Katzenjammer der Reklameindustrie trotz der Ablehnung der Initiative "gegen
Suchtmittelreklame" (1979)
Die Quittung
Noch selten wahrscheinlich ist
in der Geschichte der schweizerischen Referendumsdemokratie der Stimmbürger
derart wider besseres Wissen zu einem Urnengang missbraucht worden wie am
18. Februar 1979 mit der Volksabstimmung über die «Suchtmittel-Initiative».
Was noch zwei Wochen vor dem Termin nicht auszuschliessen war, konnte sozusagen
in letzter Minute durch den Effort sozusagen «Freiwilliger»
- wir schreiben an anderer Stelle darüber - ins Gegenteil verkehrt
werden. Die hinterhältig benamste «SuchtmitteI-Initiative»*
ist statt knapp angenommen bachab geschickt worden und wie!
Haben wir Grund, darob übermütig zu werden? Wohl kaum. Dagegen
spricht der unbestreitbare Achtungserfolg, den die Guttempler Jugend errungen
hat. 772'800 erwachsene Frauen und Männer für ein Verbot zu mobilisieren,
das derart im Widerspruch zur freiheitlichen Grundhaltung unseres Volkes
steht, ist eine Bravourleistung, aber nicht zuletzt auch eine einiger unserer
eigenen «Strategen».
Der Schirmherr des Volksbegehrens, Professor und Nationalrat Dr. med. Meinrad
Schär, Zürich, der nach wie vor von der «perfiden Werbung
für Tabak und Alkohol» spricht, scheint aber sein Lieblingskind
alles andere als endgültig abgeschrieben zu haben. Desgleichen ist
die Stimmung in Abstinentenkreisen, die das Resultat als grossen ersten
Erfolg für sich buchen. Wir werden deshalb gut tun, uns - und diesmal
hoffentlich rechtzeitig - auf eine neue, aber verbesserte Auflage dieses
Volksbegehrens vorzubereiten. Aber nicht zuletzt auch damit, dass wir nicht
ausgerechnet im Vorfeld einer derartigen Abstimmung auffallende Bildinserate
mit jungen Menschen einschalten, die sich genüsslich ein «Grosses»
hinter die Binde giessen. Die im Schussfeld stehenden Branchen des Tabak
und Alkoholgewerbes täten wohl gut daran, mit einer eigenen Selbstkontrolle
dafür zu sorgen, dass den Gegnern der Werbung keine weiteren Vorwände
gratis und franko ins Arsenal geliefert werden.
(Werbung-Publicité Heft 3, 1979)
* Initiative "gegen Suchtmittelreklame" (webmaster)
Eine Medaille?
Eine Medaille unsererseits verdient
auch der brillante Moderator der «Telearena», Hans Ulrich Indermaur,
oder besser deren zwei. Die erste dafür, dass er die unter dem Einfluss
der Medienschaffenden von den Guttemplern gekonnt terminierte «Arena»-Sendung
vom 8. Februar, der man unsererseits mit grössten Befürchtungen
entgegensah, trotz den Schreckmasken der aufgebotenen Anonymen Alkoholiker
sauber an der geplanten Demagogie vorbeisteuerte. Und die zweite für
den Leitartikel, den er als Chefredaktor des Tele gleichentags zum Thema
«Sucht und Werbung» publizierte. Das brauchte Mut. Den Mut,
zu seiner eigenen Intelligenz zu stehen. Einige Sätze daraus verdienen
es, auch hier zitiert zu werden:
«Vom Menschen, der
vor dem Abgleiten in die Sucht bewahrt werden soll, ist seiten die
Rede. Schon gar nicht von den Ursachen, die uns von Drogen, Alkohol
und Tabletten abhängig machen können: Angst, Einsamkeit,
Konflikte mit dem Partner oder in der Arbeit, Stress und Überforderung.
Machen wir es uns nicht zu einfach, wenn wir den schwarzen Peter einfach
der Werbung zuschieben?» |
Die Herren Muster, Wieser, Schär
und ihre Kämpen sollten sich das im Hinblick auf das nächste Mal
ins Stammbuch schreiben.
(Werbung-Publicité Heft 3, 1979)
Et: Les voilà!
Man hat es dem Verfasser da und
dort und dort und da in der Werbebranche übel genommen, dass er das
Abstimmungsergebnis vom 18. Februar nicht als einen Sieg der Werbebranche
feierte und nicht allen ihren Verbänden für die Art, wie sie diese
Ausmarchung angegangen waren, ein summa cum lande erteilte. Dabei konnte
man es schon am Montag nach der Abstimmung 18 m² gross von den Plakatwänden*
ablesen, dass der zweite Streich dem ersten auf dem Fuss folgen würde.
Er folgte denn auch und folgte schneller, als wir hofften. Mehr noch: Er
erfolgte auch genau da, wo man ihn erwarten musste; denn dreierlei konnte
man sich anhand des Abstimmungsergebnisses ebenfalls ausrechnen. Erstens:
Dass sich die Guttempler-Jugend nicht noch einmal die ganze Werbung auf
einmal vornehmen, sondern versuchen würde, diesen Dorn in ihrem Auge
von der Flanke her aufzurollen. Zweitens, dass diese Flanke nur die Plakatwand
sein könne. Und drittens, dass dieser Riesentopf von Ja-Stimmen nun
von ganzen Heerscharen von Dorf- , Kantons- und eidgenössischen Politikern
als eine der seltenen Chancen entdeckt werden würde, sich von ihrer
Profilneurose zu kurieren. Die obligaten zwei Dreier im «Sternen»
hin oder her.
Et: Les voilà! Schon verlangt am 20. Juni dieses selben Jahres ein
Poch-Vertreter namens Scherr im Zürcher Gemeinderat ein Verbot der
Alkohol- und Tabakwerbung auf öffentlichen Plakatwänden, und flugs
doppelt von der andern Saalseite ein Freisinniger namens König nach.
Kann das da anders herauskommen, als dass der landesringliche Polizeivorstand
namens Frick das Postulat «durchaus mit Sympathie» entgegennimmt,
wo man doch Polizeichefs, wie den Mimen, Kränze nicht von sich aus
windet? ...
(Werbung Publicite Heft 7/8, 1979)
*Grossplakat mit Zigarettenwerbung (webmaster)
Aus der Tätigkeit
des SRV
(Schweizerischer Reklame-Verband)
4. Werbeverbote und
Werbebeschränkungen
Im Juni versammelten sich unter
dem Vorsitz des SRV die gegen die Guttempler-Initiative (Verbot der Suchtmittelreklame)
eingestellten Verbände und Organisationen zur Schlusssitzung in Bern.
Besonders die nichtwerblichen Vertreter verzeichneten mit Erstaunen die
verschiedenen Vorwürfe, die aus Kreisen der Werbewirtschaft im Zusammenhang
mit der Abstimmungskampagne an die Adresse des SRV und der übrigen
werblichen Verbände gemacht worden sind. Dem SRV kam von allem Anfang
an die Aufgabe zu, die Interessen der Gegnerschaft zu koordinieren, über
den Stand der Angelegenheit laufend zu orientieren, eine geeignete Infrastruktur
zu schaffen und wenn möglich auch die Finanzierung einer Abstimmungskampagne
vorzubereiten. Diesen Problemen hat sich der SRV mit den übrigen werblichen
Verbänden und den weiteren betroffenen Kreisen ohne Unterlass seit
Januar 1977 mit Erfolg angenommen. Darüber im einzelnen zu berichten,
hätte nur der Sache geschadet. Nie bestand aber die Meinung, dass der
SRV als Leiter der Kampagne hätte in Erscheinung treten sollen. Diese
Rolle war vielmehr der Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen
Wirtschaft zugedacht, die sie nach Erledigung laufender Abstimmungen Anfang
Dezember 1978 programmgemäss übernahm und wie des Resultat zeigt
sehr erfolgreich zu Ende führte. Ihr gebührt dafür unser
Dank. Aber auch die Wirtschaftsförderung war in ihren Handlungen nicht
frei, denn Träger der gegnerischen Kampagne waren die bürgerlichen
Parteien, die alle wesentlichen Weichen stellten und das letzte Wort hatten.
Dem SRV und den beteiligten Verbänden blieb die Wahl: entweder mit
und nach dem Diktat der Parteien oder ohne Parteien. Der SRV hatte aber
nicht nur die Wahl, sondern auch die (moralische) Verantwortung für
das Gelingen der Aktion. Wie hätten Sie gewählt?
Einige 40 Verbände im Bereich der Herstellung, der Verarbeitung und
des Vertriebs von Tabakwaren und alkoholischen Getränken haben die
SRV Geschäftsstelle in allen Fragen, die eine Beschränkung der
Werbung zum Gegenstand haben, zu ihrer permanenten Informations und Koordinationsstelle
erkoren. In Ausübung dieser Funktion hat der SRV in Zusammenarbeit
mit SIV/BSR/VSW/SZV sowie des Alkoholgewerbes innert wenigen Tagen eine
Gegenvorlage zum Vorschlag des Bundesrates (bzw. der Alkoholverwaltung)
betreffend die Revision des Alkoholgesetzes ausgearbeitet und zuständigenorts
im Parlament anhängig gemacht. Über die beantragte Revision, die
für die Werbung ganz allgemein tiefgreifende Konsequenzen haben müsste,
wurde in der letzten Nummer dieser Zeitschrift berichtet.
Ein anderes Problem, das den SRV zurzeit besonders beschäftigt, ist
die sogenannte kalte Reglementierung der Werbung im Bereich der Aussenwerbung.
Angefeuert durch Guttempler und andere Kreise werden die Gemeinden eingeladen,
kraft ihrer Autonomie die Aussenwerbung für Tabakwaren und alkoholische
Getränke auf öffentlichem Grund zu verbieten. Einzelne Gemeinden
haben diese Einladung aufgenommen, andere erwägen noch weitergehende
Einschränkungen und möchten auch vor dem privaten Grund nicht
halt machen. Wozu ist aber die Gemeinde im Rahmen ihrer eigenständigen
Autonomie berechtigt? Diese Frage scheidet die Geister, und es ist deshalb
unsere Aufgabe, hier Klarheit zu schaffen, bevor zu Aktionen geschritten
wird. Heute geht es um die Alkohol- und Tabakwerbung; was ist aber morgen
und wo bleibt letztlich die verfassungsmässig garantierte Handels-
und Gewerbefreiheit? Seitens des SRV und der interessierten Kreise wurden
Anfang Juni und Anfang Juli wichtige Vorkehren getroffen und entscheidende
Gespräche geführt.
(Werbung-Publicité Heft 7/8, 1979)
Ein "unheimlicher Patriot"
für die Schtmittelreklame
In grossem Umfang spielte die
Geschichte mit den Gratis-Inseraten im Vorfeld der Abstimmung über
die Initiative der schweizerischen Guttempler-Jugend zum Verbot der Suchtmittelreklame
im Februar 1979. Zahllose Verleger liessen sich wieder vor den Farner-Karren
spannen und publizierten die von Farner-Mitarbeiter Dominique Brunner getexteten
Inserate «Die Freiheit stirbt zentimeterweise« und «Ist
Bier ein Suchtmittel?». Bei der Guttempler-Initiative ging Farner,
dessen Werbeagentur von einem Suchtmittelreklame-Verbot natürlich betroffen
gewesen wäre, gleich auf mehreren Ebenen vor. Neben den AFV*-Inseraten
rief Rudolf Farner persönlich in ganzseitigen, von ihrer Typographie
her ganz wie AFV-Inserate aufgemachten Inseraten die Schweizer zum Nein
zur Initiative auf: «Am 18. Februar lässt sich der Schweizer
sein Bier, sein Glas Wein, seinen Stumpen, seine Zigarette nicht vermiesen!»
In der Jean-Frey-Presse erschienen hundertprozentig identische Inserate
übrigens ebenfalls, nur waren sie dort von einem «Komitee 'Persönliche
Freiheit'» gezeichnet, das an der «Rüdigerstrasse 12, 8021
Zürich» zuhause sei dem Sitz des Medienkonzerns Jean Frey AG.
(aus "Die unheimlichen Patrioten", Zürich
1979)
* "Aktion Freiheit und Verantwortung" |