Was für ein Land es sein wird, wenn es wieder so grün ist wie früher, vermag man sich nicht vorzustellen. Alles ist möglich, wenn dieser Brennpunkt der Erde wieder zu neuem Leben erblüht.
Henry Miller: Der Koloss von Maroussi - Eine Reise nach Griechenland, 1940

1961/63 im Griechenland ohne Säulen

(Natürlich habe ich in Griechenland auch die Säulen bewundert und eine antike Tragödie im ausgegrabenen Theater von Epidaurus gehört und gesehen. Wunderbare Akustik in diesem alten Freilichttheater. Nach Sonnenuntergang hörte man während der Aufführung in der Ferne Hähne krähen.
Den Titel habe ich dem Buch von Johannes Gaitanides "Griechenland ohne Säulen" (1955) geklaut, das als erstes hinter den antiken Säulen das moderne Griechenland auch seine byzantinischen Wurzeln beschrieb. Neuer (2004) ist "Zimt in der Suppe. Überraschendes Griechenland" von Werner van Gent und Paul L. Walser)

Verrückte unter Irren

Man muss schon ein bisschen verrückt sein, um einen Sommer lang freiwillig (International Voluntary Service) im heissen Griechenland als Zivildienstleistende (Service Civil International*) Mauern zu bauen und das nicht nur am Vormittag, sondern auch am Nachmittag - und das alles ohne Lohn. Unsere Gruppe bestand aus 5 bis 10 jungen Männern und Frauen, die freiwillig Zivildienst leisten; ihrer Meinung nach sollte der Zivildienst den obligatorischen Militärdienst ersetzen. (Übrigens waren nicht alle Militärdienstverweigerer.) Die Teilnehmer stammten aus der Schweiz und den umliegenden Ländern, z. B. aus Äthiopien (Studenten an der amerikanischen Universität Beirut) und aus dem Aargau (ein Briefträger) usw. Sie blieben unterschiedlich lange da. Ein Militärdienstverweigerer aus Frankreich sang uns ein Lied, für das er ein Frankreich sofort verhaftet worden wäre: "Le déserteur"**. (Algerienkrieg von 1954 bis 1962!)

Dieses Lagers wegen bin ich für ein halbes Jahr nach Griechenland gefahren und dann gleich zwei Jahre im Land geblieben.

Wir wohnten in Zelten, d.h. in der heissen Zeit hing ich meine Hosen an eine Pinie und legte mich daneben. Einmal mussten wir einen Esel aus dem Zelt vertreiben und im Herbst wuchsen neben meinem Bett, auf das wir des Regens wegen umgezogen waren, Herbstzeitlosen.

An das Essen mag ich mich nur schwach erinnern. Zum Zmorgen gab es Oliven*, Brot und Merides - auch Marides genannt - (kleine mit Haut und Haar, mit Kopf und Schwanz und mit allem Inhalt frittierte Fische (Sardellen?), die auch ganz gegessen werden) und am Nachmittag kam ein fliegender Händler mit seinem Esel vorbei und verkaufte uns Wassermelonen.
*Neuen Teilnehmern haben wir jeweilen frisch vom Baum gepflückte, reife, blaue Oliven zum Kosten gegeben. Haben Sie das schon einmal probiert, schmeckt fein, etwa wie Tannenzweige...

Wer gegessen hat muss auch... Ja, genau. Die griechischen WCs hatten nur geringen Wasserdruck. Daher musste das benutzte Papier in einem besonderen Kübel versorgt werden. Als Pendler zwischen Hellas und Europa (die Griechen sagen so) erlebte ich immer Schrecksekunden: In der Schweiz stand ich mit dem Papier in der Hand und wusste nicht wohin damit; in Griechenland spülte ich alles hinunter und hoffte, dass es zu keiner Verstopfung (beim WC) kommt.

Doch nun wieder ernsthaft: In diesem Lager hatte ich ein sprachliches Schlüsselerlebnis: Zu meinen Aufgaben gehörte die Leitung der für den SCI traditionellen Meetings. Jeder Teilnehmer hatte unter vielen Mühen mindestens eine Fremdsprache gelernt und dennoch musste ich die Meetings dreisprachig durchführen. Wie einfach wäre es doch, alle hätten kurz einmal Esperanto*** gelernt – übrigens hatte Pierre Ceresole Esperanto unterrichtet.
http://www.bautz.de/bbkl/c/ceresole_p.shtml

Was taten wir eigentlich in diesem Lager?

Unsere Zelte standen auf dem Gelände des Athener Irrenhauses, dem "Dimossion Psychiatrion Athinon" in Dafni. Uns gegenüber lagen die Reste des Klosters Dafni mit den berühmten Fresken und das nicht weniger berühmte Weinfestival, das uns im Schlaf begleitete.

Halt! "Irrenhaus" ist doch politisch nicht korrekt. So sagt man doch nicht (mehr)! Für unser Psychiatrion traf der Begriff "Irrenhaus" aber zu. Eine griechische Tageszeitung sprach sogar vom "Dachau Griechenlands". Das war allerdings übertrieben; denn das "Spital" hatte die Aufgabe, das Überleben der Insassen zu sichern. Aber wie überlebten sie! In alte Kleider oder nur in Lumpen gehüllt, die Kinder in Nachthemden, gingen, krochen, kauerten und lagen sie herum. (Nur beim Besuch des Gesundheitsministers trugen die Mädchen hübsche Kleidchen für die Fotografen.) Die Patienten wurden ernährt und mit Medikamenten ruhig gehalten.

Vormittags waren ein paar Ärzte und Physiotherapeutinnen anwesend, die am Abend nach der Siesta einem privaten Beruf nachgingen. Nachmittags waren nur ein paar Aufseher und Bewacher anwesend; Betreuer konnte man sie nicht nennen. Eines unschönen Nachmittags kam eine Patientin, die gerade einen lichten Moment hatte, zu unserem Arbeitsplatz gerannt, und schrie: "Skotonun mia nosokoma!" Moment mal... "sie töten eine Krankenschwester". Wir kräftigen Männer rannten zum Hof und sahen Knäuel vom Frauen, die sich am Boden wälzten und an den Haaren rissen. Beim richtigen Knäuel griffen wir ein und retteten die Schwester.

Die Häuser der Patienten hatten alle einen Hof, der von einer hohen Mauer umgeben war. So konnten die Patenten, die dazu in Lage waren, an der frischen Luft spazieren gehen. Die Männer unseres Lagers und einige Frauen halfen Manolis, dem Maurer, eine Mauer um das ganze Gelände herum zu bauen, um den Patienten mehr Auslauf zu gewähren. Eine harte, schweisstreibende und ermüdende Arbeit. Ich war jeweilen froh, wenn ich am Mittwochnachmittag in Athen das Büro des SCI betreuen durfte. Einige Frauen arbeiteten in der Kinderabteilung und waren entsetzt und wütend über die Verhältnisse.


*Der Service Civil International (SCI) bringt Menschen aus allen Kontinenten zusammen, die sich für soziale, ökologische und kulturelle Projekte engagieren. Das gemeinsame Ziel: Gewalt überwinden und zeigen, dass Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg möglich und nötig ist."
Der SCI wurde 1920 gegründet vom Schweizer Pierre Ceresole (1879 - 1945). (Sein Vater Paul Ceresole, 1832 – 1905, war Oberst, Nationalrat, Bundesrichter, Bundesrat und 1873 Bundespräsident.) Im Jahr 1909 lehnte Pierre eine Professur an der ETH ab und reiste durch die USA, Hawaii, Japan und China. Ab 1916 verweigerte er als Protest gegen das Militär die Bezahlung des Militärpflichtersatzes und wurde zeit seines Lebens regelmässig wegen seinen pazifistischen Aktivitäten verhaftet. Ab 1920 organisierte er mit Gesinnungsgenossen aus vielen Ländern Lager für den Wiederaufbau von durch Krieg und Naturkatastrophen zerstörten Dörfern. (Eine seiner Mitarbeiterinnen in seinem Einsatz für Pazifismus und Humanität war Hélène Monastier, die ich in einem Zivildienstlager treffen durfte.)

Ein ähnliches Angebot macht seit 1996 der "Europäischer Freiwilligendienst (EFD)" der von der EU organisiert wird – allerdings ohne "zivil statt militär": "Im Rahmen dieser Aktion können Jugendliche einen Zeitraum von bis zu 12 Monaten als europäische Freiwillige im Ausland verbringen und sich an einem lokalen Projekt zu beteiligen, das in den verschiedensten Bereichen angesiedelt sein kann: soziale und Umweltschutzprojekte, Kunst, Kultur, neue technologische Entwicklungen, Freizeitgestaltung und Sport usw." Mitmachen können alle zwischen Island und dem Gaza-Streifen – ausser der Schweiz. Folgen unserer Schweizer Verhinderungs-Partei.
Meinen ersten Kontakt mit dem SCI hatte ich bei der Aktion für die Algerierin Djamila Bouhired.


** Le déserteur (Chanson de Boris Vian, 1954)

1. Monsieur le Président
Je vous fais une lettre
Que vous lirez peut-être
Si vous avez le temps
5. Depuis que je suis né
J'ai vu mourir mon père
J'ai vu partir mes frères
Et pleurer mes enfants
9. Je mendierai ma vie
Sur les routes de France
De Bretagne en Provence
Et je dirai aux gens:
2. Je viens de recevoir
Mes papiers militaires
Pour partir à la guerre
Avant mercredi soir
6. Ma mère a tant souffert
Elle est dedans sa tombe
Et se moque des bombes
Et se moque des vers
10. Refusez d'obéir
Refusez de la faire
N'allez pas à la guerre
Refusez de partir
3. Monsieur le Président
Je ne veux pas la faire
Je ne suis pas sur terre
Pour tuer des pauvres gens
7. Quand j'étais prisonnier
On m'a volé ma femme
On m'a volé mon âme
Et tout mon cher passé
11. S'il faut donner son sang
Allez donner le vôtre
Vous êtes bon apôtre
Monsieur le Président
4. C'est pas pour vous fâcher
Il faut que je vous dise
Ma décision est prise
Je m'en vais déserter
8. Demain de bon matin
Je fermerai ma porte
Au nez des années mortes
J'irai sur les chemins
12. Si vous me poursuivez
Prévenez vos gendarmes
Que je n'aurai pas d'armes
Et qu'ils pourront tirer

Der Dienschtverweigerer
Übersetzung des Lieds "Le déserteur" (Boris Vian) durch Franz Hohler.

Aus der ungesendeten Fernsehsendung Denkpause vom 7. Oktober 1983. (Zensur!) Es war später in einer Diskussionssendung zu sehen.

1. Herr Oberschtdivisionär
Dir gseht, das i nech schrybe
Chönnt s Läsen au lo blybe
Dir heits jo süsch scho schwär. .
5. I weiss, was jetze chunnt
Im Minimum drei Monet
Au d Chischten isch e Gwonet
Und sicher grad so gsund.
9. I weiss au, dir heit rächt
Zwee Wältchrieg, die bewyses
D Armee isch gar nüt myses
Süsch giengts is hütt no schlächt.
2. I danken euch für d Charte
Dir wüsset, die vo wäge
Und hanech welle säge
Dir chönnet uf mi warte.

6. E Vorschtrof isch z verchrafte
Und grad die Kriminelle
Die wüsse vill z verzelle
Drum loh mi au verhafte.
10. I weiss au nid, worum
I trotzdäm nid dra dänke
Euch mis Vertroue z schänke
Wahrschynlech bini z dumm.
3. Herr Oberschtdivisionär
I wirde nid Soldat
Vollbring ke Heldetat
I eusem Militär.
7. Dir meinet jetz vilicht
Das mir das gar nüt miech
I syg e fräche Siech
Und schpeuzen euch is Gsicht.
11. I weiss nur, dass grad dä
Wo dir gärn für euch hättet
Dä, wo der zuenem bättet,
Dass dä nid gange wär.
4. S sell nid persönlech sy
Doch hani mi entschlosse
S wird weder zielt no gschosse
I rücke gar nid y.
8. Doch d Sach gseht nid so dry
Mi Muet isch zimli schitter
Mir gruusts vor em Auditer
I wett, es wär verby.
12. I glaub, jetz wüsster gnue
Und die, wo mi wei foh
Die sellen ynecho
I bschliesse d Tür nid zue.

*** LA DIZERTONTO

1. Sinjoro Prezident'
mi skribas ci leteron
kaj havas mi esperon,
vi legu kun atent'.
2. Alvenis jen paper'
kun la ordon-invito
foriri al milito
mekrede je l'vesper'
3. Mi diras sen rezon'
ke tion mi ne faros
mi sur la ter' ne staros
por murdo de la hom'
4. Ne ofendigu vi
se mi per gi vin spitas,
mi cion mem decidas
kaj tuj dizertos mi.
   

O ΛΙΠΟΤΑΚΤΗΣ
Μπορίς Βιαν (1954)
μετάφρασε o Κώστας Κεσσισογλού (1975)

Κύριε Πρόεδρε
Σας γράφω ένα γράμμα
Που ίσως θα διαβάσετε
Αν έχετε καιρό
Φτάσαν τα χαρτιά μου
Πως πρέπει να καταταγώ
Να φύγω για τον πόλεμο
Το αργότερο Τετάρτη.
Όμως κύριε πρόεδρε
δεν πρόκειται να πάω
Δε βρέθηκα σ' αυτή τη γη
Για να σκοτώνω αθώους
Δε θέλω να θυμωσετε
Μα πρέπει να σας πω
Πως τό ‘χω πάρει απόφαση
Να γίνω λιποτάκτης
Βλέπω στη δική μου ζωή
Πως πέθανε ο πατέρας μου
Πως φύγανε τα αδέλφια μου
Και τα παιδιά μου κλαίνε
Η μάνα μου απ' τα βάσανα
Τώρα βαθιά στον τάφο
Γελάει με τους εξοπλισμούς
Περιγελάει τους τοίχους
Όταν με χώσαν φυλακή
Αρπάξαν τη γυναίκα μου
Αρπάξαν τη ψυχή μου
Το παρελθόν που αγάπησα
Αυριο ξημερώματα
Την πόρτα θα χτυπήσω
Στα μούτρα των νεκρών καιρών
Και θα χυθώ στους δρόμους
Θα ζητιανέψω τη ζωή μου
Γυρνώντας τη Γαλλία
Από Βρετάνη ως την Προβηγκία
Και σ' όλους θα φωνάζω
Άρνηση στην υποταγή
Άρνηση στην κατάταξη
Μην πάει κανείς στον πόλεμο
Να φύγετε αρνηθείτε
Αν πρέπει αίμα να χυθεί
Να δώσετε το δικό σας
Αφού αυτό διδάσκετε
Σε όλους, κύριε πρόεδρε
Κι αν είναι να με πιάσετε
Πέστε στους χωροφύλακες
Ότι θα είμαι άοπλος
Και αν θέλουν, ας μου ρίξουν.

Wohnen in Athen

Nach Ende des Zeltlagers wollten Jeff Levett, ein Lagerteilnehmer aus England, und ich noch in Griechenland bleiben. Nachts wohnten wir zuerst unmöbliert im Untergeschoss einer Villa des englischen Botschafters im vornehmen Vorort Psychiko, tagsüber waren wir bei den Christlichen Töchtern (s. unten) zu finden.
Die Akropolis vor den Augen: Schöner war das nächste Logis: Zuoberst am Hügel Lykabettos, also nicht in der Kapelle, sondern im letzten Haus am Waldrand. Nach Mitternacht erklomm ich den Hügel in der lauen Sommerluft.
Zinsen oder Zügeln! Weniger feudal, aber billiger, war eine Wohnung in einem Altbau im Stadtzentrum. Jeff heiratete seine griechische Freundin und zog aus. (Die Hochzeit fiel in die Fastenzeit und da waren der Genuss von Fleisch und andere fleischliche Genüsse, also auch Heiraten, eigentlich verboten. Für eine Sonderbewilligung brauchte es gute Gründe, z. B. dass die Hochzeitsnacht sichtbar bereits vor einigen Monaten stattgefunden hatte.)
Die Akropolis im Rücken*: Meine nächste Bleibe war ein Einzimmerhaus unter der Akropolis, in der Plaka, genauer in der damals populären Anafiotika. (Heute Schicki-Micki und touristisch.) Diese Häuser waren im vorletzten Jahrhundert über Nacht gebaut worden und da sie nun standen, durften sie stehen bleiben. Die Erbauer waren Bauarbeiter von Anafi, einer kleine Insel südöstlich der Kykladen (12 km lang und 6 km breit). Sehr komfortabel war das Haus nicht. Zur Heizung gab es einen Petrolofen – aber wer heizt schon in Griechenland? (Die Kälte ignorieren ist ein griechisches Glaubenbekenntnis. Denkste! Ein kleiner Schneefall und im ganzen Quartier war kein Petrol mehr zu finden. So fror ich halt wie alle Griechen; aber Kälteperioden sind glücklicherweise kürzer als die Hitzeperioden.)
*Die Akropolis im Rücken, ein Buch des schweizerischen Journalisten Paul L. Walser
Meine letzte Unterkunft lag wieder im Zentrum. An vielen älteren Häusern (heute alle abgebrochen) stand zu lesen "Wird vermietet". Die Landlady fragte: "Wollen sie ein Zimmer oder eine Garssonniera?" Garçonniere? Ach so, ein Treffpunkt für heimliche Liebe, von der niemand nicht wissen soll. Ein ehemals grosses Zimmer war mit einer Sperrholzplatte halbiert worden. Die Seite mit dem Fenster war das Zimmer, in dem ich wohnen konnte. Die andere fensterlose Hälfte wurde nur am Mittwochnachmittag benutzt. Wenn der Plattenspieler angeworfen wurde, verliess ich diskret mein Gemach.


Junge christliche Töchter

Es gibt in Athen einen "Christlichen Verein Junger Töchter": XEN* – sprich "Chen". Zu meinen liebsten Erinnerungsstücken aus dem "Griechenland ohne Säulen", die ich gerne vorzeige, gehört die Mitgliedskarte des XEN. Also ganz genau: Mitglied war ich nicht, nur Gast. Im Restaurant des XEN. Im Sous-Sol trafen sich Griechinnen (und Griechen), die Kontakte zu Ausländern und Ausländerinnen suchten. Man konnte da interessante Beziehungen anknüpfen.

Es gab schon seltsame Gäste. z. B. einen Deutschen, der ein Auto mit englischen Kennzeichen besass und eigentlich die Encyclopedia Britannica verkaufen wollte. Da er nie Geld für Benzin hatte, weckten wir ihn am Sonntag morgen zum Morgenessen auf, füllten seinen Magen und den Tank auf und unser Sonntag war gerettet.

Da tauchte einer auf, der per Autostop von Singapore eingetroffen war. Eine ehemalige Besucherin schrieb von ihrem Trip nach Südafrika, mit Autostop sei es hier schwierig, sie habe ein Nilboot gestoppt und ziehe jetzt mit einem Wanderzirkus nach Süden.

Ich selber benahm mich eher gutbürgerlich und suchte meinen Lebensunterhalt mit Arbeit zu bestreiten. Oder mit Blutspenden... Wenn es ganz schwarz aussah, suchte ich nach Restaurants ohne Tischtücher, aber mit Sägemehl am Boden. (So konnten die Gäste ihr Wasserglas einfach auf den Boden ausschütten, wenn der Durst** vorbei war.) Da bestellte ich eine Portion Pilafi-Reis ohne Beilage.

*Christianiki Enosi Neanidon – XEN/YWCA - Odos Amerikis 11, ab 1964 deutsch "Christlicher Verein Junger Frauen" (CVJF). In der Schweiz sind sie heute nicht mehr nach Geschlechtern getrennt: CEVI: "Christlichen Vereine Junger Frauen und Männer". (Interessanterweise nennen sich die Vereine international einfach "YWCA" bzw. "YMCA", schweizerisch einfach "CEVI"; das "christlich" wird im Namen heute verheimlicht. (Als Gymnasiast hatte ich übrigens in 2 Sommerlagern des CVJM in Kandersteg gewirkt. In Athen zog es mich hingegen zum CVJT)

**Griechen sind/waren überzeugte Wassertrinker. Wenn ich ein Orangina von FIX (=Fuchs) bestellte, gab es dazu ein Glas Wasser gegen den Durst, so dass ich darauf das Orangina richtig geniessen konnte. (25 Jahre später gab es nur noch das internationale Fanta ohne Genuss und ohne Wasser.) Hatte man keinen Durst, so bestellte man einen griechischen Kaffee (keinen türkischen, um Himmels Willen!!!), dazu gab es ein Glas Wasser gegen den aufkommenden Durst. Bei den Zugreisen von Athen durch das noch nicht ex-Jugoslawien nach Europa (fahrplanmässige Reisezeit 48 Stunden + fahrplanmässige Verspätung 8 Stunden) musste ich jeweilen für die dürstenden Griechen auf den Bahnhöfen Wasser holen. "Wasser" heisst "nero", zärtlich-verkleinert "neraki"; das griechische Wässerchen ist aber im Gegensatz zum russischen "Wodka" (= "Wässerchen") natürlich alkoholfrei.


Vorbestraft - wegen Arbeit

Also im XEN vernahm ich auch, dass in einer benachbarten Kleindruckerei, die eine Tageszeitung herstellte, eine Stelle als Korrektor frei war. Ich griff zu. Da hörte ich zum ersten Mal die Setzmaschine Linotype rauschen – besonders eindrucksvoll, wenn eine Zeile von Matrizen herunterfiel und der Setzer fluchte. Da roch ich zum ersten den typischen Geruch einer Druckerei und begegnete dem Bleiwurm. (Heute ist diese Art der schwarzen Kunst Nostalgie und nur in Museen zu sehen, zu hören und zu riechen.)

Also das war eine seltsame Tageszeitung. Der "Redaktor" schnitt Agenturmeldungen zusammen, der Maschinensetzer (ein gebildeter Grieche aus Ägypten) und der Handsetzer (ein echter Grieche ohne Kenntnis anderer Sprachen) setzten den Text und lieferten mir die Fahnen zur Korrektur, der Metteur setzte die Seiten zusammen, ein letzter Blick darauf – und los ging's. (Mein späterer Schwiegervater war jahrzehntelang Metteur in Bern und in Lausanne las ich Fahnen und klebte die Seiten unserer Zeitschrift zusammen.)

Also – das war natürlich keine griechische Tageszeitung (so gut war mein Griechisch doch nicht), sondern der "Athener Kurier" in deutscher Sprache. Die Zeitung war das Spielzeug einer vornehmen Dame, die so als Verlegerin auftreten konnte. Den Lohn zahlte sie spät oder nie aus – ohne Arbeitsbewilligung konnte ich ja nicht klagen. Einmal erhielt ich Swissair-Ticket in die Schweiz als Monatslohn. (Ein seltsames Gefühl, in Athen mit einem Mäppchen unterm Arm einzusteigen wie ins Tram und dann den Grosswildjägern ihr Jägerlatein abzuhören; das Flugzeug kam nämlich aus Johannesburg.)

Übrigens – diese Arbeit bis Mitternacht gefiel mir. Von Mittag an war ich wach und frei und das weckte die Neugier vor allem von Griechinnen: "Was machst du eigentlich hier?" – "Ich arbeite als Geheimagent." – "Für wen und wen spionierst du?" – "Das ist so geheim, dass ich es selber nicht weiss." Manchmal gab ich mich einfach als Mädchenhändler aus.

Aber – wann kommen endlich Polizei und Justiz? Am ersten Abend! Kaum hatte ich angefangen, kam ein Geheimpolizist die Treppe herunter und nahm meine Personalien auf. In die Druckerei kam er nie mehr, dafür traf ich ihn öfters bei ausländischen Bekannten. "Ja, du bist ein braver Junge. Du sprichst ja immer besser Griechisch. Du darfst hier bleiben... Aber du kennst den H., den hatten wir heraus geworfen. Letzte Woche war er wieder im Zug. Zurück mit ihm!"

Endlich – Ich wurde vor den Einzelrichter geladen, bekannte mich schuldig und reuig und wurde zu einer symbolischen Busse verurteilt, die ich pflichtbewusst bezahlte. Ich erhielt später die Einladung, eine Arbeitsbewilligung zu lösen. Das kostete, und so liess ich es sein, arbeitete ohne Bewilligung weiter. Für den Geheimpolizisten war ich kein Fall mehr; er hatte mich ja angezeigt.

Übrigens - mit der griechischen Bürokratie hatte ich auch sonst meine Erfahrungen gemacht; jedes Paket musste verzollt werden. Vor den Zollbüros sassen Helfer, denn viele Griechen konnten nur schlecht lesen, vor allen nicht die Amtssprache "Katharevussa" (s.unten). Schreiber kosten, die Katharevussa war fast wie Altgriechisch und tagsüber hatte ich ja Zeit. Nach dem ersten Mal wusste ich, wo der Zollbeamte sein Kreuzchen setzte. Später machte ich das Kreuzchen selber, so ging das viel schneller...


Als Anwalt siegreich

Nach einem Jahr hatte ich eine sicherere Stelle gefunden – auch ohne Bewilligung, aber da war ich schon Student. Am ersten Arbeitstag meines Nachfolgers, wer kam da die Treppe herunter? Der Geheimpolizist! Er verzeigte meinen Kollegen, der sofort vor Gericht kam. Da er gar kein Griechisch verstand, begleitete ich ihn und legte los: "Also*, mein Freund kann kein Griechisch und möchte keinesfalls griechische Gesetze übertreten. Diese Nummer da hat er von der Chefin erhalten und er glaube, dass sei die Bewilligung, aber es ist nur das Gesuch. Er hat sofort aufgehört zu arbeiten; ich habe ihn abgelöst." Die Richterin und der Schreiber flüstern mit Blick auf die Bibel: "Können wir den vereidigen? Der ist vielleicht nicht einmal katholisch." Und dann laut: "Wir müssen die Chefin befragen. Die Verhandlung ist geschlossen."

Also, die Dame hat sich nicht befragen lassen. Vitamin B! Der Prozess wurde nicht mehr aufgenommen, bis mein Kollege genug hatte und auf eine Insel zog, um Füsse und Seele baumeln zu lassen und den Sonnenuntergang zu bewundern. So habe ich bei meinem einzigen Auftritt als Anwalt einen Prozess so verwirrt, dass er nicht mehr weiter zu führen war.

*"Also" heisst auf Griechisch λοιπόν: = lipón und wird im Gespräch häufig gebraucht.


Spionage? Verhaftet! Freigelassen!

Die Festnahme

An einem schönen Samstagmorgen besuchte ich die Physiotherapeutinnen im Irrenhaus, bei dem ich gearbeitet hatte, um hübsche Erinnerungsfotos zu schiessen. Wie ich so richtig schön dran war, kam der Portier und sagte, ich werde am Haupteingang erwartet. Mich erwartete dort die Polizei!
"Haben Sie Ihren Ausweis dabei? Nein? Das werden wir schon in Ordnung bringen."

Der freundliche Polizist führte mich zum Polizeiposten Aigaleo (westlich von Athen), zu dem Daphni gehört.
"Wir warten auf einen Wagen aus Ihrem Wohnort Psychiko (einem Vorort östlich von Athen). Möchten Sie einen griechischen Kaffee?"

So wartete ich friedliche und nichts Böses ahnend und trank meinen Kaffee. Ständig sass ein Polizist im Zimmer und behielt mich im Auge. Bei Bernern geht es manchmal lange, bis das Zwänzgi fällt: "Ich bin verhaftet bzw. vorläufig festgenommen." Ich hatte aber immer noch ein gutes Gewissen; denn man kann ja ein paar Monate als Tourist im Lande bleiben.

Endlich kam das Auto und wir fuhren nach Psychiko direkt zum Gebäude der Fremdenpolizei. Das Erdgeschoss war leer, wir stiegen in den ersten Stock. "Ihre Tasche können Sie hier ablegen; wir gehen zusammen in Ihre Wohnung." Die grossen russischen Buchstaben an der Wand unserer Wohnung wurden nicht beachtet. (Mein Freund Jeff und ich wollten Russisch lernen.)

Das Verhör

Zurück bei der Polizei ging das Verhör los. Inzwischen hatten sich etwa ein Dutzend Zivilsten eingefunden.
"Haben Sie einen Fotoapparat?"
"Ja." Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors.
"Wo ist der Fotoapparat?"
"Dort, in meiner Tasche." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors nahm zu.
"Können Sie den Apparat holen?"
"Hier ist er." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors nahm zu.
"Ist ein Film drin?"
"Nein." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors verschwand.
"Warum?"
"Der Film war voll."
"Wo haben Sie ihn?"
"In meiner Jackentasche." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors kam wieder zurück.
"Dürfen wir ihn sehen?"
"Ja." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors nahm zu.
Ich griff in die Jackentasche – und fand ein Loch im Futter. Der Film war ganz nach hinten gerutscht.
"Hier." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors nahm zu.
Der Film war in ein einen deutschen Zeitung eingewickelt.
"Ist das Ost- oder Westdeutschland?" Da ich damals Schwierigkeiten mit rechts oder links und ost oder west hatte und keinen Fehler machen wollte, sagte ich zur Sicherheit:
"Die Hauptstadt ist Bonn."
"Dürfen wir ihn entwickeln?" (Dumme Frage! Dürfen...)
"Ja." Das Lächeln auf dem Gesicht des freundlichen Inquisitors nahm zu.

Die Lösung – Agent 008?

Nach der Schnellentwicklung des für damalige Zeiten hochempfindlichen Films (21 DIN; die Bilder sahen dann auch entsprechend aus!) kam die Erklärung:

"Es tut uns schrecklich leid, das wir sie auf Grund einer irrtümlichen Anzeige belästig haben. Sie sind unschuldig. Auf ihrem Film sind keine alten Kriegsschiffe aus der NATO-Basis von Skaramanga zu sehen, sondern nur hübsche junge Mädchen. - Wir lassen den Film trocknen. Am Montag können Sie ihn dann abholen."

Am Montag holte ich den Film ab. Die Polizisten trugen nun alle Offiziersuniformen. Geheimdienst? Spionageabwehr? Die Armen hatten meinet wegen ihre Weekend verkürzen müssen. Für so einem Fang wie mich!

"Das mit der Aufenthaltsgenehmigung können gleich unten erledigen. Und tragen Sie immer einen Ausweis mit sich."

Ich stieg ins Erdgeschoss und ging zu den Schaltern der gewöhnlichen Fremdenpolizei. Ich reduzierte mein Griechisch auf Touristen-Niveau: "Oben sagen brauche Aufenhaltspapier."
Die Beamten wussten nicht, was wir oben abgemacht hatten. War ich nun ein echter Geheimagent? Jedenfalls erhielt ich problem- und diskussionslos das wertvolle Papier und durfte ein Jahr legal dableiben. Geheimagent war ich keiner.

Nachspiel 1
Bei der nächsten Erneuerung – diesmal als echter Student – sah ich die hohe Beige meiner Akten. Wo sind die wohl geblieben?

Nachspiel 2

Als ich 1967 vom Putsch der Obersten hörte, überlief ein Schauer meinen Rücken. Wie mancher dieser Geheimdienstoffiziere gehörten zu den Verschwörern? Wie viele waren später Folterknechte und religiös-patriotisch verbrämte Heuchler? Noch einmal davongekommen!


Kinder, lernt Deutsch

Schon während meiner Arbeit als Korrektor habe ich versucht, Griechen die deutsche Sprache beizubringen. So einem Schneidermeister und dem Sohn eines beim Aëropag, dem obersten Gerichtshof, zugelassenen Anwaltes.

Auf Beginn des Schuljahres fand ich eine Stelle in der "Schule deutschsprachiger Griechinnen", ohne Arbeitsbewilligung, aber mit einer Aufenthaltsbewilligung als Student. Die Schule sollte Kindern gemischter Ehen nach dem griechischen Lehrplan unterrichten und ihnen zusätzlich Deutsch beibringen. Es waren aber auch Kinder da, die zu leistungsschwach für ein gewöhnliches Gymnasium waren. (Böse Zungen sagten, der spätere Konstantin II. hätte auch solche Schwächen gehabt, daher habe man das Programm seiner Klasse vereinfacht.) Gelernt habe ich dort, dass entgegen der weit verbreiteten Meinung von Vorteil ist, wenn der Lehrer von der Sprache der Schüler eine Ahnung hat. So kann er notfalls Schwierigkeiten der deutschen Sprache in der Muttersprache der Schüler klären. Da Neugriechisch keinen Dativ hat, waren Dativübungen am Platz. ("Der Akkusativ ist dem Dativ sein Tod" könnte man sagen.) Einmal brach im Nachbarzimmer homerisches Gelächter los, als eine neue Lehrerin den Anfängern die Zahlen mit den Fingern der Hand beibrachte. Ich klärte sie dann auf, dass man nie die Handfläche zeigen darf, nur den Handrücken.

Nach einem Jahr hätte ich eine bessere Stelle in einer besseren Schule mit Arbeitsbewilligung haben können. Aber da hatte ich schon Heimweh und kehrte nach Bern und an die Uni zurück.


La langue greque n'existe pas*

Griechisch gibt es nicht? Wir haben doch alle in der Schule Griechisch gelernt – zumindest Alpha, Beta, Gamma, Pi und die Kreuzworträtsel-Buchstaben Eta, Rho und Psi... Griechisch gibt es schon, allerdings in verschiedenen Varianten, die alle heute noch eine Rolle spielen.

*«La Suisse n'existe pas» schrieb Ben Vautier im 1992 am Schweizer Pavillon an der Weltausstellung in Sevilla. Ich hoffe, der geneigte Leser wird diesen Satz besser verstehen als damals die Schweizer Politiker...

Wer Altgriechisch gelernt hat, kann problemlos Strassenschilder, Zeitungen und neugriechische Bücher lesen und (fast) verstehen, denn die Orthographie hat sich in den 2500 Jahren nur wenig geändert. Er hat auch die beste Grundlage zum Lernen von Neugriechisch. Pech hat der Fremdwortkenner, wenn er auf Hippodrom, Hydrotherapie, Önologie, Melanom oder das Christussymbol ICHTHYS baut: Pferd heiss "alogo", Wasser ist "nero", Wein heisst "krassi", schwarz ist "mavro" und der Fisch ist ein "psari".

Mit dem gesprochenen Griechisch happert es aber: Wir in Europa sprechen Altgriechisch nach den um 1500 von Erasmus entwickelten Regeln; die Griechen sprechen es nach ihren neugriechischen Regeln aus. (Wenn Homer uns die Odyssee zitieren hört, dreht er sich im Grabe um; bei der neugriechischen Aussprache bleibt er ruhig, denn er käme nie auf den Gedanken, es könnte sich um sein Werk handeln.)

Noch schlimmer ist, "mit Händen und Füssen" reden wollen. Ich warne alle Damen, die nach Griechenland fahren: "Nee" heisst "Ja"; Kopfschütteln bedeutet auch "Ja". "Nein" ist "Ochi" und nach oben Nicken mit Zungenschnalzen.

Altgriechisch
In Europa wird das klassische Griechisch unterrichtet, in dem die grossen literarischen, philosophischen und wissenschaftlichen Werke der griechischen Antike verfasst sind. Auch die Neugriechen müssen Altgriechisch lernen, wenn sie diese Werke im Originaltext lesen wollen. Griechisch war im Römischen Reich neben Latein Amtssprache.

Koine
Ab dem 4. Jh. v. Chr. nahm eine auf der Sprache der Athener basierende gemeinsame griechische Sprache Form an und stellte über Jahrhunderte die offizielle internationale Sprache auf dem Balkan, im Orient und in zahlreichen anderen Ländern dar. Es war Weltsprache und "lingua franca". Auch die Schriften des Neuen Testaments sind in dieser Koiné, der allgemeinen (von allen gesprochenen) Sprache verfasst; auch die griechische Übersetzung des Alten Testamentes (die Septuaginta).

Neugriechisch
Im 19. Jh. wurde Neugriechisch zur offiziellen Sprache des griechischen Königreichs.
Es gab zwei Varianten: die Katharevousa und die Dimotiki.

Die als Katharevousa ( Καθαρεύουσα "Die Gereinigte") bezeichnete Form des Griechischen wurde auf Basis der altgriechischen Koïne entwickelt. Katharevousa war bis 1974/76 Amtssprache des Staates Griechenland, konnte sich aber nie als Umgangssprache durchsetzen. Heute ist "Neugriechisch“ in der Form der "Volkssprache“ (Dimotiki δημοτική ) die Standardsprache.

Da in Griechenland politische Einstellung und benützte Sprachform in engem Zusammenhang stehen, bediente sich die konservative Zeitung "Estia" sich lange noch der archaisierenden und puristischen Sprachform des Neugriechischen, der Katharevousa. (Bis 1997 sogar noch mit Linotype gesetzt!) Dass die Titelseite hinten zu finden war, soll auf einen Irrtum bei der ersten Ausgabe zurückzuführen und blieb dann einfach.

Als das neue Testament 1901 in die Volkssprache Dimotiki übersetzt wurde, kam es in Athen zu einer Revolte, die acht Menschenleben kostete und den Sturz der Regierung zur Folge hatte. 1924 wurde das Verbot, die Bibel in Neugriechisch zu verwenden, aufgehoben. In Artikel 2 der Verfassung der Militärjunta von 1968 steht aber wieder:

"Der Text der Heiligen Schriften wird unverändert erhalten. Ihre Übertragung in eine andere sprachliche Form ohne Zustimmung der unabhängigen Kirche Griechenlands und der Grossen Kirche Christi von Konstantinopel ist absolut verboten."

Meine Schüler mussten unter den konservativen Regierungen, die bis 1963 an der Macht waren, aus reinsprachlichen Büchern lernen. 1964 wurden unter der Regierung Papandreou Schulbücher in der Volkssprache vorbereitet, aber eine der vom Militär, dem König, der Königinmutter und den USA gestützten Marionettenregierungen befahl die Rückkehr zu den alten, veralteten Fibeln. Für mich war dies ein Anzeichen des Niederganges, der 1967 zum Putsch der Obristen führte.

Nach dem Ende des Regimes der Junta wurde 1974/76 die Dimotiki Griechenlands Amtssprache; 1982 wurde das "monotonische" System eingeführt, das nur noch den Akut als Betonungszeichen kennt, und nur, wo eines nötig ist, um die Betonung anzuzeigen. (Fragen Sie mich nicht, wie man das Fremdwort "kameraman" akzentuiert!)

Nachtrag 1
In Griechenland habe ich Flüche und Schimpfwörter kennen gelernt, die ich nachzusprechen nie wagte und die ich nicht einmal in Gedanken zu übersetzen wage.

Nachtrag 2
Bei der Familienreise habe ich meiner Familie gelegentlich Übersetzerdienste geleistet. Einmal fuhren wir im Taxi vom Lykabettos durch enge und kurvige Strassen nach Athen hinunter und wurden von einem Auto aufgehalten, das die Kurve nicht kriegte. Die beiden Fahrer diskutierten lautstark und mit beiden Händen. Als ich übersetzen wollte, sagten meine Söhne. "Nicht nötig, wir haben verstanden." Haben die aber schnell Griechisch gelernt!


"... Denn nach der Proklamation eines freien griechischen Staates durch die Grossmächte im Jahre 1829 wurde auch eine neue griechische Sprache proklamiert, eine Sprache, die in jenem Augenblick von denen, die sich für kompetent hielten, gezeugt wurde mittels einer künstlichen Befruchtung des Altgriechischen; dabei wurden alle natürlichen Kinder und Kindeskinder dieser Sprache für ungesetzlich erklärt nur das sterile "Reingriechisch" war für den offiziellen sprachlichen Verkehr zugelassen. Und dieses Reingriechisch wurde und und wird in der Schule als erste Fremdsprache gelehrt. Denn die Muttersprache des Volkes blieb das sogenannte Volksgriechisch. Und dieses Volksgriechisch wurde auch sehr bald zur einzigen Sprache der neugriechischen Lyrik und Prosa. Denn das Produkt der Kompetenten erwies sich für den künstlerischen Ausdruck als unbrauchbar. Es ist so wahr wie unbegreiflich, dass ein Volk 150 Jahre lang nicht in der Lage ist, sein Sprachproblem zu bereinigen. Dass eine künstliche Reinsprache, spröde und ungestaltbar, den Platz für die natürliche Sprache der Nation versperrt, auch wenn alle Dichter und Intellektuellen sich dieser natürlichen Sprache bedienen, mehrfach ihre Brauchbarkeit auf allen Gebieten von Kultur und Wissenschaft bewiesen haben und öffentlich für diese Volkssprache eintreten. Dieses Sprachproblem hat in der Vergangenheit manche Auseinandersetzung herausgefordert, hat Energien verbraucht, die anderswo ergiebig hätten eingesetzt werden können und verbraucht noch heute die Energien aller Primar- und Mittelschüler, die viel zu viel Schulzeit mit dem Erlernen von drei Muttersprachen (es kommt im Gymnasium das klassische Altgriechisch hinzu) vergeuden, und so den Anschluss an die Gegenwartsprobleme von Generation zu Generation immer wieder verpassen.

Und die Erziehungsreformen, die von liberalen Regierungen begonnen wurden, sind allein in den letzten 50 Jahren vier Mal von konservativen oder Diktaturregierungen rückgängig gemacht worden, so 1920, 1925, 1935 und zuletzt nach 1967, als die vorsichtig angelegte und weitsichtig geplante Erziehungsreform von Georgios Papandreou in blinder Wut mit dem königlichen Dekret "Notverordnung Nr. 129 über Organisation und Verwaltung der allgemeinen Bildung" zerstört, die obligatorische Schulpflicht von 9 auf 6 Jahre herabgesetzt und die Volkssprache, die zu einer Gleichberechtigung gelangt war, nur noch in den ersten 3 Primarschulklassen zugelassen wurde. Die neuen Schulbücher der Papandreou Reform, die von den namhaftesten Vertretern von Kultur und Wissenschaft verfasst worden waren, sind nach 1967 eingestampft und durch die alten ersetzt worden, bis nach und nach die Diktatoren ihre eigenen Lesebücher herausgaben in Stil und Aufmachung zum Verwechseln ähnlich den Produkten der faschistischen Diktaturen oder des sozialistischen Realismus."
(Quelle: Argyris Sfountiris, Literatur und Widerstand, Griechenland 1967 – 1974, PROPYLÄA Nr. 15, Sommer 1974)


Studiert Geschichte in Athen!
Wahlspruch des griechischen Staates: " Eλευθερία ή Θάνατος ", Elefthería í thánatos, "Freiheit oder Tod"

Der einfachste Weg, zu einer Aufenthaltsgenehmigung zu kommen, war eine Immatrikulation als Student an der Uni. Gesagt, getan. Aber woher kommt das Geld? Meine Eltern schickten mir einen bescheidenen Monatsbedarf an AMEXCO. Ich hob das Geld ab und schickte es im Umschlag nach Hause. Und der Geldkreislauf ging weiter. Es wurde zwar langsam weniger, aber ich konnte eine saubere Geldquelle nachweisen.

Natürlich habe ich auch Vorlesungen besucht. Bei Professor Daskalakis hörte ich "O ellenikos laos kata tis turkokratias" ("Das Volk der Griechen unter der Herrschaft der Türken") und über den Verfassungsentwurf des Rigas Fereos oder Rigas Velestinlis (*1757 in Velestino (Thessalien), † 1798 in Belgrad; von den Österreichern in Triest verhaftet, ausgeliefert und von den Türken als Separatist und Revolutionär hingerichtet).


Politik wird Geschichte – Geschichte wird Politik
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Griechen sind sehr geschichtsbewusst und patriotisch. Die vielen Kriege, Revolutionen und Umstürze haben bei Unterlegenen und Siegern Spuren hinterlassen, die bis heute weder vergessen noch verarbeitet sind. Auch der Nachbar im Osten hat zu seiner Geschichte noch kein objektives Verhältnis gefunden. Die Wortkämpfe im Internet - auch in deutscher Sprache! - erreichen oft homerische Ausmasse. Einen Ausgleich versucht:

«Historische Feindbilder in Griechenland und in der Türkei als Hindernis für eine griechisch-türkische Verständigung
Geschichte an sich ist ein sehr wichtiger Faktor für gute oder schlechte Beziehungen zwischen Nachbarländern, insbesondere zwischen der Türkei und Griechenland. Ein viel wichtigerer Faktor ist jedoch nicht die Geschichte selbst, sondern die Geschichtsschreibung, die je nach dem Land sehr unterschiedlich sein kann. Ein gutes Beispiel dafür sind die griechischen und türkischen Geschichtsschreibungen.»
(Assist. Prof. Dr. Mehmet Hacisalihoglu, Yildiz Teknik Üniversitesi, Istanbul / Ludwig-Maximilians-Universität, München)
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(Die folgenden Notizen erheben keinen Anspruch auf historische Exaktheit oder politische Korrektheit. So etwas ist in Griechenland nicht zu finden; auch ich bin parteiisch.)

Mein Aufenthalt in Griechenland (1961-1963) fiel in eine politische Endzeit. Worüber ich hier berichte, das habe ich miterlebt, als lebende Geschichte mitgefühlt oder später aus der Ferne mitgelitten.

1952 hatte mit General Papagos eine Periode der rechtsgerichteten Herrschaft begonnen, die erst mal bis 1963 dauerte. Der Einfluss der höfischen Kamarilla um Friederike, Königin (1947-1964), später (1964-1974) Königinmutter (†1981) erwies sich als unheilvoll.

Die Wunden der Diktatur Metaxas (1936-41), der Besatzungsgreuel (Distomo, Kalavryta usw.), der Partisanenkämpfe (1941-1944) und des Bürgerkrieges (1944-1949) waren noch nicht verheilt. Die unterlegenen Linken waren entweder tot, im Gefängnis, im Exil, im Untergrund oder in der legalen Linkspartei EDA. (Die kommunistische Partei KKE war 1936-1974 verboten.) Die siegreiche Rechte (auch mit ehemaligen Kollaborateuren) regierte, stand aber dem Militär, der Königinmutter und dem amerikanischen CIA zu wenig rechts.

Die Wahlen vom 29.10. 1961, verbunden mit einem riesigen Wahlschwindel, brachten den Sieg des rechtsgerichteten Politikers Karamanlis. (Polizisten und Soldaten stimmten mehrmals ab, bis zu 30mal. Auf den Wählerlisten fanden sich auch Verstorbene: "Sogar die Bäume haben gewählt.") Der Sozialist Papandreou startet den "a???d?t?? a???a? " ("unnachgiebiger Kampf"), der 1963 und 1964 zum Wahlsieg führte. 1965 wurde aber Papandreou von König Konstantin II. trotz Parlamentsmehrheit entlassen. Am 21. April 1967 übernahmen die Obristen die Macht.

Ich nahm an Demonstrationen um Artikel 114 der Verfassung teil, der diese unter den Schutz aller Griechen stellt – und nicht unter den Schutz der Überregierung: "Artikel 114. Die Einhaltung dieser Verfassung wird dem Patriotismus der Griechen anvertraut."
"e?at??-d??a-t?sse?a - ekaton-deka-tessera" war der Schlachtruf. Ich besitze Fotos, die auf den Schultern der Demonstranten aufgenommen worden sind, und die eine lange schwarze Reihe von Polizisten mit Helm, Schild und Schlagstock zeigen.

114
114

"114" war eine unanständige Zahl...
(Quelle: prooptiki, Juli/August 1962)

Die Ermordung des ehemaligen Spitzensportlers, pazifistischen Demokraten, Parlamentariers der Linken, Universitätsprofessors und angesehenen Arztes Grigoris Lambrakis* am 22. Mai 1963 brachte das herrschende System ans Licht, das seitdem in Griechenland "Überregierung“ genannt wird und von Geheimdienst, amerikanischen Dienststellen und sogenannten "Beratern“ bestimmt war. Der Sturz von Ministerpräsident Karamanlis 20 Tage nach den Ereignissen in Thessaloniki beendete diese "Überregierung“ nicht, sondern führte – nach einem von Georgios Papandreou eingeleiteten Demokratisierungsprozess – zum (vom CIA unterstützten) Putsch der "Obristen“ am 21. April 1967 und zur blutigen Diktatur.


"Dieses Buch ist ein Erinnerungsbuch, jenem Griechenland zum Gedenken, das vor dem Staatsstreich der Obersten war. Die meisten der hier gesammelten Skizzen sind in den Jahren 1964 und 1965 entstanden. Damals war das Land von einem verheissungsvollen geistigen Aufbruch geprägt. Die Notstandsmassnahmen, die seit dem Bürgerkrieg (1946 bis 1949) in Kraft waren, wurden abgebaut. Eine dringliche Schulreform wurde eingeleitet. Die Hoffnung auf einen Ausbau der Demokratie stieg. Die Begeisterung für eine bessere Zukunft fand in einer wahren Gesprächs und Diskussionsorgie Ausdruck. Die Reformen, die aus Hellas ein entwickeltes Land zu machen suchten, kamen jedoch nicht über Ansätze hinaus. Die Hüter der hergebrachten Ordnung hatten die Bewegung, die entstanden war, als Gefahr betrachtet. Sie schlugen zurück: zunächst mit dem «königlichen Staatsstreich» vom 15. Juli 1965: König Konstantin entliess den Ministerpräsidenten Georgios Papandreou, dessen Zentrumsunion bei den Wahlen vom 16. Februar 1964 53% der Stimmen erhalten hatte und hierauf mit dem selbst für den Hof und die royalistische Generalität unerwarteten Putsch der Obersten vom 21. April 1967. Der Geheimdienstexperte Papadopoulos und der Panzerexperte Pattakos hoben die bürgerlichen Freiheiten auf und gaben dem westlichen Europa eine neue Diktatur mit Pressezensur, militärischen Sondergerichten, Konzentrationslagern und vollen Gefängnissen. Griechenland, wo bisher das Reden fast gleichbedeutend mit Leben war, wurde zu einer Stätte der Stille. Das ist die neue griechische Art des Widerstandes. In der Erinnerung lebt das redselige Hellas. Die Erinnerung liefert den Faden für Zukunftsgedanken. Durch die Diktatur ist das freie Griechenland ein unbekanntes Land geworden. Ihm sind diese Skizzen gewidmet."
(Paul L. Walser, Mit der Akropolis im Rücken, Atlantis-Verlag, 1969)
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* Vassilis Vassilikos "Z"
Der Titel des Romans, "Z“ ( ζει, gesprochen "Si" mit stimmhaftem "S") steht für "er lebt“ und bezieht sich auf den griechischen Parlamentsabgeordneten Grigoris Lambrakis. Er war Spitzensportler, ein pazifistischer Demokrat, Leiter der griechischen Friedensbewegung, Universitätsprofessor und ein angesehenen Arzt. Da er als Abgeordneter nicht verhaftet werden durfte, konnte er als Einziger bei Demonstrationen (so bei einem Ostermarsch) marschieren; die Polizei knüppelte alle gewöhnlichen Demonstranten zurück.
Am Abend des 22. Mai 1963 in Thessaloniki wurde er mit einem dreiräderigen Kleintransporter im von der Polizei abgesperrten Gebiet angefahren. (Ein Karikaturist verlangte für Dreiräder als gefährliche Waffe einen Waffenschein. Schwarzer Humor!)

Nach Tagen im Koma, während dem wir um sein Leben zitterten, verstarb er.

"Der abscheulichste politische Mord, der Griechenland erschütterte und noch erschüttert“ lautete der Untertitel des Politthrillers in der Athener Zeitschrift "Tachydromos“, die im Herbst 1966 den ersten Teil des Buches in sechs Fortsetzungen als Vorabdruck brachte. Politischer Hintergrund ist das polizeistaatliche Regime von Ministerpräsident Karamanlis. Mikis Theodorakis gründete zu Ehren seines Mitkämpfers die "Demokratische Jugend Lambrakis", für die er sich ins Parlament wählen liess.
Im Jahr 1969 wurde der Roman "Z" als französisch-algerische Koproduktion verfilmt. Im Vorspann des Films heisst es: "Übereinstimmung mit Personen und wahren Ereignissen ist gewollt.“ Die Musik stammt von Mikis Theodorakis. Hauptdarsteller sind u. a. Yves Montand und Jean-Louis Trintignant. (Ich habe es bis jetzt noch nicht übers Herz gebracht, den Film anzusehen; zu Nahe gingen mir damals die Ereignisse.)

Mikis Theodorakis, * 1925 auf der Insel Chios; Komponist, Schriftsteller und Politiker. Sein Vater stammte aus Kreta, seine Mutter aus Kleinasien.
Zuerst komponierte er klassische Musik, entdeckte dann die Volksmusik und komponierte später auch politische Lieder.

Während der Besatzung Griechenlands durch die deutschen, italienischen und bulgarischen Truppen im Zweiten Weltkrieg von 1941 bis 1944 schloss sich der junge Mikis dem Widerstand an.
Mit 18 Jahren wurde er erstmals gefoltert. Zu diesem Zeitpunkt kam er auch in Kontakt mit dem Marxismus und dem Kommunismus, die sein Weltbild entscheidend prägten, auch wenn er stets eine kritische Haltung zu sämtlichen Ideologien bezeugt hat.

Nach dem Rückzug der deutschen Wehrmacht wehrte sich Theodorakis gegen die (auch militärische) Einmischung durch die Briten (und später der USA) in Griechenland und schloss sich den Linken an. Im Dezember 1944 nahm er als Mitglied der Nationalen Befreiungsfront EAM an der Schlacht um Athen teil.
Als kommunistischer Regimegegner wurde Theodorakis im Juli 1947 während des Griechischen Bürgerkriegs verhaftet. Ende 1948 wurde er auf die Insel Makronissos in ein Vernichtungslager deportiert, in dem Tausende umkamen. Theodorakis war hier, weder zum ersten noch zum letzten Mal in seinem Leben, schweren Folterungen ausgesetzt und dem Tode nahe.
Als Mikis aus der Haft entlassen wurde, war er physisch am Ende. Erst nach längerem Aufenthalt auf Kreta erholte er sich von den Folgen der unmenschlichen Misshandlungen. Später konnte er in Athen und in Paris sein Musikstudium weiterführen und mit Auszeichnung abschliessen.

Nach der Ermordung seines Freundes Grigoris Lambrakis war Theodorakis 1964 bis 1967 Abgeordneter im griechischen Parlament als Vorsitzender der Lambrakis-Jugend, die er dem Mord an dem linken Oppositionspolitiker 1963 gegründet hatte.

Zur Zeit der Militärdiktatur ** war er von 1967 bis 1970 inhaftiert, wurde gefoltert und später ins Konzentrationslager Oropos überführt, wo die Tuberkulose ihn an den Rand des Todes brachte. Eine internationale Solidaritätsbewegung setzte sich für seine Freilassung ein.

Ab 1970 lebte er in Paris. Nach dem Ende der Militärdiktatur kehrte er 1974 nach Griechenland zurück.

Nach dem von Korruption und Skandalen belasteten Ende der Ära von Andreas Papandreou wurde Theodorakis für eine Erneuerung Griechenlands - eine "Katharsis" (Reinigung), wie er sagte - durch den konservativen Politiker Konstantinos Mitsotakis geworben. Er wurde als unabhängiger Linker zum Staatsminister ohne Geschäftsbereich ernannt. In dieser Eigenschaft setzte er sich von 1990 bis 1992 insbesondere für eine Erneuerung des Erziehungswesens und der Kultur ein. Seine Regierungsbeteiligung hat Theodorakis später als Irrtum bezeichnet.

2005 wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft in der Europäischen Linkspartei (Zusammenschluss von 15 europäischen Parteien [aus der EU, der Schweiz] aus dem linken und kommunistischen Spektrum verliehen.

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«Europa hatte keinen Che Guevera, es hatte Mikis Theodorakis, der später schreiben sollte: "Ich gehöre einer Generation an, die sich einem extremen Idealismus verschrieben hatte. Mein ganzes Leben war ein endloser Kampf zwischen dem Idealischen und dem Wirklichen, dem Alltäglichen und der Vision". Wir waren mit ihm. Wer nie vom Umsturz der Diktaturen geträumt hat, wird bekanntlich nie erwachsen.» (Roger Willemsen)
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** Das Regime der Obersten
Kurz vor den Wahlen putschte am 21. April 1967 eine Gruppe konservativer Offiziere ("Junta") unter Georgios Papadopoulos (Obristen-Putsch) und errichtete ein diktatorisches Regime mit Ausnahmezustand, Gleichschaltung der Presse, Massenverhaftungen und -deportationen (darunter Mikis Theodorakis) sowie Konzentrationslagern. "Wir wollen das Griechenland der christlichen Griechen retten" war der Slogan der Militärjunta. Sie verboten Männern das Tragen langer Haare; Mini-Röcke; Sophokles; Tolstoi; Euripides; das Gläserwerfen nach Trinksprüchen; Arbeitskämpfe bzw. Streiks; Aristophanes; Theodorakis*; Ionesco; Sartre; Albee; Pinter; Pressefreiheit; Soziologie; Beckett; Dostojewski; Pop-Musik; moderne Mathematik und den Buchstaben »Z«, der im Altgriechischen: "Er lebt!" bedeutet – und von den Lambrakis-Anhängern nach dem Mord immer wieder als Losung benutzt und an Wände gemalt wurde.
Das Zypernabenteuer (Putsch gegen Makarios, um Zypern mit Griechenland zu vereinigen; gefolgt vom Einmarsch der Türken) der Junta führte 1974 zum Zusammenbruch der Militärdiktatur und zur Rückkehr zur Demokratie unter Konstantin Karamanlis. (Zu meiner griechischen Zeit galt er als Haupt der konservativen Reaktion...)

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"Wir haben terroristische Verbrecher von der Amnestie ausgeschlossen. Für die Gefangenen auf Gyaros* stellt sich diese Frage einfach deshalb nicht, weil sie weder angeklagt noch überhaupt verurteilt sind. Bei ihnen handelt es sich um hartnäckige Kommunisten, die aus Gründen der vorbeugenden Sicherheit inhaftiert sind.“ (* nicht Guantanamo)
(Erklärung von Giorgios Papadopulos über Radio Luxemburg am 23. Januar 1968)
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Für das folgende Zitat aus einer bundesdeutschen Zeitschrift lehne ich jede Verantwortung ab!
«Der Militärputsch vom April 1967 führte zur Konsolidierung Griechenlands im militärpolitischen Sinne, d.h. eine drohende Gefährdung eines Teils der Südostflanke der NATO konnte abgewendet werden. Der Ruf der westeuropäischen Linken, vor allem der Jungsozialisten, nach moralischer Isolierung und Boykottierung der Militärjunta wurde von einsichtigen und weitblickenden Regierungsvertretern und Wirtschaftsmanagern im Westen nicht in die Tat umgesetzt. Das ökonomisch prosperierende Griechenland wird von Jahr zu Jahr für Investitionen ausländischen Kapitals stets anziehender.» (Wehrkunde)
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* ARMEEBEFEHL NR. 13
1.Wir haben beschlossen, und wir befehlen:
Wir verbieten für das ganze Land
a) die Wiedergabe oder das Spielen der Musik der Lieder des Komponisten Mikis Theodorakis, des ehemaligen Führers der aufgelösten kommunistischen Organisation „Demokratische Jugend Lambrakis", diese Musik ist u. a. als Bündnis mit dem Kommunismus zu betrachten;
b) alle Hymnen der kommunistischen Jugend, die aufgelöst ist nach dem § 8 vom 6. 5. 67 der Bekanntmachung, weil diese Hymnen politische Leidenschaft und Streit unter den Bürgern verursachen.
2. Die Bürger, die gegen diese Bekanntmachung handeln, sind sofort vor Sondergerichte zu stellen und werden dort nach dem § "Zustand der Belagerung" verurteilt.
Unterzeichnet von General Odysseus Angelis. Erlassen am 1. Juni 1967 unter dem Amtszeichen A/Ges.
(Zitiert nach "Poesiealbum Mikis Theodorakis", Verlag Neues Leben, Berlin 1967, Druck Völkerfreundschaft Dresden)


***Ein Lied für Argyris
2006, Dokumentarfilm, Schweizerdeutsch, Hochdeutsch, Griechisch, enthält ein Interview mit Theodorakis; Drehbuch, Regie und Produktion: Stefan Haupt
http://www.fontanafilm.ch/DOKFILME/argyris/

"Wir kommen aus einem dunklen Abgrund;
wir enden in einen dunklen Abgrund;
den hellen Raum zwischen den beiden heissen wir Leben."
(Aus «Askese» von Nikos Kazantzakis)

Distomo
Ein kleines Bauerndorf an der Strasse von Athen nach Delphi. Hier überlebt der kleine Argyris Sfountouris, noch keine vier Jahre alt, am 10. Juni 1944 ein brutales Massaker der deutschen Besatzungsmacht: Eine so genannte «Sühnemassnahme» einer SS-Division als Reaktion auf einen Partisanenangriff in der Gegend. Innert weniger als zwei Stunden werden 218 Dorfbewohner umgebracht – Frauen, Männer, Greise, Kleinkinder und Säuglinge. Argyris verliert seine Eltern und 30 weitere Familienangehörige.

Mehrere Jahre verbringt der Knabe in Waisenhäusern rund um Athen, unter Tausenden von Kriegskindern. Da taucht eines Tages eine Delegation des Roten Kreuzes auf und sucht eine Handvoll Kinder aus für eine weite Reise in ein fernes Land. Argyris will unbedingt mitgehen. Und so kommt er in die Schweiz, ins Kinderdorf Pestalozzi nach Trogen. (Ich war später in derSchule als Stellvertreter tätig)

Zürich
Jahre später doktoriert er an der ETH Zürich in Mathematik und Astrophysik. Bald schon unterrichtet er an Zürcher Gymnasien, beginnt griechische Dichter ins Deutsche zu übersetzen und arbeitet später mehrere Jahre, auch mit dem Schweizerischen Katastrophenhilfekorps, als Entwicklungshelfer in Somalia, Nepal und Indonesien.

Als junger Physiklehrer beginnt Argyris, Gedichte und Essays zu schreiben. Längst denkt, spricht und schreibt er in Deutsch – was ihm bei Besuchen in seinem Heimatdorf den stummen Vorwurf einträgt, ein Verräter zu sein … Und er beginnt damit, die Dichter und Schriftsteller seiner Heimat (Kazantzakis, Kavafis, Seferis, Ritsos und viele andere) in die deutsche Sprache zu übertragen. Seine Übersetzungen, Buchrezensionen und Nachrufe erscheinen mit grosser Regelmässigkeit in der NZZ, im «du», im Tages Anzeiger und in weiteren Zeitschriften.

Die Militärdiktatur
Dann, 1967, putschen die Obristen in Griechenland. Eine brutale Militärjunta in Griechenland etabliert sich. Über 100’000 Landsleute – politisch Andersdenkende, Intellektuelle, Schriftsteller, Musiker wie beispielsweise Mikis Theodorakis, Kommunisten – werden in den folgenden sieben Jahren verfolgt, auf einsame Gefängnisinseln verschifft, inhaftiert, gefoltert. Zusammen mit Zürcher Studenten und Politikern organisiert Argyris bereits einen Monat nach der Machtübernahme eine Kundgebung «Gegen die Diktatur in Griechenland», an welcher auch Max Frisch und August E. Hohler sprechen. Er gibt in Zürich die Kulturzeitschrift «Propyläa» heraus, in der er neue Dichtungen und Werke publiziert, die in Griechenland verboten sind.

Er sieht darin seine Möglichkeit, für die Wiederherstellung der Demokratie in der Heimat zu kämpfen; 1970 erhält er dafür eine Ehrengabe des Zürcher Regierungsrates. Nur dank der telefonischen Warnung eines Cousins sagt er eine geplante Reise nach Athen in letzter Minute ab, – auch er wäre sonst den Säuberungsaktionen der Militärs zum Opfer gefallen. Denn in Griechenland steht er längst auf der schwarzen Liste. Sein Pass wird ihm deshalb auf dem griechischen Konsulat in Zürich nicht mehr erneuert. Und einen Schweizer Pass besitzt er nicht, denn für die Abgänger des Kinderdorfes ist vorgesehen, dass sie wieder in ihre Heimat zurückkehren. Fortan sind ihm alle Reisen untersagt; die Schweiz, sein Gastland, ist ihm zum Exil geworden. Und so stellt er einen Einbürgerungsantrag, dem erst 52 Monate später stattgegeben wird – auch hierzulande ist der junge Mann mittlerweile fichiert …

Argyris Sfountouris, heute 66 Jahre alt, ein Mann von gewinnendem Charme und melancholischer Heiterkeit, hat sich Zeit seines Lebens mit dem Wahnsinn auseinandergesetzt, der ihm als Kind widerfahren ist. In einer «Tagung für den Frieden» beispielsweise hat er über Wege sinniert, wie aus diesem Teufelskreis der Gewalt ausgebrochen werden könnte. Er hat versucht, nicht etwa innerlich damit «fertig» zu werden, mit seinem Kindheitserlebnis «abzuschliessen», sondern viel eher damit leben zu lernen und nach aussen etwas zu bewirken.

Wiedervereinigung – Wiedergutmachung?
1990, zurück in Europa, ist unterdessen die Berliner Mauer gefallen. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands ist eine neue, hochbrisante rechtliche Situation eingetreten. Denn erstmals, fast 50 Jahre nach Kriegsende, könnte es möglich werden, Entschädigung für das im Krieg erlittene Leid einzufordern

Da er um die Brisanz des deutschen Wiedervereinigungsvertrages weiss, besucht er die deutsche Botschaft in Athen. Jetzt fragt er an, wie er seinen Anspruch auf Entschädigung von Kriegsfolgeschäden stellen kann. Als Antwort erhält er im Januar 1995 einen Brief der Botschaft, in dem es wörtlich heisst, das Massaker sei als eine «Massnahme im Rahmen der Kriegsführung» zu werten, und somit bestehe kein Anspruch auf Entschädigung. Dass die Tragweite des Massakers 50 Jahre später immer noch nicht in vollem Ausmasse anerkannt, sondern im Gegenteil heruntergespielt wird, verletzt ihn tief. Kurz entschlossen reicht Argyris zusammen mit seinen drei Schwestern in Deutschland Klage ein. Parallel wird auch in Griechenland selbst eine Sammelklage von 290 Betroffenen, Angehörigen und Nachfahren aus Distomo eingereicht.

Für Deutschland ist die Thematik äussert «delikat». Sollte Argyris’ Klage oder die Sammelklage aus Distomo am Ende doch Erfolg haben, hätte dies einen entschädigungspolitischen Dammbruch zur Folge mit der Konsequenz, dass sich die Bundesrepublik immensen internationalen Forderungen stellen müsste, die sie bisher über Jahrzehnte hinweg abwehren und aufschieben konnte.

In den folgenden Jahren weisen sowohl das Landesgericht Bonn, das Oberlandesgericht Köln und der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Klage ab, paradoxerweise mit teils sich widersprechenden Begründungen: Individuen könnten gar keine Ansprüche stellen, jedenfalls keine, die sie selber gegen den deutschen Staat richten können. – Doch, Individuen könnten zwar an und für sich Ansprüche im Falle von Kriegsverbrechen geltend machen, aber im vorliegenden Fall gelte das Gesetz von 1944, und da wiederum sei eine solche Klage nicht vorgesehen … Eine Verfassungsbeschwerde geht 2003 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Im März 2006 der Entscheid: er ist negativ.

Im Juni 2006 wird, als allerletztes juristisches Mittel, eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg eingereicht. Die Antwort aus Strassburg steht noch aus.
Vergleiche: AK-Distomo


Ich hab' Tränen in den Augen

Zurück zu meinen direkten Erlebnissen: Ein Vierteljahrhundert später kam ich für einen Kongress über Alkohol und Drogen wieder nach Athen. Dort traf ich meinen Wohnungsgenossen Jeff Levett, der inzwischen Dozent an der Uni Athen geworden war und mich schon auf der Teilnehmerliste entdeckt hatte.
Tränen in den Augen hatte ich weder aus Wiedersehensfreude, noch vom Alkohol oder vom Kaffeepreis im Kongresslokal (kostete gleichviel wie ein Essen in der Stadt!) Nein, Tränen in den Augen hatte ich vom Smog ("nephos"), der schon im Mai über der Stadt lag. Mein erstes Smogerlebnis! Athen war in diesem Vierteljahrhundert zu einer Metropole angewachsen, die Zahl der Autos – ohne Abgasfilter – hatte sich vervielfacht. In der Schneise, die Athen hätte entlüften können, standen Hochhäuser.
Am Syntagmaplatz gab es ein sehr vornehmes Café, das für ein Rendezvous vor aller Öffentlichkeit eignete - sehen und gesehen werden. Nun gab es neben dem vornehmen Tischen auch solche von McDonalds. Der Kellner für die vornehmen Tische kam mit Staubwischen auf der Terrasse kaum nach.
Nur am Sonntag, wenn viele Industriebetriebe still gelegt waren, konnte man wenigstens von der Akropolis Piräus und das Meer sehen. Was haben die mit meinem Athen gemacht? – Zum Heulen.

Wenn ich nun mit meinem Griechisch Kontakte zu Einheimischen aufnahm, wurde ich oft gefragt, wann ich nach Amerika ausgewandert sei. Amerika? Ich? Griechen, die aus Amerika ihre Verwandten in der Heimat besuchen, sprechen nämlich gerne ein gebrochenes Griechisch, damit sie dann mit ihrer Karriere vom Tellerwäscher zum Tausendsassa (1000.-) prahlen können. Gebrochen zu sprechen machte mir keine Mühe. Ich konnte damit prahlen, dass ich anfangs 60er Jahre in Athen gewohnt hätte und seither nie mehr. (Dass ich vorher 4 ½ Jahre Altgriechisch gelernt hatte, verschwieg ich wohlweislich; ich bin ja bescheiden.)

Sehe ich eigentlich so aus, als wüsste ich Bescheid? Werde ich daher oft um Auskunft gebeten? So wollte an einem frühen Morgen ein Lastwagenchauffeur in Sao Paolo von mir wissen... Aber halt, wir sind ja in Athen. Im Hauptpostamt fragte mich einmal ein Mütterchen, ob ich ihr beim Adresse Schreiben helfen könnte. "Wo wohnt denn ihre Tochter?" "In Mitilini." Kein Wunder, dass sie Mühe hatte: Mitilini, die Hauptstadt von Lesbos, schreibt sich Μυτιλήνη und die Bewohner sind nicht die Lesben und Lesber, sondern die Leswioten (das altgriechische "b" (ß, Beta) wird neugriechisch "w" ausgesprochen) oder die Mytilinier.

Aber wen traf ich unvermutet auf einen Platz im Zentrum Athen? Meinen Coiffeur aus Ecublens, der nach Athen zurückgekehrt war und in einem Vorort einen eigenen Salon errichtet hatte. Ist die Welt doch klein!

Griechische Sagen sind wahr!

Die Sagen der alten Griechen sind nicht erfunden; sie berichten die Wahrheit, nur erklären sie diese anders.

Eos, die Göttin der Morgenröte, verliebt sich in den jungen Tithonos, erbittet für ihn Unsterblichkeit, was ihr die Götter gewähren. So lebt Tithonos bis heute, trocknet aus, schrumpft zusammen, bis vom ihm nur noch die Stimme übrig bleibt. Man hört ihn zirpen, sieht ihn aber nicht mehr. Er ist die Zikade geworden. Eos hatte vergessen, auch ewige Jugend für ihn zu erbitten.

Pan ist der Gott des Waldes und der Natur. Pan ist ein lüsternes Mischwesen mit Bocksbeinen, oft mit Bockskopf und Hörnern. Die Mittagsstunde ist ihm heilig und er kann sehr ungehalten werden, wenn man ihn zu dieser Zeit stört. Er jagt dann z.B. ruhende Herdentiere durch den "panischen Schrecken" zu jäher Massenflucht auf. Alle Tiere und Menschen geraten in Panik.

Und so sehen wir ungläubigen Wissenschaftsgläubigen die Welt:
Ich sitze unter Schatten spendenden Bäumen und geniesse die Mittagsruhe. Draussen gleisst die Sonne. Die Luft steht still, es rührt kein Hauch. Nichts bewegt sich. Nur die unsichtbare Zikade zirpt. Plötzlich fliegt ein Schatten vorbei. Ein Vogel? Gefahr! Von oben! Gefahrensignale ertönen. Alles piepst, kräht, schreit, rennt in panischem Schrecken herum und sucht Schutz. Wer hat Pan in seiner Ruhe gestört?


1968: Paris statt Athen – später doch noch Athen

Im Mai 1968 wollte ich mit meiner Frau Athen heimsuchen. Wir buchten einen Aufenthalt und eine Rundreise. Kurze Zeit vor dem Abflug erhielten wir die Meldung, mangels Teilnehmer werde die Reise nicht durchgeführt. Damals herrschte in Griechenland nach dem "Obristenputsch" die Militärjunta unter Papadopoulos. Die Welt empörte sich – mit Recht – und boykottierte Griechenland – zu Unrecht? Unter dem Boykott litten die kleinen Leute, die auf Touristen angewiesen waren. Es litten darunter auch meine Freunde und andere Griechen, die Kontakte über die Grenzen, über das "Griechenland der christlichen Griechen" (so die Junta) hinaus suchten.

(Wir suchten daher ein anderes Reiseziel: Paris! ich besitze die Karte noch, die wir ins Büro schickten: "Wir reisen in eine Stadt ohne politische Probleme." Was dann im Mai 1968 in Paris passierte, steht auf einem anderen Blatt. Wir kamen am letzten Tag vor dem Generalstreik und den Strassenschlachten an...)

Die Reise haben wir nachgeholt: In Schwarzach-St.Veith sind wir aus dem Zug Zürich-Wien in den Nachtzug München-Athen eingestiegen. "Si soans di letzten Gäst", meinte der Schlafwagenschaffner und dann ging 's los durch das damals noch nicht Ex-Jugoslawien. Nach den 48 Stunden fahrplanmässiger Reise und mit den üblichen acht Stunden Verspätung in Athen angekommen, suchten wir ein Zimmer. "Wollen Sie ein Zimmer oder ein Bett auf dem Dach?" Wir nahmen das Zimmer.

Wir buchten dann eine Rundreise "nichts einbegriffen" durch den Peloponnes. Also "nichts" ist untertrieben: inbegriffen waren Bus mit Chauffeur und Reiseleiterin sowie ein Hotelzimmer. Vor jedem Museum fragte die Reiseleiterin: "Wer will ins Museum?" Die andern blieben draussen unter dem Baum bei einem Kaffee. Am ersten Abend kam die Reiseleiterin etwas verlegen zu uns: "Es tut mir leid, aber hier in Griechenland kann ich nur richtig verheirateten Paaren ein Doppelzimmer zuteilen." Es ging auch so.

Uns schlossen sich zwei holländische Studentinnen an, die sahen, dass wir der einheimischen Sprache mächtig waren und mit dem Geld sorgfältiger umgingen als die dollarschweren Amerikaner. In Olympia suchten wir ein Restaurant am Rande des Dorfes. Das Dorf hörte auf – keine Wirtschaft! In der Ferne sahen wir eine grosse Platane, die voller Lampen hing und weithin leuchtete. Darunter standen viele Tische mit weissen Tischtüchern, zum Essen bereit. "Wir erwarten eine Gesellschaft, alles reserviert!" In gutem Griechisch (lohnt sich in Gaststätten, dann ist man der Guide, der Kunden bringt, und erhält ein grösseres Stück Fleisch und zwei Desserts) lud ich mich in die Küche ein (in Griechenland damals üblich) und fand, dass für uns vier noch genügend Resten da waren. Abgemacht und wir assen und tranken, bis nichts mehr hinuntermochte. Der Kellner brachte mir die Rechnung. (Es ist üblich, dass einer für die ganze Parea bezahlt; das Aufknüblen der Rechnung für jeden Gast heisst "à la Germanika" und wird als deutsche Unsitte betrachtet.) "100 Drachmen" sagte ich. Die Holländerinnen: "Ach, soviel sollte es im Restaurant beim Hotel auch kosten, hatte der Guide gesagt. Aber schöner, mehr und besser als hier wäre es dort auch nicht. " - "Die 100 sind für alle vier zusammen, nicht für jeden einzelnen." Und damit war der Abend gerettet.

Auf derselben Reise trafen wir in Delphi eine Bekannte aus Bern, die sich über das schlechte Essen auf ihrer Reise beklagte. Meine Frau konnte das gar nicht verstehen; aber wir hatten unser Essen immer genau ausgelesen. Sie durfte immer zuerst probieren und wenn es gut war, kam es auf die Positivliste. Sie kann heute noch das Zmorgen bestellen: "Ena Jaurti me Sachari ke Psomi ke ena Bukali Gala." "Ke" wird griechisch "και" geschrieben und heisst "und"; auf Esperanto heisst "kaj" auch "und" und wird "kai" gesprochen.

Und wie steht 's mit dem Alkohol? Kein Problem. Griechenland hatte gutes Trinkwasser und ein gutes Orangina – und heute überall dieses braune US-Gesöff. Als Gast wird einem zur Begrüssung entweder Vanilla angeboten - das ist so eine weisse Masse (Mastix). In einem Glas eiskaltes Wasser wird ein schön gehäufter Teelöffel dieser weissen klebrigen Masse versenkt. Es löst sich langsam auf, schmeckt sehr süss, Kinder lieben es den Löffel abzulutschen. Und weil der Löffel ja versenkt wird, nennen die Kinder das Getränk auch Ipobrichio, das Unterseeboot - oder ein Glas des berühmten Ouzos. Da sagte ich immer: "Ich hätte lieber einen guten griechischen Kaffee – vari ke gliko, schwer und süss." "Was, Sie als Ausländer lieben unseren Kaffee." ("Türkischen" zu verlangen ist ein Kapitalverbrechen.)

Musters fahren nach Griechenland!

Jahre später wiederholten wir die Reise mit unseren erwachsenen Söhnen. Es war die letzte vierköpfige Familienreise und die letzte auf Papas Kosten. "Eine Rundreise mit der ganzen Familie? Wann soll ich da fotografieren?", meinte Daniel. "Dann reisen wir zwei eine Woche früher und ich warte, bis du fertig fotografiert hast." Gesagt, getan. (Der Rest der Familie hatte Pech mit dem Overbooking und so mussten sie in der Businessklasse fliegen. Es hat ihnen sehr gefallen.)

Daniel und ich bezogen zuerst unser Quartier in der Plaka im Hotel "Plaka". Vom Bett aus war die Akropolis zu sehen. Nach dem Eingewöhnen zogen wir in die Umgebung. z. B. ins Kloster Kaisariani am Hymettos, einem der Ränder des Athener Beckens. Wie wir zu Fuss ankamen, fuhren gerade die letzten Besucher weg. Der Touristenführer war so glücklich, zwei Ausländer mit Fotoapparat und Griechischkenntnissen betreuen zu können, dass er uns kaum losliess. Er zeigte uns u. a. ganz junge Skorpiönchen und frische Akanthus-Blätter, die er neben die Reste einer korinthischen Säule hielt.

Noch länger dauerte der Aufenthalt in Korinth. Nach der Anfahrt mit der Schmalspurbahn stiegen wir auf die Zahnradbahn Kalavryta um. Beeindruckt hat uns der Personaleinsatz: mehr Personal als Fahrgäste! Wir benutzen die beiden Plätze 1. Klasse neben dem Wagenführer. Erfreut darüber, des Griechischen kundige Fotografen zu fahren, hier er mitten auf eine Brücke still, damit wir den Wasserfall fotografieren konnten...

In Dorf Kalavryta hatten am 13. Dezember 1943 deutsche Soldaten in 477 Männer auf einem in der Nähe gelegenen Feld im Rahmen der Vergeltungsaktion "Unternehmen Kalavryta" umgebracht. Griechische Partisanen hatten deutsche Geiseln umgebracht; die Deutschen waren wahrscheinlich an einem Austausch nicht interessiert. Das Dorf wurde niedergebrannt. Frauen und Kinder entkamen aus der brennenden Schule, da ein österreichischer Soldat die Hintertüre einschlug.

Kalavryta ist heute ein Wintersportort. Wir sahen offene Sportgeschäfte und ein Auto mit Skiern, aber weit und breit keinen Schnee mehr. Wir nahmen Zimmer in einem ziemlich teuren Sporthotel, bevor wir die Gegend erkundeten. Wir waren die ersten Touristen in diesem Jahr und wir sahen es den Frauen vor den kleinen Häusern an, dass sie mit uns reden wollten. "Wenn wir nur ausländisch könnten!" Eine Frau begrüsste ich mit einem freundlichen griechischen Gruss. Da ging es los: "Woher? Familie? Wohin? usw." Von weiter oben sahen wir dann die neidischen Nachbarinnen zum Häuschen der glücklichen Frau eilen. "Kannst du ausländisch? Wer sind die? Was haben sie gesagt?"

In Korinth selber fanden wir eine günstigere Unterkunft. Daniel meinte, die Nacht oben und die hier zusammengezählt und durch zwei, das gäbe einen guten Durchschnitt. Im ersten Hotel stiegen wir nicht ab, denn im Führer stand, es sei ein "house of ill repute", also ein Freudenhaus [veraltet: Bordell]. Das zweite Hotel war ein ehemaliges Palace, aber etwas heruntergekommen. "Ist das ein Hotel?", fragte ich vorsichtig am Eingang. "Ja." In der Etage sass eine Wächterin, wie ich es aus Moskau in Erinnerung hatte. Oder hatte doch dort jemand seine Grosmutter vergessen, wie Daniel meinte. Andere Gäste sahen wir nicht. So ein Zimmer haben Sie noch gesehen; aber sauber war es. Am Morgen griff der Rezeptionist zum Telefonhörer und sagte kurz: "Fygane – sie sind weg." ???

Wir haben den Kanal von Korinth gemacht – zu Fuss am oberen Rand. Wie ich sah, wie Daniel sich an den Kanalrand robbte, dachte ich: "Gott sei Dank ist Ruth nicht da. Die kriegte einen Herzinfarkt." Mir klopfte nur das Herz etwas schneller.

Am Meeresstrand unten fotografierte Daniel Schiffruinen und Schwemmgüter, stundenlang sah ich zu. Kein Mensch weit und breit! Hinten an der Orangenplantage fing uns ein Farmer ab und führte uns zu seinem Garten. Er war Matrose gewesen und frischte an uns sein Englisch aus. Zum Dank füllte er uns alle Taschen und Säcke mit baumfrischen Orangen.

Ein wichtiger Ort in meinem Leben nicht nur in Griechenland ist das Peripteron, der Kiosk. (Ein Peripteros ist ein allseits von Säulen umgebener Tempel, fast wie ein runder Kiosk.) Er bot eine Menge Waren an und war eine Art Supermarkt. Man konnte dort auch telefonieren. Die Periptera sahen alle aus wie Wachthäuschen vor den Kasernen, denn ursprünglich waren sie von der Armee ausgemusterten Soldaten abgegeben worden. Wenn ich an einem Kiosk meine Lieblingszeitung "To Vima" kaufen wollte, sagte man mir oft: "Its Greek." In Korinth fand ich nun wieder einmal meine liebsten Caramel mou.
Beim Bezahlen sah ich wie es im Gehirn des Verkäufers ratterte. "Was heisst nur 65 auf Englisch?" Er hatte sicher einmal Französisch gelernt, aber Franzosen gab es in Griechenland doch nicht mehr. Ich erlöste ihn: "Poso kani?" Sein Reaktion: "Aber du siehst wirklich wie ein Tourist aus." Klar, Sonnenbrand, Cowboyhut und Rucksack. Daniel kaufte eine griechische Fachzeitschrift für Fotografen und sollte auf Griechisch bezahlen. "Eigentlich nicht recht; mit dir will er Englisch reden und mit mir Griechisch."

Zur Abwechslung fuhren wir mit dem Bus statt mit der Ratterbahn nach Athen zurück. Mitten auf der EU-finanzierten Autobahn stieg ein Kontrolleur ein. An der nächsten Haltestelle stieg er aus, überquerte die Autobahn und wartete auf den nächsten Bus.

Ägina
Der Rest der Familie traf eine Woche später in Athen ein und nach der klassischen Rundfahrt durch den klassischen Peloponnes flohen wir der Athener Luft auf die Insel Ägina und pendelten wie viele Griechen nach Athen. Neben unseren zwei Bungalows wuchsen mannshohe Geranien. Schön waren auch die giftigen Prozessionsspinnerraupen, die sich von ihren Nestern auf den Weg machten... aber die gibt es 2007 auch im Park vor unserem Hause.

Den Weg nach Athen und zurück machten wir mit Tragflügelbooten russischer Herkunft. Abends kam immer noch eine Autofähre an. An einem Abend beobachteten wir einen Weltuntergang. Es stürmte, Lichter fackelten, die Passagiere rannten und drängten wie um ihr Leben auf das Schiff. Von einem Schiffuntergang haben wir nichts gehört.

Wir besuchten auch das auf einer Bergkuppe gelegene Heiligtum der Aphaia. Eigentlich sollte man von dort aus die Akropolis in Athen und den Neptuntempel am Kap Sounion sehen. Zuviel Smog! Den Berg hinunter gingen wir ältern Eltern auf dem direkten Weg; die Buben wollten ein paar Kurven machen. Treffpunkt: die Post. "Post haben wir keine, aber einen Briefkasten und der wird alle Tage geleert." Wie der geneigte Leser weiss, haben wir unsere Sprösslinge auch so gefunden...

Zum gleichen Thema:
Griechenland
und
Zypern

17.07.07 22:40:22


Nachtrag Winter 2008/2009

Ist Ihnen, lieber Leser, aufgefallen, dass in meinen Notizen zu den 60er Jahren ein Konstantin Karamanlis und ein Georgios Papandreou vorkommen? Heute heisst der Ministerpräsident Konstantin Karamanlis und der Führer der Opposition Georgios Papandreou. Natürlich sind "meine" Politiker längst verstorben, aber die Parteien bleiben im "Besitz" der Familien. Leute, die nicht zum herrschenden "Clan" gehören, haben keine Zukunft. Brannte deshalb Athen?

07.01.2009 15:59


http://www.edimuster.ch: Hier ist die Familie Muster in Ecublens VD - Eduard Muster: emuster@hotmail.com 01/02/09