Moritz Leuenberger
|
Die Verführung als Thema einer Rede liess mich spontan an Willhelm Reich denken, an Elias Canetti, „Masse und Macht“, an.... Meine Damen und Herren, Sie wissen genau: Das ist geschwindelt. Beim Wort Verführung dachte ich zunächst an etwas Erotisches, das ich jetzt allerdings im Detail nicht preisgeben kann. Es sind ja auch Medien anwesend. Ich schätze allerdings, es gebe auch einige Wenige unter Ihnen, die bei Verführung zunächst an Erotisches denken. Dazu gehören auch die Werber, die das Sujet für die Musikfestwochen in Luzern schufen, den auftauenden Apfel. Gemeint ist offensichtlich der Apfel von Eva und Adam. Dieser hat allerdings mit Erotik gar nicht so viel zu tun, sondern kam ursprünglich vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Eva pflückte ihn verbotenerweise und bot ihn Adam an. Diesem wurde er zu heiss, weshalb er ihn in einer Tiefkühltruhe versorgte. Von dort holten ihn die Werber hervor und druckten ihn auf das Programmheft und die Plakate des Lucerne Festivals. Dort schmilzt er seither dahin und verführt zum Besuch der Musikfestwochen. Deren Musik verführt ihrerseits. Ihre Saiten sprechen Seiten in uns an, die wir im Alltag zupanzern, wecken Emotionen, die der gebotene Diskurs unserer angeblich rationalen Politik nicht zulässt, regen an zu Phantasien, die das gesittete Leben durcheinander bringen könnten und darum rasch wieder tiefgekühlt werden müssen, wenn der Beifall zum Konzert verklungen ist. Warum scheuen wir uns eigentlich, dazu zu stehen, dass wir uns gerne verführen lassen? Führen Geht es um das Gegenstück
der Verführung, nämlich um Führung, sieht das ganz anders
aus: Eigentlich ist das merkwürdig in einer Demokratie, und erst recht in einer direkten Demokratie, wo doch das Volk und nicht der Politiker der Souverän ist. Braucht ein Souverän Führer? Das letzte Wort hat doch das Volk, betreffe dies nun den Uno-Beitritt oder die Höhe der Kehrichtgebühren. Die Politiker sollen einen möglichen Weg vorbereiten, Kompromisse suchen an runden Tischen, mit Vernehmlassungen, sie sollen technische Fragen aufarbeiten, den Weg zeigen, der ihrer Meinung nach zu gehen ist. Aber ob dieser Weg dann auch beschritten wird, entscheidet das Volk. Die Führungsarbeit beschränkt sich auf die Rodungsarbeiten, die Zubereitung des Pfades. Führen heisst in der Politik meist nicht in erster Linie entscheiden. Die Entscheidung fällt der Souverän. Einen Weg suchen heisst allerdings auch die Richtung bestimmen. "Richtung" und "richtig" sind dieselben Wörter, und das zeigt schon die Gefahr, welche mit "führen" verbunden ist. Wissen denn diejenigen, die führen, den richtigen Weg? Oder massen sie sich da etwas an? Dennoch, Führungsarbeit muss geleistet werden. Niemand, der Mühe hätte mit Führung als Prinzip in der Politik. Verführen - falsch führen? Wie aber steht es mit der Verführung? Um zu ihr zu stehen, braucht es doch einige rechtfertigende Anläufe. Der Brockhaus definiert die Verführung kurz und bündig als eine kriminelle Tat. Der Duden ist etwas differenzierter, weist aber dennoch vorwiegend auf ihren pejorativen Gehalt. Sie bestehe darin, jemanden zu etwas Unklugem, Unrechtem oder Unerlaubtem zu bringen.Der negative Beigeschmack von "verführen" entspricht anderen Wörtern mit der Vorsilbe "ver-", also sich versprechen, verdrehen (verkehren sage ich als Verkehrsminister besser nicht, sonst verstimme ich wieder einige . . .). Es wird damit ein falscher Gebrauch ausgedrückt. Verführen hiesse also schlecht führen, falsch führen. Wen wundert es da, dass es keinen Politiker gibt, der von sich sagen würde, er wolle und könne seine Wähler und Wählerinnen verführen? Und dennoch: Es gibt, wie überall, auch in der Politik Verführer und Verführte. Wie immer bei negativ besetzten Eigenschaften entdecken wir sie zunächst bei den anderen, ich zum Beispiel bei den "Populisten". Böse Verführer - die Populisten An die Populisten geht der Vorwurf, das Volk zu verführen. Populismus ist genau gesehen eine Erscheinung der gegenseitigen Verführung: Der Populist lässt sich durch eine Stimmung "im Volke" verführen, nimmt dessen unartikulierte Wünsche und Verwünschungen auf, formuliert sie zu eigenen Parolen und lässt sich dann tragen von den begeisterten Massen. Er verleiht denjenigen eine Sprache, die ihre Gefühle nicht ausdrücken können, spricht aus, was gefühlt wird, und verführt so seinerseits wiederum "das Volk", indem er dieses glauben lässt, es gebe in der Tat einfache Lösungen für komplexe Probleme und er, der Verführer, kenne sie. Er verschweigt oder verdrängt, dass seine Lösung nicht machbar ist, er unterdrückt die ganze Wahrheit zugunsten der halben Wahrheit, die bequemer und billiger ist. Er hat mit diesem Vorgehen Erfolg, und so kann sich "das Volk" wiederum mit dem Starken und Erfolgreichen identifizieren. Verführer und Verführte teilen sich den narzisstischen Gewinn. Populismus hat seinen negativen Beigeschmack wohl daher, dass der Populist
sich ständig auf das Volk beruft und ihm und seiner bereits festgelegten
Meinung hinterherrennt. Der Populist will nur dorthin führen, wo
er annimmt, dass sich das Volk bereits befinde. Und das ist nicht Führung,
sondern Anpassung. Derjenige, der führt, riskiert im Gegensatz zum
Populisten Unpopularität, weil sein Ziel unter Umständen nicht
identisch ist mit demjenigen "des Volkes" und er darum viel
Überzeugungsarbeit leisten muss. Zwischenfrage: Aber wer ist denn eigentlich "das Volk"? Gehört der Verführer auch zum Volk? Ganz alle gehören ja nicht dazu. Die Linken und Nettenjedenfalls nicht. Die Milliardäre? Die Kunstschaffenden? Und die Ausländer? Gehören die Politiker dazu? Oder gehören die zur Classe politique? Diese Fragen zeigen, dass etwas nicht aufgeht, wenn man sich auf "das Volk" beruft. Offenbar gibt es da doch einen Graben zwischen Volk und Verführer, zwischen populus und Populist. Dieses Volk sind offenbar nicht die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, nicht der Souverän in unserer Demokratie, sondern es ist blosse Legitimationsbasis für die Verführer und zugleich die verführte Masse. Gibt es gute Verführer? Weil Verführung immer etwas Doppeldeutiges an sich hat, versuchte ich auch ein positives Beispiel zu finden. Als guter Verführer kam mir dabei spontan der Bundesrat in den Sinn und dasfolgende Beispiel: Militärgesetzvorlage 2001. Abstimmungsgetöse. Die Rechte war dagegen, einkleiner Teil der Linken ebenfalls. Als sozialdemokratischer Bundespräsident wandte ich mich gegen die diffamierende Kampagne der Rechten und setzte die Kampagne mit der Nein-Parole gleich. Ich errichtete der zweifelnden Linken so eine moralische Barriere, für die Vorlage zu stimmen, weil sie sich sonst im Lager der (rechten) Gegner befunden hätte. Der Appell war aber eine verführerische Verkürzung, denn die linken Gegner führten eine eigene Kampagne. Diese Intervention scheint für die knappe Annahme der Vorlage entscheidend gewesen zu sein,eine Verführung zu einem, wie ich meine, richtigen und guten Resultat also. Das wurde allerdings heftig als unstatthafte Manipulation angeprangert. Wäre es eine Manipulation gewesen, wäre das Vorgehen verwerflich, weil der Manipulator sein Gegenüber als Manövriermasse betrachtet. Der Verführer jedoch sieht in ihm einen Spielpartner. Als Partner habe ich vor einem Jahr die Linke auch betrachtet, welche im Begriff war, sich in das falsche Bett zu legen. Eine Manipulation ist das also nicht gewesen. War es eine Verführung? Ein Verführer bringt ja sein "Opfer" definitionsgemäss zu etwas Unerlaubtem, Verwerflichem. Kann denn ein Politiker aus seiner eigenen Sicht ein Verführer sein? Er selber hat ja nie ein unmoralisches Ziel - das sehen nur seine Gegner so. Allenfalls gesteht er, eine List anzuwenden. Die List gehört ja seit je zur Auszeichnung eines guten Generals. Warum sollte sie also nicht auch einen guten Politiker auszeichnen? Die aktive Verführung erfolgt in aller Regel intuitiv, im Glauben, für die eigene gute Sache alle Register, auch die emotionalen, ziehen zu dürfen, um dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen. Vielleicht auch deswegen bezeichnet sich kaum einer als Verführer, sondern versteht sich als Führer mit einem legitimen Anspruch. Professionelle Verführer: PR-Berater Dennoch gibt es die professionellen Verführer, die auf ihre Arbeit stolz sind: PR-Profis, Werbeagenturen, die in Zusammenarbeit mit Meinungsforschern ausklügeln, welche Saiten gezupft werden müssen, damit sich die Resonanz einstellt. In wenigen Tagen stimmen wir über das Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) ab. Meinungsforscher haben herausgefunden, dass die meisten Leute empfänglich sind für folgende Argumente: Wir brauchen eine geordnete Marktöffnung, müssen der Wirtschaft helfen, die Konsumenten schützen und umweltfreundlichen Strom fördern. Entsprechend habe ich meine Referate aufgebaut. Ich ersuche bei dieser Gelegenheit auch Sie um ein Ja, denn wie sonst haben Sie die Garantie, dass künftig bei geöffneten Märkten genügend Strom für die Mikrophone, welche Reden und Musik verstärken, vorhanden ist? Das EMG ist – genau gesehen - hauptsächlich ein Kulturförderungsgesetz! (.... so jedenfalls würde mir wohl eine PR-Agentur raten, vor einem Publikum von Musikliebhabern und Rednern zu argumentieren....) Verführung zum Traum - Verführt werden Verführung als solche
ist kaum Gegenstand tagespolitischer Jede Verführung spricht
etwas in uns an, das uns fehlt, eine Kopf und Bauch Dennoch - vielleicht deswegen
- zeigt sich in der Politik eine grosse Ich halte diese Reserviertheit
gegenüberemotionaler Überzeugungsarbeit nicht für Es ist kein Ideal, sich nur
gerade von der Ratio leiten zu lassen. Der Mensch, und da gehören
die Männer auch dazu, besteht aber aus Verführung, Narzissmus, Abhängigkeit Der Politiker muss also rational
denken und handeln, darf den Kopf Das ist nicht leicht, denn
es bedeutet, der Verführung zu widerstehen, populär zu Was in der Erotik schön
und angenehm ist, kann in Politik und Wirtschaft gefährlich werden.
Das beginnt zunächst im Kleinen, bei uns selber, bei den Sorgen um
uns Wie wirke ich? Es ist gerichtlich
verboten zu vermuten, des Kanzlers Haare seien gefärbt. Die NZZ schrieb,
die meinen seien geföhnt.Soll ich die Wiederholung dieser unwahren Wie trete ich auf? Wie kleide
ich mich? Ich gebe zu: Die Kleider- und Wie gewinne ich die Zuhörer?
Welche Worte wähle ich für welches Publikum? Wie weit darf Die Gefahr des Narzissmus,
die Abhängigkeit des Politikers vom Doch die rigide Forderung nach
gesellschaftlichen Verhältnissen ohne Elemente der Verführung
wäre eine Verkennung des homo politicus, der condition humaine. So
findet sich denn der Politiker immer wieder in einem eng geflochtenen
Gewebe gegenseitiger Der ethische Diskurs um die Verführung dreht sich um ihr Ziel und den Weg dazu Wir sind nun einige Kurven gefahren von bösen über gute zu professionellen Verführern. Ist jetzt Verführung eigentlich legitim oder nicht? Zunächst ist Verführung ein Faktum. Wir verführen und wir lassen uns verführen. Ob wir das als negativ oder positiv empfinden, hängt einerseits von unserer Bewertung des Zieles der Verführung ab und zudem vom Weg, welcher eingeschlagen wird und den Mitteln, die benützt werden. Es gibt legitime, zweifelhafte und verwerfliche Wege. Wo ist die Grenze zwischen einer List und einer Manipulation? Wann kippt Charme in Nötigung? Das Wort Verführung meint meist beides, und deswegen oszilliert dieser Begriff, schwingt er hin und her zwischen legitim und illegitim. Verführung spielt an den Grenzen dessen, was den Menschen als erlaubt und von den überlieferten Normen her als richtig und tunlich erscheint. Wer sich mit Verführung befasst, muss sich darum mit Unterscheidungen, Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen befassen. Verführung zu Gut und Böse Ist nun aber Verführung
legitim oder nicht? Zunächst ist Verführung Es gibt legitime, zweifelhafte
und verwerfliche Wege. Wo ist die Grenze Wohin führen? Zu was verführen? Gut und Böse Eine der grundlegenden Unterscheidungen
- so alt wie die Menschheit - Die Geschichte unserer Kultur
beginnt mit dem Paradies, dann folgt Schon in der Tagespolitik gibt es den Unterschied zwischen Gut und Böse. Kampagnen erfolgen im Namen
des Guten gegen das Böse, die Antiraucherkampagne Es gibt die gute SVP in Bern,
die böse in Zürich, wobei das in Das mögen harmlose Kleinigkeiten
sein, die an Don Camillo und Peppone Die "Achse des Bösen" Nordkorea, der Irak und Iran
bilden gemäss Bush eine "Achse des Bösen". Tony Blair Sie gibt die reine Lehre vor, die Reinheit des Guten, das wir anstreben sollen. Wer vom Bösen befallen ist, muss von einem Exorzisten behandelt werden, auch er eine beliebte Filmfigur in Hollywood. Im Zusammenhang mit der Achse
des Bösen ist von neuen Kreuzzügen gesprochen worden, Der heilige Glaube Abgesehen davon, dass diese
Kreuzzüge schon einmal verloren wurden: Mauer oder Krieg Der bedingungslose Glaube
an das Gute und der Anspruch, auf der guten Der Gute und der Böse
spielen nicht miteinander Schach Mit dem Glauben hat denn auch
der Unterschied zwischen Gut und Böse Vom Bösen ist auch im Guten Wissen wir, was das Gute ist,
was das Böse ist? Gibt es die scharfe "Liebe deine Feinde!"
Heisst das nicht: Versuche, dich hineinzudenken, Sich mit dem Besseren begnügen Die angemasste Erkenntnis
von Gut und Böse verführt dazu, sich als Nicht die reine Güte
wollen wir anstreben, weil wir es nicht können, |