Auch
mit den kulturellen Aspekten des 2. Weltkrieges befasst sich eine Spiegel-Serie
(Auszug):
Die Ur-Katastrophe
des 20. Jahrhunderts
Die Spiegelserie
über den 1. Weltkrieg und die Folgen ( Spiegel special 1/2004)
...Exemplarisch deutlich wird die Argumentationsnot der Deutschen in dem
"Aufruf an die Kulturwelt!", einem von 93 renommierten
deutschen Wissenschaftlern unterzeichneten Manifest an die "zivilisierte
Welt". Kein anderes Produkt deutscher Propaganda hat international
mehr Aufsehen erregt als dieses Manifest.
Heute ist bekannt, dass viele der Unterzeichner den vom Schriftsteller
Ludwig Fulda ersonnenen Aufruf nicht einmal genau gelesen, sondern blanko
unterschrieben hatten.
Das Ausland empfand die unverblümte Verteidigung des deutschen Militarismus
und das Abstreiten evidenter Tatsachen als Verhöhnung jeder Wahrhaftigkeit.
Französische, englische, auch amerikanische Universitäten erkannten
den Wissenschaftlern, die den Aufruf unterzeichnet hatten, Ehrendoktorwürden
oder Honorarprofessuren ab.
Wenn die deutsche Propaganda sich linkisch auf die "deutsche Kultur"
berief und trotzig die "Ideen von 1914" (Gemeinschaftssinn,
Ehrlichkeit, Opferbereitschaft) gegen die angeblich dekadente und lügnerische
westliche Zivilisation stellte, so bestärkte sie auch auf diese Weise
das Arsenal der alliierten Propaganda...
Jungdeutschland-Post
"Still und tief im deutschen
Herzen muss die Freude am Krieg und ein Sehnen nach ihm sein, nach ihm
leben. Weil wir der Feinde genug haben und der Sieg nur einem Volk gebührt,
das mit Sang und Klang zum Kriege wie zu einem Fest geht. Verlachen wir
also aus vollem Halse alte Weiber in Männerhosen, die den Krieg fürchten
und darum jammern, er sei grausig und hässlich. Nein, der Krieg ist
schön, seine hehre Grösse hebt das Menschenherz hoch über
Irdisches, Alltägliches hinaus. Auch unser warten noch solche Stunden.
Wir wollen ihnen entgegengehen mit dem männlichen Wissen, dass es
schöner, herrlicher ist, nach ihrem Verklingen auf der Heldentafel
in der Kirche ewig fortzuleben, als namenlos den Strohtod im Bett zu sterben."
(Jungdeutschland-Post - Wochenschrift für Deutschlands
Jugend, 25. Januar 1913); zitiert nach "Warum ich Nein sagte",
Josef Felder, rororo Sachbuch
An die Kulturwelt!
Ein Aufruf
Der nachstehende Aufruf
ging uns zur Veröffentlichung zu:
"Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst erheben
vor der ganzen Kulturwelt Protest gegen die Lügen...
Es ist nicht wahr, dass, Deutschland diesen Krieg
verschuldet hat ...
Es ist nicht wahr, dass wir freventlich die Neutralität
Belgiens verletzt haben. Nachweislich waren Frankreich und England
zu ihrer Verletzung entschlossen. Selbstvernichtung wäre es gewesen,
ihnen nicht zuvorzukommen ...
Es ist nicht wahr, dass unsere
Truppen brutal gegen Löwen (die belgische Stadt; U.R.) gewütet
haben. An einer rasenden Einwohnerschaft ... haben sie durch Beschiessung
eines Teils der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben müssen...
...Mit Selbstaufopferung haben es (das Rathaus von Löwen; U.R.) unsere
Soldaten vor den Flammen bewahrt. Sollten in diesem furchtbaren Kriege
Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so
würde es jeder Deutsche beklagen. Aber so wenig wie wir uns in der
Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden
lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage
zu erkaufen.
Es ist nicht wahr, dass unsere Kriegführung die Gesetze
des Völkerrechts missachtet... Sich als Verteidiger europäischer
Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich
mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel
bieten, Mongolen und Neger auf die weisse Rasse zu hetzen.
Es ist nicht wahr, dass der Kampf gegen unseren
sogenannten Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist ... Deutsches
Heer und deutsches Volk sind eins...
Glaubt uns! Glaubt uns, dass wir diesen Kampf zu Ende kämpfen
werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines
Beethovens, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle.
Dafür stehen wir."
(93 Unterzeichner - Berlin, 4. Oktober 1914)
(Die behaupteten
"Wahrheiten" waren unwahr; die "Lügen und Verleumdungen"
dagegen entsprachen alle der Wahrheit. webmaster)
Einer der Unterzeichner, Philipp Lenard, sieht den Krieg als Kampf zwischen
"deutscher Kultur" und "westlicher Zivilisation".
Einen kommentierten Auszug aus dem Aufruf finden Sie in Ossietzky.
Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft.
Hier finden Sie den Aufruf als Faksimilie: http://philoscience.unibe.ch/lehre/winter99/einstein/Aufruf_Kulturwelt.pdf
"Ein berühmt-berüchtigtes chauvinistisches Manifest deutscher
Professoren aus den ersten Kriegstagen."
(Universität
Bern, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte: Einführungskurs:
Methoden und Fragen der Wissenschaftsgeschichte am Beispiel Albert Einsteins)
Erklärung
der Hochschullehrer des Deutschen Reiches
"Wir Lehrer an Deutschlands
Universitäten und Hochschulen dienen der Wissenschaft und treiben
ein Werk des Friedens. Aber es erfüllt uns mit Entrüstung, dass
die Feinde Deutschlands, England an der Spitze, angeblich zu unsern Gunsten
einen Gegensatz machen wollen zwischen dem Geiste der deutschen Wissenschaft
und dem, was sie den preussichen Militarismus nennen. In dem deutschen
Heere ist kein anderer Geist als in dem deutschen Volke, denn beide sind
eins, und wir gehören auch dazu. Unser Heer pflegt auch die Wissenschaft
und dankt ihr nicht zum wenigsten seine Leistungen. Der Dienst im Heere
macht unsere Jugend tüchtig auch für alle Werke des Friedens,
auch für die Wissenschaft. Denn er erzieht sie zu selbstentsagender
Pflichttreue und verleiht ihr das Selbstbewusstsein und das Ehrgefühl
des wahrhaft freien Mannes, der sich willig dem Ganzen unterordnet. Dieser
Geist lebt nicht nur in Preussen, sondern ist derselbe in allen Landen
des Deutschen Reiches. Er ist der gleiche in Krieg und Frieden. Jetzt
steht unser Heer im Kampfe für Deutschlands Freiheit und damit für
alle Güter des Friedens und der Gesittung nicht nur in Deutschland.
Unser Glaube ist, dass für die ganze Kultur Europas das Heil
an dem Siege hängt, den der deutsche "Militarismus" erkämpfen
wird, die Manneszucht, die Treue, der Opfermut des einträchtigen
freien deutschen Volkes."
Berlin, den 23. Oktober 1914
Unterzeichnet von
mehr als 4000 Namen, beinahe dem gesamten Lehrkörper der 53 deutschen
Universitäten und Hochschulen
Kommentar: Physiker im "Krieg der Geister“
http://mzwtg.mwn.de/arbeitspapiere/Wolff_01.pdf
Als Faksimile bei
http://www.philoscience.unibe.ch/lehre/winter99/einstein/Erklaerung.pdf
"Eine Erklärung, die von mehr als 4000, d.h. fast allen deutschen
Hochschullehrern unterschrieben wurde."
Die
beiden obigen Erklärungen wurden in Deutschland publiziert und an
Universitäten und Hochschullehrer in ganz Europa verschickt. Auch
Auguste Forel in Yvorne wurde damit bedient.
Offener Brief an seine Exzellenz
Herrn Professor Dr. E. Haeckel, Jena
Sehr geehrter und lieber Herr
Kollege!
Sie haben mir soeben
Ihren Aufsatz über "Weltkrieg und Naturgeschichte" mit
einem Zirkular deutscher Universitäten vom September 1914, das an
die ausländischen Hochschulen gerichtet ist, eingesandt. Letzteres
Schriftstück protestiert mit grosser Entrüstung gegen das, was
es systematische Lügen und Verleumdungen nennt, die bereits schon
seit einigen Jahren gegen das deutsche Volk und das Deutsche Reich von
seinen Gegnern geführt und jetzt bedeutend übertrieben werden.
Er beschuldigt die fremden Länder, das deutsche Heer
als eine Horde von Barbaren und Mordbrennern hinzustellen, während
in Wirklichkeit es die "andern" seien, die den Krieg begonnen
hätten, und Deutschland nichts anderes täte, als seine eigene
Existenz und Kultur zu verteidigen: die andern hätten alles Unrecht
auf ihrer Seite.
Erlauben Sie mir als ohnmächtigem Beobachter in einem
kleinen neutralen Land inmitten des Unglücks, das unser armes Europa
trifft, Ihnen eine einfache Frage zu stellen: Wie können Sie die
Behauptungen des obgenannten Zirkulars mit demjenigen in Übereinstimmung
bringen, was Sie selbst in der Nummer des 13. November 1914 des "Monistischen
Jahrhunderts", Seite 657, unter dem Aufsatz des Dr. Otto Juliusburger:
"Europa unter deutscher Führung" geschrieben haben? Sie
sagen dort unter anderm, es sei für die Zukunft Deutschlands und
zugleich des verbündeten kontinentalen Europas höchst wünschenswert,
London zu besetzen, Belgien unter Deutschland und Holland zu teilen, Deutschland
den Kongostaat, einen grossen Teil der britischen Kolonien, die nordöstlichen
Provinzen Frankreichs und die baltischen Provinzen Russlands zu geben.
Sie fügen hinzu, Polen solle mit Österreich-Ungarn verbunden
werden.
Fügen wir hinzu, dass Ihre Kollegen Juliusburger, Ostwald
und andere das Präsidium der zukünftigen Vereinigten Staaten
Europas durch den Kaiser von Deutschland fordern und zudem Deutschland
die militärische Sicherung jenes Staatenbundes geben möchten.
Ihre Kollegen Professor Onken und Herr H. Peus behandeln ausserdem die
kleinen Staaten, die sie für Schmarotzer der grossen Staaten halten
und eher annektiert wissen möchten, mit grosser Verachtung. Endlich
hat Ihr anderer Kollege, Hofrat Vierordt in Karlsruhe, in der "Badischen
Landeszeitung" unter dem Titel "Deutschland hasse" ein
seltsames Gedicht veröffentlicht. Dort empfahl er dem deutschen Heere,
millionenweise seine Feinde zu töten und deren Ländereien in
eine Wüste umzuwandeln.
In Anbetracht dieser einfachen Tatsachen müssen Sie mir
zugeben, dass unsere kleinen Länder allen Grund haben, für die
Zukunft besorgt zu sein. Aber, nochmals gesagt, wie vereinbaren Sie Ihre
eigenen Behauptungen im "Monistischen Jahrhundert" mit dem Inhalt
des mir zugesandten Zirkulars? Sollen die ersteren Wirklichkeit werden,
dann müssen alle fremden Länder, die Sie der Verleumdung beschuldigen,
und selbst unsere kleine Schweiz gezwungen werden, bis zum letzten Blutstropfen
gegen Ihre hegemonistischen Pläne sich zu verteidigen. Ein alter
französischer Spruch sagt:
"Cet animal est bien méchant,
Quand on l'attaque, il se défend."*
Habe ich Sie schlecht verstanden, dann biete ich Ihnen von
vornherein meine vollständigen Entschuldigungen an, denn ich wünsche
nur eine Sache: Gerechtigkeit und Frieden auf der Erde.
Ihr ergebenster Kollege gez. Dr. A. Forel
*Dies
Tier ist bös und leicht beleidigt, weil's, angegriffen, sich verteidigt.
Dieser Brief an Haeckel wurde vielfach als Feindseligkeit gegen Deutschland
aufgefasst. und brachte Forel in Deutschland in den Ruf eines Deutschenhassers.
"Wahr ist, dass ich den deutschen Feudalismus, samt Militarismus und
Grössenwahn der Pangermanisten, aufs allerschärfste im Interesse
des mir lieben und achtungswerten deutschen Volkes verurteile." (Auguste
Forel, Rückblick auf mein Leben, S. 239 ff)
Aufruf
an die Europäer
Während Technik und Verkehr
uns offensichtlich zur faktischen Anerkennung internationaler Beziehungen
und damit zu einer allgemeinen Weltkultur drängen, hat noch nie ein
Krieg die kulturelle Gemeinschaftlichkeit des Zusammenarbeitens so intensiv
unterbrochen, wie der gegenwärtige. Vielleicht kommt es uns allerdings
auch nur deshalb so auffällig zum Bewusstsein, weil eben so zahlreiche
gemeinschaftliche Bande vorhanden waren, deren Unterbrechung wir schmerzlich
verspüren.
Darf uns also dieser Zustand auch nicht wundernehmen, so wären
doch diejenigen, denen jene gemeinsame Weltkultur auch nur im geringsten
am Herzen liegt, doppelt verpflichtet, für die Aufrechterhaltung dieser
Prinzipien zu kämpfen. Diejenigen aber, bei denen man solche Gesinnung
vermuten sollte - also vornehmlich Wissenschaftler und Künstler -,
haben bis jetzt fast ausschliesslich Dinge gesagt, die vermuten lassen,
als ob mit der Unterbrechung der tatsächlichen Beziehungen auch selbst
der Wunsch zu deren Fortsetzung geschwunden sei, sie haben aus einer erklärlichen
Kampfstimmung heraus gesprochen, zum mindesten zum Frieden geredet.
Solche Stimmung ist durch keine nationale Leidenschaft zu entschuldigen,
sie ist unwürdig dessen, was bisher alle Welt unter dem Namen der Kultur
verstanden hat, und sollte sie Allgemeingut der Gebildeten werden, so wäre
das ein Unglück.
Aber nicht nur ein Unglück für die Kultur, sondern - davon sind
wir fest überzeugt - ein Unglück dafür, wofür letzten
Endes all diese Barbarei entfesselt ist; nämlich für den nationalen
Bestand der einzelnen Staaten.
Die Welt ist durch die Technik kleiner geworden, die Staaten
der grossen Halbinsel Europa erscheinen heute einander so nahe gerückt,
wie in alter Zeit die Städte jeder einzelnen kleineren Mittelmeerhalbinsel,
und Europa - ja man könnte fast sagen die Welt - stellt bereits durch
die rnannigfaltigsten Beziehungen eine in den Bedürfnissen und Erlebnissen
jedes einzelnen begründete Einheit dar.
Da wäre es doch wohl Pflicht der gebildeten und wohlwollenden
Europäer, wenigstens den Versuch zu machen, um zu verhindern, dass
Europa infolge seiner mangelhaften Gesamtorganisation dasselbe tragische
Geschick erleidet, wie einst Griechenland. Soll auch Europa sich durch Bruderkrieg
allmählich erschöpfen und zugrunde gehen?
Denn der heute tobende Kampf wird kaum einen Sieger, sondern
wahrscheinlich nur Besiegte zurücklassen. Darum scheint es nicht nur
gut, sondern bitter nötig, dass gebildete Männer aller Staaten
ihren Einfluss dahin aufbieten, dass - wie auch der heute noch ungewisse
Ausgang des Krieges sein mag - die Bedingungen des Friedens nicht die Quelle
künftiger Kriege werden, dass vielmehr die Tatsache, dass durch diesen
Krieg alle europäischen Verhältnisse in einen gleichsam labilen
und plastischen Zustand geraten sind, dazu benutzt werde, um aus Europa
eine organische Einheit zu schaffen. Die technischen und intellektuellen
Bedingungen dafür sind gegeben.
In welcher Weise diese Ordnung Europas möglich ist, soll
hier nicht erörtert werden. Wir wollen nur grundsätzlich betonen,
dass wir fest davon überzeugt sind, dass die Zeit da ist, in der Europa
als Einheit auftreten muss, um seinen Boden, seine Bewohner und seine Kultur
zu schützen.
Wir glauben, dass dieser Wille latent in vielen vorhanden ist,
und wir wollen durch gemeinsames Aussprechen dieses Willens bewirken, dass
er eine Macht werde.
Zu diesem Zweck erscheint es vorerst notwendig, dass sich alle
diejenigen zusammentun, die ein Herz haben für die europäische
Kultur, die also das sind, was Goethe einmal vorahnend "gute Europäer"
genannt hat, denn man darf die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihr gesammeltes
Wort - auch unter dem Klange der Waffen - nicht ganz ungehört verhalle,
vor allem, wenn unter diesen "guten Europäern von morgen"
alle jene zu finden sind, die bei ihren gebildeten Standesgenossen Ansehen
und Autorität geniessen.
Aber es ist notwendig, dass die Europäer erst einmal zusammenkommen,
und wenn - was wir hoffen - sich genügend Europäer in Europa finden,
d. h. Menschen, denen Europa nicht nur ein geographischer Begriff, sondern
eine wichtige Herzenssache ist, so wollen wir versuchen, einen solchen Europäerbund
zusammenzurufen. - Der soll dann sprechen und entscheiden.
Wir selber wollen hierzu nur anregen und auffordern, und so
bitten wir Sie, falls Sie uns Gesinnungsgenosse und gleich uns entschlossen
sind, dem europäischen Willen einen rnöglichst weitreichenden
Widerhall zu verschaffen, Ihre Unterschrift zu senden.
Mitte Oktober 1914 - Verfasst von Georg Nicolai, Albert Einstein
und Wilhelm Förster (Förster war auch auf der Liste der
93); zur Unterzeichnung bereit war nur noch Otto Bueck.
Als Faksimile: http://philoscience.unibe.ch/lehre/winter99/einstein/Aufruf_Europaer.pdf
"Das Gegenmanifest von Einstein u.a., das aber mangels Unterschriften
nicht erschien."
(So ganz unaktuell ist dieser Text nicht..., meint der
webmaster)
"Die Ausnahmestellung Einsteins
zu derartigen chauvinistischen Ergüssen wird nicht dadurch geschmälert,
dass einige der Unterzeichner ihre Zustimmung telefonisch und ohne
Kenntnis des genauen Wortlauts gaben, wie Herneck behauptet, und später
wieder zurückgezogen haben. Denn innerhalb weniger Tage wurde ein Gegenmanifest
Aufruf an die Europäer in Umlauf gebracht, das die Unterschriften von
C.F. Nicolai, W. Förster (reumütiger Unterzeichner von "An
die Kulturwelt"), des Studenten O. Buek und von Albert Einstein trug.
Da sich keine weiteren Unterzeichner finden liessen, verzichteten die
Autoren Nicolai und Einstein auf eine Veröffentlichung. In ihrem Appell
forderten sie die Wissenschaftler Europas auf, sich mit ihrem ganzen Ansehen
für die rasche Beendigung des Völkermordes einzusetzen und im
Bewusstsein ihrer sittlichen Verantwortung dafür einzutreten,
dass der Krieg als Mittel der Politik aus dem Leben der Nationen verbannt
wird. Durch die stürmische Entwicklung der Technik und des Verkehrs
seien die Völker näher zusammengerückt; daher sollten sie
in Frieden nebeneinander leben und sich nicht gegenseitig aufreiben in barbarischen
Kriegen, die für alle Beteiligten nur Unheil brächten."
(Kommentar bei http://www.tu-harburg.de/rzt/rzt/it/einstein/node21.html
Einstein gegen den Miltarismus)
August Forel:
Das Elend Europas
Sehr traurig stimmte uns die
unbesonnene Parteinahme vieler Schweizer für die einen oder andern
der kriegführenden Mächte ... Es ist dies das klägliche
Zeichen eines durch zu grosse Leidenschaft auf Abwege geratenen Militärpatriotismus...
So schrieb ich am 1. Mai 1916 den ahnungsvollen Aufruf:
"Das Elend Europas wird täglich verzweifelter, aber der Hochmut
der Ehrgeiz der Regierenden, der Fürsten und der Feldherren, verbunden
mit den Schlichen ihrer unfähigen Diplomaten, zwingen leider die
unschuldigen und betrogenen Völker und Soldaten, zu verbluten und
zu verarmen, statt dass jene Herren durch Einkehr in sich selbst ihrem
verbrecherischen Treiben endlich ein Ende bereiten würden. Die Hetzereien
der Presse und ihre suggestive Einwirkung auf die Leidenschaften der Masse
besorgen das übrige. Ich glaube, dass bald nur noch eine internationale
sozialistische Revolution helfen kann und wünsche von ganzer Seele
eine solche. Ich glaube fast, ich würde mit meinem einen gesunden
Arm noch mitmachen, wenn ich könnte. Die Menschheit muss jene drei
Drachen, die sie erwürgen: Kapitalismus, Militarismus und Alkoholismus,
töten, oder sie geht an allen dreien zugrunde, das heisst sie schreitet
rückwärts, statt vorwärts. Durch deren Bewältigung
aber könnte sie mit Hilfe der Eugenik der Besten, der Sterilisierung
der Schlechtern, ferner mit Hilfe von sozialer Bildung und Erziehung einer
wohldisziplinierten, arbeitsamen Friedensarmee aller Männer und Frauen
(siehe "Vereinigte Staaten der Erde" und "Assez détruit,
rebâtissons") allmählich einen Aufstieg znr sozialen Wohlfahrt
auf Grund eines supranationalen Friedens beginnen. Die Sozialisten sind
als Menschen nicht besser als die andern, aber nur ihr Programm kann noch
helfen. Leider hemmen die Konfessionen den sozialen Fortschritt, statt
ihn zu fördern. Aber eine solche Zukunftshoffnung wie die eben erwähnte
für unsere raubtierähnliche Menschenspezies Homo sapiens mag
ich nicht aufgeben. Es ist meine letzte Hoffnung, mein geistiges Testament.
Amen!
Doch vergebens suche ich die Laterne des Diogenes anzuzünden und
mit ihr Europas und Amerikas Machthaber aufzuklären, ich finde unter
ihnen bis heute keinen Mann. Vielleicht ersteht ein solcher noch! ..."
(Auguste Forel, Rückblick auf mein Leben, S. 247)
(Angesichts der heutigen
Diskussion darf nicht übersehen werden, dass für Forel Sterilisation
nur eine unter mehreren Massnahmen war, die aber nicht angewendet wurden.)
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