Bölechilbi: Euphemismen und Alkohol

Das sprachliche Verharmlosen von unschönen Sachverhalten kann in allen Lebensbereichen vorkommen. Verbürgt ist zum Beispiel, dass manche Mediziner, wenn sie den Eindruck haben, ihr Patient sei ein Säufer, dies nicht genau so im Patientenblatt vermerken, sondern mit der vorsichtigen Umschreibung: «Ethanolverdacht».
Da nun schon die Ärzteschaft die Sauferei ihrer Klientel nicht beim Namen nennt, ist es kaum verwunderlich, wenn auch notorische Trinker selbst ihr Laster verniedlichen. Die geneigte Leserschaft möge in diesem Zusammenhang beachten, wie oft in einschlägigen Lokalen die Verkleinerungsform verwendet wird: «Nämer no es Bierli?» - «Auso, mir no es Chübeli!» - «I gloub i nime lieber es Glesli Rote!» - «Jo, mir ou no es Balöndli». Aber eigentlich fangen die Beschönigungen schon vor der Bestellung an. Kein Trinker wird je von sich sagen, er sei im Begriff, eine Menge zu trinken. Umso häufiger werden dafür die Bagatellisierungen «Eis ha» - «E chly näh» - «E chly mämmele» - «Eis iiribe» - «Öppis schlücke» - oder in Zürich: «Ein go schnappe» verwendet. Überhaupt sind Zürichdeutsch sprechende Gewohnheitstrinker ganz besonders darum bemüht, ihr Laster sprachlich zu kaschieren. Wer etwa einen Schnaps zum Kaffee nimmt, spricht lieber von einem «Kafi avec», einem «Kafi mit Siitewage», einem «Kafi mit Rachebutzer» oder einem «Kafi miteme Kravatteschüttler», um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Schlägt dann einem in der Runde das «avec» auf das Sprachvermögen, wird dieses Lallen als «en chlyne Schrittwächsel mit der Zunge» umschrieben.
Auch der Umstand, dass regelmässiger Alkoholabusus die Lebenserwartung deutlich verkürzt, wird in feuchten Runden gerne verdrängt. Stirbt dann ein Mitglied der Trinkgemeinschaft, lautet die übliche Umschreibung «Wüssters scho? Der Aubärt hett müesse go.» Worauf bestimmt irgendjemand anmerkt: «Jo nu, dä heig schiins scho aus Junge chly bös gha mit dr Pumpi. Mir no es Zwöierli!»
PEDRO LENZ
© Bund; 2002-09-13; Seite 40
Boulevard - Bölechilbi
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