Alkoholpolitik
unter der Bundeskuppel
Heiner Studer, Nationalrat EVP,
1999 - 2007
Die folgenden Berichte
stammen von Heiner Studer, Nationalrat EVP, Wettingen. Biographische Angaben
und ein Verzeichnis seiner Vorstösse finden Sie auf
der Internetseite des Nationalrates. Oder besuchen Sie direkt seine
Homepage. In
der IOGT-Rundschau 1/2004 erschien ein
Interview mit Heiner Studer.
Rückblick
auf das Jahr 2006
Das Parlament ist der
Gesetzgeber.
Oberstes Gesetz unseres Landes ist die Bundesverfassung. In der Verfassung
werden die Rechte und Pflichten festgelegt. In unserer Bundesverfassung
steht, wofür der Bund zuständig ist. Wenn ein Bereich nicht erwähnt
ist, gehört er in die Kompetenz der Kantone. Jedes Gesetz, welches
vom Parlament beschlossen wird, benötigt also eine Grundlage in der
Verfassung.
Aufgrund unserer Bundesverfassung gibt es u.a. die Biersteuer. Für
sie ist im Bund das Finanzdepartement zuständig. Weil das Bier so
populär ist, ist die Biersteuer in unserem Land recht tief. Es war
an der Zeit, ein Bundesgesetz über die Biersteuer zu erlassen. jedes
Gesetz muss vom Nationalrat und vom Ständerat genehmigt werden. Nur
wenn beide zustimmen, tritt es in Kraft. Der Ständerat als Erstrat
stimmte dem 46 Artikel zählenden Erlass zu. Im Nationalrat, als Zweitrat,
gelang es, eine Jugendschutzbestimmung einzubauen. Sie lautet: «Er
(der Bund) beachtet dabei die Bedürfnisse des Jugend- und Gesundheitsschutzes.»
Diese Differenz wollte der Ständerat nicht akzeptieren. Er lehnte
sie mit Stichentscheid seines Präsidenten ab.
Bei der Differenzbereinigung in der Herbstsession 2006 wurde im Nationalrat
der Streichungsantrag mit 92 zu 81 Stimmen abgelehnt. Ich fragte unseren
Vorsteher des Finanzdepartementes, Bundesrat Hans Rudolf Merz, welcher
gegen diese Bestimmung war, in der Debatte ganz konkret: «Wenn wir
jetzt daran festhalten, dass dieser Jugendschutz hier enthalten ist, ist
der Bundesrat dann auch willig, ganz konkret etwas zu unterbreiten? Denn
sonst haben wir einen netten Satz im Gesetz, der nichts bringt, und solche
netten Sätze haben wir einige.» Bundesrat Merz antwortete wie
folgt: «Es trifft zu, was Herr Studer gesagt hat: Man hat in diesem
Bereich vielleicht lange Jahre zu wenig gemacht. Aber jetzt ist die Strategie
unterwegs, deren Erarbeitung der Bundesrat dem Bundesamt für Gesundheit
in Auftrag gegeben hat, das sich dieser Probleme einmal in der ganzen
Grösse und Breite annehmen wird' Wir erwarten im nächsten Jahr
einen entsprechenden Bericht, und wir erwarten auch entsprechende Vorschläge
für Massnahmen, damit einmal etwas geht, wie Herr Studer sagt. Ich
bin auch vorweg der Überzeugung, dass das wahrscheinlich nicht ohne
finanzielle Folgen abgehen wird.» So warten wir gespannt auf den
kommenden Bericht.
Der Ständerat gab übrigens dem Nationalrat nach. Die Jugendschutzbestimmung
wurde ins Gesetz aufgenommen. Schliesslich stimmten Nationalrat und Ständerat
dem Biergesetz zu.
Wenn man Alkoholpolitik betreibt, benötigt man, wie in jedem anderen
Bereich auch, Fachkenntnisse, um ernst genommen zu werden, und einen langen
Atem. Seit einem guten Dritteljahrhundert engagiere ich mich auf allen
Stufen Gemeinde, Kanton und Bund für eine wirksame Alkoholpolitik.
Vieles liess sich bewegen, anderes nicht.
Bericht: Heiner Studer, Nationalrat
Dieser Bericht erschien im Blaukreuzkalender
2008.
Rückblick
auf das Jahr 2005
Die Schweiz hat ein Alkoholgesetz.
Dieses regelt alles, was mit den gebrannten Wassern zu tun hat. Wer im
offiziellen Sprachgebrauch von Alkohol spricht, meint somit die Spirituosen.
Was daraus für Missverständnisse entstehen können. musste
vor Jahren das Hotel Rochat in Basel erfahren. Es meldete sich bei ihm
eine Gruppe aus Frankreich zum Essen an. Auf den telefonischen Hinweis
hin, dass es sich dabei um ein alkoholfreies Hotel handle, wurde geantwortet,
dass dies in Ordnung sei. Als die Gäste eingetroffen waren, wünschten
sie zum Essen Wein zu trinken. Als sie vernahmen, dass bei einer schweizerischen
Gaststätte unter Alkohol nicht nur der Branntwein verstanden wurde,
waren sie sehr ungehalten, und beide Seiten waren um eine Erfahrung reicher.
Aufgrund des Alkoholgesetzes
ist der Bundesrat für die Festsetzung der Steuern auf Spirituosen
zuständig. Zweimal versuchte ich den Bundesrat durch ein Postulat
zu ermuntern, diese Steuern im Sinne der Volksgesundheit zu erhöhen.
Auf meine letzte Anfrage hin erhielt ich die unmissverständliche
Antwort, dass für ihn eine Steuererhöhung nicht in Frage komme.
Einmal mehr nimmt er auf wirtschaftliche Sonderinteressen mehr Rücksicht
als auf die Volksgesundheit.
Aufgrund des erwähnten
Alkoholgesetzes dürfen keine Spirituosen an junge Menschen unter
i8 Jahren abgegeben werden. Aufgrund der Lebensmittelverordnung
dürfen kein Bier und kein Wein an unter 16jährige abgegeben
werden.
Viele Testverkäufe, häufig
von der Blaukreuzjugend durchgeführt, zeigen, dass diese Bestimmungen
vielerorts nicht eingehalten werden. In einer Anfrage bin ich an den Bundesrat
gelangt mit der Frage, was er zu tun gedenke, damit diese Vorschriften
durch die Kantone auch eingehalten werden. Die Gesundheitsbehörde
Sanco der Europäischen Union prüft, ob die Altersgrenze für
den Verkauf von Wein und Bier auf 18 Jahre erhöht werden sollte.
Auf den 1. Februar 2004 haben
wir als Parlament die Steuern auf Alcopops ganz wesentlich erhöht.
Diese Erhöhung zeigte Wirkung. Der Bundesrat erklärte in Beantwortung
einer Interpellation von Didier Berberat: "Die Einführung der
Sondersteuer auf Alcopops hat also ihr gesundheitspolitisches Ziel erreicht.
Die eindeutig auf Kinder und Jugendliche ausgerichteten alkoholischen
Getränke wurden vom Markt eliminiert."
Rückblick
auf das Jahr 2004
Endlich ist sie in Kraft, die
Senkung der Blutalkoholgrenze im Strassenverkehr von 0,8 auf 0,5
Promille! Wie viele Anläufe brauchte es doch im Bundeshaus.
Von Nationalrat und Ständerat bereits im Jahre 2003 beschlossen, trat
die Senkung erst auf den 1. Januar 2005 in Kraft. Wie wurde doch mit Vehemenz
gerungen. Jetzt, da die Senkung unwiderruflich wurde, arrangierten sich
die betroffenen Kreise. Möglicherweise liessen sie sich von der Operette
«Die lustige Witwe» inspirieren. Dort findet sich das eingängige
Lied: «Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern
ist.» Im Wissen, dass an der Gesetzesänderung nichts mehr zu
ändern ist und diese endlich vollzogen werden muss, gelang es sogar
den Bierbrauereien, die Einführung werbemässig originell mit alkoholfreiem
Bier zu vermarkten. Die Akzeptanz der tieferen Promillegrenze ist eindrücklich.
Die ersten Erfahrungen im Strassenverkehr zeigen erfreulicherweise, dass
sich zahlreiche Autofahrerinnen und fahrer folgerichtig auf die Neuerung
einstellten. Eine wirksame Senkung der Zahl der Toten und Verletzten im
Strassenverkehr dürfte sich hoffentlich klar und deutlich einstellen.
Bei der Erkenntnis stockt es
Wie sieht es beim Dauerbrenner der Frage der Besteuerung der Spirituosen
aus? Da ist der Bundesrat aufgrund des Alkoholgesetzes für die Bestimmung
der Höhe zuständig. Mit einem Postulat vom Dezember 2000 regte
ich dem Bundesrat die Erhöhung an. Dieser lehnte ab. Weil ein im
Nationalrat nicht behandelter Vorstoss nach zwei Jahren abgeschrieben
wird (d.h. ausser Abschied und Traktanden fällt), gab es auch mein
Postulat nicht mehr. Im März 2003 reichte ich ein neues Postulat
ein. Und siehe da: Der Bundesrat erkannte endlich die Problematik und
stimmte dem Postulat zu. Da es aus der Ratsmitte bekämpft ist, ist
es bei Redaktionsschluss immer noch nicht behandelt. Und der inzwischen
einsichtige Bundesrat nimmt seine Kompetenz nicht wahr, diese Steuererhöhung
durchzuführen. Doch keine Angst: Ich habe einen langen politischen
Atem und kämpfe weiter.
Rauchfreie
Zonen
Aus dem Suchtbereich ist doch etwas Erfreuliches aus dem Bundeshaus zu
melden. Seit 2004 darf in der Wandelhalle des Nationalrates nicht mehr
geraucht werden. Seit Anfang 2005 gilt dieses Rauchverbot auch für
die Foyers des Nationalratssaales. Während der Kommissionssitzungen
ist das Rauchen in der Zwischenzeit verpönt, was jedoch zu zahlreichen
individuellen Rauchpausen von Ratsmitgliedern führte.
Es ist erfreulich, dass das Nichtrauchen und der Schutz vor dem Rauchen
eine solche Bedeutung erlangten. Wenn nur die Erkenntnis und die Verantwortung
in der Alkoholfrage ebenso deutlich wären. Wer lange in der Politik
ist, muss Optimist sein. Ich bin deshalb zuversichtlich, in den nächsten
Jahren doch noch einige weitere Erfolge erleben zu dürfen.
Dieser Bericht erschien im Blaukreuzkalender
2005.
Rückblick
auf das Jahr 2003
Den Bericht im letztjährigen
Kalender konnte ich mit der erfreulichen Information schliessen, dass
das Parlament die längst notwendige Senkung der Blutalkoholgrenze
im Strassenverkehr von 0,8 auf 0,5 o/oo; verabschiedet habe und dass diese
ab 1. Januar 2004 gelten würde. National und Ständerat entschieden
damals tatsächlich klar und deutlich. Doch mit dem Vollzug hapert
es. Es wurden verschiedene, aus Sicht des Blauen Kreuzes, fadenscheinige
Gründe geltend gemacht, um die Inkraftsetzung auf den vorgesehenen
Zeitpunkt zu verhindern. Auf 1. Januar 2005 wird die Inkraftsetzung zum
Glück nicht mehr zu verhindern sein. Es ist zu hoffen, dass damit
wesentlich weniger Menschen im Strassenverkehr sterben oder ernsthaft
verletzt werden.
Einen konkreten Schritt tat unser Parlament bei der Frage der Alcopops.
Bei diesen Getränken handelt es sich um Limonaden oder andere Süssgetränke,
die mit Spirituosen gemischt sind. Sie sprechen vor allem sehr junge Menschen
an. Wegen der Süssstoffe kommt beim Trinken der Alkoholgeschmack
nicht mehr sehr deutlich zum Tragen. Junge Menschen lernen auf diese Weise,
Alkohol ganz selbstverständlich zu konsumieren. Sie gewöhnen
sich an die Wirkung des Alkohols und laufen Gefahr, von der legalen Droge
Alkohol abhängig zu werden. Die Alcopops haben einen Alkoholgehalt
von fünf bis sechs Volumenprozenten und sind damit stärker als
normales Bier. Da Bundesrat, National und Ständerat eingesehen haben,
dass es sich hier um ein ernsthaftes Problem handelt, wurde die Folgerung
gezogen, die Steuern auf Alcopops drastisch zu erhöhen. Seit dem
Februar 2004 ist die neue Sondersteuer in Kraft. Es ist zu hoffen, dass
sie wenigstens teilweise zum Erfolg führen wird. Ich habe mich im
Nationalrat mit einem Antrag für ein Verbot der Alcopops eingesetzt,
allerdings erfolglos.
Dass sich über den Preis etwas bewegen lässt, ist Fachleuten
schon lange klar. So sind die tiefen Steuern auf gebrannten Wassern
(dies der offizielle Ausdruck für Schnaps) mitschuldig, dass der
Konsum so vieler bekannter ausländischer Schnapsprodukte drastisch
zunahm. Für die Preisfestsetzung ist aufgrund des Alkoholgesetzes
der Bundesrat zuständig. Mein erster Vorstoss in dieser Sache wurde
vom Bundesrat abgelehnt. Mein zweiter Vorstoss wurde vom Bundesrat im
Jahre 2003 entgegengenommen. Der damalige Finanzminister, Kaspar Villiger,
bestätigte, dass da Handlungsbedarf ist. Im Nationalrat wurde mein
Postulat bekämpft. Damit ist noch kein Entscheid gefallen und alles
ist wieder in der Schwebe. Politik ist beschwerlich, werden viele zu Recht
denken. Doch ist es der Ort, an dem Weichen gestellt werden können.
Da geht es ab und zu zwei Schritte vorwärts und einen zurück.
Doch immerhin: es geht langsam vorwärts. Es ist spannend, dabei zu
sein.
(Sie finden Artikel über Alcopops auch unter
dem Stichwort "Alkopops".)
Dieser Bericht erschien im Blaukreuzkalender
2005.
Rückblick
auf das Jahr 2002
Als Mitglied der Eidgenössischen
Räte werde ich immer wieder zu Essen mit ausländischen Gästen
eingeladen. Da ergeben sich spannende Begegnungen. Zu einem Essen in einer
gediegenen Gaststätte gehöre ein Glas Wein, wird in unserem
Land immer wieder argumentiert. Als Mineralwasser- oder «Rivellablau»-Trinker
(mein Diabetes II macht zuckerfreies Konsumieren notwendig) fühle
ich mich nie als Aussenseiter. Verschiedentlich sind Gäste aus den
USA dabei. Da ergab es sich, dass ich bei einem angeregten Mahl erwähnte,
ich würde mich in einer wichtigen Sache an den früheren prominenten
US Präsidenten Abraham Lincoln, den Sklavenbefreier, halten. Dieser
trank auf Grund der Alkoholnot im 19. Jahrhundert lediglich Wasser und
forderte die Bevölkerung auf, es ebenso zu halten.
Erfahrungen in Amerika
Wassertrinken ist in den USA so
oder so «in». Dies wurde mir bei meinem letzten Besuch in Washington
erneut bewusst. Ich war im Jahr 2003 wieder als Parlamentarier zum «National
Prayer Breakfast», dem nationalen Gebetsfrühstück, eingeladen.
Auf den ersten Donnerstag des Monats Februar laden Mitglieder des amerikanischen
Senates und des Repräsentantenhauses seit gut 50 Jahren zu diesem Gebetsfrühstück
ein. Es ist ein eindrückliches Ereignis, bei welchem der jeweilige
Präsident ein Grusswort hält und die Mehrheit der beiden Häuser
des amerikanischen Parlaments anwesend ist. Vertreterinnen und Vertreter
aus 154 Ländern waren diesmal als Gäste dabei. Unabhängig
der politischen und gesellschaftlichen Unterschiede wird gebetet, gesungen,
aus der Bibel gelesen, und es werden Zeugnisse gehalten.
Im Umfeld des Gebetsfrühstücks finden verschiedenste Essen statt.
Was das Besondere daran ist: Es wird natürlich neben Kaffee immer Wasser
serviert und kein einziges alkoholisches Getränk. Auch Botschafter
zahlreicher Länder können problemlos mit dieser Situation umgehen,
allerdings mit einer Ausnahme: Beim diesmaligen ersten Essen war ich neben
einem leutseligen Botschafter eines südamerikanischen Landes plaziert.
Da er gleichzeitig redete und das Wasser reichen wollte, goss er eine erhebliche
Menge davon auf meinen Anzug. Doch Wasser macht nur nass. Wir lachten gemeinsam
über dieses (un)diplomatische Missgeschick.
Langer Atem gefragt
Für eine wirksame Alkoholpolitik ist das Bundeshaus nach wie vor nicht
der optimale Ort. Wenn im Nationalrat Vorstösse eingereicht sind, müssen
diese innerhalb von zwei Jahren behandelt werden. Wenn sie in dieser Zeit
nicht erledigt sind, verschwinden sie von der Pendenzenliste. So erging
es meinem Postulat für eine Erhöhung der Schnapssteuer. Der Bundesrat
lehnte das Anliegen ab, zur Behandlung im Nationalrat reichte es nicht.
Deshalb unternahm ich im Dezember 2002 einen neuen Anlauf. Gleichzeitig
schlug ich vor, eine Sondersteuer auf Alcopops einzuführen. Der Bundesrat
brachte seine Sympathie dafür zum Ausdruck und versprach, eine Gesetzesänderung
vorzulegen. Interessenvertretern gelang es, die Realisierung dieses Anliegens
zu verzögern. Doch mit langem Atem kann man in der Politik immer wieder
etwas erreichen.
Im neuen Radio und Fernsehgesetz ist die Frage der Werbung für Alkoholika
und Tabak ein Streitpunkt. Die Behandlung dieses Gesetzes wird noch eine
Weile in Anspruch nehmen. Die längst notwendige Senkung der Blutalkoholgrenze
im Strassenverkehr von 0,8 auf 0,5 % wurde vom Parlament verabschiedet und
gilt ab 1.1. 2004.
Heiner Studer
Dieser Bericht erschien im Blaukreuzkalender
2004. |