Zum Gedenken an Ida und Joseph Odermatt-Sury


Am 19.4.2004 ist Ida Odermatt-Sury (geboren am 5.3.1911 in Zürich) nach einem kurzen Spitalaufenthalt im Alter von 93 Jahren in Lausanne gestorben. Als Studentin in Lausanne trat sie 1929 in den Dienst der Schweizerischen Zentralstelle gegen den Alkoholismus (SAS, seit 1976 Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und Drogenprobleme SFA) und blieb bis zu ihrer Pensionierung 1973. Mit vorbildlicher Treue und Kompetenz hat sie die Finanzen und Aufklärungstätigkeit der Stelle betreut. Zu ihren Hauptaufgaben gehörten die Kleinwandbilder für Schulen, Flugblätter, sowie Fragen des Jugend- und Frauenalkoholismus, der Statistik und der alkoholfreien Obstverwertung. Bekannt wurde sie auch als Verfasserin von beliebten Heften des Schweizerischen Jugendschriftenwerks (SJW). Nach ihrer Pensionierung lebte sie noch 31 Jahren zurückgezogen, aber geistig sehr regsam in Ouchy und wünschte sich, gleich wie ihr Gatte, eine anonyme Bestattung.

Gerne widmen wir auch noch einige Zeilen dem langjährigen Redaktor der Schweizerischen Zentralstelle gegen den Alkoholismus Joseph Odermatt (21.8.1890 – 25.3.1977). Im damaligen Nidwalden musste seine ledige Mutter noch im „Turm“ für ihren „Fehltritt“ büssen, und auch ihr hochbegabter Sohn wurde dadurch geprägt. Nach einer Lehrerausbildung in Zug übernahm er bis zum Ausbruch der russischen Revolution 1917 eine mehrjährige Hauslehrerstelle in einer russischen Adelsfamilie. Gerne erzählte er über die damit verbundenen Erlebnisse. Wenig wissen wir über seine erste in Russland geschlossene Ehe mit einer Gouvernante aus Luxemburg. Dieser Ehe entstammte ein Sohn, der u.a. in Zürich, Frauenfeld und Winterthur lebte und Vater zweier Kinder war.

1919 wurde Joseph Odermatt als SAS-Redaktor gewählt. Trotz seiner hervorragenden Begabung und Begeisterung für diese neue Lebensaufgabe schlug er verschiedene Angebote zur Übernahme der Stellenleitung aus, bestimmte aber als bewunderter Redaktor und geschätzter Referent dennoch weitgehend die Abstinenz- und Alkoholpolitik unseres Landes mit. Besonders beeindruckend war seine inkognito-Redaktion der Zeitschrift „Der Abstinente Sozialist“, die jeweilen durch den Präsidenten des Sozialistischen Abstinentenbundes den führenden sozialdemokratischen Politikern zugestellt wurde. Gerne verfasste er auch inkognito Ansprachen für Behördemitglieder, die er dann wieder in seinen verschiedenen Zeitschriften „Die Freiheit“ oder „La Sauvegarde“ u.a.m. zitierte. Vielfach spielte er auf zwei Klaviaturen, einerseits als listiger abstinenter Oppositionspolitiker und anderseits als überlegener realistischer Gesundheits- und Sozialpolitiker. Die Eidg. Alkoholverwaltung schätzte seine Stimme als intelligentes Gegengewicht zu den Stimmen der Alkoholinteressenten. Besonders scharf reagierte er auf ausländische Alkoholimport-Interessen und interpretierte die damalige Abkürzung EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) etwas provokativ als „Europäische Weingemeinschaft“. Eindrücklich waren auch seine vielfältigen wissenschaftlichen Interessen, nicht zuletzt auf dem Gebiet der Hirnforschung. 1973 liess er sich im Alter von 83 Jahren zusammen mit seiner 62jährigen Gattin pensionieren.

1970 ehrte die Universität Basel Joseph Odermatt durch die Verleihung der Ehrendoktorwürde der medizinischen Fakultät (Dr. med. honoris causa), in Anerkennung seiner Pionierleistungen auf dem Gebiete der Alkoholismus-Prophylaxe.

«Die medizinische Fakultät der Universität Basel verleiht den Ehrendoktor an Herrn Joseph Odermatt von Lausanne,
der als Mitarbeiter der Schweiz. Zentralstelle gegen den Alkoholismus viele Jahre seine ganze Kraft der Verteidigung der Volksgesundheit gewidmet hat;
der unermüdlich auf die Gefahren des Alkoholismus hingewiesen und in enisprechender Weise die Abstinenzbewegung gefördert hat;
der die leiblichen und seelischen Schädigungen des Alkoholismus mit klarem Blick beobachtet und durch die Mitteilung der dabei gewonnenen Erkenntnisse in unserem Volke sowohl die Vorsicht gemehrt wie die Abwehr gestärkt hat.»

Besonders wertvoll sind heute noch seine Publikationen:
J. Odermatt, Taschenbuch zur Alkoholfrage. 280 S., Alkoholgegner-Verlag Lausanne (1933)
J. Odermatt (lic. ès sciences sociales), Alkohol heute. 208 S., SAS-Verlag Lausanne (1967)
J. Odermatt, L’alcool aujourd’hui. 183 p., Editions SAS, Lausanne (1967)

Es ist mir ein Anliegen, Herrn und Frau Odermatt meine grosse Bewunderung und tiefe Dankbarkeit auszusprechen für die acht Jahre freundschaftlicher Zusammenarbeit, die ich als Leiter der Schweizerischen Zentralstelle gegen den Alkoholismus (1958-1966) mit ihnen erleben durfte.

2005/29.5.2006 Dr. phil. Walter Schmid, alt Kantonsbibliothekar, Frauenfeld
Walter Schmid war Leiter der SAS von 1958 – 1966 
Interview mit Frau Ida Odermatt-Sury

Artikel von Joseph Odermatt auf unserer Seite:
50 Jahre Alkoholpolitik in der Schweiz (1938)
Madame, un Bock? Frauen und Bier (1950)
Die Grundlagen der Abstinenzbewegung (1968)
Ein Wort über Gesetze
(1932)
Gustav von Bunge - Lebensbild, Schulfunksendung (1963)

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Schweizerische Alkoholpolitik 1913 - 1982
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