Edi Muster, 1937, Vizedirektor SFA
Edi Muster: Ganz und gar nicht. In unserem Heim stand ein kupfernes Brennhäfeli, da unsere Familie zu den Hausbrennern gehörte. So habe ich also Primärerfahrung in der Schnapswirtschaft gemacht. Die Familie meiner Mutter übrigens betrieb und betreibt eine fahrbare Lohnbrennerei. PN: Aber du bist doch bereits als Kind dem Abstinenzgedanken begegnet? EM: In der Tat! Ich habe immer
alles gelesen, was mir in die Hände kam, und das war schon sehr früh
der Blaukreuzkalender, den unsere Lehrerin von Haus zu Haus verkaufen
liess. Dadurch bin ich auf die Broschüre «Wir haben immer Angst
haben müssen» von Fritz Lauterburg gestossen, die von Alkoholikerkindern
berichtete. Später fand ich dann bei Fritz Schwarz, dem freiwirtschaftlichen
Grossrat, einen Guttemplerkalender. EM: Nachdem sich in mir die Überzeugung vom Unsinn des Alkohols und vom Sinn der Abstinenz eingenistet hatte, fehlte mir nur noch der Kontakt mit Abstinenten. Diesen zu finden war aber so weit draussen auf dem Land nicht sehr leicht. Da schenkte mir eine Tante eine Karte für ein Bezirksfest des Blauen Kreuzes in der Festhalle in Bern. So viele Abstinenten hatte ich vorher und auch lange nachher nie beieinander gesehen. Angeschlossen habe ich mich den Guttemplern, und zwar nach einem Kontakt mit Heinz Ries, dem damaligen Berufsarbeiter der Schweizer Guttempler. Über die Guttemplerjugend bin ich in die Abstinenzbewegung hineingewachsen. PN: Welches war deine berufliche Laufbahn, bevor der Kampf gegen den AIkoholismus zu deinem Lebensberuf wurde? EM: Als typischer Quereinsteiger bin ich dank meinem Sekundarlehrer Walter Gerber, auch er in der Abstinenzbewegung tätig, aus der Sekundarschule über das Progymnasium und das Literargymnasium in Bern zur Matura gelangt. Nach dem Studium war ich kurze Zeit als Sekundarlehrer für Sprachen, Geschichte und Geographie tätig. Zum Entsetzen vieler Bekannter zog ich dann für zwei Jahre nach Athen, um das Land der Griechen, von dem im humanistischen Gymnasium so viel die Rede war, kennen zu lernen. Ich habe dort die Reihe meiner Beschäftigungen um einiges verlängert: Hilfsmaurer in einer psychiatrischen Klinik, Korrektor bei einer Tageszeitung und Deutschlehrer in der Schule der deutschsprachigen Griechinnen. PN: Wie bist du dann zur SFA gekommen? Und welches Ressort betreust du dort? EM: Schuld daran ist die Volksinitiative
des Landesrings für eine allgemeine AIkoholsteuer, für die ich
im Kanton Bern die Pressearbeit besorgte. Dort ist offensichtlich Markus
Wieser, der damalige Leiter der Zentralstelle gegen den Alkoholismus (SAS)
in Lausanne, auf mich aufmerksam geworden und ha1 mich gefragt, ob ich
die Redaktion der «Freiheit» (heute «Standpunkte»)
übernehmen wolle. PN: Die SFA ist heute auf verschiedenen
Gebieten tätig: Information durch die Medien, Prävention in
Schulen und Betrieben, Statistik, Alkoholismusforschung, Alkoholpolitik,
Verlagstätigkeit u.a.m. Wo hast du deinen Schwerpunkt? PN: Die SFA ist auf dem Boden
der Abstinenzbewegung gewachsen. Sie vermittelte und vermittelt heute
noch den in Schule und Politik tätigen Abstinenten Informationen
und Materialien für ihren Kampf gegen den Alkoholismus. Diese Kämpfer
sind heute jedoch weitgehend ausgestorben. Macht dir das keine Sorgen? PN: Aber was sagst du dazu, dass heute, dem Zeitgeist entsprechend und unter dem Druck mächtiger wirtschaftlicher Interessen, vor Jahrzehnten erkämpfte alkoholpolitische Errungenschaften missachtet, bekämpft und schliesslich zu Fall gebracht werden (zum Beispiel die Bedürfnisklausel)? Bist du nicht enttäuscht? Musst du gegen Resignation kämpfen? EM: Mit Enttäuschung erfüllt
mich allerdings die Dummheit der Menschen, mit dem Schlagwort der Deregulierung
auch auf unserem Gebiet Unordnung schaffen zu wollen. (Regulieren heisst
nämlich Ordnung in etwas bringen.) Resignation liegt mir nicht, sonst
hätte ich mir vor achtundzwanzig Jahren nach der verlorenen Volksabstimmung
einen anderen Beschäftigungskreis suchen müssen. Angst macht
mir die Obergangszeit, bis der Leidensdruck der AIkoholprobleme wieder
zu einschränkenden Massnahmen führen wird. Es wird inzwischen
unnötige Opfer geben. Das lässt sich mit Sicherheit voraussagen.
Ich bin aber überzeugt davon, dass wir im nächsten Jahrhundert
vieles von dem wiederholen werden. was im 19. und 20. Jahrhundert getan
und gelassen wurde. In den nächsten paar Jahrzehnten werde ich dazu
beitragen, was ich kann. Das Interview des Monats, in "das Blaue Kreuz", 16. April 1995 Zurück
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