Was
für ein Land es sein wird, wenn es wieder so grün ist wie früher,
vermag man sich nicht vorzustellen. Alles ist möglich, wenn dieser
Brennpunkt der Erde wieder zu neuem Leben erblüht. Henry Miller: Der Koloss von Maroussi - Eine Reise nach Griechenland, 1940 1961/63 im Griechenland ohne Säulen(Natürlich habe ich in Griechenland auch die Säulen bewundert
und eine antike Tragödie im ausgegrabenen Theater von Epidaurus gehört
und gesehen. Wunderbare Akustik in diesem alten Freilichttheater. Nach
Sonnenuntergang hörte man während der Aufführung in der
Ferne Hähne krähen. Verrückte unter Irren Dieses Lagers wegen bin ich für ein halbes Jahr nach Griechenland gefahren und dann gleich zwei Jahre im Land geblieben. Wir wohnten in Zelten, d.h. in der heissen Zeit hing ich meine Hosen an eine Pinie und legte mich daneben. Einmal mussten wir einen Esel aus dem Zelt vertreiben und im Herbst wuchsen neben meinem Bett, auf das wir des Regens wegen umgezogen waren, Herbstzeitlosen. An das Essen mag ich mich nur schwach erinnern. Zum Zmorgen gab es Oliven*,
Brot und Merides - auch Marides genannt - (kleine mit Haut und Haar, mit
Kopf und Schwanz und mit allem Inhalt frittierte Fische (Sardellen?),
die auch ganz gegessen werden) und am Nachmittag kam ein fliegender Händler
mit seinem Esel vorbei und verkaufte uns Wassermelonen. Wer gegessen hat muss auch... Ja, genau. Die griechischen WCs hatten nur geringen Wasserdruck. Daher musste das benutzte Papier in einem besonderen Kübel versorgt werden. Als Pendler zwischen Hellas und Europa (die Griechen sagen so) erlebte ich immer Schrecksekunden: In der Schweiz stand ich mit dem Papier in der Hand und wusste nicht wohin damit; in Griechenland spülte ich alles hinunter und hoffte, dass es zu keiner Verstopfung (beim WC) kommt. Doch nun wieder ernsthaft: In diesem Lager hatte ich ein sprachliches
Schlüsselerlebnis: Zu meinen Aufgaben gehörte die Leitung der
für den SCI traditionellen Meetings. Jeder Teilnehmer hatte unter
vielen Mühen mindestens eine Fremdsprache gelernt und dennoch musste
ich die Meetings dreisprachig durchführen. Wie einfach wäre
es doch, alle hätten kurz einmal Esperanto*** gelernt – übrigens
hatte Pierre Ceresole Esperanto unterrichtet. Was taten wir eigentlich in diesem Lager? Unsere Zelte standen auf dem Gelände des Athener Irrenhauses, dem "Dimossion Psychiatrion Athinon" in Dafni. Uns gegenüber lagen die Reste des Klosters Dafni mit den berühmten Fresken und das nicht weniger berühmte Weinfestival, das uns im Schlaf begleitete. Halt! "Irrenhaus" ist doch politisch nicht korrekt. So sagt man doch nicht (mehr)! Für unser Psychiatrion traf der Begriff "Irrenhaus" aber zu. Eine griechische Tageszeitung sprach sogar vom "Dachau Griechenlands". Das war allerdings übertrieben; denn das "Spital" hatte die Aufgabe, das Überleben der Insassen zu sichern. Aber wie überlebten sie! In alte Kleider oder nur in Lumpen gehüllt, die Kinder in Nachthemden, gingen, krochen, kauerten und lagen sie herum. (Nur beim Besuch des Gesundheitsministers trugen die Mädchen hübsche Kleidchen für die Fotografen.) Die Patienten wurden ernährt und mit Medikamenten ruhig gehalten. Vormittags waren ein paar Ärzte und Physiotherapeutinnen anwesend, die am Abend nach der Siesta einem privaten Beruf nachgingen. Nachmittags waren nur ein paar Aufseher und Bewacher anwesend; Betreuer konnte man sie nicht nennen. Eines unschönen Nachmittags kam eine Patientin, die gerade einen lichten Moment hatte, zu unserem Arbeitsplatz gerannt, und schrie: "Skotonun mia nosokoma!" Moment mal... "sie töten eine Krankenschwester". Wir kräftigen Männer rannten zum Hof und sahen Knäuel vom Frauen, die sich am Boden wälzten und an den Haaren rissen. Beim richtigen Knäuel griffen wir ein und retteten die Schwester. Die Häuser der Patienten hatten alle einen Hof, der von einer hohen Mauer umgeben war. So konnten die Patenten, die dazu in Lage waren, an der frischen Luft spazieren gehen. Die Männer unseres Lagers und einige Frauen halfen Manolis, dem Maurer, eine Mauer um das ganze Gelände herum zu bauen, um den Patienten mehr Auslauf zu gewähren. Eine harte, schweisstreibende und ermüdende Arbeit. Ich war jeweilen froh, wenn ich am Mittwochnachmittag in Athen das Büro des SCI betreuen durfte. Einige Frauen arbeiteten in der Kinderabteilung und waren entsetzt und wütend über die Verhältnisse. *Der Service Civil International (SCI) bringt Menschen
aus allen Kontinenten zusammen, die sich für soziale, ökologische
und kulturelle Projekte engagieren. Das gemeinsame Ziel: Gewalt überwinden
und zeigen, dass Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg möglich
und nötig ist." Ein ähnliches Angebot macht seit 1996 der "Europäischer
Freiwilligendienst (EFD)" der von der EU organisiert wird –
allerdings ohne "zivil statt militär": "Im Rahmen
dieser Aktion können Jugendliche einen Zeitraum von bis zu 12 Monaten
als europäische Freiwillige im Ausland verbringen und sich an einem
lokalen Projekt zu beteiligen, das in den verschiedensten Bereichen angesiedelt
sein kann: soziale und Umweltschutzprojekte, Kunst, Kultur, neue technologische
Entwicklungen, Freizeitgestaltung und Sport usw." Mitmachen können
alle zwischen Island und dem Gaza-Streifen – ausser der Schweiz.
Folgen unserer Schweizer Verhinderungs-Partei. ** Le déserteur (Chanson de Boris Vian, 1954)
Der Dienschtverweigerer
Aus der ungesendeten Fernsehsendung Denkpause vom 7. Oktober
1983. (Zensur!) Es war später in einer Diskussionssendung zu sehen. |
1. Herr Oberschtdivisionär Dir gseht, das i nech schrybe Chönnt s Läsen au lo blybe Dir heits jo süsch scho schwär. . |
5. I weiss, was jetze chunnt Im Minimum drei Monet Au d Chischten isch e Gwonet Und sicher grad so gsund. |
9. I weiss au, dir heit rächt Zwee Wältchrieg, die bewyses D Armee isch gar nüt myses Süsch giengts is hütt no schlächt. |
2. I danken euch für d Charte Dir wüsset, die vo wäge Und hanech welle säge Dir chönnet uf mi warte. |
6. E Vorschtrof isch z verchrafte Und grad die Kriminelle Die wüsse vill z verzelle Drum loh mi au verhafte. |
10. I weiss au nid, worum I trotzdäm nid dra dänke Euch mis Vertroue z schänke Wahrschynlech bini z dumm. |
3. Herr Oberschtdivisionär I wirde nid Soldat Vollbring ke Heldetat I eusem Militär. |
7. Dir meinet jetz vilicht Das mir das gar nüt miech I syg e fräche Siech Und schpeuzen euch is Gsicht. |
11. I weiss nur, dass grad dä Wo dir gärn für euch hättet Dä, wo der zuenem bättet, Dass dä nid gange wär. |
4. S sell nid persönlech sy Doch hani mi entschlosse S wird weder zielt no gschosse I rücke gar nid y. |
8. Doch d Sach gseht nid so dry Mi Muet isch zimli schitter Mir gruusts vor em Auditer I wett, es wär verby. |
12. I glaub, jetz wüsster
gnue Und die, wo mi wei foh Die sellen ynecho I bschliesse d Tür nid zue. |
*** LA DIZERTONTO
1. Sinjoro Prezident' mi skribas ci leteron kaj havas mi esperon, vi legu kun atent'. |
2. Alvenis jen paper' kun la ordon-invito foriri al milito mekrede je l'vesper' |
3. Mi diras sen rezon' ke tion mi ne faros mi sur la ter' ne staros por murdo de la hom' |
4. Ne ofendigu vi se mi per gi vin spitas, mi cion mem decidas kaj tuj dizertos mi. |
O ΛΙΠΟΤΑΚΤΗΣ
Μπορίς Βιαν (1954)
μετάφρασε o Κώστας Κεσσισογλού (1975)
Κύριε Πρόεδρε Σας γράφω ένα γράμμα Που ίσως θα διαβάσετε Αν έχετε καιρό Φτάσαν τα χαρτιά μου Πως πρέπει να καταταγώ Να φύγω για τον πόλεμο Το αργότερο Τετάρτη. Όμως κύριε πρόεδρε δεν πρόκειται να πάω Δε βρέθηκα σ' αυτή τη γη Για να σκοτώνω αθώους Δε θέλω να θυμωσετε Μα πρέπει να σας πω Πως τό ‘χω πάρει απόφαση Να γίνω λιποτάκτης |
Βλέπω στη δική μου ζωή Πως πέθανε ο πατέρας μου Πως φύγανε τα αδέλφια μου Και τα παιδιά μου κλαίνε Η μάνα μου απ' τα βάσανα Τώρα βαθιά στον τάφο Γελάει με τους εξοπλισμούς Περιγελάει τους τοίχους Όταν με χώσαν φυλακή Αρπάξαν τη γυναίκα μου Αρπάξαν τη ψυχή μου Το παρελθόν που αγάπησα Αυριο ξημερώματα Την πόρτα θα χτυπήσω Στα μούτρα των νεκρών καιρών Και θα χυθώ στους δρόμους |
Θα ζητιανέψω τη ζωή μου Γυρνώντας τη Γαλλία Από Βρετάνη ως την Προβηγκία Και σ' όλους θα φωνάζω Άρνηση στην υποταγή Άρνηση στην κατάταξη Μην πάει κανείς στον πόλεμο Να φύγετε αρνηθείτε Αν πρέπει αίμα να χυθεί Να δώσετε το δικό σας Αφού αυτό διδάσκετε Σε όλους, κύριε πρόεδρε Κι αν είναι να με πιάσετε Πέστε στους χωροφύλακες Ότι θα είμαι άοπλος Και αν θέλουν, ας μου ρίξουν. |
Wohnen in Athen
Nach Ende des Zeltlagers wollten Jeff Levett, ein Lagerteilnehmer aus
England, und ich noch in Griechenland bleiben. Nachts wohnten wir zuerst
unmöbliert im Untergeschoss einer Villa des englischen Botschafters
im vornehmen Vorort Psychiko, tagsüber waren wir bei den Christlichen
Töchtern (s. unten) zu finden.
Die Akropolis vor den Augen: Schöner war das nächste Logis:
Zuoberst am Hügel Lykabettos, also nicht in der Kapelle, sondern
im letzten Haus am Waldrand. Nach Mitternacht erklomm ich den Hügel
in der lauen Sommerluft.
Zinsen oder Zügeln! Weniger feudal, aber billiger, war eine Wohnung
in einem Altbau im Stadtzentrum. Jeff heiratete seine griechische Freundin
und zog aus. (Die Hochzeit fiel in die Fastenzeit und da waren der Genuss
von Fleisch und andere fleischliche Genüsse, also auch Heiraten,
eigentlich verboten. Für eine Sonderbewilligung brauchte es gute
Gründe, z. B. dass die Hochzeitsnacht sichtbar bereits vor einigen
Monaten stattgefunden hatte.)
Die Akropolis im Rücken*: Meine nächste Bleibe war ein Einzimmerhaus
unter der Akropolis, in der Plaka, genauer in der damals populären
Anafiotika. (Heute Schicki-Micki und touristisch.) Diese Häuser waren
im vorletzten Jahrhundert über Nacht gebaut worden und da sie nun
standen, durften sie stehen bleiben. Die Erbauer waren Bauarbeiter von
Anafi, einer kleine Insel südöstlich der Kykladen (12 km lang
und 6 km breit). Sehr komfortabel war das Haus nicht. Zur Heizung gab
es einen Petrolofen – aber wer heizt schon in Griechenland? (Die
Kälte ignorieren ist ein griechisches Glaubenbekenntnis. Denkste!
Ein kleiner Schneefall und im ganzen Quartier war kein Petrol mehr zu
finden. So fror ich halt wie alle Griechen; aber Kälteperioden sind
glücklicherweise kürzer als die Hitzeperioden.)
*Die Akropolis im Rücken, ein Buch des schweizerischen
Journalisten Paul L. Walser
Meine letzte Unterkunft lag wieder im Zentrum. An vielen älteren
Häusern (heute alle abgebrochen) stand zu lesen "Wird vermietet".
Die Landlady fragte: "Wollen sie ein Zimmer oder eine Garssonniera?"
Garçonniere? Ach so, ein Treffpunkt für heimliche Liebe, von
der niemand nicht wissen soll. Ein ehemals grosses Zimmer war mit einer
Sperrholzplatte halbiert worden. Die Seite mit dem Fenster war das Zimmer,
in dem ich wohnen konnte. Die andere fensterlose Hälfte wurde nur
am Mittwochnachmittag benutzt. Wenn der Plattenspieler angeworfen wurde,
verliess ich diskret mein Gemach.
Junge christliche Töchter
Es gibt in Athen einen "Christlichen Verein Junger Töchter": XEN* – sprich "Chen". Zu meinen liebsten Erinnerungsstücken aus dem "Griechenland ohne Säulen", die ich gerne vorzeige, gehört die Mitgliedskarte des XEN. Also ganz genau: Mitglied war ich nicht, nur Gast. Im Restaurant des XEN. Im Sous-Sol trafen sich Griechinnen (und Griechen), die Kontakte zu Ausländern und Ausländerinnen suchten. Man konnte da interessante Beziehungen anknüpfen.
Es gab schon seltsame Gäste. z. B. einen Deutschen, der ein Auto mit englischen Kennzeichen besass und eigentlich die Encyclopedia Britannica verkaufen wollte. Da er nie Geld für Benzin hatte, weckten wir ihn am Sonntag morgen zum Morgenessen auf, füllten seinen Magen und den Tank auf und unser Sonntag war gerettet.
Da tauchte einer auf, der per Autostop von Singapore eingetroffen war. Eine ehemalige Besucherin schrieb von ihrem Trip nach Südafrika, mit Autostop sei es hier schwierig, sie habe ein Nilboot gestoppt und ziehe jetzt mit einem Wanderzirkus nach Süden.
Ich selber benahm mich eher gutbürgerlich und suchte meinen Lebensunterhalt mit Arbeit zu bestreiten. Oder mit Blutspenden... Wenn es ganz schwarz aussah, suchte ich nach Restaurants ohne Tischtücher, aber mit Sägemehl am Boden. (So konnten die Gäste ihr Wasserglas einfach auf den Boden ausschütten, wenn der Durst** vorbei war.) Da bestellte ich eine Portion Pilafi-Reis ohne Beilage.
*Christianiki Enosi Neanidon – XEN/YWCA - Odos Amerikis 11, ab 1964 deutsch "Christlicher Verein Junger Frauen" (CVJF). In der Schweiz sind sie heute nicht mehr nach Geschlechtern getrennt: CEVI: "Christlichen Vereine Junger Frauen und Männer". (Interessanterweise nennen sich die Vereine international einfach "YWCA" bzw. "YMCA", schweizerisch einfach "CEVI"; das "christlich" wird im Namen heute verheimlicht. (Als Gymnasiast hatte ich übrigens in 2 Sommerlagern des CVJM in Kandersteg gewirkt. In Athen zog es mich hingegen zum CVJT)
**Griechen sind/waren überzeugte Wassertrinker. Wenn ich ein Orangina von FIX (=Fuchs) bestellte, gab es dazu ein Glas Wasser gegen den Durst, so dass ich darauf das Orangina richtig geniessen konnte. (25 Jahre später gab es nur noch das internationale Fanta ohne Genuss und ohne Wasser.) Hatte man keinen Durst, so bestellte man einen griechischen Kaffee (keinen türkischen, um Himmels Willen!!!), dazu gab es ein Glas Wasser gegen den aufkommenden Durst. Bei den Zugreisen von Athen durch das noch nicht ex-Jugoslawien nach Europa (fahrplanmässige Reisezeit 48 Stunden + fahrplanmässige Verspätung 8 Stunden) musste ich jeweilen für die dürstenden Griechen auf den Bahnhöfen Wasser holen. "Wasser" heisst "nero", zärtlich-verkleinert "neraki"; das griechische Wässerchen ist aber im Gegensatz zum russischen "Wodka" (= "Wässerchen") natürlich alkoholfrei.
Vorbestraft - wegen Arbeit
Also im XEN vernahm ich auch, dass in einer benachbarten Kleindruckerei, die eine Tageszeitung herstellte, eine Stelle als Korrektor frei war. Ich griff zu. Da hörte ich zum ersten Mal die Setzmaschine Linotype rauschen – besonders eindrucksvoll, wenn eine Zeile von Matrizen herunterfiel und der Setzer fluchte. Da roch ich zum ersten den typischen Geruch einer Druckerei und begegnete dem Bleiwurm. (Heute ist diese Art der schwarzen Kunst Nostalgie und nur in Museen zu sehen, zu hören und zu riechen.)
Also das war eine seltsame Tageszeitung. Der "Redaktor" schnitt Agenturmeldungen zusammen, der Maschinensetzer (ein gebildeter Grieche aus Ägypten) und der Handsetzer (ein echter Grieche ohne Kenntnis anderer Sprachen) setzten den Text und lieferten mir die Fahnen zur Korrektur, der Metteur setzte die Seiten zusammen, ein letzter Blick darauf – und los ging's. (Mein späterer Schwiegervater war jahrzehntelang Metteur in Bern und in Lausanne las ich Fahnen und klebte die Seiten unserer Zeitschrift zusammen.)
Also – das war natürlich keine griechische Tageszeitung (so gut war mein Griechisch doch nicht), sondern der "Athener Kurier" in deutscher Sprache. Die Zeitung war das Spielzeug einer vornehmen Dame, die so als Verlegerin auftreten konnte. Den Lohn zahlte sie spät oder nie aus – ohne Arbeitsbewilligung konnte ich ja nicht klagen. Einmal erhielt ich Swissair-Ticket in die Schweiz als Monatslohn. (Ein seltsames Gefühl, in Athen mit einem Mäppchen unterm Arm einzusteigen wie ins Tram und dann den Grosswildjägern ihr Jägerlatein abzuhören; das Flugzeug kam nämlich aus Johannesburg.)
Übrigens – diese Arbeit bis Mitternacht gefiel mir. Von Mittag an war ich wach und frei und das weckte die Neugier vor allem von Griechinnen: "Was machst du eigentlich hier?" – "Ich arbeite als Geheimagent." – "Für wen und wen spionierst du?" – "Das ist so geheim, dass ich es selber nicht weiss." Manchmal gab ich mich einfach als Mädchenhändler aus.
Aber – wann kommen endlich Polizei und Justiz? Am ersten Abend! Kaum hatte ich angefangen, kam ein Geheimpolizist die Treppe herunter und nahm meine Personalien auf. In die Druckerei kam er nie mehr, dafür traf ich ihn öfters bei ausländischen Bekannten. "Ja, du bist ein braver Junge. Du sprichst ja immer besser Griechisch. Du darfst hier bleiben... Aber du kennst den H., den hatten wir heraus geworfen. Letzte Woche war er wieder im Zug. Zurück mit ihm!"
Endlich – Ich wurde vor den Einzelrichter geladen, bekannte mich schuldig und reuig und wurde zu einer symbolischen Busse verurteilt, die ich pflichtbewusst bezahlte. Ich erhielt später die Einladung, eine Arbeitsbewilligung zu lösen. Das kostete, und so liess ich es sein, arbeitete ohne Bewilligung weiter. Für den Geheimpolizisten war ich kein Fall mehr; er hatte mich ja angezeigt.
Übrigens - mit der griechischen Bürokratie hatte ich auch sonst meine Erfahrungen gemacht; jedes Paket musste verzollt werden. Vor den Zollbüros sassen Helfer, denn viele Griechen konnten nur schlecht lesen, vor allen nicht die Amtssprache "Katharevussa" (s.unten). Schreiber kosten, die Katharevussa war fast wie Altgriechisch und tagsüber hatte ich ja Zeit. Nach dem ersten Mal wusste ich, wo der Zollbeamte sein Kreuzchen setzte. Später machte ich das Kreuzchen selber, so ging das viel schneller...
Als Anwalt siegreich
Nach einem Jahr hatte ich eine sicherere Stelle gefunden – auch ohne Bewilligung, aber da war ich schon Student. Am ersten Arbeitstag meines Nachfolgers, wer kam da die Treppe herunter? Der Geheimpolizist! Er verzeigte meinen Kollegen, der sofort vor Gericht kam. Da er gar kein Griechisch verstand, begleitete ich ihn und legte los: "Also*, mein Freund kann kein Griechisch und möchte keinesfalls griechische Gesetze übertreten. Diese Nummer da hat er von der Chefin erhalten und er glaube, dass sei die Bewilligung, aber es ist nur das Gesuch. Er hat sofort aufgehört zu arbeiten; ich habe ihn abgelöst." Die Richterin und der Schreiber flüstern mit Blick auf die Bibel: "Können wir den vereidigen? Der ist vielleicht nicht einmal katholisch." Und dann laut: "Wir müssen die Chefin befragen. Die Verhandlung ist geschlossen."
Also, die Dame hat sich nicht befragen lassen. Vitamin B! Der Prozess wurde nicht mehr aufgenommen, bis mein Kollege genug hatte und auf eine Insel zog, um Füsse und Seele baumeln zu lassen und den Sonnenuntergang zu bewundern. So habe ich bei meinem einzigen Auftritt als Anwalt einen Prozess so verwirrt, dass er nicht mehr weiter zu führen war.
*"Also" heisst auf Griechisch λοιπόν: = lipón und wird im Gespräch häufig gebraucht.
Spionage? Verhaftet! Freigelassen!
Die Festnahme
An einem schönen Samstagmorgen besuchte ich die Physiotherapeutinnen
im Irrenhaus, bei dem ich gearbeitet hatte, um hübsche Erinnerungsfotos
zu schiessen. Wie ich so richtig schön dran war, kam der Portier
und sagte, ich werde am Haupteingang erwartet. Mich erwartete dort die
Polizei!
"Haben Sie Ihren Ausweis dabei? Nein? Das werden wir schon in Ordnung
bringen."
Der freundliche Polizist führte mich zum Polizeiposten Aigaleo
(westlich von Athen), zu dem Daphni gehört.
"Wir warten auf einen Wagen aus Ihrem Wohnort Psychiko (einem Vorort
östlich von Athen). Möchten Sie einen griechischen Kaffee?"
So wartete ich friedliche und nichts Böses ahnend und trank meinen Kaffee. Ständig sass ein Polizist im Zimmer und behielt mich im Auge. Bei Bernern geht es manchmal lange, bis das Zwänzgi fällt: "Ich bin verhaftet bzw. vorläufig festgenommen." Ich hatte aber immer noch ein gutes Gewissen; denn man kann ja ein paar Monate als Tourist im Lande bleiben.
Endlich kam das Auto und wir fuhren nach Psychiko direkt zum Gebäude der Fremdenpolizei. Das Erdgeschoss war leer, wir stiegen in den ersten Stock. "Ihre Tasche können Sie hier ablegen; wir gehen zusammen in Ihre Wohnung." Die grossen russischen Buchstaben an der Wand unserer Wohnung wurden nicht beachtet. (Mein Freund Jeff und ich wollten Russisch lernen.)
Das Verhör
Zurück bei der Polizei ging das Verhör los. Inzwischen hatten
sich etwa ein Dutzend Zivilsten eingefunden.
"Haben Sie einen Fotoapparat?"
"Ja." Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des freundlichen
Inquisitors.
"Wo ist der Fotoapparat?"
"Dort, in meiner Tasche." Das Lächeln auf dem Gesicht des
freundlichen Inquisitors nahm zu.
"Können Sie den Apparat holen?"
"Hier ist er." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen
Inquisitors nahm zu.
"Ist ein Film drin?"
"Nein." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors
verschwand.
"Warum?"
"Der Film war voll."
"Wo haben Sie ihn?"
"In meiner Jackentasche." Das Lächeln auf dem Gesicht des
freundlichen Inquisitors kam wieder zurück.
"Dürfen wir ihn sehen?"
"Ja." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors
nahm zu.
Ich griff in die Jackentasche – und fand ein Loch im Futter. Der
Film war ganz nach hinten gerutscht.
"Hier." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors
nahm zu.
Der Film war in ein einen deutschen Zeitung eingewickelt.
"Ist das Ost- oder Westdeutschland?" Da ich damals Schwierigkeiten
mit rechts oder links und ost oder west hatte und keinen Fehler machen
wollte, sagte ich zur Sicherheit:
"Die Hauptstadt ist Bonn."
"Dürfen wir ihn entwickeln?" (Dumme Frage! Dürfen...)
"Ja." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors
nahm zu.
Die Lösung – Agent 008?
Nach der Schnellentwicklung des für damalige Zeiten hochempfindlichen Films (21 DIN; die Bilder sahen dann auch entsprechend aus!) kam die Erklärung:
"Es tut uns schrecklich leid, das wir sie auf Grund einer irrtümlichen Anzeige belästig haben. Sie sind unschuldig. Auf ihrem Film sind keine alten Kriegsschiffe aus der NATO-Basis von Skaramanga zu sehen, sondern nur hübsche junge Mädchen. - Wir lassen den Film trocknen. Am Montag können Sie ihn dann abholen."
Am Montag holte ich den Film ab. Die Polizisten trugen nun alle Offiziersuniformen. Geheimdienst? Spionageabwehr? Die Armen hatten meinet wegen ihre Weekend verkürzen müssen. Für so einem Fang wie mich!
"Das mit der Aufenthaltsgenehmigung können gleich unten erledigen. Und tragen Sie immer einen Ausweis mit sich."
Ich stieg ins Erdgeschoss und ging zu den Schaltern der gewöhnlichen
Fremdenpolizei. Ich reduzierte mein Griechisch auf Touristen-Niveau: "Oben
sagen brauche Aufenhaltspapier."
Die Beamten wussten nicht, was wir oben abgemacht hatten. War ich nun
ein echter Geheimagent? Jedenfalls erhielt ich problem- und diskussionslos
das wertvolle Papier und durfte ein Jahr legal dableiben. Geheimagent
war ich keiner.
Nachspiel 1
Bei der nächsten Erneuerung – diesmal als echter Student – sah ich die hohe Beige meiner Akten. Wo sind die wohl geblieben?
Nachspiel 2
Als ich 1967 vom Putsch der Obersten hörte, überlief ein Schauer meinen Rücken. Wie mancher dieser Geheimdienstoffiziere gehörten zu den Verschwörern? Wie viele waren später Folterknechte und religiös-patriotisch verbrämte Heuchler? Noch einmal davongekommen!
Kinder, lernt Deutsch
Schon während meiner Arbeit als Korrektor habe ich versucht, Griechen die deutsche Sprache beizubringen. So einem Schneidermeister und dem Sohn eines beim Aëropag, dem obersten Gerichtshof, zugelassenen Anwaltes.
Auf Beginn des Schuljahres fand ich eine Stelle in der "Schule deutschsprachiger Griechinnen", ohne Arbeitsbewilligung, aber mit einer Aufenthaltsbewilligung als Student. Die Schule sollte Kindern gemischter Ehen nach dem griechischen Lehrplan unterrichten und ihnen zusätzlich Deutsch beibringen. Es waren aber auch Kinder da, die zu leistungsschwach für ein gewöhnliches Gymnasium waren. (Böse Zungen sagten, der spätere Konstantin II. hätte auch solche Schwächen gehabt, daher habe man das Programm seiner Klasse vereinfacht.) Gelernt habe ich dort, dass entgegen der weit verbreiteten Meinung von Vorteil ist, wenn der Lehrer von der Sprache der Schüler eine Ahnung hat. So kann er notfalls Schwierigkeiten der deutschen Sprache in der Muttersprache der Schüler klären. Da Neugriechisch keinen Dativ hat, waren Dativübungen am Platz. ("Der Akkusativ ist dem Dativ sein Tod" könnte man sagen.) Einmal brach im Nachbarzimmer homerisches Gelächter los, als eine neue Lehrerin den Anfängern die Zahlen mit den Fingern der Hand beibrachte. Ich klärte sie dann auf, dass man nie die Handfläche zeigen darf, nur den Handrücken.
Nach einem Jahr hätte ich eine bessere Stelle in einer besseren Schule mit Arbeitsbewilligung haben können. Aber da hatte ich schon Heimweh und kehrte nach Bern und an die Uni zurück.
La langue greque n'existe pas*
Griechisch gibt es nicht? Wir haben doch alle in der Schule Griechisch gelernt – zumindest Alpha, Beta, Gamma, Pi und die Kreuzworträtsel-Buchstaben Eta, Rho und Psi... Griechisch gibt es schon, allerdings in verschiedenen Varianten, die alle heute noch eine Rolle spielen.
*«La Suisse n'existe pas» schrieb Ben Vautier im 1992 am Schweizer Pavillon an der Weltausstellung in Sevilla. Ich hoffe, der geneigte Leser wird diesen Satz besser verstehen als damals die Schweizer Politiker...
Wer Altgriechisch gelernt hat, kann problemlos Strassenschilder, Zeitungen und neugriechische Bücher lesen und (fast) verstehen, denn die Orthographie hat sich in den 2500 Jahren nur wenig geändert. Er hat auch die beste Grundlage zum Lernen von Neugriechisch. Pech hat der Fremdwortkenner, wenn er auf Hippodrom, Hydrotherapie, Önologie, Melanom oder das Christussymbol ICHTHYS baut: Pferd heiss "alogo", Wasser ist "nero", Wein heisst "krassi", schwarz ist "mavro" und der Fisch ist ein "psari".
Mit dem gesprochenen Griechisch happert es aber: Wir in Europa sprechen Altgriechisch nach den um 1500 von Erasmus entwickelten Regeln; die Griechen sprechen es nach ihren neugriechischen Regeln aus. (Wenn Homer uns die Odyssee zitieren hört, dreht er sich im Grabe um; bei der neugriechischen Aussprache bleibt er ruhig, denn er käme nie auf den Gedanken, es könnte sich um sein Werk handeln.)
Noch schlimmer ist, "mit Händen und Füssen" reden wollen. Ich warne alle Damen, die nach Griechenland fahren: "Nee" heisst "Ja"; Kopfschütteln bedeutet auch "Ja". "Nein" ist "Ochi" und nach oben Nicken mit Zungenschnalzen.
Altgriechisch
In Europa wird das klassische Griechisch unterrichtet, in dem die grossen
literarischen, philosophischen und wissenschaftlichen Werke der griechischen
Antike verfasst sind. Auch die Neugriechen müssen Altgriechisch lernen,
wenn sie diese Werke im Originaltext lesen wollen. Griechisch war im Römischen
Reich neben Latein Amtssprache.
Koine
Ab dem 4. Jh. v. Chr. nahm eine auf der Sprache der Athener basierende
gemeinsame griechische Sprache Form an und stellte über Jahrhunderte
die offizielle internationale Sprache auf dem Balkan, im Orient und in
zahlreichen anderen Ländern dar. Es war Weltsprache und "lingua
franca". Auch die Schriften des Neuen Testaments sind in dieser Koiné,
der allgemeinen (von allen gesprochenen) Sprache verfasst; auch die griechische
Übersetzung des Alten Testamentes (die Septuaginta).
Neugriechisch
Im 19. Jh. wurde Neugriechisch zur offiziellen Sprache des griechischen
Königreichs.
Es gab zwei Varianten: die Katharevousa und die Dimotiki.
Die als Katharevousa ( Καθαρεύουσα "Die Gereinigte") bezeichnete Form des Griechischen wurde auf Basis der altgriechischen Koïne entwickelt. Katharevousa war bis 1974/76 Amtssprache des Staates Griechenland, konnte sich aber nie als Umgangssprache durchsetzen. Heute ist "Neugriechisch“ in der Form der "Volkssprache“ (Dimotiki δημοτική ) die Standardsprache.
Da in Griechenland politische Einstellung und benützte Sprachform in engem Zusammenhang stehen, bediente sich die konservative Zeitung "Estia" sich lange noch der archaisierenden und puristischen Sprachform des Neugriechischen, der Katharevousa. (Bis 1997 sogar noch mit Linotype gesetzt!) Dass die Titelseite hinten zu finden war, soll auf einen Irrtum bei der ersten Ausgabe zurückzuführen und blieb dann einfach.
Als das neue Testament 1901 in die Volkssprache Dimotiki übersetzt wurde, kam es in Athen zu einer Revolte, die acht Menschenleben kostete und den Sturz der Regierung zur Folge hatte. 1924 wurde das Verbot, die Bibel in Neugriechisch zu verwenden, aufgehoben. In Artikel 2 der Verfassung der Militärjunta von 1968 steht aber wieder:
"Der Text der Heiligen Schriften wird unverändert erhalten. Ihre Übertragung in eine andere sprachliche Form ohne Zustimmung der unabhängigen Kirche Griechenlands und der Grossen Kirche Christi von Konstantinopel ist absolut verboten."
Meine Schüler mussten unter den konservativen Regierungen, die bis 1963 an der Macht waren, aus reinsprachlichen Büchern lernen. 1964 wurden unter der Regierung Papandreou Schulbücher in der Volkssprache vorbereitet, aber eine der vom Militär, dem König, der Königinmutter und den USA gestützten Marionettenregierungen befahl die Rückkehr zu den alten, veralteten Fibeln. Für mich war dies ein Anzeichen des Niederganges, der 1967 zum Putsch der Obristen führte.
Nach dem Ende des Regimes der Junta wurde 1974/76 die Dimotiki Griechenlands Amtssprache; 1982 wurde das "monotonische" System eingeführt, das nur noch den Akut als Betonungszeichen kennt, und nur, wo eines nötig ist, um die Betonung anzuzeigen. (Fragen Sie mich nicht, wie man das Fremdwort "kameraman" akzentuiert!)
Nachtrag 1
In Griechenland habe ich Flüche und Schimpfwörter kennen gelernt,
die ich nachzusprechen nie wagte und die ich nicht einmal in Gedanken
zu übersetzen wage.
Nachtrag 2
Bei der Familienreise habe ich meiner Familie gelegentlich Übersetzerdienste
geleistet. Einmal fuhren wir im Taxi vom Lykabettos durch enge und kurvige
Strassen nach Athen hinunter und wurden von einem Auto aufgehalten, das
die Kurve nicht kriegte. Die beiden Fahrer diskutierten lautstark und
mit beiden Händen. Als ich übersetzen wollte, sagten meine Söhne.
"Nicht nötig, wir haben verstanden." Haben die aber schnell
Griechisch gelernt!
"... Denn nach der Proklamation eines freien griechischen Staates durch die Grossmächte im Jahre 1829 wurde auch eine neue griechische Sprache proklamiert, eine Sprache, die in jenem Augenblick von denen, die sich für kompetent hielten, gezeugt wurde mittels einer künstlichen Befruchtung des Altgriechischen; dabei wurden alle natürlichen Kinder und Kindeskinder dieser Sprache für ungesetzlich erklärt nur das sterile "Reingriechisch" war für den offiziellen sprachlichen Verkehr zugelassen. Und dieses Reingriechisch wurde und und wird in der Schule als erste Fremdsprache gelehrt. Denn die Muttersprache des Volkes blieb das sogenannte Volksgriechisch. Und dieses Volksgriechisch wurde auch sehr bald zur einzigen Sprache der neugriechischen Lyrik und Prosa. Denn das Produkt der Kompetenten erwies sich für den künstlerischen Ausdruck als unbrauchbar. Es ist so wahr wie unbegreiflich, dass ein Volk 150 Jahre lang nicht in der Lage ist, sein Sprachproblem zu bereinigen. Dass eine künstliche Reinsprache, spröde und ungestaltbar, den Platz für die natürliche Sprache der Nation versperrt, auch wenn alle Dichter und Intellektuellen sich dieser natürlichen Sprache bedienen, mehrfach ihre Brauchbarkeit auf allen Gebieten von Kultur und Wissenschaft bewiesen haben und öffentlich für diese Volkssprache eintreten. Dieses Sprachproblem hat in der Vergangenheit manche Auseinandersetzung herausgefordert, hat Energien verbraucht, die anderswo ergiebig hätten eingesetzt werden können und verbraucht noch heute die Energien aller Primar- und Mittelschüler, die viel zu viel Schulzeit mit dem Erlernen von drei Muttersprachen (es kommt im Gymnasium das klassische Altgriechisch hinzu) vergeuden, und so den Anschluss an die Gegenwartsprobleme von Generation zu Generation immer wieder verpassen.
Und die Erziehungsreformen, die von liberalen Regierungen begonnen wurden,
sind allein in den letzten 50 Jahren vier Mal von konservativen oder Diktaturregierungen
rückgängig gemacht worden, so 1920, 1925, 1935 und zuletzt nach
1967, als die vorsichtig angelegte und weitsichtig geplante Erziehungsreform
von Georgios Papandreou in blinder Wut mit dem königlichen Dekret
"Notverordnung Nr. 129 über Organisation und Verwaltung der
allgemeinen Bildung" zerstört, die obligatorische Schulpflicht
von 9 auf 6 Jahre herabgesetzt und die Volkssprache, die zu einer Gleichberechtigung
gelangt war, nur noch in den ersten 3 Primarschulklassen zugelassen wurde.
Die neuen Schulbücher der Papandreou Reform, die von den namhaftesten
Vertretern von Kultur und Wissenschaft verfasst worden waren, sind nach
1967 eingestampft und durch die alten ersetzt worden, bis nach und nach
die Diktatoren ihre eigenen Lesebücher herausgaben in Stil und Aufmachung
zum Verwechseln ähnlich den Produkten der faschistischen Diktaturen
oder des sozialistischen Realismus."
(Quelle: Argyris Sfountiris, Literatur und Widerstand, Griechenland 1967 – 1974, PROPYLÄA Nr. 15, Sommer 1974)
Studiert Geschichte in Athen!
Wahlspruch des griechischen Staates: " Eλευθερία ή Θάνατος ",
Elefthería í thánatos, "Freiheit oder Tod"
Der einfachste Weg, zu einer Aufenthaltsgenehmigung zu kommen, war eine Immatrikulation als Student an der Uni. Gesagt, getan. Aber woher kommt das Geld? Meine Eltern schickten mir einen bescheidenen Monatsbedarf an AMEXCO. Ich hob das Geld ab und schickte es im Umschlag nach Hause. Und der Geldkreislauf ging weiter. Es wurde zwar langsam weniger, aber ich konnte eine saubere Geldquelle nachweisen.
Natürlich habe ich auch Vorlesungen besucht. Bei Professor Daskalakis hörte ich "O ellenikos laos kata tis turkokratias" ("Das Volk der Griechen unter der Herrschaft der Türken") und über den Verfassungsentwurf des Rigas Fereos oder Rigas Velestinlis (*1757 in Velestino (Thessalien), † 1798 in Belgrad; von den Österreichern in Triest verhaftet, ausgeliefert und von den Türken als Separatist und Revolutionär hingerichtet).
Politik wird Geschichte – Geschichte wird Politik
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Griechen sind sehr geschichtsbewusst und patriotisch. Die vielen Kriege,
Revolutionen und Umstürze haben bei Unterlegenen und Siegern Spuren
hinterlassen, die bis heute weder vergessen noch verarbeitet sind. Auch
der Nachbar im Osten hat zu seiner Geschichte noch kein objektives Verhältnis
gefunden. Die Wortkämpfe im Internet - auch in deutscher Sprache!
- erreichen oft homerische Ausmasse. Einen Ausgleich versucht:
«Historische Feindbilder in Griechenland und in der Türkei als Hindernis
für eine griechisch-türkische Verständigung
Geschichte an sich ist ein sehr wichtiger Faktor für gute
oder schlechte Beziehungen zwischen Nachbarländern, insbesondere
zwischen der Türkei und Griechenland. Ein viel wichtigerer Faktor
ist jedoch nicht die Geschichte selbst, sondern die Geschichtsschreibung,
die je nach dem Land sehr unterschiedlich sein kann. Ein gutes Beispiel
dafür sind die griechischen und türkischen Geschichtsschreibungen.»
(Assist. Prof. Dr. Mehmet Hacisalihoglu, Yildiz Teknik Üniversitesi,
Istanbul / Ludwig-Maximilians-Universität, München)
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(Die folgenden Notizen erheben keinen Anspruch auf historische Exaktheit oder politische Korrektheit. So etwas ist in Griechenland nicht zu finden; auch ich bin parteiisch.)
Mein Aufenthalt in Griechenland (1961-1963) fiel in eine politische Endzeit. Worüber ich hier berichte, das habe ich miterlebt, als lebende Geschichte mitgefühlt oder später aus der Ferne mitgelitten.
1952 hatte mit General Papagos eine Periode der rechtsgerichteten Herrschaft begonnen, die erst mal bis 1963 dauerte. Der Einfluss der höfischen Kamarilla um Friederike, Königin (1947-1964), später (1964-1974) Königinmutter (†1981) erwies sich als unheilvoll.
Die Wunden der Diktatur Metaxas (1936-41), der Besatzungsgreuel (Distomo, Kalavryta usw.), der Partisanenkämpfe (1941-1944) und des Bürgerkrieges (1944-1949) waren noch nicht verheilt. Die unterlegenen Linken waren entweder tot, im Gefängnis, im Exil, im Untergrund oder in der legalen Linkspartei EDA. (Die kommunistische Partei KKE war 1936-1974 verboten.) Die siegreiche Rechte (auch mit ehemaligen Kollaborateuren) regierte, stand aber dem Militär, der Königinmutter und dem amerikanischen CIA zu wenig rechts.
Die Wahlen vom 29.10. 1961, verbunden mit einem riesigen Wahlschwindel, brachten den Sieg des rechtsgerichteten Politikers Karamanlis. (Polizisten und Soldaten stimmten mehrmals ab, bis zu 30mal. Auf den Wählerlisten fanden sich auch Verstorbene: "Sogar die Bäume haben gewählt.") Der Sozialist Papandreou startet den "a???d?t?? a???a? " ("unnachgiebiger Kampf"), der 1963 und 1964 zum Wahlsieg führte. 1965 wurde aber Papandreou von König Konstantin II. trotz Parlamentsmehrheit entlassen. Am 21. April 1967 übernahmen die Obristen die Macht.
Ich nahm an Demonstrationen um Artikel 114 der Verfassung teil, der diese
unter den Schutz aller Griechen stellt – und nicht unter den Schutz
der Überregierung: "Artikel 114. Die Einhaltung dieser Verfassung
wird dem Patriotismus der Griechen anvertraut."
"e?at??-d??a-t?sse?a - ekaton-deka-tessera" war der Schlachtruf.
Ich besitze Fotos, die auf den Schultern der Demonstranten aufgenommen
worden sind, und die eine lange schwarze Reihe von Polizisten mit Helm,
Schild und Schlagstock zeigen.
"114" war eine unanständige
Zahl...
(Quelle: prooptiki, Juli/August 1962)
Die Ermordung des ehemaligen Spitzensportlers, pazifistischen Demokraten,
Parlamentariers der Linken, Universitätsprofessors und angesehenen
Arztes Grigoris Lambrakis* am 22. Mai 1963 brachte das herrschende System
ans Licht, das seitdem in Griechenland "Überregierung“
genannt wird und von Geheimdienst, amerikanischen Dienststellen und sogenannten
"Beratern“ bestimmt war. Der Sturz von Ministerpräsident
Karamanlis 20 Tage nach den Ereignissen in Thessaloniki beendete diese
"Überregierung“ nicht, sondern führte – nach
einem von Georgios Papandreou eingeleiteten Demokratisierungsprozess –
zum (vom CIA unterstützten) Putsch der "Obristen“ am 21.
April 1967 und zur blutigen Diktatur.
"Dieses Buch ist ein Erinnerungsbuch, jenem Griechenland zum Gedenken,
das vor dem Staatsstreich der Obersten war. Die meisten der hier gesammelten
Skizzen sind in den Jahren 1964 und 1965 entstanden. Damals war das Land
von einem verheissungsvollen geistigen Aufbruch geprägt. Die Notstandsmassnahmen,
die seit dem Bürgerkrieg (1946 bis 1949) in Kraft waren, wurden abgebaut.
Eine dringliche Schulreform wurde eingeleitet. Die Hoffnung auf einen
Ausbau der Demokratie stieg. Die Begeisterung für eine bessere Zukunft
fand in einer wahren Gesprächs und Diskussionsorgie Ausdruck. Die
Reformen, die aus Hellas ein entwickeltes Land zu machen suchten, kamen
jedoch nicht über Ansätze hinaus. Die Hüter der hergebrachten
Ordnung hatten die Bewegung, die entstanden war, als Gefahr betrachtet.
Sie schlugen zurück: zunächst mit dem «königlichen
Staatsstreich» vom 15. Juli 1965: König Konstantin entliess
den Ministerpräsidenten Georgios Papandreou, dessen Zentrumsunion
bei den Wahlen vom 16. Februar 1964 53% der Stimmen erhalten hatte und
hierauf mit dem selbst für den Hof und die royalistische Generalität
unerwarteten Putsch der Obersten vom 21. April 1967. Der Geheimdienstexperte
Papadopoulos und der Panzerexperte Pattakos hoben die bürgerlichen
Freiheiten auf und gaben dem westlichen Europa eine neue Diktatur mit
Pressezensur, militärischen Sondergerichten, Konzentrationslagern
und vollen Gefängnissen. Griechenland, wo bisher das Reden fast gleichbedeutend
mit Leben war, wurde zu einer Stätte der Stille. Das ist die neue
griechische Art des Widerstandes. In der Erinnerung lebt das redselige
Hellas. Die Erinnerung liefert den Faden für Zukunftsgedanken. Durch
die Diktatur ist das freie Griechenland ein unbekanntes Land geworden.
Ihm sind diese Skizzen gewidmet."
(Paul L. Walser, Mit der Akropolis im Rücken, Atlantis-Verlag, 1969)
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* Vassilis Vassilikos "Z"
Der Titel des Romans, "Z“ (
ζει,
gesprochen "Si" mit stimmhaftem
"S") steht für "er lebt“ und bezieht sich auf
den griechischen Parlamentsabgeordneten Grigoris Lambrakis. Er war Spitzensportler,
ein pazifistischer Demokrat, Leiter der griechischen Friedensbewegung,
Universitätsprofessor und ein angesehenen Arzt. Da er als Abgeordneter
nicht verhaftet werden durfte, konnte er als Einziger bei Demonstrationen
(so bei einem Ostermarsch) marschieren; die Polizei knüppelte alle
gewöhnlichen Demonstranten zurück.
Am Abend des 22. Mai 1963 in Thessaloniki wurde er mit einem dreiräderigen
Kleintransporter im von der Polizei abgesperrten Gebiet angefahren. (Ein
Karikaturist verlangte für Dreiräder als gefährliche Waffe
einen Waffenschein. Schwarzer Humor!)
Nach Tagen im Koma, während dem wir um sein Leben zitterten, verstarb er.
"Der abscheulichste politische Mord, der Griechenland erschütterte
und noch erschüttert“ lautete der Untertitel des Politthrillers
in der Athener Zeitschrift "Tachydromos“, die im Herbst 1966
den ersten Teil des Buches in sechs Fortsetzungen als Vorabdruck brachte.
Politischer Hintergrund ist das polizeistaatliche Regime von Ministerpräsident
Karamanlis. Mikis Theodorakis gründete zu Ehren seines Mitkämpfers
die "Demokratische Jugend Lambrakis", für die er sich ins
Parlament wählen liess.
Im Jahr 1969 wurde der Roman "Z" als französisch-algerische
Koproduktion verfilmt. Im Vorspann des Films heisst es: "Übereinstimmung
mit Personen und wahren Ereignissen ist gewollt.“ Die Musik stammt
von Mikis Theodorakis. Hauptdarsteller sind u. a. Yves Montand und Jean-Louis
Trintignant. (Ich habe es bis jetzt noch nicht übers Herz gebracht,
den Film anzusehen; zu Nahe gingen mir damals die Ereignisse.)
Mikis Theodorakis, * 1925 auf der
Insel Chios; Komponist, Schriftsteller und Politiker. Sein Vater stammte
aus Kreta, seine Mutter aus Kleinasien.
Zuerst komponierte er klassische Musik, entdeckte dann die Volksmusik
und komponierte später auch politische Lieder.
Während der Besatzung Griechenlands durch die deutschen, italienischen
und bulgarischen Truppen im Zweiten Weltkrieg von 1941 bis 1944 schloss
sich der junge Mikis dem Widerstand an.
Mit 18 Jahren wurde er erstmals gefoltert. Zu diesem Zeitpunkt kam er
auch in Kontakt mit dem Marxismus und dem Kommunismus, die sein Weltbild
entscheidend prägten, auch wenn er stets eine kritische Haltung zu
sämtlichen Ideologien bezeugt hat.
Nach dem Rückzug der deutschen Wehrmacht wehrte sich Theodorakis
gegen die (auch militärische) Einmischung durch die Briten (und später
der USA) in Griechenland und schloss sich den Linken an. Im Dezember 1944
nahm er als Mitglied der Nationalen Befreiungsfront EAM an der Schlacht
um Athen teil.
Als kommunistischer Regimegegner wurde Theodorakis im Juli 1947 während
des Griechischen Bürgerkriegs verhaftet. Ende 1948 wurde er auf die
Insel Makronissos in ein Vernichtungslager deportiert, in dem Tausende
umkamen. Theodorakis war hier, weder zum ersten noch zum letzten Mal in
seinem Leben, schweren Folterungen ausgesetzt und dem Tode nahe.
Als Mikis aus der Haft entlassen wurde, war er physisch am Ende. Erst
nach längerem Aufenthalt auf Kreta erholte er sich von den Folgen
der unmenschlichen Misshandlungen. Später konnte er in Athen und
in Paris sein Musikstudium weiterführen und mit Auszeichnung abschliessen.
Nach der Ermordung seines Freundes Grigoris Lambrakis war Theodorakis 1964 bis 1967 Abgeordneter im griechischen Parlament als Vorsitzender der Lambrakis-Jugend, die er dem Mord an dem linken Oppositionspolitiker 1963 gegründet hatte.
Zur Zeit der Militärdiktatur ** war er von 1967 bis 1970 inhaftiert, wurde gefoltert und später ins Konzentrationslager Oropos überführt, wo die Tuberkulose ihn an den Rand des Todes brachte. Eine internationale Solidaritätsbewegung setzte sich für seine Freilassung ein.
Ab 1970 lebte er in Paris. Nach dem Ende der Militärdiktatur kehrte
er 1974 nach Griechenland zurück.
Nach dem von Korruption und Skandalen belasteten Ende der Ära von
Andreas Papandreou wurde Theodorakis für eine Erneuerung Griechenlands
- eine "Katharsis" (Reinigung), wie er sagte - durch den konservativen
Politiker Konstantinos Mitsotakis geworben. Er wurde als unabhängiger
Linker zum Staatsminister ohne Geschäftsbereich ernannt. In dieser
Eigenschaft setzte er sich von 1990 bis 1992 insbesondere für eine
Erneuerung des Erziehungswesens und der Kultur ein. Seine Regierungsbeteiligung
hat Theodorakis später als Irrtum bezeichnet.
2005 wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft in der Europäischen Linkspartei (Zusammenschluss von 15 europäischen Parteien [aus der EU, der Schweiz] aus dem linken und kommunistischen Spektrum verliehen.
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«Europa hatte keinen Che Guevera, es hatte Mikis Theodorakis, der
später schreiben sollte: "Ich gehöre einer Generation an,
die sich einem extremen Idealismus verschrieben hatte. Mein ganzes Leben
war ein endloser Kampf zwischen dem Idealischen und dem Wirklichen, dem
Alltäglichen und der Vision". Wir waren mit ihm. Wer nie vom
Umsturz der Diktaturen geträumt hat, wird bekanntlich nie erwachsen.» (Roger Willemsen)
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** Das Regime der Obersten
Kurz vor den Wahlen putschte am 21. April 1967 eine Gruppe konservativer
Offiziere ("Junta") unter Georgios Papadopoulos (Obristen-Putsch)
und errichtete ein diktatorisches Regime mit Ausnahmezustand, Gleichschaltung
der Presse, Massenverhaftungen und -deportationen (darunter Mikis Theodorakis)
sowie Konzentrationslagern. "Wir wollen das Griechenland der christlichen
Griechen retten" war der Slogan der Militärjunta. Sie verboten
Männern das Tragen langer Haare; Mini-Röcke; Sophokles; Tolstoi;
Euripides; das Gläserwerfen nach Trinksprüchen; Arbeitskämpfe
bzw. Streiks; Aristophanes; Theodorakis*; Ionesco; Sartre; Albee; Pinter;
Pressefreiheit; Soziologie; Beckett; Dostojewski; Pop-Musik; moderne Mathematik
und den Buchstaben »Z«, der im Altgriechischen: "Er lebt!"
bedeutet – und von den Lambrakis-Anhängern nach dem Mord immer
wieder als Losung benutzt und an Wände gemalt wurde.
Das Zypernabenteuer (Putsch gegen Makarios, um Zypern mit Griechenland
zu vereinigen; gefolgt vom Einmarsch der Türken) der Junta führte
1974 zum Zusammenbruch der Militärdiktatur und zur Rückkehr
zur Demokratie unter Konstantin Karamanlis. (Zu meiner griechischen Zeit
galt er als Haupt der konservativen Reaktion...)
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"Wir haben terroristische Verbrecher von der Amnestie ausgeschlossen.
Für die Gefangenen auf Gyaros* stellt sich diese Frage einfach deshalb
nicht, weil sie weder angeklagt noch überhaupt verurteilt sind. Bei
ihnen handelt es sich um hartnäckige Kommunisten, die aus Gründen
der vorbeugenden Sicherheit inhaftiert sind.“ (* nicht Guantanamo)
(Erklärung von Giorgios Papadopulos über Radio Luxemburg am
23. Januar 1968)
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Für das folgende Zitat aus einer bundesdeutschen Zeitschrift lehne
ich jede Verantwortung ab!
«Der Militärputsch vom April 1967 führte zur Konsolidierung
Griechenlands im militärpolitischen Sinne, d.h. eine drohende Gefährdung
eines Teils der Südostflanke der NATO konnte abgewendet werden. Der
Ruf der westeuropäischen Linken, vor allem der Jungsozialisten, nach
moralischer Isolierung und Boykottierung der Militärjunta wurde von
einsichtigen und weitblickenden Regierungsvertretern und Wirtschaftsmanagern
im Westen nicht in die Tat umgesetzt. Das ökonomisch prosperierende
Griechenland wird von Jahr zu Jahr für Investitionen ausländischen
Kapitals stets anziehender.» (Wehrkunde)
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* ARMEEBEFEHL NR. 13
1.Wir haben beschlossen, und wir befehlen:
Wir verbieten für das ganze Land
a) die Wiedergabe oder das Spielen der Musik der Lieder des Komponisten
Mikis Theodorakis, des ehemaligen Führers der aufgelösten kommunistischen
Organisation „Demokratische Jugend Lambrakis", diese Musik
ist u. a. als Bündnis mit dem Kommunismus zu betrachten;
b) alle Hymnen der kommunistischen Jugend, die aufgelöst ist nach
dem § 8 vom 6. 5. 67 der Bekanntmachung, weil diese Hymnen politische
Leidenschaft und Streit unter den Bürgern verursachen.
2. Die Bürger, die gegen diese Bekanntmachung handeln, sind sofort
vor Sondergerichte zu stellen und werden dort nach dem § "Zustand
der Belagerung" verurteilt.
Unterzeichnet von General Odysseus Angelis. Erlassen am 1. Juni 1967 unter
dem Amtszeichen A/Ges.
(Zitiert nach "Poesiealbum Mikis Theodorakis", Verlag Neues
Leben, Berlin 1967, Druck Völkerfreundschaft Dresden)
***Ein Lied für Argyris
2006, Dokumentarfilm, Schweizerdeutsch, Hochdeutsch, Griechisch, enthält
ein Interview mit Theodorakis; Drehbuch, Regie und Produktion: Stefan
Haupt
http://www.fontanafilm.ch/DOKFILME/argyris/
"Wir kommen aus einem dunklen Abgrund;
wir enden in einen dunklen Abgrund;
den hellen Raum zwischen den beiden heissen wir Leben."
(Aus «Askese» von Nikos Kazantzakis)
Distomo
Ein kleines Bauerndorf an der Strasse von Athen nach Delphi. Hier überlebt
der kleine Argyris Sfountouris, noch keine vier Jahre alt, am 10. Juni
1944 ein brutales Massaker der deutschen Besatzungsmacht: Eine so genannte
«Sühnemassnahme» einer SS-Division als Reaktion auf einen
Partisanenangriff in der Gegend. Innert weniger als zwei Stunden werden
218 Dorfbewohner umgebracht – Frauen, Männer, Greise, Kleinkinder
und Säuglinge. Argyris verliert seine Eltern und 30 weitere Familienangehörige.
Mehrere Jahre verbringt der Knabe in Waisenhäusern rund um Athen, unter Tausenden von Kriegskindern. Da taucht eines Tages eine Delegation des Roten Kreuzes auf und sucht eine Handvoll Kinder aus für eine weite Reise in ein fernes Land. Argyris will unbedingt mitgehen. Und so kommt er in die Schweiz, ins Kinderdorf Pestalozzi nach Trogen. (Ich war später in derSchule als Stellvertreter tätig)
Zürich
Jahre später doktoriert er an der ETH Zürich in Mathematik und
Astrophysik. Bald schon unterrichtet er an Zürcher Gymnasien, beginnt
griechische Dichter ins Deutsche zu übersetzen und arbeitet später
mehrere Jahre, auch mit dem Schweizerischen Katastrophenhilfekorps, als
Entwicklungshelfer in Somalia, Nepal und Indonesien.
Als junger Physiklehrer beginnt Argyris, Gedichte und Essays zu schreiben. Längst denkt, spricht und schreibt er in Deutsch – was ihm bei Besuchen in seinem Heimatdorf den stummen Vorwurf einträgt, ein Verräter zu sein … Und er beginnt damit, die Dichter und Schriftsteller seiner Heimat (Kazantzakis, Kavafis, Seferis, Ritsos und viele andere) in die deutsche Sprache zu übertragen. Seine Übersetzungen, Buchrezensionen und Nachrufe erscheinen mit grosser Regelmässigkeit in der NZZ, im «du», im Tages Anzeiger und in weiteren Zeitschriften.
Die Militärdiktatur
Dann, 1967, putschen die Obristen in Griechenland. Eine brutale Militärjunta
in Griechenland etabliert sich. Über 100’000 Landsleute –
politisch Andersdenkende, Intellektuelle, Schriftsteller, Musiker wie
beispielsweise Mikis Theodorakis, Kommunisten – werden in den folgenden
sieben Jahren verfolgt, auf einsame Gefängnisinseln verschifft, inhaftiert,
gefoltert. Zusammen mit Zürcher Studenten und Politikern organisiert
Argyris bereits einen Monat nach der Machtübernahme eine Kundgebung
«Gegen die Diktatur in Griechenland», an welcher auch Max
Frisch und August E. Hohler sprechen. Er gibt in Zürich die Kulturzeitschrift
«Propyläa» heraus, in der er neue Dichtungen und Werke
publiziert, die in Griechenland verboten sind.
Er sieht darin seine Möglichkeit, für die Wiederherstellung der Demokratie in der Heimat zu kämpfen; 1970 erhält er dafür eine Ehrengabe des Zürcher Regierungsrates. Nur dank der telefonischen Warnung eines Cousins sagt er eine geplante Reise nach Athen in letzter Minute ab, – auch er wäre sonst den Säuberungsaktionen der Militärs zum Opfer gefallen. Denn in Griechenland steht er längst auf der schwarzen Liste. Sein Pass wird ihm deshalb auf dem griechischen Konsulat in Zürich nicht mehr erneuert. Und einen Schweizer Pass besitzt er nicht, denn für die Abgänger des Kinderdorfes ist vorgesehen, dass sie wieder in ihre Heimat zurückkehren. Fortan sind ihm alle Reisen untersagt; die Schweiz, sein Gastland, ist ihm zum Exil geworden. Und so stellt er einen Einbürgerungsantrag, dem erst 52 Monate später stattgegeben wird – auch hierzulande ist der junge Mann mittlerweile fichiert …
Argyris Sfountouris, heute 66 Jahre alt, ein Mann von gewinnendem Charme und melancholischer Heiterkeit, hat sich Zeit seines Lebens mit dem Wahnsinn auseinandergesetzt, der ihm als Kind widerfahren ist. In einer «Tagung für den Frieden» beispielsweise hat er über Wege sinniert, wie aus diesem Teufelskreis der Gewalt ausgebrochen werden könnte. Er hat versucht, nicht etwa innerlich damit «fertig» zu werden, mit seinem Kindheitserlebnis «abzuschliessen», sondern viel eher damit leben zu lernen und nach aussen etwas zu bewirken.
Wiedervereinigung – Wiedergutmachung?
1990, zurück in Europa, ist unterdessen die Berliner Mauer gefallen.
Mit der Wiedervereinigung Deutschlands ist eine neue, hochbrisante rechtliche
Situation eingetreten. Denn erstmals, fast 50 Jahre nach Kriegsende, könnte
es möglich werden, Entschädigung für das im Krieg erlittene
Leid einzufordern
Da er um die Brisanz des deutschen Wiedervereinigungsvertrages weiss, besucht er die deutsche Botschaft in Athen. Jetzt fragt er an, wie er seinen Anspruch auf Entschädigung von Kriegsfolgeschäden stellen kann. Als Antwort erhält er im Januar 1995 einen Brief der Botschaft, in dem es wörtlich heisst, das Massaker sei als eine «Massnahme im Rahmen der Kriegsführung» zu werten, und somit bestehe kein Anspruch auf Entschädigung. Dass die Tragweite des Massakers 50 Jahre später immer noch nicht in vollem Ausmasse anerkannt, sondern im Gegenteil heruntergespielt wird, verletzt ihn tief. Kurz entschlossen reicht Argyris zusammen mit seinen drei Schwestern in Deutschland Klage ein. Parallel wird auch in Griechenland selbst eine Sammelklage von 290 Betroffenen, Angehörigen und Nachfahren aus Distomo eingereicht.
Für Deutschland ist die Thematik äussert «delikat». Sollte Argyris’ Klage oder die Sammelklage aus Distomo am Ende doch Erfolg haben, hätte dies einen entschädigungspolitischen Dammbruch zur Folge mit der Konsequenz, dass sich die Bundesrepublik immensen internationalen Forderungen stellen müsste, die sie bisher über Jahrzehnte hinweg abwehren und aufschieben konnte.
In den folgenden Jahren weisen sowohl das Landesgericht Bonn, das Oberlandesgericht Köln und der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Klage ab, paradoxerweise mit teils sich widersprechenden Begründungen: Individuen könnten gar keine Ansprüche stellen, jedenfalls keine, die sie selber gegen den deutschen Staat richten können. – Doch, Individuen könnten zwar an und für sich Ansprüche im Falle von Kriegsverbrechen geltend machen, aber im vorliegenden Fall gelte das Gesetz von 1944, und da wiederum sei eine solche Klage nicht vorgesehen … Eine Verfassungsbeschwerde geht 2003 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Im März 2006 der Entscheid: er ist negativ.
Im Juni 2006 wird, als allerletztes juristisches Mittel, eine Beschwerde
beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg
eingereicht. Die Antwort aus Strassburg steht noch aus.
Vergleiche:
AK-Distomo
Ich hab' Tränen in den Augen
Zurück zu meinen direkten Erlebnissen: Ein Vierteljahrhundert später
kam ich für einen Kongress über Alkohol und Drogen wieder nach
Athen. Dort traf ich meinen Wohnungsgenossen Jeff Levett, der inzwischen
Dozent an der Uni Athen geworden war und mich schon auf der Teilnehmerliste
entdeckt hatte.
Tränen in den Augen hatte ich weder aus Wiedersehensfreude, noch
vom Alkohol oder vom Kaffeepreis im Kongresslokal (kostete gleichviel
wie ein Essen in der Stadt!) Nein, Tränen in den Augen hatte ich
vom Smog ("nephos"), der schon im Mai über der Stadt lag.
Mein erstes Smogerlebnis! Athen war in diesem Vierteljahrhundert zu einer
Metropole angewachsen, die Zahl der Autos – ohne Abgasfilter –
hatte sich vervielfacht. In der Schneise, die Athen hätte entlüften
können, standen Hochhäuser.
Am Syntagmaplatz gab es ein sehr vornehmes Café, das für ein
Rendezvous vor aller Öffentlichkeit eignete - sehen und gesehen werden.
Nun gab es neben dem vornehmen Tischen auch solche von McDonalds. Der
Kellner für die vornehmen Tische kam mit Staubwischen auf der Terrasse
kaum nach.
Nur am Sonntag, wenn viele Industriebetriebe still gelegt waren, konnte
man wenigstens von der Akropolis Piräus und das Meer sehen. Was haben
die mit meinem Athen gemacht? – Zum Heulen.
Wenn ich nun mit meinem Griechisch Kontakte zu Einheimischen aufnahm, wurde ich oft gefragt, wann ich nach Amerika ausgewandert sei. Amerika? Ich? Griechen, die aus Amerika ihre Verwandten in der Heimat besuchen, sprechen nämlich gerne ein gebrochenes Griechisch, damit sie dann mit ihrer Karriere vom Tellerwäscher zum Tausendsassa (1000.-) prahlen können. Gebrochen zu sprechen machte mir keine Mühe. Ich konnte damit prahlen, dass ich anfangs 60er Jahre in Athen gewohnt hätte und seither nie mehr. (Dass ich vorher 4 ½ Jahre Altgriechisch gelernt hatte, verschwieg ich wohlweislich; ich bin ja bescheiden.)
Sehe ich eigentlich so aus, als wüsste ich Bescheid? Werde ich daher oft um Auskunft gebeten? So wollte an einem frühen Morgen ein Lastwagenchauffeur in Sao Paolo von mir wissen... Aber halt, wir sind ja in Athen. Im Hauptpostamt fragte mich einmal ein Mütterchen, ob ich ihr beim Adresse Schreiben helfen könnte. "Wo wohnt denn ihre Tochter?" "In Mitilini." Kein Wunder, dass sie Mühe hatte: Mitilini, die Hauptstadt von Lesbos, schreibt sich Μυτιλήνη und die Bewohner sind nicht die Lesben und Lesber, sondern die Leswioten (das altgriechische "b" (ß, Beta) wird neugriechisch "w" ausgesprochen) oder die Mytilinier.
Aber wen traf ich unvermutet auf einen Platz im Zentrum Athen? Meinen Coiffeur aus Ecublens, der nach Athen zurückgekehrt war und in einem Vorort einen eigenen Salon errichtet hatte. Ist die Welt doch klein!
Griechische Sagen sind wahr!
Die Sagen der alten Griechen sind nicht erfunden; sie berichten die Wahrheit, nur erklären sie diese anders.
Eos, die Göttin der Morgenröte, verliebt sich in den jungen
Tithonos, erbittet für ihn Unsterblichkeit, was ihr die Götter
gewähren. So lebt Tithonos bis heute, trocknet aus, schrumpft zusammen,
bis vom ihm nur noch die Stimme übrig bleibt. Man hört ihn zirpen,
sieht ihn aber nicht mehr. Er ist die Zikade geworden. Eos hatte vergessen,
auch ewige Jugend für ihn zu erbitten.
Pan ist der Gott des Waldes und der Natur. Pan ist ein lüsternes
Mischwesen mit Bocksbeinen, oft mit Bockskopf und Hörnern. Die Mittagsstunde
ist ihm heilig und er kann sehr ungehalten werden, wenn man ihn zu dieser
Zeit stört. Er jagt dann z.B. ruhende Herdentiere durch den "panischen
Schrecken" zu jäher Massenflucht auf. Alle Tiere und Menschen
geraten in Panik.
Und so sehen wir ungläubigen Wissenschaftsgläubigen die Welt:
Ich sitze unter Schatten spendenden Bäumen und geniesse die Mittagsruhe.
Draussen gleisst die Sonne. Die Luft steht still, es rührt kein Hauch.
Nichts bewegt sich. Nur die unsichtbare Zikade zirpt. Plötzlich fliegt
ein Schatten vorbei. Ein Vogel? Gefahr! Von oben! Gefahrensignale ertönen.
Alles piepst, kräht, schreit, rennt in panischem Schrecken herum
und sucht Schutz. Wer hat Pan in seiner Ruhe gestört?
1968: Paris statt Athen – später doch noch Athen
Im Mai 1968 wollte ich mit meiner Frau Athen heimsuchen. Wir buchten einen Aufenthalt und eine Rundreise. Kurze Zeit vor dem Abflug erhielten wir die Meldung, mangels Teilnehmer werde die Reise nicht durchgeführt. Damals herrschte in Griechenland nach dem "Obristenputsch" die Militärjunta unter Papadopoulos. Die Welt empörte sich – mit Recht – und boykottierte Griechenland – zu Unrecht? Unter dem Boykott litten die kleinen Leute, die auf Touristen angewiesen waren. Es litten darunter auch meine Freunde und andere Griechen, die Kontakte über die Grenzen, über das "Griechenland der christlichen Griechen" (so die Junta) hinaus suchten.
(Wir suchten daher ein anderes Reiseziel: Paris! ich besitze die Karte noch, die wir ins Büro schickten: "Wir reisen in eine Stadt ohne politische Probleme." Was dann im Mai 1968 in Paris passierte, steht auf einem anderen Blatt. Wir kamen am letzten Tag vor dem Generalstreik und den Strassenschlachten an...)
Die Reise haben wir nachgeholt: In Schwarzach-St.Veith sind wir aus dem Zug Zürich-Wien in den Nachtzug München-Athen eingestiegen. "Si soans di letzten Gäst", meinte der Schlafwagenschaffner und dann ging 's los durch das damals noch nicht Ex-Jugoslawien. Nach den 48 Stunden fahrplanmässiger Reise und mit den üblichen acht Stunden Verspätung in Athen angekommen, suchten wir ein Zimmer. "Wollen Sie ein Zimmer oder ein Bett auf dem Dach?" Wir nahmen das Zimmer.
Wir buchten dann eine Rundreise "nichts einbegriffen" durch den Peloponnes. Also "nichts" ist untertrieben: inbegriffen waren Bus mit Chauffeur und Reiseleiterin sowie ein Hotelzimmer. Vor jedem Museum fragte die Reiseleiterin: "Wer will ins Museum?" Die andern blieben draussen unter dem Baum bei einem Kaffee. Am ersten Abend kam die Reiseleiterin etwas verlegen zu uns: "Es tut mir leid, aber hier in Griechenland kann ich nur richtig verheirateten Paaren ein Doppelzimmer zuteilen." Es ging auch so.
Uns schlossen sich zwei holländische Studentinnen an, die sahen, dass wir der einheimischen Sprache mächtig waren und mit dem Geld sorgfältiger umgingen als die dollarschweren Amerikaner. In Olympia suchten wir ein Restaurant am Rande des Dorfes. Das Dorf hörte auf – keine Wirtschaft! In der Ferne sahen wir eine grosse Platane, die voller Lampen hing und weithin leuchtete. Darunter standen viele Tische mit weissen Tischtüchern, zum Essen bereit. "Wir erwarten eine Gesellschaft, alles reserviert!" In gutem Griechisch (lohnt sich in Gaststätten, dann ist man der Guide, der Kunden bringt, und erhält ein grösseres Stück Fleisch und zwei Desserts) lud ich mich in die Küche ein (in Griechenland damals üblich) und fand, dass für uns vier noch genügend Resten da waren. Abgemacht und wir assen und tranken, bis nichts mehr hinuntermochte. Der Kellner brachte mir die Rechnung. (Es ist üblich, dass einer für die ganze Parea bezahlt; das Aufknüblen der Rechnung für jeden Gast heisst "à la Germanika" und wird als deutsche Unsitte betrachtet.) "100 Drachmen" sagte ich. Die Holländerinnen: "Ach, soviel sollte es im Restaurant beim Hotel auch kosten, hatte der Guide gesagt. Aber schöner, mehr und besser als hier wäre es dort auch nicht. " - "Die 100 sind für alle vier zusammen, nicht für jeden einzelnen." Und damit war der Abend gerettet.
Auf derselben Reise trafen wir in Delphi eine Bekannte aus Bern, die sich über das schlechte Essen auf ihrer Reise beklagte. Meine Frau konnte das gar nicht verstehen; aber wir hatten unser Essen immer genau ausgelesen. Sie durfte immer zuerst probieren und wenn es gut war, kam es auf die Positivliste. Sie kann heute noch das Zmorgen bestellen: "Ena Jaurti me Sachari ke Psomi ke ena Bukali Gala." "Ke" wird griechisch "και" geschrieben und heisst "und"; auf Esperanto heisst "kaj" auch "und" und wird "kai" gesprochen.
Und wie steht 's mit dem Alkohol? Kein Problem. Griechenland hatte gutes Trinkwasser und ein gutes Orangina – und heute überall dieses braune US-Gesöff. Als Gast wird einem zur Begrüssung entweder Vanilla angeboten - das ist so eine weisse Masse (Mastix). In einem Glas eiskaltes Wasser wird ein schön gehäufter Teelöffel dieser weissen klebrigen Masse versenkt. Es löst sich langsam auf, schmeckt sehr süss, Kinder lieben es den Löffel abzulutschen. Und weil der Löffel ja versenkt wird, nennen die Kinder das Getränk auch Ipobrichio, das Unterseeboot - oder ein Glas des berühmten Ouzos. Da sagte ich immer: "Ich hätte lieber einen guten griechischen Kaffee – vari ke gliko, schwer und süss." "Was, Sie als Ausländer lieben unseren Kaffee." ("Türkischen" zu verlangen ist ein Kapitalverbrechen.)
Musters fahren nach Griechenland!
Jahre später wiederholten wir die Reise mit unseren erwachsenen Söhnen. Es war die letzte vierköpfige Familienreise und die letzte auf Papas Kosten. "Eine Rundreise mit der ganzen Familie? Wann soll ich da fotografieren?", meinte Daniel. "Dann reisen wir zwei eine Woche früher und ich warte, bis du fertig fotografiert hast." Gesagt, getan. (Der Rest der Familie hatte Pech mit dem Overbooking und so mussten sie in der Businessklasse fliegen. Es hat ihnen sehr gefallen.)
Daniel und ich bezogen zuerst unser Quartier in der Plaka im Hotel "Plaka". Vom Bett aus war die Akropolis zu sehen. Nach dem Eingewöhnen zogen wir in die Umgebung. z. B. ins Kloster Kaisariani am Hymettos, einem der Ränder des Athener Beckens. Wie wir zu Fuss ankamen, fuhren gerade die letzten Besucher weg. Der Touristenführer war so glücklich, zwei Ausländer mit Fotoapparat und Griechischkenntnissen betreuen zu können, dass er uns kaum losliess. Er zeigte uns u. a. ganz junge Skorpiönchen und frische Akanthus-Blätter, die er neben die Reste einer korinthischen Säule hielt.
Noch länger dauerte der Aufenthalt in Korinth. Nach der Anfahrt
mit der Schmalspurbahn stiegen wir auf die Zahnradbahn Kalavryta um. Beeindruckt
hat uns der Personaleinsatz: mehr Personal als Fahrgäste! Wir benutzen
die beiden Plätze 1. Klasse neben dem Wagenführer. Erfreut darüber,
des Griechischen kundige Fotografen zu fahren, hier er mitten auf eine
Brücke still, damit wir den Wasserfall fotografieren konnten...
In Dorf Kalavryta hatten am 13. Dezember 1943 deutsche Soldaten in 477
Männer auf einem in der Nähe gelegenen Feld im Rahmen der Vergeltungsaktion
"Unternehmen Kalavryta" umgebracht. Griechische Partisanen hatten
deutsche Geiseln umgebracht; die Deutschen waren wahrscheinlich an einem
Austausch nicht interessiert. Das Dorf wurde niedergebrannt. Frauen und
Kinder entkamen aus der brennenden Schule, da ein österreichischer
Soldat die Hintertüre einschlug.
Kalavryta ist heute ein Wintersportort. Wir sahen offene Sportgeschäfte und ein Auto mit Skiern, aber weit und breit keinen Schnee mehr. Wir nahmen Zimmer in einem ziemlich teuren Sporthotel, bevor wir die Gegend erkundeten. Wir waren die ersten Touristen in diesem Jahr und wir sahen es den Frauen vor den kleinen Häusern an, dass sie mit uns reden wollten. "Wenn wir nur ausländisch könnten!" Eine Frau begrüsste ich mit einem freundlichen griechischen Gruss. Da ging es los: "Woher? Familie? Wohin? usw." Von weiter oben sahen wir dann die neidischen Nachbarinnen zum Häuschen der glücklichen Frau eilen. "Kannst du ausländisch? Wer sind die? Was haben sie gesagt?"
In Korinth selber fanden wir eine günstigere Unterkunft. Daniel
meinte, die Nacht oben und die hier zusammengezählt und durch zwei,
das gäbe einen guten Durchschnitt. Im ersten Hotel stiegen wir nicht
ab, denn im Führer stand, es sei ein "house of ill repute",
also ein Freudenhaus [veraltet: Bordell]. Das zweite Hotel war ein
ehemaliges Palace, aber etwas heruntergekommen. "Ist das ein Hotel?",
fragte ich vorsichtig am Eingang. "Ja." In der Etage sass eine
Wächterin, wie ich es aus Moskau in Erinnerung hatte. Oder hatte
doch dort jemand seine Grosmutter vergessen, wie Daniel meinte. Andere
Gäste sahen wir nicht. So ein Zimmer haben Sie noch gesehen; aber
sauber war es. Am Morgen griff der Rezeptionist zum Telefonhörer
und sagte kurz: "Fygane – sie sind weg." ???
Wir haben den Kanal von Korinth gemacht – zu Fuss am oberen Rand.
Wie ich sah, wie Daniel sich an den Kanalrand robbte, dachte ich: "Gott
sei Dank ist Ruth nicht da. Die kriegte einen Herzinfarkt." Mir klopfte
nur das Herz etwas schneller.
Am Meeresstrand unten fotografierte Daniel Schiffruinen und Schwemmgüter,
stundenlang sah ich zu. Kein Mensch weit und breit! Hinten an der Orangenplantage
fing uns ein Farmer ab und führte uns zu seinem Garten. Er war Matrose
gewesen und frischte an uns sein Englisch aus. Zum Dank füllte er
uns alle Taschen und Säcke mit baumfrischen Orangen.
Ein wichtiger Ort in meinem Leben nicht nur in Griechenland ist das Peripteron,
der Kiosk. (Ein Peripteros ist ein allseits von Säulen umgebener
Tempel, fast wie ein runder Kiosk.) Er bot eine Menge Waren an und war
eine Art Supermarkt. Man konnte dort auch telefonieren. Die Periptera
sahen alle aus wie Wachthäuschen vor den Kasernen, denn ursprünglich
waren sie von der Armee ausgemusterten Soldaten abgegeben worden. Wenn
ich an einem Kiosk meine Lieblingszeitung "To Vima" kaufen wollte,
sagte man mir oft: "Its Greek." In Korinth fand ich nun wieder
einmal meine liebsten Caramel mou.
Beim Bezahlen sah ich wie es im Gehirn des Verkäufers ratterte. "Was
heisst nur 65 auf Englisch?" Er hatte sicher einmal Französisch
gelernt, aber Franzosen gab es in Griechenland doch nicht mehr. Ich erlöste
ihn: "Poso kani?" Sein Reaktion: "Aber du siehst wirklich
wie ein Tourist aus." Klar, Sonnenbrand, Cowboyhut und Rucksack.
Daniel kaufte eine griechische Fachzeitschrift für Fotografen und
sollte auf Griechisch bezahlen. "Eigentlich nicht recht; mit dir
will er Englisch reden und mit mir Griechisch."
Zur Abwechslung fuhren wir mit dem Bus statt mit der Ratterbahn nach Athen zurück. Mitten auf der EU-finanzierten Autobahn stieg ein Kontrolleur ein. An der nächsten Haltestelle stieg er aus, überquerte die Autobahn und wartete auf den nächsten Bus.
Ägina
Der Rest der Familie traf eine Woche später in Athen ein und nach
der klassischen Rundfahrt durch den klassischen Peloponnes flohen wir
der Athener Luft auf die Insel Ägina und pendelten wie viele Griechen
nach Athen. Neben unseren zwei Bungalows wuchsen mannshohe Geranien. Schön
waren auch die giftigen Prozessionsspinnerraupen, die sich von ihren Nestern
auf den Weg machten... aber die gibt es 2007 auch im Park vor unserem
Hause.
Den Weg nach Athen und zurück machten wir mit Tragflügelbooten russischer Herkunft. Abends kam immer noch eine Autofähre an. An einem Abend beobachteten wir einen Weltuntergang. Es stürmte, Lichter fackelten, die Passagiere rannten und drängten wie um ihr Leben auf das Schiff. Von einem Schiffuntergang haben wir nichts gehört.
Wir besuchten auch das auf einer Bergkuppe gelegene Heiligtum der Aphaia. Eigentlich sollte man von dort aus die Akropolis in Athen und den Neptuntempel am Kap Sounion sehen. Zuviel Smog! Den Berg hinunter gingen wir ältern Eltern auf dem direkten Weg; die Buben wollten ein paar Kurven machen. Treffpunkt: die Post. "Post haben wir keine, aber einen Briefkasten und der wird alle Tage geleert." Wie der geneigte Leser weiss, haben wir unsere Sprösslinge auch so gefunden...
Zum gleichen Thema:
Griechenland
und
Zypern
17.07.07 22:40:22
Nachtrag Winter 2008/2009
Ist Ihnen, lieber Leser, aufgefallen, dass in meinen Notizen zu den 60er Jahren ein
Konstantin Karamanlis und ein Georgios Papandreou vorkommen? Heute heisst der Ministerpräsident Konstantin Karamanlis und der Führer der Opposition Georgios Papandreou. Natürlich sind "meine" Politiker längst verstorben, aber die Parteien bleiben im "Besitz" der Familien. Leute, die nicht zum herrschenden "Clan" gehören, haben keine Zukunft. Brannte deshalb Athen?
07.01.2009 15:59