«Wirt ist ein ganz spezieller Beruf»


Im Schweizer Fernsehen wurde im Sommer 1995 über den Kahlschlag in den Gastwirtschaftsgesetzen diskutiert.
Mehr als 150 Jahre vorher befasste sich Gotthelf mit diesem Thema.

(go) Als «grosser Liberalisierer» sitze Hanspeter Uster, Justiz- und Polizeidirektor des Kantons Zug, im Zischtigsclub; das sei woh l«eine eher ungewohnte Rolle für einen linken Politiker». Solchermassen von Ueli Schmezer begrüsst, bestätigte Uster, er spiele «als Linksgrüner eine etwas aussergewöhnliche» Partie.
Unter den 17 Kantonen, die mit einer Revision des Gastgewerbegesetzes mehr oder weniger befasst sind, prescht Zug am weitesten vor. Dort soll die Wirteprüfung entfallen, Alkoholausschank ohne Alkoholpatent erlaubt und die Polizeistunde aufgehoben sein. «Es darf jeder ohne Bewilligungspflicht tätig werden», sagte Uster und setzte die Behauptung drauf «Abschaffung des Fähigkeitsausweises bringt mehr Qualität».
Ins gleiche Horn stiessen seine Gefolgsleute: die Solothurner Wirtin Elisabeth Käser, die Gastroberaterin Erika Klossner und die aus der Modebranche in einen alkoholfreien Zürcher Betrieb umgestiegene Christa Derungs. Dreistimmig sangen sie das Lob gastronomischer Kreativität, die ohne Bewilligungspflicht erst so recht aufblühe. «Ich möchte den Gast verwöhnen und mich weiterbilden, wenn's nötig wäre», sagte Frau Derungs, in der stillen, später laut geäusserten Hoffnung auf deregulierten Alkoholausschank; und Frau Käser definierte ihre gastronomische Aufgabe so: sie möchte «gut sein als Mensch und Seelsorgerin.»
Als «Krach im Wirtshaus» war die Sendung deklariert. Im Studio des Schweizer Fernsehens DRS freilich ging es gesitteter zu. Dennoch sahen sich Uster und seine Frauschaft einer entschiedenen Frau mit Mannschaft gegenüber: der Gommerin Odile Schuler Volken, Wirtin und Hotelière in Fiesch («Ein Wirt muss mehr können als den Kochlöffel schwingen und das Personal hin und her hetzen»), sowie dem Direktor des Schweizer Wirteverbandes (Gastrosuisse), Florian Hew, dem Präsidenten des Wirteverbandes St. Gallen, Anton Gähwiler, und Eduard Muster, dem Stellvertretenden Direktor der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol und andere Drogenprobleme.
Gegen eine massvolle Revision des Gastgewerbegesetzes wären sie nicht, wohl aber gegen einen Totalverzicht auf Wirte und Alkoholpatent. Auch ein Bäcker oder Metzger habe schliesslich eine Meisterprüfung abzulegen, nicht zu reden von Elektrikern und Sanitärinstallateuren. «Will Herr Uster gar den Fahrausweis abschaffen?» fragte Hew pointiert. «Beim Fahrausweis sind höchstrangige Güter geschützt», erwiderte der Justizdirektor und unterstellte der Gegenseite kurzerhand: «Sie reden von Qualität und meinen den Schutz vor Konkurrenz. Ihnen geht es um Zulassungsbeschränkung.»

Zu alledem sagte Muster von der Fachstelle für Alkoholprobleme lange Zeit kein Wort. Endlich hob er an: «Wirt ist ein ganz spezieller Beruf mit einer ganz speziellen Verantwortung.» Er schenke Alkohol nicht nur aus, sondern kenne auch dessen Wirkung. Wirte besuchten Kurse in Alkoholprävention und wüssten das Gelernte in der Praxis auch anzuwenden. Von einer Aufhebung des Alkoholpatents befürchte er, Muster, Ungutes: «Je leichter Alkohol erhältlich ist, desto mehr wird getrunken.» Eine schrankenlose Erlaubnis, zu wirten, «aktiviere nicht nur die Kreativen», sondern auch jene, die sagen: «Mit den Alkoholikern lassen sich noch mehr Geschäfte machen.» Das Alkoholpatent setze also vernünftige Schranken.
Uster dagegen meinte, dieses Patent basiere «auf einem Suchtbegriff aus dem letzten Jahrhundert». Heute baue man aber nicht mehr auf Einschränkungen und Verbote, sondern auf «verantwortungsvollen Umgang mit der Sucht». «Dann steht halt der Zuger Kantonsrat neben der Wissenschaft», kommentierte Muster. Denn in bezug auf Alkohol und Drogensucht warne die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davor, Schranken und Verbote aufzuheben.
Uster blieb eine Antwort schuldig. Argumentativ zog sich der Linksgrüne auf seinen Zwergkanton zurück: «Wir können das nur im Zuger Mikroklima verfolgen»; es sei «klein, aber fein»:. Auf den Justizdirektor und seine Damenriege blickend, fasste der junge Gesprächsleiter die Lage in einen Satz: «Auf eurer Seite stelle ich ziemliche Unlust fest, das Thema Alkohol zu diskutieren.»
(Badener Tagblatt, 20. 7. 95)

"Should alcohol be treated like other commodities? No. Alcohol should be classified as a special substance because of its dependency producing properties and severity of associated problems." Quelle: Weltbank, November 2003: Why is reducing alcohol-related problems a priority?
Jeremias Gotthelf
Neuer Berner Kalender für das Jahr 1840

Regeln für Wirte

1. Der Wirt stehe früh auf! Dafür muss er zur rechten Zeit und zwar nüchtern zu Bette gegangen sein.

2. Ist er aufgestanden, so wasche und kämme er sich! Ein Wirt mit Federn in den Haaren, der nach verndrigem (1) Dreck riecht, ist ein wüescht Luegen (2) an einem schönen Morgen.

3. Vor oder nach dem Waschen bete er, dass ihn Gott vor Versuchungen möchte bewahren und ein rechtlicher Mann möchte bleiben lassen.

4: Bleibt er bei Hause, so sei er arbeitsam und freundlich!

5: Er versuche nicht zu oft den Wein in seinem Keller, nehme nie ein Glas mit sich, wenn er einem Gast einen Schoppen holt!

6. Holt er einen Schoppen, so lasse er alles Wasser aus dem Gütterli (3) und fülle ihn aus dem gleichen Fasse!

?. In seinen Fässern mischle er auch nicht zu viel, spare den Schwefel und verwechsle nie seinen Wein mit seinen Matten! Den letzteren gehört das Wässern.

8. Am Salat spare er den Essig nicht, mute aber nie seinen Gästen zu, dass sie den Essig aus den Gläsern trinken!

9, Mit Schmugglern und übel beleumdeten Menschen lebe er in keinem Verkehr! Sonst kommt er zu zweierlei: zu schlechter Ware und zu einem verdächtigen Namen.

10. Lumpestückli dulde er keine in seinem Hause, treibe noch viel weniger dazu an! Ein Wirtshaus soll ein Ehrenhaus sein, in das Ehemänner gehen mögen ohne Furcht, an Geld und Ehre geprellt zu werden,

11. Überhaupt halte der Wirt vor allen Dingen auf gute Leute, guten Wein und ein gutes Transchli! (4) Schlechte Leute, Schlechter Wein machen noch stinkender als stinkend Fleisch.

12. Er übervorteile keinen Gast, auch den fremdesten nicht! Ein einziger überforderter Batzen kann ihm hundert Schoppen schaden.

13. Er halte sein Haus in allen Dingen sauber und locke nie und auf keine Weise den Dürftigen ihr Geld ab, den Weibern ihre Männer weg!

14. Wer genug hat dem dringe er nicht noch mehr auf, er mahne ihn mit freundlichen Worten nach Hause!

15. Er sitze in keine Uerti! (5) Er kann einen oder zwei Schoppen für sich trinken, ja freilicht aber öffentlich, er ist doch kein Hund nicht, nur nicht heimlich.

16. Er führe in allen Dingen gute Ordnung! Er wisse immer, was seine Leute machen, wem er schuldig sei, von wem er zu fordern habe!

17. Er gehe nicht mehr von Haus, als er muss, und kehre heim zur rechten Zeit und zwar nüchtern!

18. Er sei ein strenger Diener des Gesetzes und glaube, dass kein Umhang dick genug ist, den Frevel überwirtender Wirte vor Gott zu verbergen! Und was wird das einmal für eine Rechnung sein, wenn Gott solchen frevelnden Wirten alle Stunden aufzählen wird, die Weiber über ihre ausbleibenden Männer, Eltern über ihre ausbleibenden Kinder verweint haben! Wirte, dann werdet ihr es zum ersten Mal recht erfahren, was eine Rechnung ist!


(1) verndrigem = vom Vorjahr
(2) wüescht Luegen = hässlicher Anblick (ü-e, u-e: getrennt aussprechen)
(3) Gütterli = kleine Flasche (hier für den offenen Wein)
(4) Transchli = Schnitte Fleisch (franz. tranche)
(5) Uerti = Zeche

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Beiträge zur Alkohol-Geschichte der Schweiz

Geschichte des Beirates von SAS - SFA/ISPA 1913-1982
Schweizerischer Rat für Alkoholprobleme
Hier:
1995: Wirt ist ein ganz spezieller Beruf
Weiter:
1987: Alkoholpolitik zwischen Wirtschaft und Gesundheit
Ausserdem:
Volksabstimmungen zur Alkoholpolitik: Sechs alkoholpolitische Kraftakte
Heim:
Hier ist die Familie Muster in Ecublens

Hier finden Sie das Kapitel Alkoholpolitik mit Links und Hinweisen zu anderen Seiten.
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