44 Jahre eine Säule des Schweizerischen Abstinenten-Sekretariats:
Frau Ida Odermatt-Sury


Aus der Jubiläumsschrift 100 Jahre SFA, 2002: Mit Frau Ida Odermatt Sury (I. O.-S.) spricht Eduard Muster (MR)

MR.: Liebe Frau Odermatt, Sie sind im Jahre 1929 in die SAS eingetreten und haben sicher vieles miterlebt.

I.O.-S.: Ich bin in die SAS gekommen, weil mein Vater den Direktor Oettli kannte. Ich sollte nur ein paar Jahre bleiben, um Französisch zu lernen. Das SAS hat mich aber wieder angefragt, ob ich zurückkommen wollte, und da bin ich dann bis 1973 geblieben. Viele Tätigkeiten habe ich vergessen; nach dem Abschluss der intensiven Arbeit habe ich mich jeweilen mit voller Kraft einem neuen Thema gewidmet.

MR.: Sie haben zuerst als Sekretärin, also als Schreibkraft gearbeitet. Aber dabei ist es nicht geblieben?

I.O.-S.: Nein. Ich habe dann die Schulwandbilder herausgegeben, d.h. ich habe die Bilder beschafft, die Texte geschrieben und den Druck und Versand veranlasst. Viermal jährlich sind sie in fast alle Volksschulen der Schweiz verschickt worden. Es galt, Ideen zu finden. wie das Alkoholproblem bildlich dargestellt und mit einem Begleitblatt für die Lehrer vertieft werden konnte. Wichtig war das Finden schöner, passender Bilder

MR.: Diese Bilder gehörten vor der heutigen Bilderflut zu den wenigen farbigen Hilfsmitteln, die den Schulen zur Verfügung standen. Noch heute treffe ich Leute, die sich dank dieser Bilder an die SAS und die SFA erinnern. Aber Sie haben sich auch schriftstellerisch betätigt.

I.O.-S.: Auf Anregung des damaligen Vereins der abstinenten Lehrer hatte das Schweizerische Jugendschriftenwerk SJW beschlossen, Hefte zum Thema Alkohol herauszugeben. Ich durfte dann einige Abenteuergeschichten schreiben, in denen Informationen über die Wirkung des Alkohols eingewoben wurden. Sie stiessen offensichtlich auf Interesse, denn mein Erstling, „Thommy und die Einbrecher", ist in der NZZ positiv besprochen worden und hat ganze neun Auflagen erlebt. Sogar in Holland wurde die Geschichte nachgedruckt mit einem deutsch holländischen Wörterverzeichnis zum Deutsch lernen.

MR.: Später sind Sie auch noch statistisch tätig geworden.

I.O.-S.: Wenn man so sagen kann. Die SAS hat einen „Blauen Taschenkalender" herausgegeben, der lange Zeit gute Nachfrage fand. Darin gab es immer ein Kapitel „Zahlen zum Alkoholproblem", das auch als Sonderdruck herausgegeben wurde. Diese Broschüre hat den Kalender überlebt und heisst ja heute „Zahlen und Fakten".

MR.: Heute sind diese Zahlen ja auch im Internet zu finden. Als Sie Ihre Arbeit in der SAS aufgenommen haben, war das Sekretariat noch nicht so gross wie heute die SFA?

I.O.-S.: Nein, wir waren ganze 6 Mitarbeiter Und wir hatten lange Zeit grosse finanzielle Probleme, es war ein ständiger Kampf ums Überleben. Es war auch die Zeit der Wirtschaftskrise und des Weltkrieges. Unsere Hauptquelle waren die Spenden nach dem Versand des Jahresberichtes. Mit 5 Franken konnte man Mitglied werden. Wichtig war für uns die Unterstützung durch die Abstinenzvereine, durch den Zürcher Frauenverein und andere private Organisationen. Die finanzielle Lage hat sich langsam gebessert, da die Arbeit der SAS bekannter wurde. Alle Kantone unterstützen uns aus dem Alkoholzehntel, mehr und mehr wurden Nichtabstinente Mitglieder der SAS. Der Versand des Buches von Herrn Odermatt „Alkohol heute" an alle Ärzte brachte viel Hilfe.

MR.: Sie haben sich in Ihrer Tätigkeit nicht nur auf Gedrucktes beschränkt. Ich habe im Archiv ein Weidenkörbchen zum Postversand von Lichtbildern gefunden.

I.O.-S.: Das ist aber lange her. Die SAS hat sich immer moderneren Medien zugewandt. Wir liessen Filme herstellen, zuerst Stummfilme mit Zwischentiteln, dann Tonfilme. Die Nachfrage aus Schulen, Vereinen, Firmen und sogar dem Militär war gross. Das brachte uns viel Arbeit, da jeder Film nach jeder Vorführung auf Schäden kontrolliert und gereinigt werden musste. Die bekannte Firma „Präsens" hat für uns den Film „Kommandoposten Gehirn" hergestellt, der ein grosser Erfolg wurde.

MR.: Der Titel des Films sagt, dass die SAS grossen Wert auf die naturwissenschaftlichen Aspekte legte.

I.O.-S.:
Das war ein Hauptargument. Direktor Oettli hat viel mit naturwissenschaftlichen Experimenten in den Schulen gearbeitet. Herr Odermatt hat die Bedeutung des Gehirns hervorgehoben. „Der Kernpunkt der Alkoholfrage liegt im Gehirn" heisst das erste Kapitel seines Werkes „Alkohol heute".

MR.: Was hat sich in den Jahrzehnten geändert, die Sie miterlebt haben?

I.O.-S.: Verschwunden ist der .Elendsalkoholismus"; man sah seinerzeit regelmässig nach Wirtshausschluss verelendete Betrunkene in den Gräben herumliegen. Auf die Verbreitung der Motorfahrzeuge setzten wir grosse Hoffnungen: Die Fahrer werden sich bewusst sein, dass sie vor dem Fahren nicht trinken dürfen und das wird sich auf den allgemeinen Konsum auswirken glaubten wir. Leider haben wir uns darin schwer getäuscht...

MR.: Noch einmal zurück zu Schülern und Kindern.

I.O.-S.: Die SAS erhielt viele Anfragen von Schülern aller Stufen, die einen Vortrag halten mussten. Für sie halte ich Material zum Studieren und zum Vorzeigen vorbereitet. Dazu gab ich immer Ratschläge, wie der Vortrag aufgebaut werden konnte und was mir wichtig schien. Diese Dienstleistung wurde sehr geschätzt und viel benutzt; Schüler und Lehrer haben wahrscheinlich unsere Adresse weiter gegeben. So erreichten wir zusammen mit den Kleinwandbildern viele Schüler, in einer Zeit, da es keine „Vorsorger" oder Präventionsstellen gab. „Walter Tell" ist nicht nur der Sohn von Wilhelm, sondern auch eine (französischsprachige) Kinder und Jugendzeitschrift, die von den Guttemplern und dem Blauen Kreuz für ihre Jugendgruppen herausgegeben und von den abstinenten Frauen im Kanton Genf in den Schulen verteilt wurde. Ich habe die Redaktion sozusagen geerbt und mich bemüht, dass Kinder schon früh über die Wirkungen des Alkoholkonsums informiert wurden.

MR.: Viele Mitarbeiter der SAS sind jahrzehntelang dabei geblieben, Sie zum Beispiel 44 Jahre.

I.O.-S.: Der Rekordhalter ist Herr Odermatt (Odt) von 1919 bis 1973, also 54 Jahre! Einige Direktoren waren sehr lange tätig: Hercod 19 Jahre, Oettli 25 Jahre, Wieser 26 Jahre, Müller bis jetzt 24 Jahre. Sie, Herr Muster, ja auch 33 Jahre.

MR.: Eine interessante Zeit. Sie erinnern sich trotz Ihrer ursprünglichen Bedenken an viele Dinge. Herzlichen Dank für das Gespräch.


Ida Odermatt Sury: Regelmässig kamen und kommen junge Mädchen in die SAS, um ein paar Jahre als Sekretärin ihr Französisch zu verbessern. So auch 1929 Ida Sury, die ihre Ausbildung im Kanton Zürich abgeschlossen hatte. Wie die andern kehrte sie auch wieder in die Deutschschweiz zurück wurde aber bald von der SAS wieder nach Lausanne geholt. Und damit begann eine vier Jahrzehnte dauernde Karriere. Sie übernahm mit der Zeit nicht nur viele administrative Aufgaben, sie betreute u.a. junge Deutschschweizerinnen, die wie sie seinerzeit Französisch lernten, und verfasste Tausende von Seiten in Broschüren, Artikeln und Briefen. (SFA)
(Eine Bemerkung des webmasters: Bewundernswert ist, dass sowohl I. O.-S. wie ihr Mann Odt. ihre Artikel und Schriften in zwei Sprachen verfassten!)

Ida Odermatt-Sury ist gestorben

Am 19. April 2004 ist Frau Ida Odermatt-Sury, langjährige Mitarbeiterin der SFA in Lausanne, einen Monat nach ihrem 93. Geburtstag, in aller Stille heimgegangen.
Im Jahre 1929 hat Ida Sury - 18jährig, zum Französischlernen - ihre Arbeit als Sekretärin in der damals SAS genannten Zentralstelle aufgenommen. Ihre administrativen Aufgaben waren vielfältiger Art. So betreute sie auch in finanziell schweren Zeiten die Buchhaltung – und einen wichtigen Teil der Mittelbeschaffung. Sie beschränkte sich aber nicht auf die Verwaltung, sie war im auch im Auskunftsdienst tätig. Hunderte von Schülern haben mit ihrer Hilfe Vorträge zum Thema Alkohol gehalten.

Bekannt wurde sie aber als Autorin. Sie verfasste einige SJW-Hefte, die zu ihrer eigenen Überraschung mehrere Auflagen erlebten – sogar in Holland mit einem Wörterverzeichnis zum Deutschlernen. Ihr war die Broschüre "Zahlen zum Auswerten" zu verdanken, die Vorläuferin von "Zahlen und Fakten". Die suchte Dutzende von Bildern für die "Kleinwandbilder" aus und verfasste die Texte dazu. Viermal im Jahr erhielten so Hunderte von Schulen Unterrichtsmaterial zum Thema Alkohol. In der damals bilderarmen Zeit waren die Bilder sehr willkommen und wurden als Wandschmuck verwendet. Noch nach Jahrzehnten konnte man hören: "Ja, die Zentralstelle in Lausanne, ich mag mich gut an eure Bilder erinnern."

Wie auch ihr späterer Mann Joseph Odermatt arbeitete sie auch in französischer Sprache. So gab sie die französische Kinderzeitschrift "Walter Tell" heraus. Ich habe viele ihrer Aktivitäten vergessen – sie auch, wie sie mir in einem Interview zum 100. Geburtstag der SFA erklärte.
Im Jahre 1973 zog sie sich mit ihrem Mann, Dr. h.c. Joseph Odermatt (selber Mitarbeiter der Zentralstelle seit 1919), ins Privatleben zurück.
(Eduard Muster, ASA-News, Dezember 2004)


Zum Gedenken an Ida und Joseph Odermatt-Sury
Artikel von Joseph Odermatt:
50 Jahre Alkoholpolitik in der Schweiz (1938)
Madame, un Bock? Frauen und Bier (1950)
Die Grundlagen der Abstinenzbewegung (1968)
Ein Wort über Gesetze
(1932)

Daten zur Geschichte der SFA
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