Be. In Zeitungsartikeln und
Inseraten zum eidgenössischen Urnengang vom 18. Februar 1979 werden
als Urheber der Volksinitiative «gegen Suchtmittelreklame» in
diesen Tagen häufig die Guttempler oder exakter die Schweizer Guttempler-Jugend
erwähnt. Guttempler? Schon der Name gibt Rätsel auf, und kaum
jemand weiss Genaueres über Ziele und Wirken dieser weltweit verbreiteten
Organisation, deren Mitglieder sich verpflichten, durch persönliche
völlige Enthaltsamkeit von alkoholischen Getränken und vom nichtmedizinischen
Gebrauch abhängigkeits- und gewohnheitsbildender Drogen ein Beispiel
zu geben.
Im 19. Jahrhundert in den USA entstanden
Die Guttempler-Bewegung ist im 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten
von Amerika entstanden. Am 11. Juni 1851 gründete Leverett E. Coon
in Utica im Staate New York als Abstinentenorganisation den «Independent
Order of Good Templars», der in den protestantisch-methodistischen
Kreisen des Landes rasch eine grosse Anhängerschaft fand. Bereits
am 17. August 1852 vereinigten sich die einzelnen, als «Logen»
bezeichneten Ortsgruppen, zu einer «Grossloge von Nordamerika».
Den Höhepunkt erreichte die Guttempler-Arbeit in den USA um das Jahr
1875, als man 11'850 Logen mit insgesamt 735'000 Mitgliedern zählte.
Später verlor sich die Bewegung indessen wieder bis auf wenige kleine
Gemeinschaften, die wesentlich von ausgewanderten Skandinaviern getragen
werden.
Als grosser Missionar des Guttempler Ordens in Europa gilt der Engländer
Joseph Malins. Der Malergeselle Malins, Sohn eines Alkoholikers, hatte
sich während eines Aufenthaltes in den USA für die brüderliche
Hilfe der Guttempler zur Heilung von Trinkern begeistert, weshalb er nach
seiner Heimkehr alles daran setzte, um die Guttempler Idee in Grossbritannien
zu verbreiten. Schon 1873 zählte der Orden in England rund 20'000
Logen mit etwa 200'000 Mitgliedern, darunter 463 Bürgermeister, 892
Geistliche und über 100 Ärzte. Von England brachte der Kapitän
Carl Reynolds den Guttempler-Orden in sein Vaterland Norwegen. Aus dem
Norden drang das Gedankengut hierauf nach Deutschland vor, wo im Grenzgebiet
zu Dänemark 1888 Deutschlands Grossloge Nr. I und 1889 Deutschlands
Grossloge Nr. II entstanden.
Prof. Auguste Forel, Gründer der Schweizer Guttempler
Die erste Schweizer Loge der Guttempler ist vom berühmten Waadtländer
Ameisenforscher, Psychiater und Hirnanatomen Prof. Auguste Forel im Jahre
1892 in Zürich gegründet worden. Forel, dessen Bildnis auf der
neuen Schweizer 1000 Franken Note zu sehen ist, führte als Direktor
der Zürcherischen Heil- und Pflegeanstalt Burghölzli einen mühseligen
Kampf gegen die Trunksucht und betrachtete den Guttempler Orden als geeignete
Institution, um Alkoholkranke nach der Entlassung aus der Klinik vor Rückfällen
zu bewahren. Während der Jahre 1906 bis 1919 wirkte Forel auch als
Vorsitzender der internationalen Organisation der damals sogenannten «neutralen
Guttempler».
Über die Entwicklung der Schweizer Guttempler bis zum Zweiten Weltkrieg
liegen nur spärliche Informationen vor. Einem Überblick über
die Geschichte des deutschen Guttempler-Ordens ist zu entnehmen, dass
die Schweizer Gesinnungsgenossen gute Erfolge bei der Förderung der
gewerblichen Süssmosterei verzeichnen konnten und die Guttempler-Arbeit
von der Schweiz aus nach Süddeutschland und ins Ruhrgebiet getragen
worden ist. Anders als in Deutschland, wo die Guttempler-Logen vor allem
durch Arbeiter, Handwerker und Lehrer gebildet wurden, traten in der Schweiz
oft auch bekannte Ärzte dem Orden bei. Unter den Guttemplern weitherum
bekannt geworden ist die Schrift des Schweizers Prof. Gustav von Bunge
zum Thema «Die Alkoholfrage».
Die Schweizer Guttempler Bewegung erreichte, wie der derzeitige Präsident
René Ronner (Schaffhausen) und vier seiner Kollegen im Landesvorstand
ausführen, ihren bisherigen Höchststand in den zwanziger und
dreissiger Jahren; damals zählte sie über 5'000 Mitglieder und
beteiligte sich aktiv an der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung.
Heute gehören dem Landesverband, der sich in 6 Regionalverbände
und 45 Ortsgruppen gliedert, noch etwa 1'000 erwachsene Mitglieder an.
Einen eigenen, dem Landesverband angeschlossenen Verein bilden die rund
200 Mitglieder der Schweizer Guttempler-Jugend, welche die Initiative
«gegen Suchtmittelreklame» lanciert hat. Die internationale
Organisation, «International Organization of Good Templars»,
die zurzeit vom Informationschef der obersten Schulbehörde Schwedens,
Sven Elmgren, präsidiert wird, umfasst etwa 800'000 Mitglieder in
allen fünf Erdteilen, wobei Skandinavien die grössten Landesverbände
aufweist.
Abkehr von der Ordensform
Das Jahr 1970 markiert in der Guttempler-Bewegung eine wichtige Wende. Anlässlich
eines Kongresses in Istanbul nahm man Abschied von der Ordensform und bezeichnete
sich fortan als Organisation. Diese Änderung, welche die Schweizer
Guttempler an einer Delegiertenversammlung in Olten noch im selben Jahr
nachvollzogen, hatte sich aufgedrängt nach dem Beitritt der türkischen
Abstinentenorganisation «Grüner Halbmond» und des «Bulgarischen
Nüchternheitsverbandes», für welche der christlich und antiislamisch
gefärbte Ordensbegriff nicht akzeptabel gewesen wäre.
Weshalb die Gründer in den USA seinerzeit für ihre Abstinentenorganisation
die Ordensform und in Erinnerung an die mittelalterlichen Tempelherren den
Namen «Guttempler» gewählt hatten, lässt sich rückblickend
nicht mehr schlüssig erklären. Das heute noch massgebende Ziel
der Guttempler, die Menschen auf dem Wege der Enthaltsamkeit zu einem freieren,
reicheren und lohnenderen Leben zu führen, unter ihnen eine weltweite
Kameradschaft zu schaffen und so die Völker von Not und Unwissenheit
zu befreien, hatte in den einstigen Ordensgebräuchen jedoch einen symbolischen
Ausdruck gefunden. Der Orden gliederte sich ursprünglich in Logen,
Distrikte, Grosslogen der einzelnen Länder und in die Weltloge. Dieser
regionalen Organisation entsprach das System von Graden der Erkenntnis,
die das Mitglied erreichen konnte. Der Einweihungsgrad berechtigte zur Teilnahme
am Ordensleben der lokalen Loge, der Barmherzigkeitsgrad zur Tätigkeit
auf Distriktsebene. Wer auch den Gerechtigkeitsgrad errang, durfte sodann
in die vom Hochtempler geleitete Grossloge des Vaterlandes eintreten, und
der «Einheitsgrad» schliesslich öffnete den Weg zur Weltloge.
Der Zutritt zu den verschiedenen Logen wurde durch Passworte geregelt. Die
Sitzungen fanden hinter verschlossenen Türen statt, und man hielt sich
offenbar sehr starr an tradierte Liturgien mit eigenen Guttempler Liedern
und Texten. Als äusseres Zeichen der Gleichheit von Brüdern und
Schwestern wurden ursprünglich Ordenstrachten, später Ordenskragen
und in jüngerer Zeit noch Ordensbänder getragen. Die Mitglieder
bewahrten über das Geschehen an den Sitzungen Stillschweigen.
Politisch und konfessionell neutral
Da solche geheimnisumwobenen Gebräuche den Verdacht erweckten, die
Guttempler seien Freimaurer, erliess Papst Leo XIII. ein Beitrittsverbot
für Katholiken, das formell erst 1965 rückgängig gemacht
worden ist. Satzungsgemäss vereinigt die Guttempler-Bewegung Männer
und Frauen ohne Ansehen ihrer Rasse, Farbe, ihres Glaubens, ihrer sozialen
Stellung und ihrer politischen Ansichten. In den USA nahm der Orden bereits
1852 die ersten Frauen auf; hingegen weigerten sich die amerikanischen
Guttempler bis 1887, Neger als gleichberechtigte Mitglieder zuzulassen,
weshalb die Weltloge vorübergehend auseinander zu brechen drohte.
Erwähnt seien ferner die innerhalb der deutschen Grossloge Ende des
19. Jahrhunderts entstandenen Meinungsverschiedenheiten über die
Frage, ob auch das Bier mit nur zwei Prozent Alkoholgehalt als «berauschend»
zu betrachten sei, sowie der Umstand, dass die deutschen Guttempler wegen
ihrer politischen und konfessionellen Neutralität vor und während
des Zweiten Weltkriegs offenbar stark von der Nationalsozialistischen
Partei vereinnahmt worden sind.
Öffnung nach aussen
Für die Schweizer Guttempler bedeuteten der Verzicht auf die Ordensgebräuche
und die Reform von 1970, die sich durch interne Krisen bereits seit der
Nachkriegszeit angebahnt hatten, vor allem eine Öffnung nach aussen.
Der Orden wandelte sich zu einer nach zeitgemässen Grundsätzen
geführten Aufklärungs- und Fürsorgeorganisation. Der Landesverband
veranstaltet seither periodisch öffentliche Fachkonferenzen über
Alkohol und Drogenprobleme und wendet sich mit Kameradschaftswochen und
Frauenweekends an Personen, die auf berauschende Getränke verzichten
möchten, den Weg zur Abstinenz aber noch nicht gefunden haben. Hinzu
kommen Tätigkeiten in den Bereichen «gesunde Ernährung»
und «alkoholfreie Obstverwertung», Apfelsaft- und Traubensaftaktionen
sowie Autobahnaktionen «für unfallfreie Fahrt», Beratung
von Alkohol- und Drogengefährdeten sowie das Jugendwerk für
Schulkinder. Die Guttempler verfügen ferner über eigene Ferienheime
und führen alljährlich Bildungskurse für ihre Mitglieder
durch. Auf internationaler Ebene befasst sich die Organisation unter anderem
ferner auch mit Entwicklungshilfe.
Chance zur Integration in ein drogenfreies Milieu
Trotz den zeitgemässeren Formen hat sich die Grundidee der Guttempler
indessen kaum verändert: Ehemalige Alkoholkranke oder Drogensüchtige
und Leute, die aus sozialen oder ethischen Gründen alkohol- und drogenfrei
leben, bestärken sich gegenseitig in ihrem Entschluss zur Enthaltsamkeit
und gestalten zusammen ein alkohol- und drogenfreies Vereins- und Gesellschaftsleben.
In Trinkerheilanstalten und Strafanstalten werden Kontakte zu Gefährdeten
angeknüpft, denen man nach der Entlassung eine Chance zur Integration
in ein drogenfreies Milieu bieten möchte. Interessenten werden ohne
Verpflichtung zur Abstinenz während dreier Monate in das Vereinsleben
der Guttempler eingeführt. Der Anteil ehemals Gefährdeter unter
den Schweizer Guttemplern dürfte heute etwa bei 50 Prozent liegen.
Im Gegensatz zu den Mitgliedern des «Blauen Kreuzes» bekennen
sich die Guttempler nicht «mit Gottes Hilfe», sondern ohne
religiöses Bekenntnis auf Grund einer ethischen Entscheidung zur
Abstinenz. Eine Besonderheit der Guttempler liegt ferner darin, dass ihr
Gelöbnis neben der persönlichen Abstinenz auch das Versprechen
umfasst, keine Alkoholika herzustellen, zu kaufen, zu verkaufen oder sonstwie
abzugeben. Ausserhalb des Guttempler Enthaltsamkeitsgebotes verbleibt
indessen der Tabakgenuss, weil er keine Rauschzustände und physischen
Wesensveränderungen bewirke. Das von der Volksinitiative «gegen
Suchtmittelreklame» anvisierte Verbot reicht hinsichtlich der Raucherwaren
also über den Kernbereich der Guttempler-Arbeit hinaus.
Der Staat und das Persönliche
Die Guttempler kämpfen zwar gegen den «gesellschaftlichen
Zwang» zum Alkohol, der sich in den heutigen Trinksitten manifestiere;
sie betrachten jedoch nicht etwa jeden, der gelegentlich «ein Gläschen
trinkt», gleich als alkoholkrank. Wer ihre Ziele unterstützt,
aber selber nicht völlig abstinent leben möchte, kann sich deshalb
dem kürzlich gegründeten Guttempler-Freundeskreis anschliessen.
Die Schweizer Guttempler haben ferner nie versucht, ihre Wunschvorstellung
einer drogenfreien Gesellschaft mittels staatlicher Alkoholverbote, der
sogenannten Prohibition, zu verwirklichen. Denn trotz den politischen
Vorstössen in jüngster Zeit wurzelt ihre Bruderschaft letztlich
stark in der vielleicht zwar altmodischen, aber sympathischen Erkenntnis,
dass man sich nicht auf Forderungen an den Staat beschränken darf,
sondern das Gute als Bürger und Mitmensch auch selber in der persönlichen
Lebensgestaltung erstreben muss.
(Separatabdruck aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 1. 2. 1979)