Gemeindebestimmungsrecht (G. B. R.)

Local Option - Branntweininitiative
Lokaloption - Gemeindeverbotsrecht - Kantonsverbotsrecht


Postulat Hilty vom 12. Dezember 1899

"Der Bundesrat wird ersucht, in Erwägung zu ziehen, ob nicht eine Revision des Art. 31 der Bundesverfassung in dem Sinne vorzugsweise anzubahnen sei, dass es jedem Kanton und jeder Gemeinde gestattet sei, für seinen resp. ihren Bezirk Massnahmen gegen den Alkoholismus eintreten zu lassen, ohne durch den Grundsatz der Gewerbefreiheit daran gehindert zu sein."

Für das Postulat stimmten nur 12 Nationalräte. Ein "anständiges Begräbnis" nannte Hilty den daraus resultierenden Beschluss:

"Der Bundesrat wird eingeladen, die gesetzgeberischen Massnahmen zu studieren, die von anderen Ländern im Kampf gegen den Alkoholismus getroffen worden sind."

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Bestrebungen zur Einführung der Lokaloption in der Schweiz

Der erste in der Schweiz unternommene Versuch, die Lokaloption in die schweizerische Alkoholgesetzgebung einzuführen, ging von dem bekannten Staatsrechtslehrer und Schriftsteller Professor Hilty aus. Anlässlich der Beratung des in Revision stehenden Alkoholgesetzes reichte Professor Hilty am 12. Dezember 1899 im Nationalrat nachfolgendes Postulat ein:
«Der Bundesrat wird ersucht, in Erwägung zu ziehen, ob nicht eine Revision des Art. 31 der Bundesverfassung in dem Sinne vorzugsweise anzubahnen sei, dass es jedem Kanton und jeder Gemeinde gestattet sei, für seine resp. ihre Bezirke Massregeln gegen den Alkoholismus eintreten zu lassen, ohne durch den Grundsatz der Gewerbefreiheit daran gehindert zu sein.»
In seiner Begründung wies Professor Hilty darauf hin, dass die eidgenössische Alkoholgesetzgebung, wie sie in den Jahren 1885/87 eingeführt wurde, volkshygienisch nur eine unvollständige Wirkung ausgeübt habe, und die Gefahr des Alkoholismus in unserm Lande nach wie vor gross sei. Darum solle man den Kantonen und Gemeinden, welche von der Schädlichkeit des Alkoholismus überzeugt sind, erlauben, den Alkoholvertrieb auszuschliessen. Dann werde man in 10 bis 20 Jahren den Unterschied zwischen den Gemeinden sehen, und diese demonstratio ad oculos beweise mehr als alle Aufklärungsarbeit.
Die guten Tendenzen, die Professor Hilty mit seinem Postulat verfolgte, wurden zwar allgemein anerkannt, doch wiesen verschiedene Redner im Nationalrat, wie z. B. Herr Curti, auf die Schwierigkeit hin, welche sich der Einführung einer solchen Bestimmung entgegenstellen wurden.
Das Postulat wurde denn auch abgelehnt, doch kam der Berichterstatter der ständerätlichen Kommission für die Revision des Alkoholgesetzes, von Arx, im Ständerat noch einmal auf dieses Postulat zu sprechen. Er bemerkte, dass die schweizerischen Verhältnisse doch ganz andere seien als in den Ländern, in denen die Lokaloption zuerst aufkam, und dass eine Vermehrung der Autonomie der Gemeinden im Wirtschaftswesen das Übel nur noch vergrössere. Immerhin gab er zu, dass auch die eidgenössische Alkoholgesetzgebung ihre Schattenseiten habe und der Art. 32 bis der Bundesverfassung leider die Vermehrung der Produktion der freien Brennerei bewirke, sobald die Verkaufspreise der Alkohol Verwaltung erhöht werden.
Seither hat die Frage geruht, bis sie durch die Anhandnahme der Revision der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung im Jahre 1919 wieder aufgeworfen wurde. Schon zwei Jahre vorher hatte sich eine Gesellschaft für das Gemeindebestimmungsrecht gebildet, die sich speziell zur Aufgabe machte, für die Verwirklichung des Gemeindeverbotsrechts in der Schweiz zu arbeiten.
Nachdem wir Ihnen am 27. Juni 1919 eine Botschaft für die Revision der Art. 81 und 32bis der Bundesverfassung unterbreiteten und der Nationalrat die Vorlage in Behandlung genommen hatte, gelangten die schweizerischen Alkoholgegner mit der Anregung an die nationalrätliche Kommission, dass das Gemeindeverbotsrecht in den neuen Verfassungsartikel aufgenommen werden sollte.

Die nationalrätliche Kommission kam aber zu dem Schluss, dass es besser sei, das ohnehin mit Schwierigkeiten verknüpfte Revisionswerk nicht noch mit der umstrittenen Lokaloption zu belasten. Sie musste daher die Anregung der schweizerischen Alkoholgegner ablehnen. Darauf beschloss der Beirat der schweizerischen Zentralstelle zur Bekämpfung des Alkoholismus am 27. November 1920, eine Initiative in die Wege zu leiten, um auf diesem Wege die Aufnahme der Lokaloption in die Bundesverfassung zu erreichen. Das Ergebnis ist nun die Initiative, über die wir Ihnen Bericht und Antrag einzubringen haben.
(Bericht des Bundesrates vom 5. Dezember 1927)


"Branntweininitiative"

Da sich der Bundesrat mit seinem Auftrag Zeit liess, wurde am 1. März 1918 eine "Schweizerische Gesellschaft für das Gemeindebestimmungsrecht" gegründet. Probeabstimmungen in zahlreichen Gemeinden ergaben zustimmende Mehrheiten. Der Bundesrat wurde auch aktiv: In seiner Botschaft vom 27. Mai 1919 schlug der Bundesrat vor, die Befugnisse der der Bundesgesetzgebung auf alle gebrannten Getränke auszudehnen. (Erst seit 1933 erfasst das Gesetz auch Obst-, Wein- und Beerenbranntwein, nicht aber Wein und Bier.) Da aber 1919 das G. B. R. nicht vorgesehen wurde, beschloss der Beirat des SAS am 27. November 1920 die Lancierung einer Volksinitiative.

Am 21. Januar 1921 wurde die Initiative für das Gemeindebestimmungsrecht lanciert:
"Die Kantone und Gemeinden sind berechtigt, auf ihrem Gebiet die Fabrikation und den Verkauf gebrannter Wasser, die zum Genusse bestimmt sind, zu verbieten."
Schon am 10. November desselben Jahres konnte sie eingereicht werden - zur Abstimmung kam sie allerdings erst am 12. Mai 1929. Im Rahmen der Neuordnung der Alkoholgesetzgebung machten die am Branntwein wirtschaftlich interessierten Kreise ihre Zustimmung zur Bundesvorlage von der Ablehnung der Initiative abhängig, was eine Volksabstimmung plötzlich notwendig machte.



Die Initiative wurde am 12. Mai 1929 mit 226'794 (32.7%) Ja gegen 467'724 (67.3%) Nein verworfen. Angenommen wurde sie nur vom Kanton Basel-Stadt mit 64%, am stärksten war die Ablehnung in Nidwalden mit 81% Nein. Die Befürworter der Initiative sahen als positive Folge ihrer Aufklärungskampagne die Einführung des "Morgenschnapsverbotes" in mehreren Kantonen.


Fünf Fragen zur Branntwein-Initiative


Volksabstimmung 11./ 12. Mai 1929

Ein ausländisches Gesetz, ein fremdes Gewächs, unschweizerisch?

Tatsache ist allerdings, dass in zahlreichen andern Ländern die Gemeinden heute das Recht haben, gegen das Schnapselend nach eigenem Ermessen vorzugehen. In Norwegen befreiten sich die Landgemeinden auf diese Weise von der Schnapsnot. Die Gemeinden Dänemarks haben innert 2 Jahren nach der Einführung des Gemeinderechts den Alkoholverbrauch um einen Sechstel gesenkt und zwar einzig durch die Massnahmen der Gemeinden.
Aber Tatsache ist auch, dass der Gedanke des Gemeinderechts schweizerischen Ursprungs ist. Am 4. April 1800 wurde in der Verfassung der Helvetik ausdrücklich den Gemeinden das Recht zugesprochen, auf ihrem Gebiete durch Mehrheitsbeschluss den Verkauf geistiger Getränke einschränken zu dürfen.

Ein neues Verbot, eine neue Beschränkung der persönlichen Freiheit?

Der Kern der Vorlage ist nicht das Verbot. Im Gegenteil: die Gemeinden sollen künftig grössere Rechte erhalten. Der Ausdruck „Schnapsverbots-Initiative” ist sine Irreführung der öffentlichen Meinung; richtiger wäre „Gemeinderechts-Initiative.” Die Gemeinden sollen künftig nicht bloss die Schnapser and ihre Familien erhalten müssen, sondern auch grundsätzlich die Ursache des Uebels beseitigen können. Heute sind ihnen die Hände gebunden; sie dürfen nur zahlen, aber nicht Abhilfe schaffen, wo and wie es ihnen als den zunächst Beteiligten nötig erscheint. Das ist ein für viele Gemeinden unerträglicher Zustand. Darum die Forderung:
„Die Kantone und die Gemeinden sind berechtigt, auf Ihrem Gebiete die Fabrikation and den Verkauf der gebrannten Wasser, die zum Genuss bestimmt sind, zu verbieten.”

Zehn Prozent der Bürger können eine Abstimmung über bestimmte Vorschläge verlangen; dann entscheidet die Mehrheit. Die Gemeinden sind auch frei in Bezug auf die Wahl der Mittel, die ihnen geeignet scheinen, wie vollständiges Verbot, Morgenschnapsverbot, Sonntagsverbot usw. Auf jeden Fall aber sind sie künftig frei in ihren Entschlüssen, während sie bis heute in dieser Hinsicht durch die Vorschriften der Bundesverfassung gehemmt waren.

Der erste Schritt zur Prohibition?

Wenn eine Erweiterung der Gemeinderechte zur Staatsprohibition führen soll, so kann man mit viel mehr Recht behaupten, das Einziehen von Steuern für die Familien der Trinker sei Kommunismus Die Gemeinden sollen ja nur Herstellung and Verkauf von Schnaps verbieten können, nicht aber den Genuss und die Einfuhr, was bekanntlich die Durchführung der Prohibition so verhasst macht. Die Erweiterung der Gemeinderechte ist das gerade Gegenteil der von oben herab diktierten, schablonenhaften Staatsprohibition.

Bringt die Initiative nicht zu wenig? Wird sie nicht immer umgangen? Wandert der Schnapser nicht in die Nachbargemeinden oder nimmt den Schnaps ins Haus?

Das alles klingt sehr bestechend, hält aber nicht Stand vor den Erfahrungen im Auslande, wo der Verkehr zwischen den einzelnen Gemeinden noch leichter ist als in unseren oft recht isolierten Bergdörfern. Theoretisch hört es sich recht gut an, aber in der Praxis hat es sich eben gezeigt, dass, wo der Mann dem Schnaps nachlaufen muss, statt dass der Schnaps dem Manne nachläuft, der Mann bald seine Freude am Schnaps verliert und sich an den neuen Zustand gewöhnt. Aeltere Leute werden vielleicht noch dem Gläschen nachlaufen, aber die jungen Leute unsere Zukunft, die werden vor einer bösen Versuchung bewahrt. Das sind Erfahrungen! Was die Gegner der Gemeinderechte dagegen einwenden, sind blosse Vermutungen, die sich noch nie und nirgends als richtig erwiesen haben!

Gefährdet die Initiative nicht das grosse Revisionswerk, die seif Jahren in Beratung stehende Erneuerung unserer Alkoholmonopolgesetzgebung?

Diese Behauptung allein würde genügen, die Verwerfung der Initiative notwendig zu machen, wenn sie berechtigt wäre. Aber das Gegenteil ist richtig. Glaubt man, den Gemeinden dürfte das Recht verweigert werden, sich der Schnapsnot und der sich daraus ergebenden Armenlasten zu erwehren, während man dagegen vom ganzen Schweizervolk verlangt, höhere Schnapssteuern zu bewilligen, den Brennhafen aus dem Bauernhause abzugeben usw.? Wer so denkt, handelt wie ein Familienvater, der seinem Sohne keinen Rappen zur selbständigen Verwendung überlassen will, bis er zwanzig Jahre alt geworden ist und ihm dann sein ganzes Vermögen übergibt! Man verweist auf die hohen Schnapssteuern im Auslande, besonders in Dänemark; aber man vergisst dabei, dass diese erst möglich wurden, nachdem die Gemeinderechte und ihre Anwendung die Vorteile der Schnapsbekämpfung bewiesen hatten. Wenn am 12. Mai den Gemeinden die Ausdehnung ihrer Rechte verweigert wird, werden die Bundesbehörden die grösste Mühe haben, die Hauptpunkte ihres Revisionswerks aufrecht zu erhalten. Die Annahme der Branntwein-Initiative ist dagegen die beste Vorarbeit für die Revision der Monopolgesetzgebung. Lasser wir dagegen am 12. Mai den Spatz aus der Hand, um die Taube auf dem Dach zu fangen, so wird der entflatternde Spatz die Taube verscheuchen.

Ein Wort an die Weinhändler, Hoteliers, Wirte und Brauer.

Der Likörhändlerverband möchte mit Eurer Hilfe 200 000 Fr. zum Schutze der Schnapsflasche aufbringen. Was sagt ihr dazu? Hat J. B. Rusch nicht etwas recht, wenn er in der „Nationalzeitung” schreibt: „Wer den Schnapsgenuss verteidigt, der setzt sich für die Verarmung des Volkes ein, und arme Völker geben den Weinhändlern nichts zu verdienen. Unterstützt man nur wacker das Schnapssaufen, wir werden es dann schon zu einem moralischen und geistigen Niveau des Volkes bringen, auf dem der Weinhändler seine Weine selber trinken, der Küfer seine Bude schliessen und die besseren Wirte ihre Gewerbe aufstecken dürfen.” Hat der wackere Appenzeller Volksmann nicht recht?

Und die Bauern?

Der Bauer weiss ganz genau, dass der Schnapser und seine Familie ein schlechter Abnehmer von Milch, Käse, Fleisch, Obst usw. ist. Er weiss ferner, dass der Grossteil des in der Schweiz verbrauchten Schnapses nicht dem bäuerlichen Brennhafen entstammt, sondern ausländischer Herkunft ist. Eine Verminderung des Schnapsverbrauchs in der Schweiz bedeutet daher für ihn keine Verminderung seines Absatzes für Obstabfälle und Brennobst, dagegen aber eine vermehrte Nachfrage nach Obst, Fleisch, Milch usw. Und, was ebenfalls wichtig ist: die Armenunterstützungen infolge Trunksucht der Familienväter können vermindert werden! Es muss ein übelberatener Bauer sein, der seiner Gemeinde das Recht vorenthalten will, nötigenfalls etwas gegen das Schnapsen zu tun!

Alles in Allem: Als Gemeindebürger, als Erwerbender, gleichgültig in welcher Stellung, als Freund des Revisionswerks und als Menschenfreund vor allem darf, soll und muss am 12. Mai jeder stimmberechtigte Schweizerbürger klar und deutlich sagen:

Branntwein-Initiative: Ja!



Zur eidgenössischen Abstimmung
vom 11./12. Mai 1929


Mitbürger!

Soll das so bleiben?

Aus 30 000 Brennereien ergiesst sich heute die. Schnapsflut in unser Volk, Armut und Krankheit bringend. Und doch hat noch keine Gemeinde das Recht, sich dagegen zu wehren. - S o l  l   d a s   s o  b l e i b e n ?
In 23 000 Wirtschaften wird täglich Schnaps ausgeschenkt. Das Volk bleibt bei der Erteilung der Ausschankbewilligung unbefragt. In vielen andern Staaten ist es ein Recht der Gemeindebevölkerung, den Schnapsausschank einzuschränken. Bei uns fehlt dieses Recht. S o l  l   d a s   s o  b l e i b e n ?
3000 Gemeinden zählt die Schweiz. Wenn in jeder Gemeinde auch nur ein einziger Schnapser leben würde, so gäben sie ein Infanterieregiment. Zählen wir dazu alle ihre Angehörigen, die durch sie während Jahren namenlosen Kummer gelitten haben, so kommen wir rasch auf eine ganze Division, .auf der das schwerste Schnapselend lastet. Dabei haben wir nur die krassesten Fälle im Auge. Und doch kann man heute noch nichts tun, um den Schnaps aus einer Gemeinde herauszubringen. S o l l   d a s   s o  b l e i b e n ?
90 000 Schweizer mindestens müssen wir (nach den Angaben des Eidgen. Finanzdepartements) als Opfer der Trunksucht in Gefängnissen, Erziehungsheimen, Irrenhäusern und andern Anstalten versorgen. Dabei dürfen die Gemeinden Immer bloss die Folgen der Trunksucht lindern und nie daran gehen, die Ursachen zu beseitigen. S o l  l   d a s   s o  b  l e i b e n ?

Nein, das soll nicht mehr so bleiben!

So sagten sich im Jahre 1921 einsichtige Schweizerbürger. Sie reichten eine mit 146'510 Unterschriften bedeckte Initiative ein, die folgenden Wortlaut hatte:
«Die Kantone und die Gemeinden sind berechtigt; auf ihrem Gebiete die Fabrikation und den Verkauf der gebrannten Wasser, die zum Genusse bestimmt sind, zu verbieten.
Der Erlass oder die Aufhebung solcher Verbote können sowohl nach den Bestimmungen des kantonalen Rechts erfolgen, als auch durch Volksabstimmung in dem Kanton oder in der Gemeinde, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten eine solche verlangt.»

Nun soll unser Volk am 11./12. Mai darüber entscheiden, ob dieser neue Artikel in die Bundesverfassung aufgenommen werden soll oder nicht.
Selbstverständlich dürfen Kantone und Gemeinden auch weniger weitgehende Massnahmen zur Schnapsbekämpfung ergreifen und anwenden. So können sie beispielsweise den Ausschank von Schnaps vor Beginn der Arbeitszeit oder auch an Sonntagen untersagen, den Verkauf in den Läden aufheben usw. Der Schnaps soll vom Manne weggebracht werden, statt dass, wie bisher, der Schnaps dem Mann nachläuft. Jede Gemeinde wird dabei nach ihren örtlichen Bedürfnissen verfahren. Wenn eine Gemeinde nicht mehr hohe Armenlasten zur Unterstützung der Schnapser und ihrer Familien zahlen will, wird sie diesen Ausbau der demokratischen Rechte nur begrüssen. Denken wir an die Elends Division! Sie wird zwar nicht auf einen Schlag verschwinden, wenn die: Initiative angenommen wird, aber sie wird verkleinert werden, wenn auch zunächst vielleicht bloss um eine Kompagnie und vielleicht nicht einmal um die allerelendeste. Das ist nicht gar viel - aber wollen wir auch das wenige noch durch ein N e i n verunmöglichen?

Was will die Initiative nicht?

Die Initiative verbietet vernünftigerweise den ohnehin ganz unkontrollierbaren Genuss von Schnaps nicht. Auch die Einfuhr in Gemeinden mit einem Herstellungs- und Verkaufsverbot wird nicht gehindert. Daher braucht die Durchführung des Gemeindeverbots keine Polizei. Im Gegenteil: Aus bekannten Gründen dürfte die Polizei in einer Gemeinde mit Einschränkungen des Schnapsausschanks eher weniger Arbeit haben als anderswo!
Die Initiative stört auch die Totalrevision unserer Alkoholgesetzgebung nicht. Sie ergänzt sie vielmehr und bereitet ihr den Boden vor.
Die Initiative ist das Gegenteil der Staatsprohibition: Sie zwingt den Gemeinden keine Schablone auf, sondern gibt ihnen endlich die Freiheit; den örtlichen Verhältnissen: entsprechend gegen das Schnapselend vorzugehen, wie und wo es ihnen nötig scheint.

Wer ist gegen die Initiative?

Die Branntweinhändler, denn sie wissen, dass nach der Annahme der Initiative ihre Profite bedroht sind. Deshalb sammeln sie 200'000 Fr., um damit einen für sie günstigen Entscheid zu erzwingen.
Viele Wirte, denen z. B. die Einführung des Morgenschnapsverbotes schon eine bedeutende Verminderung ihrer Einnahmen brächte und sie zwingen würde, ihren Betrieb umzustellen.
Viele Politiker, weil sie glauben, die Annahme der Initiative gefährde die Alkoholgesetzrevision.

Wer ist für die Initiative?

Der Politiker, wenn er weiss, dass in andern Ländern (z. B. in Dänemark) erst durch die Einführung dieses Gemeinderechtes der Boden für eine durchgreifende Revision der gesamten Alkoholgesetzgebung vorbereitet wurde.
Der Steuerzahler, der eine Verminderung der Armenlasten begrüsst.
Der ehrbare Wirt, der gerne den Schnaps aus seinem Hause verbannt, wenn es alle andern Wirte in seiner Ortschaft auch tun müssen.
Der Bauer, der weiss, dass Trinkerfamilien seines Dorfes keine guten Abnehmer für Milch, Fleisch und Obst sind, dagegen eine schwere Belastung für viele ländliche Gemeinden.
Der Arbeiter, der weiss, dass der denkende Arbeiter nicht trinkt und der trinkende Arbeiter nicht denkt.
Der Sportfreund, der weiss, dass der Schnaps der grösste Feind der körperlichen Leistungsfähigkeit ist.
Der Arzt und der Richter, weil sie wissen, dass der Schnaps die körperliche, geistige und moralische Gesundheit unseres Volkes schädigt.
Der christlich Gesinnte, weil er nicht länger untätig dem Schnapselend zusehen möchte.
Alle, die an den gesunden Sinn des Schweizervolkes glauben und wissen, dass ein Volk sich selbst helfen muss, dass die Gemeinde die Urzelle unseres Staates ist und dass eine erfreuliche Weiterentwicklung nur von hier aus kommen kann.

Darum: am 11./12. Mai 1929: Ja!


Ein solches Dorf sollte sich nach eigenem Ermessen der Schnapsgefahr erwehren dürfen.


12. Mai 1929 Branntwein-Initiative JA

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Volksbegehren über das Kantons- und Gemeindeverbotsrecht für gebrannte Wasser, die zum Genuss bestimmt sind. (Vom 5. Dezember 1927)

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