Herrn mit hängendem Schnurrbart gegenüber, was nicht
ganz dem Bild entsprach, das ich mir von ihm gemacht hatte.
Von mir wusste der Gelehrte ausser meinem Namen nur, dass ich die Braut
eines seiner eifrigsten Schüler war, der später zum sogenannten
Bungekreis gehörte, der die Gleichgesinnten wie ein Freundschaftsband
umschloss. Es muss den alten Herrn befremdet haben, dass einer seiner
glühendsten Anhänger seine Braut nicht aus den Reihen der militanten
Abstinenten geholt hatte, was ihn allsogleich veranlasste, mir seine in
15 Sprachen übersetzte, in Millionen von Exemplaren verbreitete «Alkoholfrage»
in die Hand zu drücken mit dem ernsten Hinweis auf die Notwendigkeit
der Bekämpfung des Alkoholismus. Seine Worte fielen, wie mir einige
Leser dieser Zeitschrift sicher bestätigen dürften, nicht auf
steinigen Boden. Ich bin heute noch von dieser Notwendigkeit überzeugt
und finde die Lektüre seiner «Alkoholfrage» noch ebenso
aktuell und in ihrer logischen Konsequenz so zwingend wie vor 50 Jahren.
Keineswegs abwegig ist es auch,
Bunges Überlegungen anzuwenden in bezug auf die zunehmende Drogensüchtigkeit
der heranwachsenden Jugend. Wir können Bunges Stellungnahme erahnen,
hat er doch schon dem Alkoholismus gegenüber neben der Aufklärung
strengste gesetzliche Massnahmen verlangt zum Schutze des Menschen vor
dem Menschen. «Hat der Staat das Recht, Verbrechen zu strafen, sogar
mit dem Tod zu strafen so hat er auch das Recht, Verbrechen zu verhüten.»
Und die Forderung Bunges,
wie er sie in seiner «Alkoholfrage» stellte, lässt sich
auch in bezug auf die Rauschgifte anwenden. die eine Gefahr für viele
Jugendliche bilden. Eine Forderung, die wir heute besonders dringlich
an unsere Behörden stellen: «Eine gute Regierung soll eben
unermüdlich und ununterbrochen im Kampfe liegen mit allen Torheiten
und Schwächen der Massen.»
E. F. Graeter (1970)
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Bunge und Bulgarien
In Bulgarien hat
sich in den letzten Jahren eine aktive Abstinenzbewegung entwickelt,
die sich mit 100'000 erwachsenen Mitgliedern der Internationalen Organisation
der Guttempler als «zugewandter Ort» angeschlossen hat.
Von Bedeutung ist ihre Tätigkeit in den Schulen, wo sie Tausende
von Gruppen abstinenter Jugendlicher unterhält. In einem südlichen
Land mit einer grossen Produktion von Früchten verspricht die
Herstellung alkoholfreier Getränke, wie sie das «Nationalkomitee»
angeregt hat, grosse Erfolge. Der Vorsitzende der bulgarischen Abstinenten,
Dimiter Z. Bratanov, berichtet, wie das Erbe Bunges in einem Lande
mit anderer Kultur und anderer Gesellschaftsordnung weiterlebt.
"Als Wissenschafter,
der konsequent gegen den Alkoholismus kämpfte, übte Bunge
gleich Forel auf die Entwicklung der bulgarischen Abstinenzbewegung
einen ausserordentlich grossen Einfluss aus. Seine bemerkenswerten
Berichte und Reden über die Themen «Die Alkoholfrage»,
«Quellen der Entartung», «Der Alkohol und die
Arbeiter» u.a., wurden in Bulgarien unmittelbar nach dem Ersten
Weltkrieg herausgegeben, als die Abstinenzbewegung in Bulgarien
ihre Tätigkeit begann.
Der Humanismus Bunges, sein Beispiel eines Gelehrten mit mutigem
Geist im Kampf gegen den Alkoholismus und andere sozialen Übel
begeisterte uns Jahre hindurch. Schon 1920 erschienen in der Zeitschrift
des Neutralen Schülerabstinenzvereins «Tresvenost»
(Enthaltsamkeit) und «Borba» (Kampf) Artikel über
die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen Bunges im Kampf gegen
den Alkoholismus.
Eine der ersten Gesellschaften des Neutralen Schülerabstinenzvereins
in Stara Sagora trug den Namen «Gustav von Bunge». Ich
erinnere mich als Vorsitzender dieser Gesellschaft, mit welcher
Begeisterung wir uns auf seine wissenschaftlichen Untersuchungen
beriefen, dass der Alkohol keine Kraft verleiht, dass der Alkohol
die Gehirnfunktionen beeinträchtigt und deshalb die geistige
Arbeit behindert. Das Beispiel des kühnen Wissenschafters und
Kämpfers entfachte das Feuer der Begeisterung bei Tausenden
von Schülern, Lehrern, Jugendlichen und Arbeitern im Kampf
gegen den Alkoholismus.
Die Abstinenzbewegung in Bulgarien setzt auch heute noch das wissenschaftliche
Vermächtnis von Bunge und seine Unversöhnlichkeit im Kampf
gegen den Alkoholismus und die sozialen Übel fort."
Botschafter D. Z. Bratanov (1970)
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Gustav
von Bunges Grabmal
(Pressemitteilung)
Auch Grabmäler können als Kulturgut schützenswert sein. Darum
beschloss das Sanitätsdepartement auf Antrag der Grabmalkommission,
den vom Zerfall bedrohten Grabstein
des vor 70 Jahren verstorbenen Ernährungswissenschafters Gustav von
Bunge auf dem Wolfgottesacker wiederherzustellen.
Der aus Estland stammende Gelehrte engagierte sich damals in Basel für
die Alkohofrage. Prof. Dr. Markus Mattmüller stellte anlässlich
einer kleinen Feier auf dem Wolfgottesacker von Bunges Wirken in geschichtliche
Zusammenhänge. Die Freigabe des Betriebs von Gaststätten auf Grund
der liberalen Verfassungsänderungen und der Wegfall der kantonalen
Zölle im neuen Bundesstaat führten zusammen mit den preisgünstigeren
Eisenbahntransporten zu einer starken Verbilligung des Schnapses, die eine
eigentliche Schnapspest zur Folge hatte. Weite Bevölkerungskreise gerieten
dadurch in eine bedrückende Notlage. Mattmüller berichtet über
drei Durchbrüche um 1880: nämlich die Gründung des Blauen
Kreuzes, die Verankerung des Alkoholmonopols in der Bundesverfassung und
die Antrittsvorlesung des neuberufenen Physiologieprofessors Gustav von
Bunge über die Alkoholfrage, die zum "Manifest der wissenschaftlichen
Lehre über Alkoholwirkung und Alkoholmissbrauch" wurde.
Nach Mattmüller gibt es nur wenige Antrittsvorlesungen, die eine Wirkung
wie Bunges Rede erzielten. Sie wurde immer wieder neu aufgelegt, in zahlreiche
Sprachen übersetzt, ja sogar zum Startsignal der ärztlichen Antialkoholbewegung.
Mit seinen auf physiologischen Erkenntnissen basierenden Äusserungen
zum Alkoholkonsum verletzte Bunge "ein Tabu der akademischen Männerwelt"
und schockierte damit die akademische Versammlung.
Bei der Einweihung des neuen Grabmals überbrachte lic. iur. Urs Hoechle
die Grüsse von Regierungsrat Dr. Remo Gisin und wies in seiner kurzen
Ansprache auch auf den von-Bunge-Brunnen
beim Frauenspital und die von-Bunge-Strasse
an der Burgfeldergrenze hin. Auch diese beiden Denkmäler helfen, so
Hoechle, die Gedanken des Vordenkers und Philosophen der Abstinenzbewegung
weiterzutragen. Hoechle hofft, dass in Bunges Sinne auch die Zwillingsinitiativen,
die eine Verminderung der Alkohol und Tabakprobleme zum Ziel haben, Erfolg
haben werden.
Marion Breisinger, welche als Bildhauer Meisterin die Kopie des Grabmals
anfertigte, berichtet über ihre Recherchen, die ergaben, dass der fast
2 Tonnen schwere Stein ursprünglich eine Grabplatte war und erst später
aufgerichtet wurde.
Zu der Feier eingeladen hatte der Basler Abstinentenverband, dessen Präsident
Paul Roser den Behörden für die Restaurierung dankte. Von Bunge
war sich der langfristigen Tätigkeit in der Gesundheitsvorsorge und
insbesondere in der Suchtprävention bewusst. Sein Leitgedanke wurde
zur Grabinschrift: "Wir ernten beständig, was wir nicht gesät
haben. Wir sollen auch säen, was wir nicht ernten werden."
Fritz Ganser |