Rückblick
auf 50 Jahre Alkoholpolitik der Schweiz
1888
- 1938
Von J. Odermatt, Lausanne
Es sind ziemlich
genau 50 Jahre verflossen, seitdem das schweizerische Alkoholmonopol in
Wirksamkeit getreten ist. Es sei dies ein Anlass zu einem Rückblick
auf den in diesem Zeitraum zurückgelegten Weg der Alkoholgesetzgebung
in der Schweiz.
Die Bundesverfassungsrevision von 1885, auf Grund derer
das Alkoholmonopol eingeführt wurde, bildete einen Kompromiss. Der
Bundesrat hatte die Gesetzesreform einschränken wollen auf die Bekämpfung
des Branntweinübels, getreu der heute noch in rückständigen
Ländern, wie Frankreich, herrschenden Auffassung, dass nur die gebrannten
Getränke zu bekämpfen, die gegorenen dagegen zu fördern
seien. Die fortschrittlicher gesinnten Kreise der Gemeinnützigkeit
verlangten im Gegensatz dazu die Ausdehnung der Gesetzesreform auf das
Wirtshaus und den Kleinverkauf aller alkoholischen Getränke.
Die Alkoholpolitik des Bundes ist praktisch all diese 50 Jahre dem Leitsatz
treu geblieben: Bekämpfung der gebrannten Getränke, Schonung,
ja, Förderung der gegorenen. Nur von diesem Standpunkt aus ist sie
zu verstehen.
Das schweizerische Branntweinmonopol
Während
der drei ersten Jahrzehnte der Wirksamkeit des Alkoholmonopols betrachtete
man diese als normal. Erstens war der Branntweinverbrauch infolge der
Preiserhöhung der monopolpflichtigen Branntweine von angeblich 9,5
Liter (zu 50%) je Einwohner in der Periode vor dem Monopol auf rund 5
Liter im letzten Vorkriegsjahrzehnt gesunken. Zweitens warf das Monopol
Jahr für Jahr einen Gewinn von en5 6 Millionen Franken ab, der unter
die Kantone verteilt wurde. ... Dass die Monopolverwaltung nichts getan
hat, um der ständigen Ausdehnung der monopolfreien Obstbranntweinproduktion
Einhalt zu gebieten, wurde insofern als "normal" angesehen,
als man damals von einer staatlichen Regie eine tätige Voraussicht
gar nicht erwartete.
Das Alkoholmonopol von 1885 war nämlich in bezug auf
die gebrannten Getränke keine Ideal-, sondern eine Kompromisslösung
gewesen, indem es die Branntweine aus Obst nicht erfasste. Die gewaltige
Zunahme des Obstbranntweins .von rund 10 000 hl (zu 100%) in den 80er
Jahren auf das 6-8fache in den Nachkriegsjahren setzte in der Folge das
Alkoholmonopol praktisch ausser Wirksamkeit und zwang zu dessen Ausdehnung
auf alle gebrannten Getränke. Die Bundesverfassungsrevision vom 6.
April 1930, die dieses Ziel verfolgte, wurde in Kraft gesetzt auf den
Herbst 1932 . . . also am Vorabend der grössten Wirtschaftskrise,
von der unser Land je betroffen wurde.
Es war dies verhängnisvoll indem die im Gesetze verankerten
Übernahmepreise, die schon für eine Zeit mit steigender Preistendenz
reichlich hoch bemessen waren, in einer Periode fallender Preise als wahre
Prämie für vermehrte Branntweinerzeugung wirken mussten. Dazu
kam, dass die für unsern Mostobstexport wichtigsten Staaten ihre
Grenzen schlossen. Gleichzeitig nahm der Branntweinverbrauch stark ab,
teils als Folge der Erhöhung des Trinkspritpreises von etwa 2 Fr.
(je Liter zu 100%) auf fast 5 Fr., besonders aber infolge der von Jahr
zu Jahr schärferen Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit. Zudem suchte
der Privathandel die grossen Branntweinvorräte abzustossen, die er
in Erwartung der Preiserhöhung vor der Ausdehnung des Monopols angelegt
hatte. So schrumpfte der Absatz der Alkoholverwaltung an Trinksprit von
30'000 q vor der Neuordnung auf rund 2000 q in der ersten Geschäftsperiode
zusammen. Er stieg allerdings in der zweiten auf 4800 q, in der dritten
auf 10 000 q, blieb aber auch damit noch weit unter den Verkaufsmengen
der Vorjahre.
Trotzdem die Bundesverfassung es der Alkoholverwaltung zur
Pflicht machte, nicht nur den Verbrauch, sondern auch die Herstellung
von Branntwein zu vermindern, war die Monopoldirektion dem Gesetze bürokratischer
Trägheit folgend während der ersten Jahre der Neuordnung vor
allem darauf bedacht, für ihre immer unheimlicher sich stauenden
Branntweinvorräte neue Absatz- und Verwertungsmöglichkeiten
zu finden. So schlug sie vor, den Obstbranntwein, der 2 Fr. je Liter kostete,
dem Treibstoff für Motorfahrzeuge beizumischen. Vor dem Widerstand
der dadurch bedrohten Kreise, die im Juli 1936 einen Streiksonntag der
Autofahrer inszenierten, musste dieser volkswirtschaftlich widersinnige
Plan aufgegeben werden. Eine weitere Folge dieser Lage war es, dass durch
einen die Öffentlichkeit überrumpelnden Bundesratsbeschluss
vom 2. Juni 1936 Absinthnachahmungen aus Monopoltrinksprit zugelassen
wurden in offenem Widerspruch zu Art. 32 .der Bundesverfassung. ... Bei
einer Fortführung dieser Branntweinpolitik wäre auch die Schweiz
unvermeidlich in jene Verzweiflungspolitik hineingeraten, in der in Deutschland
der Kanzler Brüning zur Animierung des Branntweinverbrauches die
Trinkspritpreise von 600 RM auf 400 erniedrigt hatte.
Glücklicherweise setzte im Herbst 1936 eine
energische Kursänderung
ein. Die Alkoholverwaltung stellte sich von diesem Zeitpunkt an auf jene
Lösung des schweizerischen Obstprobleme ein, die der waadtländische
Staatsrat und heutige Präsident des Bauernverbandes, Dr. F. Porahet,
einst trefflich umschrieb, als er erklärte, dieses Problem bestehe
nicht darin, für den Branntwein aus Obst neue Verwertungsmöglichkeiten
zu finden, sondern darin keinen Alkohol aus Obst mehr machen zu müssen.
Diese neue Politik der Alkoholverwaltung, die nun der Leitung
von 0. Kellerhals anvertraut ist, wurde im obstreichen Herbste 1937 auf
die Probe gestellt. Und sie bestand diese glänzend. Während
nach der Schweiz. Zeitschrift für Obst- und Weinbau die Alkoholverwaltung
von der Obsternte 1935 etwa 800 Wagen Obstbranntwein hatte übernehmen
müssen, waren es im fast ebenso obstreichen Herbst 1937 nur 100 Wagen.
Die finanzielle Unterstützung seitens der Alkoholverwaltung gestattete
es, grosszügig zu arbeiten. Durch die packende Frischobstpropaganda
1937 soll erreicht worden sein, dass fast doppelt soviel Schweizer Obst
eingelagert wurde als früher. 500 Eisenbahnwagen frisches Obst wurden
ausserordentlich billig an Volkskreise abgegeben, für die Obst bisher
nicht erschwinglich war, hauptsächlich an Gebirgsbevölkerung
und Arbeitslose. Die Obstdörrversuche wurden in grösserem Massstabe
wieder aufgenommen. Die Ausfuhr von Schweizer Obst konnte dank der Zusammenarbeit
von Staat und Handel wesentlich gefördert werden. Über ein halbes
Dutzend Betriebe sind heute mit den nötigen Einrichtungen zum Eindicken
von Obstsaft ausgerüstet; 3000 Wagen Mostäpfel wurden so dem
Brennen entzogen und ergaben 250 Wagen Obstsaftkonzentrat, das in kommenden
Missjahren als Süssmost Verwendung finden kann. Auch die Süssmostfassungen
wurden bis aufs äusserste ausgenützt. Die eingelagerten Mengen
Süssmost und Obstsaftkonzentrat zusammen entsprechen nahezu 60 Millionen
Liter Süssmost. Endlich sind ein Viertelhundert Mostereien mit Dörranlagen
versehen, die imstande sind, in verhältnismässig kurzer Zeit
grosse Mengen Obsttrester, diesen wichtigen Brennereirohstoff, zu dörren.
Es sind auf diese Weise 3000 Wagen Obsttrester verwertet worden und lieferten,
soweit sie von Äpfeln stammten, hauptsächlich Pektin, soweit
sie von Birnen her kamen, ein gutes Mastviehfuttermittel. Wenn die Alkoholverwaltung
für diese Förderung alkoholfreier Obstverwertung auch etwa 3
Millionen Fr. ausgegeben hat, so ersparte sie sich damit noch grössere
Verluste, die ihr erwachsen wären, wenn sie wie im Vergangenen allen
ihr angebotenen Branntwein hätte übernehmen müssen.
Zu den Bemühungen um eine bessere Verwertung des Mostobstes
kommen anerkennenswerte Anstrengungen zugunsten einer Umstellung des Mostobstbaues.
Wiederum mit Unterstützung der Alkoholverwaltung sind mehrere hunderttausend
Bäume, die wegen schlechter Pflege minderwertiges Obst trugen, nach
neuzeitlichem Schnitt behandelt, einige zehntausend Mostobstbäume
umgepfropft und mehrere tausend junger Mostbirnbäume entfernt worden.
Es sind das schöne Anfangserfolge, auch wenn die Zahl der Apfel.
und Birnbäume in der Schweiz 8 bis 9 Millionen beträgt. Die
heranwachsenden Bauerngeschlechter werden sicher noch weit tatkräftiger
und freudiger auch im Obstbau mehr die Qualität als die Quantität
suchen.
So sind in bezug
auf die Produktion dank der Zusammenarbeit von Alkoholverwaltung, Obstverbänden
und gemeinnützigen, vorab alkoholgegnerischen Kreisen in kurzer Zeit
grosse und viel versprechende Fortschritte verwirklicht worden.
Was die Konsumation betrifft, so sind wir noch gänzlich auf stark
subjektiv gefärbte und oft lokal bedingte Beobachtungen angewiesen.
Es ist vollkommen unmöglich, den Branntweinverbrauch des Schweizer
Volkes für diese letzten Jahre mit irgendwelchem Anspruch auf Genauigkeit
zu ermitteln. Die Wichtigkeit der nicht kontrollierbaren Versorgungsquellen
lässt das nicht zu. Als solche sind zu nennen: die sog. "alten
Branntweinvorräte" aus der Zeit vor der Monopolausdehnung, die
aber heute doch mehr oder weniger erschöpft sein dürften; der
steuerfreie Eigenverbrauch, auf den 35 000 Kleinbrenner und über
100 000 obstbaumbesitzende Bauernfamilien Anspruch haben, wobei man praktisch
auf die von den Eigenverbrauchern selbst gemachten Angaben angewiesen
ist; die von Eigenverbrauchern und Qualitätsbranntweinproduzenten
gesetzwidrig an Drittpersonen abgegebenen Mengen, von anderen Quellen,
wie dem Schwarzbrennen von Kartoffeln, Zucker usw., gar nicht zu reden.
Trotzdem darf man wohl annehmen, dass der Branntweinverbrauch gegenüber
dem Vorkriegsverbrauch etwa um einen Drittel abgenommen hat.
So ist die löbliche Absicht des Gesetzgebers von 1885
in Hinsicht auf die gebrannten Getränke in einem bemerkenswerten
Grade verwirklicht worden, besonders, wenn man berücksichtigt, dass
die in den letzten Jahren erreichten Fortschritte in der nächsten
Zukunft tatkräftig ausgebaut werden.
Die eidgenössische Gärpolitik
Wie einleitend bemerkt wurde,
war die Einstellung des schweizerischen Gesetzgebers von Anfang an wesentlich
verschieden, je nachdem es sich um gebrannte oder gegorene Getränke
handelte. Was diese zweiten betrifft, so wurde deren Ausbreitung vom Gesetzgeber
gewünscht und gefordert . . . Diese volksgesundheitlich gänzlich
falsche Problemstellung hat zu mannigfachen Fehlleitungen geführt.
Eine erste haben wir bereits angedeutet: Es ist
die Begünstigung
des Mostobstbaues
um die Jahrhundertwende herum. Man sah im Mostobstbau nicht eine Vermehrung
der Branntweinerzeugung, sondern bloss diejenige der Erzeugung eines gegorenen,
also förderungswürdigen Getränkes. Die Gärmostproduktion
nahm von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu. Sie stieg von etwa 65 000 hl in den
80er Jahren auf über 150 000 hl. Der Gärmost ist das einzige
alkoholische Getränk, dessen Verbrauchsmenge grösser ist als
unmittelbar vor dem Weltkrieg. Noch viel stärker nahm im Verhältnis
die Erzeugung von Obstbranntwein zu: sind doch die 30 Millionen Fr. Defizit,
die die Alkoholverwaltung in den drei ersten Geschäftsperioden der
Neuordnung gemacht hat, einzig der Obstbranntweinübernahme zuzuschreiben:
diese betrug rund 24 000 hl für die Zeit vom Herbst 1932 bis Sommer
1937, gegenüber einer Jahresproduktion solcher Branntweine von bloss
10 000 hl vor 50 Jahren.
Wie wichtig die Einnahmen aus dem Obstbau für gewisse
landwirtschaftliche Betriebszweige sein müssen, besonders für
jene mit vorwiegender Graswirtschaft; kann man daraus ermessen, dass die
Einnahmen aus dem Obstbau am Total des Endrohertrages der schweizerischen
Landwirtschaft mit etwa 7% beteiligt sind.
Die Interessen der Landwirtschaft, der Alkoholverwaltung
und der Volksgesundheit erfordern übereinstimmend, dass den Obstbauerzeugnissen
eine rentable, aber alkoholfreie Verwertung geschaffen wird. Ganz im Gegensatz
zu dem, was gelegentlich die eidgenössisch subventionierte Propagandazentrale
für die Erzeugnisse des Obst- und Weinbaues verkündet, ist der
Gärmost durchaus kein hygienisch harmloses oder gar bekömmliches
Getränk. Sein Alkoholgehalt übersteigt den des Bieres. Und schon
aus physiologischen Gründen dürfte er seine Liebhaber in ausgesprochenerem
Masse als andere Gärgetränke auch dem Branntweingenuss zuführen.
Wir stehen heute in einer Zeit, in der es auch rein volkswirtschaftlich
nicht mehr gleichgültig ist, was die nationale Arbeit und der Boden
des Landes erzeugen. Es genügt nicht, dass etwas bloss privatwirtschaftlich
rentabel ist. Staatliche Förderung und Unterstützung soll nur
solchen Produktionszweigen zugute kommen, die auch vom Standpunkt des
Volksganzen aus als nutzbringend zu betrachten sind. Schon Adam Smith
wusste, dass dies von der Erzeugung alkoholischer Getränke nicht
gilt; denn "diese liefert nicht solche Dinge, die man gerechterweise
Güter nennen könnte". Unser Land muss aus volkswirtschaftlichen
und kriegswirtschaftlichen Gründen darauf bedacht sein, aus dem Obstbau
das zu machen, was er sein kann: eine Quelle von Nährstoffen . .
. Gärmost ist nicht als solcher anzusehen.
Die Interessen des schweizerischen Obstbaues nun erfordern
nicht minder als diejenigen der Volksgesundheit eine völlige Umkehr
in der bisherigen
Bierpolitik des Bundes.
Das Bier ist
nämlich der Hauptkonkurrent für den einheimischen Obstbau. Schon
vor der Jahrhundertwende erhob der Bauernverband die Forderung nach einer
preiserhöhenden Besteuerung des Bieres. Doch stand diese im Gegensatz
zur offiziellen Gärgetränkeförderung. Den Bierbrauern gelang
es denn auch mit Leichtigkeit, die Bundesbehörden für den Schutz
des Bieres zu gewinnen. Erst als der Bund im 3. Weltkriegsjahr vor einer
Milliardenschuldenlast stand, erwähnte endlich der Bundesrat in einer
Botschaft die Möglichkeit einer Biersteuer. Die Bundesschuld erreichte
aber die zweite Milliarde, der Weltkrieg zu Ende, während zehn Jahren
wurde eine ausserordentliche Bundessteuer erhoben, ohne dass es zur Besteuerung
des Bieres gekommen wäre!
Im Jahre 1921 schuf der Bundesrat praktisch ein Privatmonopol
zugunsten der schweizerischen Bierbrauer, indem er den Zoll auf ausländisches
Bier 4 Fr. auf 21 Er. je hl erhöhte, . . . aber ohne Mitbeteiligung
des Bundes an den gewaltigen Gewinnen, die die Brauereien in den darauffolgenden
Jahren einheimsten. .Mehr als ein Jahrzehnt lang
liess sich der Bundesrat, wie eines seiner Mitglieder erklärte, "von
den Brauern an der Nase herumführen".
Es brauchte die ultimative Drohung der Landwirtschaft, sie
werde jegliche Alkoholmonopolsvorlage bekämpfen, falls nicht vorher
die Biersteuer eingeführt würde, damit, endlich im Jahre 1927
der Bundesrat eine kleine Belastung in Form von Zollzuschlägen auf
Malz und Gerste einführte, Fr. 2.25 auf den hl. Als in den darauf
folgenden Jahren die Brauer auch noch grosse Gewinne machten infolge der
Baisse der Rohstoffpreise, suchte der Bundesrat im Jahre 1932 diesen Übergewinn
wegzusteuern durch Erhöhung der genannten Belastung auf Fr. 6. je
hl.
Als endlich die Finanzmisere des Bundes zu ausserordentlichen
Massnahmen zwang und im 1. Finanzprogramm, im Jahre 1934, unter Ausschaltung
der Volksrechte, eine Steuer auf alle Getränke eingeführt wurde,
einschliesslich des Süssmostes (!), da wurde auch eine "Biersteuer"
von Fr. 4. je hl dekretiert, womit die Gesamtbelastung auf Fr. 10 je hl
Bier stieg.
Im 2. Finanzprogramm im Jahre 1936 wurde die Bierbelastung
vom Parlament auf 12 Fr. erhöht und der Bundesrat ermächtigt,
sie bis auf 21 Fr. hinaufzusetzen, falls die anderen Massnahmen dieses
Finanzprogrammes nicht imstande sein sollten, das Gleichgewicht im Bundeshaushalt
herzustellen. Trotzdem diese Voraussetzung mehr als erfüllt war und
der Bundesrat nach immer neuen Kategorien von Steuerobjekten fahndete,
wurde die Biersteuer nicht erhöht.
Als dann aber das Wiederansteigen der Brauereirohstoffpreise
eine weitere Senkung der Brauereidividende diese war von 13% im Jahre
1932 auf 7% 1935 gesunken oder eine Erhöhung der Bierverkaufspreise
nötig machte, da eilte der Bundesrat den Brauereien zu Hilfe, indem
er die Bierbelastung von 12 Fr. auf 11 Fr. erniedrigte dies nachdem die
Kosten der Lebenshaltung seit der Frankenabwertung fast auf der ganzen
Linie fühlbar gestiegen sind und der Bund fortfährt, wichtige,
unentbehrliche Lebensmittel und Gebrauchswaren durch seine zoll und wirtschaftspolitischen
Massnahmen zu verteuern.
Die eidgenössische Bierpolitik erklärt sich nicht
bloss durch den Einfluss des Brauereikapitals auf unser Staatswesen die
im Bund regierende Partei, die freisinnig-demokratische, zählt seit
Jahren unter ihren massgebenden Führern Brauereiverwaltungsräte,
sondern auch durch den Einfluss der enormen Bierreklame auf das Volk selbst.
Als getreue Knappen und in offener Zusammenarbeit mit einer der schlimmsten
Formen des Kapitalismus betätigen sich innerhalb der Gewerkschaften
die sehr rührigen Brauereiarbeiter, während in den breiten Volksmassen,
neben den über 20 000 Wirten und ebenso vielen Flaschenbierverkäufern,
insbesondere auch die Konsumvereine für die Bierinteressen eintreten,
da auch sie einen schwungvollen Bierhandel treiben.
Die Interessen der Landwirtschaft, des Alkoholmonopols, der Volksgesundheit
denn in vielen Gegenden ist das Bier die wichtigste Ursache der Alkoholgefährdung
erfordert übereinstimmend . . . nicht eine Politik, die ausgerechnet
das Bier von der Teuerungs- und Besteuerungswelle ausnimmt, sondern eine
solche, die positiv eine Verteuerung dieses aus importiertem Hopfen und
Malz gewonnenen Getränkes bezweckt und damit die Konsumkraft unseres
Volkes auf bessere bodenständige Erzeugnisse hinlenkt.
Nicht glücklicher als seine Bierpolitik war die
Weinpolitik des Bundes.
Wie beim Bier die Interessen der einheimischen Landwirtschaft denjenigen
des Brauereikapitals geopfert wurden, so wirkte sich letzten Endes die
weinfreundliche Bundespolitik für die einheimischen Weinbauern verderblich
aus. Die niedrige Zollbelastung des Weines als eines förderungswerten
gegorenen Getränkes! half nämlich wesentlich mit, aus der Schweiz
dasjenige Land zu machen, das im Verhältnis zur Einwohnerzahl immer,
ja, nach Frankreich sogar jahrelang in absoluten Zahlen mehr Wein importierte
als irgendein anderer Staat der Welt. Während die Weineinfuhr um
das Jahr 1850 herum 20 Millionen Liter betragen hatte, erreichte sie in
den letzten Vorkriegsjahren 150 Millionen. Die niedrige Zollbelastung
hatte zur Folge, dass die bei gleicher Qualität immer viel billigeren
Auslandsweine auf die Preise der Schweizer Weine und damit auf den Lebensverdienst
des einheimischen Winzers drückten. Während der Weinimport sich
vervielfachte, ging die einheimische Rebbaufläche von 30 000 ha auf
12 000 im Jahre 1932 zurück.
Dazu kam, dass die zollpolitisch und diplomatisch mächtigen
Weinexportländer am schweizerischen Fremdweinkonsum ausserordentlich
interessiert wurden. Dies wirkte sich aus, als unmittelbar nach dem Weltkrieg
der Weinzoll aus fiskalpolitischen Gründen stark erhöht werden
sollte. Da wandte sich der Verband schweizerischer Weinimporteure an ausländische
Weingewaltige, wie den Abgeordneten Barthe in Paris, den heutigen Präsidenten
des Internationalen Weinamtes, um zu erreichen, dass auf den Bundesrat
der nötige Druck ausgeübt werde. An diesem dürfte es auch
nicht gefehlt haben. Jedenfalls ging ein Schrei der Entrüstung durch
den westschweizerischen Weinberg, als statt der versprochenen hohen Weinzölle
die schlussendlich gültigen bekannt wurden. Mit einem Zollansatz
von 24 Fr. je hl Wein gehörte die Schweiz auch weiterhin zu den Ländern
mit verhältnismässig niedriger Zollbelastung.
Dies rächte sich, als im Jahre 1934 das 1. Finanzprogramm
auch eine Steuer auf den Wein vorsah. Zuerst war die Steuer auf alle Getränke
ausdrücklich als eine Steuer auf den Konsumenten vorgeschlagen worden,
als eine Art "Notopfer". Die Bierbrauer jedoch, die dank der
Bundesbierpolitik reich genug waren, um die zusätzliche Belastung
des Bieres ohne Überwälzung auf die Biertrinker auf sich zu
nehmen, machten in ihren Verhandlungen mit dem Bundesrat aus der Getränkesteuer
eine Steuer auf die Produzenten. Wenn dabei der Bundesrat den Rebbauern
versprach, sie würden durch die Steuer weder direkt noch indirekt
belastet werden, so war das eben ein in sich unmögliches Versprechen.
Als sich denn infolge der Wirtschaftskrise und des ausnahmsweisen
Aufeinanderfolgens zweier Grossernten in den Jahren 1934 und 1935 der
Weinabsatz schwieriger gestaltete, konnten die Weinbauern mit einigem
Anschein von Wahrheit behaupten, die Weinsteuer habe sie in eine Notlage
geführt, wenn die Weinsteuer auch nur 5 Fr. je hl betrug.
Wie es übrigens mit dieser Notlage wirklich steht, ist schwer allgemein
gültig zu entscheiden. Tatsache ist, dass heute einerseits die Lage
der Winzer als durchaus verzweifelt dargestellt wird, andererseits aber
führende Männer der Landwirtschaft, die sich auf Rentabilitätsrechnungen
verstehen, zur Ausdehnung der Weinbergfläche auffordern. Zum ersten
Male seit 50 Jahren hat sich die schweizerische Weinbergfläche wieder
ausgedehnt, und zwar um mehr als 1000 ha seit dem Jahre 1932.
Vor den unverhüllten Drohungen der westschweizerischen Weinbauern,
sie würden nötigenfalls die Eintreibung der Weinsteuer durch
die eidgenössischen Beamten mit Gewalt verhindern, trat dann der
Bundesrat den Rückzug an und versprach nicht bloss die Aufhebung
der Weinsteuer auf Ende 1937, sondern sogar noch volle Amnestie für
die Steuerverweigerer. Gerechterweise wurde mit der Belastung auf den
Wein auch diejenige auf den Gärmost und die alkoholfreien Getränke
abgeschafft; einzig die Biersteuer blieb bestehen.
Ganz in diese eidgenössische Weinpolitik hinein passt
es, wenn im Lande mit der relativ grösseren Weineinfuhr das Heil
für den Inlandwein gesucht wurde . . . nicht in einer Verminderung
des Fremdweinkonsums, sondern in einer Vermehrung des Weingenusses überhaupt.
Infolge der Aufklärung, der Bildung vernünftigerer Lebenssitten
und neuestens auch der Wirtschaftskrise ist nämlich der Weinverbrauch
fühlbar zurückgegangen . . . Zur Förderung des Weingenusses
entfaltet seit Jahren eine eidgenössisch subventionierte Propagandazentrale
in Zürich eine von keinerlei Rücksichten auf die Volksgesundheit
gehemmte allgemeine Weinpropaganda. Und doch sind nach einer Untersuchung
am Genfer Kantonsspital, in diesem typischen Weinkanton, von den eingelieferten
männlichen Kranken ungefähr die Hälfte dem Alkoholmissbrauch
ergeben, und zwar vorwiegend dem Missbrauch des Weines! Nach einer Erklärung,
die Bundesrat Minger anlässlich der 1. "Schweizer Weinkampagne"
abgegeben hat, sollte zwar diese Propaganda nicht das Ziel verfolgen,
das Schweizer Volk zu vermehrtem Trinken zu veranlassen, sondern bloss
einen Akt der Solidarität mit den Weinbauern darstellen. In Wahrheit
hat aber die Propagandazentrale, solange sie besteht, noch nie ein Wort
gegen den Fremdweinkonsum gesagt, ist dafür aber so weit gegangen,
zu Ostern 1937 selbst die Konfirmanden (!) zu Weingenuss zu animieren!
Sie hat zur Entschuldigung, dass bei ihrer Organisation die Weinhändler,
denen damit die Kosten für eine eigene Kollektivreklame abgenommen
sind, Sitz und Stimme in der Leitung der Propagandazentrale erhalten haben.
Und doch sollte in einem Lande, das im Durchschnitt der
Jahre dreimal mehr Wein konsumiert als es selber produziert, das Problem
des einheimischen Weinbaues eine Lösung finden können, die mit
den Forderungen der Volksgesundheit vereinbar wäre. Man brauchte
nur, gemäss einem Postulat des Bauernsekretärs Dr. Laur, das
Recht zum Weinimport abhängig zu machen von der Übernahme einer
entsprechenden Menge Schweizer Wein zu einem staatlich festgesetzten Mindestpreis.
Auf der anderen Seite müsste dann allerdings, damit eine solche Vorzugsstellung
der Weinbauern nicht eine weitere Ausdehnung der Rebbergfläche und
damit eine unerwünschte Vermehrung der Schweizer Weinproduktion nach
sich zöge, auch die Anlage von neuen Rebbergen konzessionspflichtig
gemacht werden. Hat man nicht schon eine Konzession eingeführt für
die an sich sozial gewiss nützlichen Schuhreparaturwerkstätten!
Die heutigen Weinbauern würden übrigens am meisten von einer
solchen Schutzmassnahme profitieren. An einer Ausdehnung der Rebbaufläche
hat niemand ein Interesse. Was vom ehemaligen schweizerischen Weinberg
übriggeblieben ist, stellt nämlich im grossen Ganzen eine Auslese
besonders geeigneter Gegenden dar. Die neuerliche Ausdehnung des Weinbaues
wird nur die Produktion der sog. "kleinen Weine" vermehren,
die den Weinmarkt belasten, auf die Preise drücken and z.B. in Italien
heute schon zwangsweise gebrannt werden müssen. Bereits wurde auch
in der Schweiz die Forderung erhoben, die Alkoholverwaltung solle die
Branntweine aus Wein und Weinabfällen übernehmen! Unglücklicherweise
ist unsere Bundespolitik viel zu weinfreundlich, als dass die Gefahr,
die hier Weinbau und Staat bedrohen, gesehen würde. Der Bund hat
aus seinen bitteren Erfahrungen mit dem Mostobstbau offenbar nichts gelernt!
So führten die irrigen Leitsätze, die in bezug
auf die gegorenen Getränke im Jahre 1885 der Bundespolitik zugrunde
gelegt wurden, und die fortdauernd unsere Bundesbehörden beherrschen,
fast mit Notwendigkeit zu folgenschweren Fehlleitungen und zu gemeinschaftswidrigen
Missständen.
Rückwirkungen auf die
Wirtshausgesetzgebung
Aus der Befürchtung
heraus, dass die Kantone aus fiskalpolitischen oder anderen Gründen
den Handel mit gegorenen Getränken in einer Weise einschränken
könnten, die der Verbreitung dieser Getränke schädlich
wäre, hat der Bund im Jahre 1885 erstens den Kantonen die Besteuerung
der gegorenen Getränke untersagt, zweitens die Mindestmenge für
den Grosshandel lächerlich niedrig, nämlich auf zwei Liter angesetzt.
Dies bildete die Grundlage für die Zweiliterverkaufstellen, die wie
Pilze aus dem Boden schossen, hauptsächlich, um Flaschenbier and
billige, vornehmlich ausländische Weine, in die Familien hineinzutragen.
Ihre Zahl dürfte um die 20 000 herum betragen. Nach einer Erhebung
im Kanton Zürich im Jahre 1934 führten alkoholische Getränke
von den Spezereiläden über 80%, von den Obst und Gemüseläden
40%, von den Molkereien 30%, ja, sogar von den Bäckereien 20%. Nichts
hat so zur Verseuchung unseres Volkslebens mit dem Alkoholgenuss beigetragen,
wie die eidgenössische Zweiliterpolitik, die im besonderen Frauen
zum Verderben geworden ist.
Aus Angst vor dem Widerstand der verschiedenen Kategorien
von Zweiliterverkaufsstellen: Spezereiläden, Konsumvereinen usw.,
für die der Gärgetränkverschleiss häufig das gewinnreichste
Geschäft bildet, wollte der Bundesrat bei der Bundesverfassungsrevision
von 1930 auch nicht weiter gehen in der Eindämmung dieser Gefahr
für die Volksgesundheit, als den Kantonen zu erlauben, die Zweiliterverkaufsstellen
einer Anzeigepflicht zu unterstellen und von ihnen eine mässige,
vom Bundesgericht maximal auf 100 Fr. begrenzte Gebühr zu erheben.
Die Begünstigung des Verkaufes gegorener Getränke
in Form dieser Zweiliterverkaufsstellen hat eine verhängnisvolle
Rückwirkung ausgeübt auf die Gestaltung der kantonalen Wirtschaftsgesetzgebung.
Man konnte nicht an eine sehr starke Beschränkung der konzessionspflichtigen
Kleinverkaufsstellen und des Ausschankes zum Genuss an Ort und Stelle
denken, wenn auf der anderen Seite der Zugang zum Verkauf gegorener Getränke
in einer so kleinen Menge wie zwei Liter jedermann offen stand.
Die im Jahre 1885 zugunsten der Kantone erwirkte Möglichkeit
für die Alkoholwirtschaften eine Bedürfnisklausel einzuführen,
um so dem Wirtshausübel zu begegnen, hat sich denn auch nicht ausgewirkt
in einer positiven Verminderung der Wirtschaftszahl. Diese betrug 1897
rund 23 000, dreissig Jahre später 23 700, nach dem Wirteverein gegenwärtig
sogar 26 000. Die Bedürfnisklausel hat aber immerhin das Verdienst,
eine noch grössere Zunahme der Wirtschaftszahl etwa im Verhältnis
der Zunahme der Einwohnerzahl verhindert zu haben. Es gab eine Wirtschaft
auf je 144 Einwohner im Jahre 1897, eine auf je 165 Einwohner dreissig
Jahre später.
Die allgemeinen Umwälzungen, die der Weltkrieg gebracht
hatte, begünstigten in den ersten Nachkriegsjahren eine Bewegung
zur Anpassung der Wirtschaftsgesetzgebung an die neuen Verhältnisse.
Die Kantone Freiburg und Waadt gingen dabei voraus; die Aufgabe war ihnen
dadurch erleichtert, dass in diesen, nach französischem Muster organisierten
Kantonen die Wirtschaftsgesetzgebung nicht automatisch der Volksabstimmung
unterliegt. Beide Kantone führten als erste das Morgenschnapsverbot
ein, das nachher in den meisten Wirtschaftsgesetzgebungsvorlagen Aufnahme
fand. Weniger glücklich waren die Kantone Zürich und Baselstadt,
die sich zur gleichen Zeit an die Gesetzesrevision herangemacht hatten,
wo aber das Volk unter einer demagogischen Gegenpropaganda der Wirte die
von den kantonalen Parlamenten angenommenen Gesetze verwarf. Das wirkte
sehr ernüchternd auf die anderen Kantone, die sich hinter die gleiche
Aufgabe hatten machen wollen.
Eine neue Revisionswelle erhob sich um das Jahr 1930 herum,
zum Teil im Anschluss an die erwähnte Bundesverfassungsrevision.
Die Kantone Unterwalden, Glarus, Zug, Schaffhausen, im Mai 1938 auch Bern,
verbesserten ihre Wirtschaftsgesetzgebung mit Erfolg. In St. Gallen und
Baselland jedoch bliesen die Wirtevereine zum Kampf auf gegen die von
den kantonalen Parlamenten fast einstimmig angenommenen Gesetzesvorlagen
und erreichten ihre Verwerfung durch das Volk.
Bei diesen Wirtschaftsgesetzesrevisionen führte man
fast überall den vom Schweizerischen Wirteverein geforderten beruflichen
Befähigungsnachweis ein; dieser kann bei richtiger Durchführung
gewiss ein Mittel werden zur Hebung nicht nur des rein kaufmännisch
beruflichen, sondern auch des gegenwärtig nicht immer hohen moralischen
Standes der Wirtesame. Die Forderung nach Verpflichtung der Wirte, unvergorene
Obst- oder Traubensaft zu führen, wurde vom Wirteverein meistens
mit Heftigkeit bekämpft. Und doch führten nach einer eidgenössischen
Erhebung im Jahr 1935 über 70% der Wirtschaften Süssmost weder
offen noch in Flaschen! Während vor ein paar Jahren unter Mitarbeit
des Bundes eine eigentliche Kampagne unternommen wurde, um die Wirte zum
Feilhalten von Schweizer Wein zu billigen in ähnlicher Weise dem
Süssmost in bezug auf Reklame und Preisgestaltung im Wirtshaus eine
dem Bier entsprechende Behandlung zuteil werden zu lassen.
Die Wirtschaftsgesetzesrevision wurde überall benützt,
um die Bedürfnisklausel schärfer zu fassen; doch wird diese
praktisch in den meisten Kantonen keine oder nur eine sehr beschränkte
Anwendung finden in bezug auf bereits bestehenden und schon für sich
allein für die heutigen Verhältnisse viel zu zahlreichen Alkoholwirtschaften.
Die bei einem Teil des Wirtestandes sicher vorhandene Notlage, die wiederum
eine Folge des Versagens der Bedürfnisklausel im Vergangenen ist,
wird nun vom Schweizerischen Wirteverein geschickt benützt zugunsten
der Forderung, die Bedürfnisklausel solle auch auf die alkoholfreien
Gaststätten ausgedehnt werden. Wenn dabei der Gesetzgeber Alkoholwirtschaften
und alkoholfreie Gaststätten in eine und dieseIbe Kategorie zusammennähme,
wäre überhaupt nicht mehr zu denken an die Eröffnung neuer
alkoholfreier Gaststätten, selbst in Ortschaften, wo noch keine solche
bestehen; denn Alkoholwirtschaften haben wir in allen Landesteilen und
in den allermeisten Gemeinden so viele, dass ein Bedürfnis nach neuen
auf unabsehbare Zeiten hinaus nicht mehr zu bejahen sein wird. Dagegen
besitzen wir im ganzen Lande bloss 1500 alkoholfreie Gaststätten.
Da es in ein paar grösseren Städten, wie Zürich, Basel,
Bern, viele alkoholfreie Wirtschaften gibt, zu viele für die genannten
Städte besonders wenn sie noch in gewissen Quartieren gehäuft
sind , so ergibt sich, dass von unseren etwa 3000 Gemeinden heute noch
mehr als 2000 ohne irgendeine alkoholfreie Gaststätte sind. Die Verwirklichung
der Forderung des Wirtevereins in ihrer heutigen Formulierung käme
also einfach einer Drosselung der alkoholfreien Gaststätten gleich.
Die Gefahr ist nicht klein, da der Wirtestand in unserem
Volksstaate politische aussergewöhnlich einflussreich ist, sich dessen
selber auch rühmt. Jedenfalls dürfte man nicht das Beispiel
der Schweiz ins Feld führen gegen das Bismarck- Wort, Demokratie
sei Kaupokratie (Wirteherrschaft). Bereits haben auch einige Kantone unverhohlen
versucht, die Entwicklung der alkoholfreien Gaststätten durch einseitige
Erhöhung der Patenttaxen nur für diese Betriebe hintanzuhalten.
Der schweizerische Gärgetränkekonsum
Wie bereits erwähnt
wurde, ist der Gärmost das einzige alkoholische Getränk, dessen
Verbrauch im Durchschnitt der Jahre heute grösser ist als unmittelbar
vor dem Weltkrieg. Während er damals 1'100'000 hl betrag, übersteigt
er heute 1'500'000 hl.
Die bier- und weinfreundliche Bundespolitik konnte dagegen
nicht verhindern. dass Aufklärung, Lebensreform, Arbeitsdisziplin,
Sport, Bergsteigen, Auto and anderes sich auswirkten in einer Abnahme
des
Alkoholverbrauches im Allgemeinen.
Der Alkoholverbrauch ist ausser
beim Gärmost heute auch in absoluten Zahlen kleiner als in den letzten
Vorkriegsjahren. Dabei ist nicht ausser acht zu lassen, dass die Bevölkerungszahl
von 1910 auf 1930 gestiegen ist von 3'753'300 auf 4'066'400, also um 313'000.
Die Zunahme der für den Alkoholgenuss in Betracht kommenden Bevölkerung,
nämlich der Altersklassen von 15 und mehr Jahren, ist aber noch grösser
als der Zunahme der Gesamtbevölkerung entspricht. Innerhalb unseres
Volkes hat sich insofern eine Umschichtung vollzogen, als im Jahre 1910
die weniger als 15 Jahre alten Personen noch über 30% der Gesamtbevölkerung
bildeten, indes sie im Jahre 1930 weniger als 25% ausmachten. Im Jahre
1910 betrug die Zahl der Personen von 15 und mehr Jahren 2'580'000, im
Jahre 1930 dagegen 3'068'000. Es gibt also heute rund 1/2 Million Personen
im „konsumationsfähigen" Alter mehr, als im Jahre 1910;
denn die angedeutete Entwicklung hat seit 1930 noch in verstärktem
Masse angehalten.
Der schweizerische Bierausstoss, der 1840 nur etwa 50'000
hl betragen hatte, in der Periode 1880 1885 rund 1'000'000 hl ausmachte,
erreichte in den drei letzten Vorkriegsjahren im Mittel beinahe 3'000'000
hl. Wenn er dann während des Weltkrieges bis auf etwa 900'000 hl
sank, so war das durch die Rohstoffverknappung bewirkt. ... Es brauchte
aber nach dem Friedensschluss immerhin acht Jahre, bis er wieder auf 2'000'000
hl gestiegen war. In den Jahren der wirtschaftlichen Prosperität
erreichte er dann allerdings für 1930 und 1931 etwa 2'600'000 hl,
um jedoch hierauf unter dem Druck der Wirtschaftskrise zu sinken bis auf
2'047'000 hl im Jahre 1936. Im Jahre 1937 stieg er wieder auf 2'136'000
Hektoliter, steht aber damit und zwar in absoluten Zahlen noch immer bedeutend
unter der Vorkriegshöhe. Bei der Berechnung des Kopfverbrauches auf
die Bevölkerung im "konsumationsfähigen" Alter würde
der Rückgang noch bedeutend ausgeprägter sein.
Ähnlich steht es beim Weinverbrauch. Die Weineinfuhr,
die um das Jahr 1850 rund 200'000 hl betragen hatte und im Jahre 1885
auf 550'000 hl gestiegen war, erreichte oder überstieg in den letzten
Vorkriegsjahren die gewaltige Menge von 1'500'000 hl. Im Jahrfünft
1927 bis 1931 betrug sie noch 1'200'000 hl. Infolge der Wirtschaftskrise
und der beiden riesigen Inlandsweinernten 1934 und 1935 sank sie bis auf
800'000 hl im Jahre 1936. Im Jahre 1937 stieg sie wieder auf 900'000 hl
und wird infolge der für 1938 erwarteten Missernte im westschweizerischen
Weinberggebiet wohl noch weiter steigen, . . . aber doch immer weit unter
der Vorkriegshöhe bleiben. .
Der Weinverbrauch, der in den Jahren 1880-1885 mit einer
Bevölkerung von rund 2'900'000 im Jahresdurchschnitt 2'000'000 hl
betrug, hat im Gegensatz zum Bier seinen höchsten Stand um die Jahrhundertwende
herum erreicht. Im Mittel des Jahrzehntes 1893-1902 bei einer Bevölkerungszahl
von 3'200'000 hatte er 2'850'000 hl betragen, im folgenden Jahrzehnt,
1903-1912 und mit einer Bevölkerung von 3'625'000 war er auf 2'583'500
hl gesunken. Für die beiden letzten Jahre, 1936 und 1937, wird er
nach Schätzungen von Weinhändlern mit 1'600'000 hl angegeben,
dürfte jedenfalls 1'800'000 hl nicht übersteigen.
Die trotz der Zunahme des Gärmostverbrauches im allgemeinen
gültige Feststellung, dass der Alkoholverbrauch gegenüber den
Vorkriegsjahren abgenommen hat, fand ihre Auswirkung auch in der schweizerischen
Sterblichkeitsstatistik. Während nämlich die Gesamtzahl der
Todesfälle mit Alkoholismus als primärer oder konkomitierender
Todesursache die eine Statistik der zur Zeit des Ablebens Alkoholgeschädigter
ist in den Jahren 1911 und 1912 bei den Männern von 20 und mehr Jahren
und einer Gesamtsterbezahl von 20'500 im Mittel rund 2000 betrug, war
sie in den letzten Jahren, über die wir eine Statistik besitzen,
nämlich 1931 und 1932 und bei einer Gesamtsterbezahl von 21'500 noch
1100.
Man kann die Macht des Gesetzes auf die Sitten und Gewohnheiten der Bevölkerung
sehr niedrig einschätzen. Aber auch dann wird man zugeben müssen,
dass eine verständnisvolle, wenn auch diskrete Förderung der
Alkoholbekämpfung durch den Staat z. B. in unserem schweizerischen
Falle nur schon durch die Preisgabe der eidgenössischen Billigbierpolitik
und der offiziösen Weinpropaganda' um wirklich nur Minimalforderungen
zu nennen! die Abkehr der Bevölkerung von den Trinksitten und ihre
Einstellung auf bessere Genussmittel und Lebensfreuden, als die alkoholischen,
mächtig begünstigen müsste. Heute wird ein grosser Teil
der gegen die Alkoholgefahr eingesetzten Kräfte gewissermassen nutzlos
verbraucht, bloss um die gemeinschädliche Gärgetränkepolitik
des Bundes in ihren schlimmsten Auswirkungen zu paralysieren. Es ist das
eine Politik, die sich beim heutigen Stand der Aufklärung und Einsicht
wirklich .nicht mehr in Übereinstimmung bringen lässt mit Artikel
2 der Bundesverfassung, der dem Staate "die Beförderung der
gemeinsamen Wohlfahrt" der Eidgenossen zur Pflicht macht. Förderung
des Genusses von Gärgetränken dient nicht der gemeinsamen Wohlfahrt
unseres Volkes!
Wie ausserordentlich wirksam und wertvoll die Mitarbeit des Staates sein
kann, das wird von nichts schlagender bewiesen, als von den eingangs genannten
segensreichen Erfolgen, die dank der Mitarbeit der Alkoholverwaltung errungen
wurden im Kampfe zur Eindämmung des Branntweingenusses und für
eine bessere Verwertung wichtiger Erzeugnisse unseres Bodens.
Josef Odermatt, Dr. h.c.,
1919 bis 1973 Redaktor bei der Schweizerischen Zentralstelle zur Bekämpfung
des Alkoholismus (SAS) in Lausanne
Forschungen zur Alkoholfrage, Heft 4/5, 1938, S. 135 - 150
Alkoholkonsum
der Schweizer seit 1880
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Meister Schnaps schreibt Schweizergeschichte
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