FFF - Natürliche Wirtschaftsordnung

Das Programm der Freiheit
der Liberalsozialistischen Partei der Schweiz

Zum Parteiprogramm erklärt am ausserordentlichen Parteitag vom 17. August 1947

Der Ausgangspunkt

In berechtigter Notwehr vertrieben unsere Vorfahren die Vögte und andern Unterdrücker, die nur durch Gewalt ihre Herrschaft so lange hatten aufrechterhalten können. Freiheit war die neue Parole nicht nur in unserem Land, Liberalismus das Ideal, das immer mehr die fortschrittlichen Männer Europas einte. Wer in Helvetien mit der Zeit ging, wurde freisinnig.

Diese Zeit ist nun vorbei. Der Krieg von 1914 zerstörte auch die letzten Reste des törichten Glaubens, republikanische Staatsverfassung und "liberale" Wirtschaft allein könnten das Glück und den Frieden der Völker gewährleisten.

Darf uns diese Erfahrung hindern, festzuhalten und zu bewahren, was uns damals, blutig genug, an Positivem erstritten wurde? Soll die persönliche und politische Freiheit nichts mehr gelten, nur weil es daneben .noch andere, ungelöste Probleme gibt? - Die Völker scheinen in der Epoche, die nun folgte und bis in unsere Zeit hineinreicht, diese beiden Fragen zu bejahen.

Sie haben unrecht, doch wir können sie verstehen. Die soziale Not schmerzte immer mehr, schliesslich so sehr, dass die Mehrheit aller Menschen Europas an ihren früheren Idealen verzweifeln musste.

Liberalismus? - Spielerei für Wohlhabende!
Demokratie? - Tarnkappe der Plutokratie?
Freiheit? - Anspruch der Reichen auf Besitz, Gesundheit und Arbeitskraft der Armen?

So tönte die neue Melodie. Es war ein Totentanz, den die Völker dazu tanzten. Vorerst wurde der wirtschaftliche Liberalismus zu Grabe getragen. Später, in mehr als einem Lande, die politische Demokratie. Dann folgten Regierungen, Staaten.

Die Demokratie raffte sich doch noch einmal auf; ihr Banner sammelte die Anhänger der kleineren Unfreiheit gegen Führer und Verführte der totalen Sklaverei. Am 8. Mai 1945 wurde der Sieg der Demokratie in der ganzen Welt verkündet.

Was aber für ein Sieg?
Ein mehr als zweifelhafter Sieg, wurde er doch erfochten durch ein Bündnis, das die demokratischen Ideale in doppelter Hinsicht verfälschte.
Nach innen: durch Aufbau und Erhaltung eines Wirtschaftssystems, das den Schweiss, das Blut und die Tränen der Massen in Dividenden umwertete. Wo irgendwann in diesen Zeiten der Reiche ebensoviel zu opfern hatte wie der Arme, da war es nicht soziale Gerechtigkeit, die ihn traf, sondern die Zufälligkeit eines Geschosses. Städte wurden zu Schutt und Asche, doch die Hypotheken auf Haus und Boden waren weiter zu verzinsen: Symbol dieses ungeheuerlichen Bündnisses zwischen Demokratie und Kapitalismus.
Nach aussen: durch das Bündnis mit der Sowjetunion, der die liberale Demokratie so fremd, um nicht zu sagen verhasst war, wie dem gemeinsamen faschistischen Gegner. Der Kapitalismus liess sich vom Bolschewismus das, Leben retten, und weil es anders nicht ging, rettete er umgekehrt auch dem Bolschewismus das Leben.

Und nun?
Wer aus der miterlebten wie aus der überblickbaren Weltgeschichte Lehren für die Weiterexistenz des Abendlandes ziehen will, der muss endlich einsehen:

  • dass der Liberalismus ohne wirtschaftliche Gerechtigkeit früher oder später zum Aufstand der Ausgebeuteten und Besitzlosen führt, national wie international;
  • dass ein Sozialismus ohne Sicherung der persönlichen und politischen Freiheitsrechte zum totalen Staat mit imperialistischen Tendenzen hinführt;
  • dass somit nur die Verbindung des unverfälschten liberalen Ideals (persönliche und politische Freiheit) mit dem unverfälschten sozialistischen Ideal (wirtschaftliche Gerechtigkeit) zur dauernden Befriedung der Menschen und Völker führt.

Dies ist der Ausgangspunkt für jede Politik, die mehr sein will als Kampf um Posten und Subventionen, mehr als Ablösung der herrschenden Klasse durch eine andere, mehr als Vergeltung von Gewalt mit Gewalt, mehr aber auch als sentimentale Träumerei.
Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte machten auch die Entwicklungsstufen deutlich, die zu den tieferen Konflikten führten, sie anderseits aber auch hervorriefen; es liess sich klar erkennen:

  • dass die liberale Demokratie zur allmählichen Einschränkung und sogar zur Vernichtung der privaten Wirtschaft gezwungen wird, um die Nachteile und Schäden der kapitalistischen Wirtschaft zu mildern;
  • dass diese Vernichtung der Privatwirtschaft Eingriffe in die persönlichen und politischen Freiheitsrechte voraussetzt, die der allmählichen Vernichtung der liberalen Demokratie gleichkommen;
  • dass jeder Versuch, die Produktion und Verteilung der wirtschaftlichen Güter durch den Staat entscheidend zu beeinflussen, bisher nicht zur Beseitigung, sondern nur zur Verstaatlichung des Kapitalismus führte.

Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das den Arbeitenden wesentliche Teile ihres Arbeitsertrages zugunsten der Nichtarbeitenden vorenthält. Ein System, das den vorenthaltenen "Mehrwert" direkt dem Besitzer der Produktionsmittel (dem "Kapitalisten") zufliessen lässt, ist um kein Haar moralischer oder unmoralischer als ein System, das diesen "Mehrwert" für die Staatskasse einspart oder abschöpft, um den Gegenwert dann in Form von Zins an die Zeichner staatlicher Anleihen oder auch an das Riesenheer der Parteifunktionäre weiterzuleiten.

Das erstgenannte System hat den Vorteil, dass es - nur ausserhalb der Krisenzeiten zwar, die mit ihm untrennbar verbunden sind - auch dem Arbeiter Auskommen, politische und persönliche Freiheiten gewähren kann, während das zweitgenannte System nur innerhalb des totalen Staates lückenlos durchführbar ist. Der totale Staat hat dafür vermehrte Machtmittel in der Hand - und das ist seine Lockung für die Arbeitermassen -, um die als Wirtschaftskrisen bekannten Erschütterungen zu vermeiden. Der letzte Preis, den er dafür verlangt, ist nach den bisherigen Erfahrungen die Beteiligung aller am Aufbau seiner imperialistischen Militärmaschine.

Wir lehnen es ab, zwischen diesen beiden Systemen zu wählen. Wir erblicken auch in dem Versuch, durch eine schlaue "Kunst des Möglichen" die Probleme des Tages einmal nach den Rezepten des einen, dann wieder nach den Rezepten des andern Systems zu lösen, keinen wirklichen Ausweg. Wir sehen vor uns einen besseren Weg; Teilstrecken, die schon begangen wurden, haben immer zu Erfolgen geführt. Wir wollen diesen Weg nun bis zum Ziel beschreiten.

Die Verantwortung

Bevor wir in knappen Hinweisen zeigen, welches heute unser Weg ist und wohin er führt, haben wir noch die Verantwortung der Menschen, die wir auch für uns bejahen, hervorzuheben.

Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für alles, was wir widerspruchslos dulden. Wir haben als Bürger eines Landes, das die Demokratie zu seiner politischen Lebensform gewählt hat, an allen Fehlern mitzutragen und mitzubüssen, die wir nicht verhindern können. Innerhalb einer Demokratie haben die Unterscheidungen zwischen aktiver und passiver Schuld ihren Sinn verloren. Wir sind souverän und wollen es mit allen Konsequenzen sein. Jedes Versagen der Regierung fällt auf die Bürger zurück, die ausserstande waren, sich eine bessere Regierung zu geben.
Daraus allein schon dürfen wir unser Recht ableiten, politisch aktiv zu wirken. Dieses Recht ist, genau besehen, eine Pflicht. Wir bejahen und erfüllen sie.

Was können wir tun?
Zunächst gilt es einzusehen und klarzumachen, dass guter Wille, sittliches Bewusstsein und Liebe zu den Menschen das erste und Wichtigste sind. Wir müssen aber ebenso klar begreifen, dass der Wille zu helfen in der Geschichte schon hundertfach missleitet wurde, dass die Völker sich schon aus edelsten Motiven zu Kriegen und andern Verbrechen entschlossen, dass Phrasen und Schlagwörter immer wieder das ruhige Bedenken und Urteilen zugunsten unüberlegter, gutgemeinter, aber verheerender Taten verdrängten, dass also zum ethisch Guten das sachlich Richtige, zum Glauben und Streben die prüfende und abwägende Vernunft kommen müssen.

Daraus ergibt sich: Wer politisch ernst genommen werden will, hat eindeutig zu bekennen und zu beweisen, wie er sich die Verwirklichung seiner Ziele denkt. Mit Parolen und Versprechungen ist den Völkern nicht gedient. Wir anerkennen für uns die Pflicht, dass wir uns über die Klarheit in Bezug auf Ziel und Weg auszuweisen haben. In der Demokratie darf kein Mythos von der unfehlbaren Regierung Platz haben und auch keiner vom unfehlbaren Parteiführer. Es gibt nur die freiwillige, verantwortungsbewusste und gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Bürger und Bürgerinnen.

Der Liberalsozialismus

Geschichtliche Entwicklung

Der Liberalsozialismus ist nicht nur ein erdachtes, sondern auch ein durch die Logik der Tatsachen und die Entwicklung von Jahrhunderten organisch gewachsenes System der Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist insofern natürlich, als es vom Menschen ausgeht, wie er ist.

Der Mensch kann sich, wie jedes andere Geschöpf, im Haushalt der Natur zunächst nur durch den Selbsterhaltungstrieb. behaupten. Zum Selbsterhaltungstrieb muss sich der Arterhaltungstrieb gesellen, damit nach dem naturgegebenen Zerfall des Körpers die Art ihre Fortsetzung findet. Der Selbsterhaltungstrieb, als der ursprünglichste und stärkste Trieb, bildet die sichere Grundlage des Lebens aller Kreatur, er liefert auch die stärksten Kräfte für den Aufbau der menschlichen Gesellschaft.

Selbsterhaltungstrieb ist nicht Selbstsucht; diese Entartung entsteht in der Regel erst durch äussere Verhältnisse, durchs falsche gesellschaftliche Einrichtungen und Gesetze. "Der Kurzsichtige ist selbstsüchtig, der Weitsichtige wird bald einsehen, dass im Gedeihen des Ganzen der eigene Nutz am besten verankert ist." (Silvio Gesell.) Der von Vernunft und Gerechtigkeitssinn geleitete Selbsterhaltungstrieb umfasst immer auch den Arterhaltungstrieb.

Der Sinn für Gerechtigkeit ist eine Grundvoraussetzung des: friedlichen Zusammenlebens der menschlichen Gesellschaft. Wo gesagt werden muss: "Das ist nicht recht", da kann kein. Friede sein. Herauszufinden, was recht und was nicht recht ist, war seit Urzeiten eine der wichtigsten Aufgaben der menschlichen Gesellschaft; Sinn und Gefühl für Recht und Gerechtigkeit zu pflegen, bleibt eine entscheidend wichtige Aufgabe der Erziehung.

Es stellte sich nun im Laufe der Entwicklung heraus, dass das Eigentum, wo es seinem Besitzer Macht verleiht, die richtige Festlegung der Freiheitsgrenzen und damit den Grundsatz der Gerechtigkeit gefährdet. Zuerst war es das private Grundeigentum, das dem Grundbesitzer Macht über den Besitzlosen gab. Später trat das herkömmliche Geld als wesentliches Machtmittel hinzu. Mit dem privaten Grundeigentum war der Bezug von Bodenzins (Grundrente), mit dem Geld der Bezug von Zinsen, zuerst aus Geld und in der Folge aus Geldanlagen (Realkapital), möglich. Daher sind das private Grundeigentum und das herkömmliche Geld wirtschaftliche Machtmittel.

Um diese Mittel zur Machtgewinnung und Machtentfaltung sind unendlich viele Kämpfe und Kriege geführt worden. Es ist auch oft versucht worden, durch moralische Beeinflussung allein (siehe u. a. Mos. 22, 24 und Luk. 6, 35) oder auch durch politische Umwälzungen (Solon, die Gracchen, Spartakus, Gründung der Eidgenossenschaft, Französische Revolution usw.) gerechtere Verhältnisse herbeizuführen.

Immer wieder waren die Besten ihrer Zeit in der Überzeugung einig, dass der Arbeitsfähige nur durch eigene Arbeit zu Einkommen und Eigentum gelangen dürfe, dass nur die Arbeit Besitz rechtfertige. "Nur der Gewinn aus Arbeit ist völlig vorwurfsfrei und dem Gewissen entsprechend" (Gottfried Keller), und "Die Zukunft gehört und die Herrschaft gebührt zu allen Zeiten der Arbeit" (Carl Hilty).

Die Liberalen suchten durch Sozialfürsorge und -gesetzgebung einen sozialen Ausgleich zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen zu schaffen. Aber da sie die zwei fehlerhaften Grundpfeiler ihres liberalen Systems, das private Grundeigentum und das zinstragende Geld, bestehen liessen, so wurde ein gerechter, sozialer Ausgleich nie erreicht.

Darum griff die sozialistische Bewegung ein. Sie zerfiel von Anfang an in eine mehr individualistische und eine kollektiv-sozialistische oder kommunistische Richtung. Pierre J. Proudhon (1809-1865) und Michael A. Bakunin (1814-1876), Karl Bürkli in Zürich und Stephan Gschwind in Basel vertraten als freiheitlich Gesinnte die Forderung nach Geld-, Währungs- und Bodenreform. Karl Marx (1818-1883) und seine Schule - kommunistische, später marxistische und sozialistische Richtung genannt - verfochten die Ansicht, dass der Weg zur ausbeutungsfreien Wirtschaft die Überführung der Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit bedingt. Seltsamerweise gab Marx in seinem Hauptwerk ("Das Kapital", III. Band, 1. Teil, Seite 156) selber zu, dass das Endziel des Sozialismus, die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen, auf liberalem Wege erreicht werden könne. Marx unterliess es. leider, diesen Gedanken selbst weiter zu verfolgen, und nicht zuletzt daraus entstand dann die tragische Fehlentwicklung der sozialistischen Arbeiterbewegungen.

Der Sozialismus, wie Proudhon, Bakunin und später Gustav Landauer und Franz Oppenheimer ihn eigentlich wollten, erhielt mit Silvio Gesell (1862-1930) seine Verwirklichungsmöglichkeit im Sinne der Wahrung, ja Mehrung der persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit.

Gesells System der "Natürlichen Wirtschaftsordnung" erfüllt die Hoffnungen der wahren Liberalen so gut wie die der wahren Sozialisten; es verwirklicht auf liberalem Wege das Ideal des Sozialismus: die wirtschaftliche Gerechtigkeit. Das Gesellsche Wirtschaftssystem ist in den Grundzügen die Synthese von Liberalismus und Sozialismus auf wirtschaftlichem
Gebiet: Liberalsozialismus.

Ziele

Was moralisch und ethisch falsch ist, kann wirtschaftlich und politisch nicht richtig sein, weder in den Zielen, noch in den Mitteln. Kein Zweck heiligt die Mittel. Es gibt daher auch keine "Eigengesetzlichkeit" der Wirtschaft, der Politik, des Staates oder irgendwelcher anderer Institutionen in dem Sinne, dass ihnen erlaubt wäre, was beim einzelnen Menschen als verwerflich gilt. Eine Ordnung, die Unrechttun durch staatliche oder andere Machtmittel erzwingt, muss ersetzt werden durch eine Ordnung, in der kollektives und individuelles Handeln gleichermassen vom Rechtsgedanken beherrscht sind.

Dies setzt eine Ordnung voraus, in der jeder Mensch durch friedliche Mittel zu seinen Rechten kommen kann. Die grundlegenden Rechte des Menschen umfassen:

Sicherheit der Existenz

Die Existenz, das Leben des Menschen muss gesichert sein, Ohne Furcht vor der Gewalt Stärkerer, geschützt auch gegen staatliche Willkür und wirtschaftliche Ausbeutung, soll er sein Leben leben dürfen. Existenzsicherheit ist unmöglich in einer Ordnung, welche Bürger- und Völkerkriege duldet. Sicherheit der einzelnen Menschen bedeutet auch Sicherheit der menschlichen Gesellschaft. Das Menschenrecht soll mehr gelten als Staatenrecht, Staatsräson und staatliche Souveränität.

Wirtschaftlicher Wohlstand

Was einer erarbeitet, soll ihm gehören. Arbeitet er für andere, so soll sein Lohn nicht durch arbeitsfreies Einkommen anderer verkürzt werden. Sowohl selbst erarbeitetes wie rechtlich erworbenes Eigentum ist zu schützen. Nie dürfen die Verdienstmöglichkeiten und die Hebung des Lebensstandards durch allgemeine Wirtschaftskrisen gefährdet werden. Die Technik im Dienste des Menschen ist in der Lage, den allgemeinen Wohlstand bei stark verkürzter Arbeitszeit zu schaffen.

Freiheit

Die persönliche und die politische Freiheit bleiben gefährdet, solange der wirtschaftliche Wohlstand nicht gesichert ist. Wer sein Leben lang für Geld arbeiten muss, ist Sklave. Wer hungert oder Hunger befürchtet, verkauft die Freiheit billig, und dies gilt für einzelne Bürger wie für ganze Völker. Die Freiheit ist aber die wesentliche Quelle des persönlichen Glückes und der sicherste Weg zum Fortschritt auf allen Gebieten, vor allem auch auf geistigem und kulturellem Gebiet. Die Freiheit soll nur eine Grenze haben: die Gerechtigkeit. Dies bedingt Unterordnung unter das rechtsgültig beschlossene und jederzeit demokratisch revidierbare Gesetz. - Freiheit gedeiht nur auf dem Boden der wirtschaftlichen Unabhängigkeit aller Bürger und Bürgerinnen.

Der Weg

Sicherheit und Wohlstand

I. Wirtschaft

Sicherheit ist in einem Lande, das sich die demokratischen Grundgesetze im Laufe seiner Geschichte erobert hat, vor allem ein Problem der Ordnung der Wirtschaft. Der Arbeiter ersteht unter Sicherheit, dass er dauernd bei rechter Entlöhnung Arbeit finde; der Unternehmer versteht unter Sicherheit, dass seine Produktionspläne nicht über die normalen Risiken des Marktes hinaus noch durch politische oder wirtschaftliche Eingriffe gefährdet werden. Die Konsumenten verstehen unter Sicherheit, dass sie mit ihrem Gelde stets die Waren kaufen können, die sie zum Lebensunterhalt für sich und ihre Angehörigen benötigen. Alle finden Sicherheit am besten in einer guten Konjunktur.

Wir bejahen die gewerkschaftliche, genossenschaftliche und berufliche Organisation auf der Grundlage der Freiwilligkeit. Die Sicherheit des Unselbständigerwerbenden kann aber nie durch Berufsverbände allein gewährleistet werden. Sicherheit für die Massen der Unselbständigerwerbenden bedeutet: Gewissheit, dass ihre Arbeitskraft dauernd gesucht bleibt. Ist dies der Fall, d. h. werden ständig mehr Arbeitskräfte gesucht als vorhanden sind, dann muss das Einkommen der Arbeitenden steigen. Wenn eine vernünftige Geldpolitik gleichzeitig dafür sorgt, dass die Preise allgemein nicht steigen können, ist die Lohnsteigerung logischerweise nur auf Kosten der in den Preisen ebenfalls einkalkulierten Zinsen und Übergewinne möglich. So führt die Vollbeschäftigung, die durch Inflationsfieber nicht übersteigert und durch Deflationsdruck nicht unterbrochen werden darf, in voller Freiheit zur allmähligen Beseitigung der wirtschaftlichen Ausbeutung.

Auf Grund dieser Überlegungen sind die Liberalsozialisten mit und seit Gesell der Auffassung, dass Wirtschaftspolitik mit dem Ziel der Verwirklichung des Wohlstandes in Freiheit in erster Linie bedingt: Vernünftige

Geld- und Währungspolitik.

Diese ist im Begriff "Indexwährung", d. h. "Stabilisierung der Kaufkraft des Geldes" umschrieben und liefert die Grundlage zu einer ununterbrochen guten Konjunktur, zu Vollbeschäftigung und ständig wachsendem Wohlstand. - Die Vertreter der nur "liberalen" Wirtschaft haben übersehen, dass die ununterbrochene Mehrung des Wohlstandes innerhalb des Kapitalismus auch deshalb nie möglich ist, weil gute Konjunkturen immer wieder unterbrochen werden, wenn durch die Vermehrung der Kapitalien der Zinsfuss gedrückt wird.

Dann unterbleiben Investitionen, die allgemeine Stimmung stellt auf "Baisse" um, Geld wird zurückgehalten. Jede Verlangsamung des Geldumlaufs ist aber gleichbedeutend mit Absatzstockung und Verminderung der Arbeitsgelegenheiten, wodurch die Vollbeschäftigung gefährdet wird. Daher ist eine Politik der Vollbeschäftigung auf die Dauer nur durchführbar, wenn der Geldumlauf und die Kapitalinvestitionen auch bei sinkender Kapitalrendite gesichert sind. Der

Zins

ist ein Tribut, den der Schaffende - vom Industriearbeiter bis zum Bauern und Unternehmer - dem Geldleiher entrichten muss, damit überhaupt gearbeitet werden kann. Der Zins wird in den Preis aller Waren eingerechnet und dadurch auf die Konsumenten abgewälzt. Er ist eine Last für viele und eine mühelose Einnahmequelle für wenige.

Er bewirkt darüber hinaus die Richtung der Produktion nach der Höhe der erhofften Kapitalverzinsung. Damit hemmt er die volle Entfaltung der Produktivität. Dies erkannte schon Proudhon als er den Zins als "Riegel, an Stelle eines Schlüssels für den Markt" bezeichnete und weiter ausführte: "Der Zins stellt sich vor die Tore der Märkte, der Läden, der Fabriken, jeder Kapitalanlage und lässt nicht durch, was der Zins nicht bezahlt oder bezahlen kann". Gesell erkannte, dass der Zins bei ungehemmter Kapitalbildung "in einem Meer von Kapital ersäuft" wird und zwangsläufig in Arbeitsertrag übergehen muss. Das ist aber nur möglich, wenn die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung einer dauernd vollbeschäftigten Wirtschaft geschaffen sind, d. h. wenn jeder Unterbruch der guten Konjunktur durch Deflation, aber auch jede Entwertung des Geldes durch Inflation vermieden werden. Beides wird durch Handhabung der Indexwährung vermieden, sofern vor geeigneten Massnahmen zur Sicherung des Geldumlaufes und ununterbrochener Investition nicht zurückgeschreckt wird. Das Mittel hierzu liefert das von Silvio Gesell vorgeschlagene "Freigeld", das in technischer Hinsicht seither noch vereinfacht werden konnte.

Wir verkennen nicht, dass die Macht, wirtschaftlich Schwächere auszubeuten, nicht nur durch Geldbesitz verliehen wird; die Geld- und Währungsreform, die zugleich Überwindung des Zinses bedeutet, kann daher die soziale Frage nur zum Teil, wenn auch zu einem wesentlichen Teil, lösen. Darüber hinaus sind auch Massnahmen auf dem Gebiet der

Bodenpolitik

erforderlich. Die unbedingte Abhängigkeit des Menschen vom Boden und seinen Schätzen verschafft deren Besitzer eine Monopolstellung, die er sich in Form von Grundrente bezahlen lässt. Die Grundrente ist, wie der Geldzins, eine regelmässig fliessende zwangsläufige Abgabe von allen, die auf den Boden als Produktionsmittel oder Baugrund angewiesen sind. Die Grundrente wird ebenfalls in die Preise sämtlicher Güter eingerechnet und dadurch auf die breite Schicht der Konsumenten überwälzt. Da sie keinerlei Leistung seitens des Bezügers entspricht, ist sie arbeitsfreies Einkommen. Auch hier führt die sehr ungleichmässige Verteilung des Grundeigentums zu einer Überführung von Arbeitsprodukten vieler in die Hände weniger.

Die Vermehrung der Bevölkerung, der wachsende Wohlstand steigern die Nachfrage nach Boden und damit dessen Preis. Ohne irgendwelche Leistung seitens des Grundeigentümers steigt dessen Vermögen in wenigen Jahren an; daher ist der Boden ein gesuchtes Spekulationsobjekt.

Wir vertreten demgegenüber folgende Auffassung:

  • Die Erde gehört allen Menschen und nicht einigen wenigen. Der Boden und seine Schätze sollen daher, wie zur Zeit der Alemannen, jedermann zu gleichen Bedingungen zugänglich sein.
  • Das Privateigentum an Boden ist ein Hemmnis für die organische Erneuerung der Städte und Dörfer und für die zweckmässige Nutzung des Bodens. Die bisherigen rechtmässigen Eigentümer sollen dennoch nicht enteignet werden, sondern es soll der Boden bei Handänderung nach und nach von der Gemeinde, auf Grund eines Vorkaufsrechtes, zum rechtmässigen Preis käuflich erworben werden.
  • Der in öffentliches Eigentum übergegangene Boden soll nicht mehr veräussert werden. Er ist durch Pacht- oder Baurechtsvertrag im freien Wettbewerb der privaten Bewirtschaftung zuzuführen.
  • Die in die Gemeindekassen fliessende Grundrente ist in geeigneter Form der Allgemeinheit zuzuführen.
Auf der Grundlage einer krisenfreien Wirtschaft ohne Ausbeutung führt der Fleiss aller Arbeitenden des Geistes und der Hand zum Wohlstand des ganzen Volkes.

Auf diesen Überlegungen fussen

unsere Vorschläge,

die wir dem Volk unterbreiten. Da wir die Phrase und die Unklarheit verabscheuen, geben wir unseren Vorschlägen die Form von eindeutigen Verfassungstexten: Der Bürger soll wissen, was wir wollen, er soll prüfen und unser Parteiprogramm, das ganz oder teilweise und nach freiem Willen des Volkes einmal Regierungsprogramm sein wird, in Kenntnis der Zusammenhänge beurteilen können.

Die liberalsozialistischen Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung

Die Freiheit des Handels und der Gewerbe, die freie Wahl des Berufes, des Arbeitsplatzes, der Niederlassung (Freizügigkeit) und die freie Verfügung über das Einkommen sind im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet.

Wirtschaftsunternehmen, die nicht auf der Ausbeutung von Bodenschätzen beruhen und nicht von besonderer Bedeutung für die Sicherheit des Landes sind, dürfen nicht verstaatlicht werden.

Der Bund erlässt in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Währungsamt und der Nationalbank die erforderlichen Vorschriften zur Durchführung einer aktiven Konjunkturpolitik mit dem Ziel
1. die Kaufkraft des Geldes zu festigen,
2. die Vollbeschäftigung zu sichern.

Das dem Finanzdepartement unterstellte Eidgenössische Währungsamt passt zu diesem Zweck die umlaufende Geldmenge dem Warenangebot an und verhindert die schädliche Geldhortung.

Die Erhaltung des festen Geldwerts im Inland ist dem Wunsch nach stabilem Wechselkurs gegenüber dem Ausland übergeordnet.
Der Bund überwacht und organisiert nach einheitlichen Gesichtspunkten den sukzessiven Aufkauf des nutzbaren Bodens durch die Öffentlichkeit. Bund, Kantonen und Gemeinden steht zu diesem Zweck bei Handwechsel ein Vorkaufsrecht zu.

Boden, der öffentliches Eigentum ist, bleibt unveräusserlich und wird auf dem Wege des Pacht- oder Baurechtsvertrages der privaten Bewirtschaftung übertragen.

Während der Periode des Überganges verhindert der Bund durch geeignete Massnahmen die Spekulation mit Boden. Es ist daher in erster Linie solcher Boden aufzukaufen, der Eigentum von Nichtbewirtschaftern ist.

II. Nationale Politik

Unsere demokratische Verfassung garantiert die Unantastbarkeit gewisser persönlicher und politischer Grundrechte. Einer Revision dieser Verfassung, auch einer Totalrevision, stimmen wir zu, wenn sie zu einer bessern Sicherung dieser Rechte führt. Von der Aufnahme der folgenden Artikel in unsere Bundesverfassung erwarten wir einen bessern Schutz des Individuums gegen Willkür und ungerechtfertigte Benachteiligung.

(Im Anschluss an den bisherigen Art. 114)*
Das eidgenössische Verfassungsgericht prüft die Beschlüsse und Gesetze der Landesregierung auf ihre Übereinstimmung mit der Bundesverfassung. Fällt die Prüfung negativ aus, so geht der Text zur Ausarbeitung eines neuen Entwurfes an den Bundesrat bzw. die Bundesversammlung zurück.

Unbefristete "Schutzhaft" oder Untersuchungshaft von politisch Verdächtigen sind einer Demokratie unwürdig. Ebenso abzulehnen sind die immer wieder vorkommenden Fälle von "Versorgung" missliebiger Personen durch die "Administrativjustiz", die sich damit ausserhalb der Gesetze stellt. Im Anschluss an den bisherigen Artikel 58 der Bundesverfassung muss hier eine bessere Lösung gefunden werden.

(Im Anschluss an Art. 58)
Niemand darf polizeilich verfolgt, verhaftet oder in Haft gehalten werden, ausser in Fällen, die das Gesetz bestimmt und in den von diesem umschriebenen Formen. Niemand darf in Haft gehalten werden, ohne innert 48 Stunden einem Richter vorgeführt zu werden, der die Rechtmässigkeit seiner Festnahme prüft und ohne dass dieser Richter die Haft jeden Monat durch eine begründete Entscheidung neu bestätigt.
Dies gilt sinngemäss auch für administrativ Versorgte, denen der Rechtsbeistand nicht verweigert werden darf.

Wir bejahen aus Überzeugung die volle Pressefreiheit. Wir sind aber der Meinung, dass der Bürger, auch wenn er politische Ämter innehat, vor Lüge und Verleumdung geschützt werden muss. Deshalb ergänzen wir den bisherigen Artikel 55 der Bundesverfassung, der die Pressefreiheit gewährleistet, wie folgt:

(Siehe bisheriger Artikel 55)
Zu Unrecht Angegriffene haben Anspruch auf Rechtfertigung im gleichen Publikationsorgan. Das Gesetz bestimmt das Verfahren.

(*Immer "alte" Bundesverfassung von 1874)

III. Internationale Politik

Solange der Rechtsgedanke nicht international durchgedrungen ist, beanspruchen wir das Recht, Waffen zu tragen und unsere bewaffnete Neutralität zu verteidigen. Wir erblicken jedoch auch in der geistig und materiell bestorganisierten Landesverteidigung nur einen ungenügenden und relativen Schutz unserer staatlichen und individuellen Existenz. Wesentlicher als die Sorge um die Erhaltung und den Ausbau unserer Wehrkraft nach modernen Grundsätzen ist daher der Anteil, den wir an der Sicherung des Friedens nehmen. Wir bejahen eine Aussenpolitik, die jede Gelegenheit wahrnimmt, um für den Rechtsgedanken einzutreten, innerhalb wie ausserhalb der UNO oder einer Weltregierung. Wir bejahen eine Aussenpolitik, die bei jeder Gelegenheit den Gedanken der Freizügigkeit von Menschen und Waren fördert.

Kriegsdrohungen kommen meistens von totalitären Staaten. Verhinderung von Diktaturen ist daher Kriegsbekämpfung an der Quelle. Diktaturen können nur aufgebaut und gesichert werden, wenn die freie Meinungsäusserung, das Koalitionsrecht, die Glaubens- und Gewissensfreiheit eingeschränkt und beseitigt werden. Diese Rechte, bzw. Freiheiten sind zwar in den meisten Verfassungen der Welt garantiert. Doch haben sich diese Garantien als unwirksam erwiesen, so positiv sie an sich auch zu werten sind.

Wir sind der Meinung, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit in ihrem umfassendsten Sinn zu einem Individualrecht gemacht werden sollte, das notfalls vom einzelnen durch Klage beim Richter geltend gemacht werden kann. Eine internationale Konvention in diesem Sinne halten wir für mindestens so wichtig wie die Schaffung einer internationalen Polizeiarmee. Auch das heikle Problem der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen könnte bei dieser Gelegenheit in vernünftiger Weise gelöst werden. Unser Land kann mit gutem Beispiel vorangehen und folgende Verfassungsrevision, die zugleich vermehrte Sicherheit und vermehrte Freiheit brächte und Grundlage einer internationalen Vereinbarung bilden könnte, beschliessen:

(Einzubauen in Art. 49)*
Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Lehrfreiheit und die Freiheit der Meinungsbildung sind gewährleistet.
Niemand darf zur Teilnahme an einer Religionsgemeinschaft oder an einem religiösen Unterricht oder zur Vornahme einer religiösen Handlung gezwungen werden. Niemand darf seiner Abstammung, seiner Überzeugung oder seines Glaubens wegen verfolgt oder mit Strafen irgendwelcher Art belegt werden.
Das Recht auf freie Meinungsäusserung ist individuell einklagbar.

(einzubauen in Art, 18)
Jeder Schweizer ist wehrpflichtig.
Die Wehrpflicht kann auf begründeten Antrag des Pflichtigen und wenn ein zur Hälfte aus zivilen und militärischen Persönlichkeiten bestehendes Gericht die Ernsthaftigkeit seiner Motive anerkennt, in Dienst bei der nichtkombattanten Truppe oder in Zivildienst von anderthalbfacher Dauer umgewandelt werden. Der Militärpflichtersatz fällt für diese Pflichtigen dahin; ebenso für diejenigen Untauglichen, die sich freiwillig für den erwähnten Zivildienst melden. Der Bund stellt hierüber einheitliche Vorschriften auf.

Wir lehnen es grundsätzlich ab, mit dem Blut der andern Völker Geld zu verdienen. Waffenexport aus Geschäftsinteresse widerspricht unserer Friedensliebe und verhöhnt den wahren Sinn der schweizerischen Neutralität. Wir empfehlen folgende Revision:

(einzubauen in Art. 41)
Herstellung, Beschaffung und Vertrieb von Kriegsmaterial untersteht der Aufsicht des Bundes. Die Lieferung von Kriegsmaterial an fremde Staaten ist nur auf Grund völkerrechtlicher Bestimmungen gestattet, die durch Volksentscheid genehmigt wurden.

Wenn für uns der Mensch wichtiger ist als seine Rasse und seine Nationalität, so müssen wir der schweizerischen Tradition des Asylrechts treu bleiben. Wir wollen ein offenes Herz und eine offene Grenze für die Verfolgten haben. Wir wollen dabei aber unsern Anspruch auf Selbständigkeit nicht preisgeben. Der bisherige Artikel 69 muss klarer gefasst werden:

(Im Anschluss an den bisherigen Art. 69ter)
Jeder Mensch, der unter Verletzung der Freiheiten und Rechte, die in dieser Verfassung festgelegt sind, verfolgt wird, hat Zufluchtsrecht auf dem Boden der Eidgenossenschaft. Die Regelung des Aufenthaltes ist Sache der Gesetzgebung.
Dem Bunde steht das Recht zu, Fremde, welche die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen, bzw. deren Einreise vorsorglich zu verhüten.

*Immer "alte" Bundesverfassung von 1874

Freiheit

1. Die freie Wirtschaft

Im Wirtschaftlichen liegt die Schlüsselstellung der Freiheit. Gelenkte Wirtschaft ist Diktatur auch dann, wenn sie nicht beabsichtigt wird. Jede staatliche Produktionsplanung führt zwangsläufig zur Konsumationsplanung. Denn produziert wird für den Konsum, und wenn das Was und Wo und das Wieviel der Produktion vorgeschrieben wird, ist zwangsläufig auch das Was, Wo und Wieviel der Bedürfnisbefriedigung diktiert. Anderseits bedeutet freie Wirtschaft aber durchaus nicht planlose Wirtschaft, wenn die Geldversorgung richtig geregelt und die Freiheit des Handels, der Gewerbe und der Niederlassung nicht durch einengende Vorschriften illusorisch gemacht wird.

Die Forderung nach Lenkung der Produktion durch den Staat beruht auf mangelnder Einsicht in die Bedeutung des Geldes für den Wirtschaftsablauf.

Konsumieren können heisst in der modernen Wirtschaft, eine Ware kaufen und bezahlen können. Wer eine Ware kauft, hat damit aber auch seinen Beitrag für die Produktionsplanung geleistet. Sein Geld wirkt als Stimmzettel für die Produktion, weil der Verkauf einer Ware beim Detaillisten zur Erneuerung der Bestellung beim Grossisten führt, der seinerseits beim Produzenten nachbestellt. Es gilt, dieses ausgleichende und als Plan der freien Wirtschaft wirkende Gesetz von Nachfrage und Angebot zu erkennen und anzuwenden. Wenn die zur Bedürfnisbefriedigung eingesetzte Geldmenge dauernd der Gesamtproduktion an Waren angepasst wird, ist der Plan dieser Produktion in die Hände der Konsumenten gelegt. Voraussetzung, dass dieser Plan ohne staatliche Einmischung funktionieren kann, ist: dass die Geldversorgung richtig dosiert wird, dass der Wahlzettel Geld nicht seiner Funktion als Tauschmittel entzogen werden kann, und dass die Ungerechtigkeiten in der Verteilung des Volkseinkommens beseitigt werden.

Geld ist Voraussetzung und Regulator der arbeitsteiligen Wirtschaft; es fördert die Marktversorgung auch dort, wo die Hand des lenkenden Staates nie würde hinreichen können.

Es muss hier nun aber im Hinblick auf die vom herkömmlichen "Sozialismus" und neueren "Plankapitalismus" übereinstimmend verfochtenen staatswirtschaftlichen Tendenzen mit aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass die von uns vorgeschlagene Geld- und Währungsreform mit der freien Marktwirtschaft steht und fällt; diese Reform, und nur sie, ermöglicht die Aufrechterhaltung liberaler Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Sie führt aber in folgerichtiger Entwicklung über das nur liberale Prinzip hinaus, indem sie auch das Problem der Ausbeutung -positiv gesagt: das Problem der gerechten Ertragsverteilung in der Wirtschaft - durch Beseitigung der Monopolstellungen im Wirtschaftsleben löst. Wo keine Privatmonopole sich bilden können, kann der Wettbewerb sich produktiv auswirken, nicht nur im Sinne der Wegkonkurrenzierung des "Mehrwerts" - der in Arbeitslohn übergehen muss, wenn das Überwälzen auf die Preise im allgemeinen als Ausweichmöglichkeit dahinfällt -, sondern auch im Sinne der Anspornung des freien Unternehmertums zu immer grössern Leistungen. Die "freie Konkurrenz", wie sie heute besteht, führt zur Monopolbildung, die auf Zusammenballung von Kapitalien beruht; sie zerstört sich also selber. Die freie Konkurrenz, wie sie als ordnender Faktor innerhalb der Privatwirtschaft sein und wirken sollte, kann nicht zur Monopolbildung führen: Durch wirtschaftliche Reformen, die in unsern konkreten Forderungen zusammengefasst sind, können private Monopolbildungen verhütet werden, während die unzerstörbaren, weil auf natürlicher Übermacht beruhenden Monopole der öffentlichen Kontrolle unterstellt werden. Damit ist auch die Grenze zwischen Privatwirtschaft und Staatswirtschaft völlig klar gezogen - zur Verblüffung der "Planwirtschaftler" zeigt diese Grenzziehung, dass die Wirtschaft von morgen mit bedeutend weniger Staatsplänen und Eingriffen auskommen kann, als es die heutige und die nur sozialistische fertigbringt. - Ängstlichen sei gesagt, dass die "freie Konkurrenz" innerhalb einer dauerhaft guten Konjunktur automatisch an die Stelle des brutalen Wettkampfes den friedlichen Wettbewerb setzt, schon deshalb, weil dann die Arbeiter in der Lage sind, einem rücksichtslosen Arbeitgeber zu künden. Innerhalb des "Kapitalismus" können sie es normalerweise nicht, und das macht die Stärke des "Kapitalisten" aus.

Der Liberalsozialist bekennt sich daher unmissverständlich zur freien Marktwirtschaft und verficht mit allem Nachdruck die These: Wohlstand in Freiheit. Deshalb steht die Handels und Gewerbefreiheit an der Spitze der unter "Sicherheit und Wohlstand" bereits aufgeführten liberalsozialistischen "Wirtschaftsartikel".

2. Nationale Politik

Wir halten die politische Demokratie in unserem Land für gesund und lebensfähig. Verschiedene Institutionen lassen sich aber im Sinne einer Erweiterung der Freiheitsrechte verbessern.

Hier muss mit aller Entschiedenheit betont werden, dass ein fortschrittliches Gemeinwesen der freiwilligen Zusammenarbeit von Mann und Frau bedarf. Das setzt die Möglichkeit der Ausübung gleicher Rechte und Pflichten auch in der Politik voraus. Es ist ungerecht, das Stimm- und Wahlrecht der Frau, die es beansprucht, vorzuenthalten. Formelle und praktische Schwierigkeiten, die in einem Land wie dem unsrigen der Einführung dieses Rechts entgegenstehen - die Mehrheit der Männer entschiede normalerweise über die Gewährung des Stimmrechts an die Frauen -, darf die Verwirklichung einer gerechten Forderung nicht verhindern.

An den Anfang unserer Vorschläge für die Vermehrung und Sicherung der politischen Freiheitsrechte gehört daher die Revision von Art. 43 der Bundesverfassung.

Ferner hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte gezeigt, dass von der klaren Meinungsäusserung des Volkes bis zu ihrer praktischen Anerkennung durch die entsprechenden Massnahmen der Regierung zuviel Zeit verstreicht. Ebenso ist der Ruf, nach vermehrter Heranziehung junger, unverbrauchter Kräfte in der politischen Führung berechtigt.

Das Beharrungsvermögen des Staatsapparates und seiner Träger führt zu unnötiger Verschärfung der Auseinandersetzungen. - Das Misstrauensvotum, wie es andere Staatsverfassungen kennen und das zu raschem Regierungswechsel führen kann, wenn die Mehrheitsbasis sich verschoben hat, erscheint für unsere Verhältnisse ungeeignet. Dagegen halten wir Reformen für möglich, mit denen die Zusammenarbeit von Volk und Gewählten durch andere Mittel verbessert werden kann; auch die unerfreulichen Erscheinungen, die sich seit Jahrzehnten bei allen Bundesratswahlen wiederholen - Wahl von Zweit- und Drittbesten an Stelle der bestausgewiesenen Kandidaten, weil die Verfassung die Berücksichtigung der verschiedenen Kantone in übertriebener Weise verlangt - lassen sich durch geeignete Reformen weitgehend vermeiden.

Der Verschleppung von und dem Ausweichen vor Volksentscheiden muss ein Ende gemacht werden. Notwendig ist ferner die Einführung der Gesetzesinitiative im Bund, damit in unsere Verfassung nicht dauernd Forderungen hineingetragen werden müssen, die in Gesetzestexte gehören.
Aus diesen Überlegungen ergeben sich die folgenden konkreten Vorschläge:

(Im Anschluss an den bisherigen Art. 43)*
Jede Bürgerin hat nach zurückgelegtem 20. Altersjahr das Recht, sich im Stimmregister ihrer Wohngemeinde, unter. Vorbehalt der für alle Bürger geltenden Bedingungen, für die Teilnahme an Abstimmungen und Wahlen einzutragen.

Wir geben diesem Vorgehen und dieser Formulierung den Vorzug, weil damit die Gewährung des Stimm- und Wahlrechts an einen entsprechenden Antrag zu knüpfen ist. Dieser wird natürlicherweise nur von Frauen und Töchtern eingereicht werden, die ein reges Interesse an öffentlichen Angelegenheiten haben; sie erweisen sich damit zur Ausübung dieses Rechtes als mindestens ebenso würdig wie die Bürger männlichen Geschlechts; es ihnen zu verweigern, wäre ein Schaden für das Gemeinwesen. - Ausserdem ist mit unserer Formulierung auch klar gesagt, dass es sich nicht um eine Stimm- oder Wahlpflicht, sondern um ein freiwillig ausgeübtes Recht handelt.

Die im übrigen noch notwendigen Revisionen gehen aus den folgenden Vorschlägen deutlich hervor; der Leser tut gut, wenn er jeweils den bisherigen Verfassungstext* zum Vergleich mit heranzieht.

(Siehe bisheriger Art. 96)
Die Mitglieder des Bundesrates werden von der Bundesversammlung aus allen Schweizer Bürgern, die als Mitglieder des Nationalrates wählbar sind, auf die Dauer von fünf Jahren ernannt. Es dürfen nicht mehr als zwei Mitglieder aus dem nämlichen Kanton gewählt werden.
Nach Ablauf einer Amtsdauer muss sich ein Bundesrat, der im Amte bleiben will, der Bestätigungswahl durch das Volk unterziehen.
Die in der Zwischenzeit freigewordenen Stellen werden bei der nächstfolgenden Sitzung der Bundesversammlung für den Rest der Amtsdauer wieder besetzt.
100 000 Stimmberechtigte haben jederzeit Antragsrecht auf Abberufung des Bundesrates oder einzelner seiner Mitglieder. Die Volksabstimmung hat innert zweier Monate zu erfolgen.
Im Falle der Annahme finden innert weiterer drei Monate die erforderlichen Neuwahlen statt.

(Siehe bisheriger Art. 89)
Für Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse ist die Zustimmung beider Räte erforderlich.
Bundesgesetze sowie allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse werden dem Volke innert sechs Monaten zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt, wenn es von 30 000 stimmberechtigten Schweizer Bürgern und Bürgerinnen oder von acht Kantonen verlangt wird.
Staatsverträge mit dem Ausland, welche unbefristet, für eine Dauer von mehr als zehn Jahren abgeschlossen oder, von sehr grosser Tragweite sind, sind dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorzulegen, alle übrigen Staatsverträge, wenn es von 30 000 Stimmberechtigten oder von acht Kantonen verlangt wird.
50000 stimmberechtigte Schweizer Bürger und Bürgerinnen haben jederzeit das Vorschlagsrecht für Bundesgesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse. Verfahren und Fristen sind die gleichen wie bei der Verfassungsinitiative.

*Immer "alte" Bundesverfassung von 1874

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Wir glauben nicht mehr an die Lösung der entscheidenden Probleme durch die historischen Parteien allein; sie haben ihren Kampf gekämpft und sind zu sehr zu Verteidigern des bestehenden geworden. Freilich, soweit das Bestehende gut ist, wollen wir darauf bauen. Aber das neue Gebäude soll besser sein als das alte, und auch das Fundament darf da und dort solider werden.
Die Aufgabe, die nun vor uns liegt, ist so gross wie die Arbeit, die unser wartet. Wir suchen und brauchen Mitarbeiter. Warum stehst Du abseits? Die Politik ist nur soweit ein schmutziges Geschäft", als man sie den Ehrgeizigen und Interessierten überlässt; wenn jemand kommt und findet, die Politik sei eine unsaubere Angelegenheit, so fragen wir ihn, was er getan habe, um diesen Zustand zu ändern.
Wir stellten diese Frage uns und gründeten eine Partei, die sauber kämpfen und ernsthaft für eine bessere Zukunft arbeiten will. Wir stellen die gleiche Frage heute Dir. Beantworte die Frage und tritt durch Deine Beitrittserklärung ein in die

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Zum Parteiprogramm erklärt am ausserordentlichen Parteitag vom 17. August 1947

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