Historische Aktualitäten zur Alkoholpolitik


In diesem Kapitel finden Sie Artikel aus dem letzten - dem 20. - Jahrhundert ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Alkoholpolitische Tagesfragen im Herbst 1983


In der letzten Woche habe ich einen Bericht über die Alkoholprobleme in Kalifornien studiert und für unsere Zeitschrift überarbeitet. Sie mögen sich fragen, was denn in Kalifornien so wichtig für uns sei. Kalifornien behauptet, es sei der reichste, der schönste und der am meisten Alkohol trinkende Staat der Union. Die Schweiz ist zwar auch schön, reich und trinkt viel Alkohol, aber nicht das ist der Grund meines Interesses.

In diesem Artikel bin ich auf den Ausdruck "von der Flasche zum Menschen" gestossen. Früher, so vor 30 40 Jahren, habe man sich in Kalifornien mit der Flasche voll Alkohol befasst, der Probleme verursachte. Heute befasse man sich mehr mit dem Menschen, der mit dem Alkohol Probleme habe.

Auf den ersten Blick mag es äusserst positiv sein, sich mit dem Menschen und seinen Problemen zu befassen. Wer Probleme hat, braucht den Mitmenschen, braucht Hilfe, braucht Zuwendung. Ich soll meines Bruders Helfer sein. Was bedeutete das für die Alkoholiker in Kalifornien? Ein Netz von Medizinern und Sozialarbeitern wurde aufgebaut, das ihnen helfen sollte. Sie werden betreut, wieder in Familie und Beruf eingegliedert.

So weit, so gut. Die Zuwendung zum Menschen ist positiv. Was bedeutet aber die Abwendung des Interesses von der Flasche? Das heisst gar nicht etwa, dass in Kalifornien seit 30 Jahren immer wendiger getrunken wird, ganz im Gegenteil. Wie bei uns wird immer mehr und mehr Alkohol getrunken. Das bedeutet nur, dass die Ursache zu Alkoholproblemen nicht mehr in der Flasche, sondern im Menschen gesucht wird.

Wer in der Flasche, im Alkohol auch eine wichtige Ursache zu Alkoholproblemen sieht, wird sich dafür einsetzen, dass in einem Land weniger Alkohol getrunken wird: desto weniger Personen gibt es, die zuviel trinken, desto weniger Alkoholprobleme gibt es. Wer sein Interesse der Flasche zuwendet, wird Gesetze fordern.
Wer die Ursache zu Alkoholproblemen nur oder vor allem im Menschen sieht, wird sein Interesse von der Flasche abwenden. Er wird Menschen mit Alkoholproblemen zu behandeln suchen, er wird versuchen, die Menschen so zu erziehen, dass sie trinken, ohne Probleme mit dem Trinken zu bekommen.

Ein Beispiel aus Kalifornien: Das Weininstitut führt zusammen mit der Vereinigung für Alkohol und Drogenprobleme Kurse für Weinkenner durch. Trinkt guten, kalifornischen Wein und es gibt keine Alkoholprobleme.

Aber auch bei uns: die Bierbrauer empfehlen unserer Stelle, wir sollten die Leute lieber lehren, richtig zu trinken, als ihnen mit Alkoholverboten an der Autobahn usw. die Freude am Trinken zu nehmen. Schöne Arbeitsteilung: die Bierbrauer machen Reklame für ihr Bier, die SFA* erklärt, wo und wie man Bier trinken sollte, und die Fürsorgestellen kümmern sich um die Alkoholiker.

So geht es selbstverständlich nicht!

1. Es ist natürlich richtig, dass man Personen mit Alkoholproblemen berät.
Fürsorge ist nötig.
2. Es ist auch richtig, dass Schüler und Erwachsene über Alkohol und Alkoholkonsum, aber auch über Alkohol-nicht-Konsum aufgeklärt werden.
Gesundheitserziehung ist nötig.
3. Es ist auch richtig, dass Polizei und Gerichte sich der Fiazler** annehmen.
Auch diese Hinwendung zu Menschen ist richtig und nötig.
4. Richtig und nötig ist auch, die Hinwendung zur Flasche - bitte nicht falsch verstehen. Kennen Sie die Geschichte vom Badewannentest? - Also: Hahnen abstellen und leerschöpfen.

Ziel der Alkoholpolitik ist es, die Bedrohung der Volksgesundheit durch die Flasche zu vermindern. Je mehr Alkohol in einem Lande getrunken wird, desto mehr Alkoholprobleme gibt es. Je leichter und billiger Alkohol gekauft werden kann, desto mehr wird getrunken. Je grösser das Angebot ist, je mehr Reklame dafür gemacht wird, desto mehr wird getrunken.

Eduard Muster, 9.9.83 da
* SFA-ISPA = Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme
** Fiaz = Fahren in angetrunkenen Zustand



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