|
|
„Die
Kantone und die Gemeinden sind berechtigt, auf Ihrem Gebiete die
Fabrikation and den Verkauf der gebrannten Wasser, die zum Genuss
bestimmt sind, zu verbieten.” |
Wenn eine Erweiterung der Gemeinderechte zur Staatsprohibition führen soll, so kann man mit viel mehr Recht behaupten, das Einziehen von Steuern für die Familien der Trinker sei Kommunismus Die Gemeinden sollen ja nur Herstellung and Verkauf von Schnaps verbieten können, nicht aber den Genuss und die Einfuhr, was bekanntlich die Durchführung der Prohibition so verhasst macht. Die Erweiterung der Gemeinderechte ist das gerade Gegenteil der von oben herab diktierten, schablonenhaften Staatsprohibition.
Das alles klingt sehr bestechend, hält aber nicht Stand vor den Erfahrungen im Auslande, wo der Verkehr zwischen den einzelnen Gemeinden noch leichter ist als in unseren oft recht isolierten Bergdörfern. Theoretisch hört es sich recht gut an, aber in der Praxis hat es sich eben gezeigt, dass, wo der Mann dem Schnaps nachlaufen muss, statt dass der Schnaps dem Manne nachläuft, der Mann bald seine Freude am Schnaps verliert und sich an den neuen Zustand gewöhnt. Aeltere Leute werden vielleicht noch dem Gläschen nachlaufen, aber die jungen Leute unsere Zukunft, die werden vor einer bösen Versuchung bewahrt. Das sind Erfahrungen! Was die Gegner der Gemeinderechte dagegen einwenden, sind blosse Vermutungen, die sich noch nie und nirgends als richtig erwiesen haben!
Der Likörhändlerverband möchte mit Eurer Hilfe 200 000 Fr. zum Schutze der Schnapsflasche aufbringen. Was sagt ihr dazu? Hat J. B. Rusch nicht etwas recht, wenn er in der „Nationalzeitung” schreibt: „Wer den Schnapsgenuss verteidigt, der setzt sich für die Verarmung des Volkes ein, und arme Völker geben den Weinhändlern nichts zu verdienen. Unterstützt man nur wacker das Schnapssaufen, wir werden es dann schon zu einem moralischen und geistigen Niveau des Volkes bringen, auf dem der Weinhändler seine Weine selber trinken, der Küfer seine Bude schliessen und die besseren Wirte ihre Gewerbe aufstecken dürfen.” Hat der wackere Appenzeller Volksmann nicht recht?
Der Bauer weiss ganz genau, dass der Schnapser und seine Familie ein schlechter Abnehmer von Milch, Käse, Fleisch, Obst usw. ist. Er weiss ferner, dass der Grossteil des in der Schweiz verbrauchten Schnapses nicht dem bäuerlichen Brennhafen entstammt, sondern ausländischer Herkunft ist. Eine Verminderung des Schnapsverbrauchs in der Schweiz bedeutet daher für ihn keine Verminderung seines Absatzes für Obstabfälle und Brennobst, dagegen aber eine vermehrte Nachfrage nach Obst, Fleisch, Milch usw. Und, was ebenfalls wichtig ist: die Armenunterstützungen infolge Trunksucht der Familienväter können vermindert werden! Es muss ein übelberatener Bauer sein, der seiner Gemeinde das Recht vorenthalten will, nötigenfalls etwas gegen das Schnapsen zu tun!
Alles in Allem: Als Gemeindebürger, als Erwerbender, gleichgültig in welcher Stellung, als Freund des Revisionswerks und als Menschenfreund vor allem darf, soll und muss am 12. Mai jeder stimmberechtigte Schweizerbürger klar und deutlich sagen:
|
«Die
Kantone und die Gemeinden sind berechtigt; auf ihrem Gebiete die
Fabrikation und den Verkauf der gebrannten Wasser, die zum Genusse
bestimmt sind, zu verbieten. Der Erlass oder die Aufhebung solcher Verbote können sowohl nach den Bestimmungen des kantonalen Rechts erfolgen, als auch durch Volksabstimmung in dem Kanton oder in der Gemeinde, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten eine solche verlangt.» |
Nun soll unser Volk am 11./12.
Mai darüber entscheiden, ob dieser neue Artikel in die Bundesverfassung
aufgenommen werden soll oder nicht.
Selbstverständlich dürfen Kantone und Gemeinden auch weniger
weitgehende Massnahmen zur Schnapsbekämpfung ergreifen und anwenden.
So können sie beispielsweise den Ausschank von Schnaps vor Beginn
der Arbeitszeit oder auch an Sonntagen untersagen, den Verkauf in den
Läden aufheben usw. Der Schnaps soll vom Manne weggebracht
werden, statt dass, wie bisher, der Schnaps dem Mann nachläuft.
Jede Gemeinde wird dabei nach ihren örtlichen Bedürfnissen verfahren.
Wenn eine Gemeinde nicht mehr hohe Armenlasten zur Unterstützung
der Schnapser und ihrer Familien zahlen will, wird sie diesen Ausbau der
demokratischen Rechte nur begrüssen. Denken wir an die Elends Division!
Sie wird zwar nicht auf einen Schlag verschwinden, wenn die: Initiative
angenommen wird, aber sie wird verkleinert werden, wenn auch zunächst
vielleicht bloss um eine Kompagnie und vielleicht nicht einmal um die
allerelendeste. Das ist nicht gar viel - aber wollen wir auch das wenige
noch durch ein N e i n verunmöglichen?
Die Initiative verbietet
vernünftigerweise den ohnehin ganz unkontrollierbaren Genuss von
Schnaps nicht. Auch die Einfuhr in Gemeinden mit einem Herstellungs- und
Verkaufsverbot wird nicht gehindert. Daher braucht die Durchführung
des Gemeindeverbots keine Polizei. Im Gegenteil: Aus bekannten Gründen
dürfte die Polizei in einer Gemeinde mit Einschränkungen des
Schnapsausschanks eher weniger Arbeit haben als anderswo!
Die Initiative stört auch die Totalrevision unserer Alkoholgesetzgebung
nicht. Sie ergänzt sie vielmehr und bereitet ihr den Boden vor.
Die Initiative ist das Gegenteil der Staatsprohibition: Sie zwingt den
Gemeinden keine Schablone auf, sondern gibt ihnen endlich die Freiheit;
den örtlichen Verhältnissen: entsprechend gegen das Schnapselend
vorzugehen, wie und wo es ihnen nötig scheint.
Die
Branntweinhändler, denn sie wissen, dass nach der
Annahme der Initiative ihre Profite bedroht sind. Deshalb sammeln sie
200'000 Fr., um damit einen für sie günstigen Entscheid zu
erzwingen.
Viele Wirte, denen z. B. die
Einführung des Morgenschnapsverbotes schon eine bedeutende Verminderung
ihrer Einnahmen brächte und sie zwingen würde, ihren Betrieb
umzustellen.
Viele Politiker, weil sie glauben,
die Annahme der Initiative gefährde die Alkoholgesetzrevision.
Der
Politiker, wenn er weiss, dass in andern Ländern
(z. B. in Dänemark) erst durch die Einführung dieses Gemeinderechtes
der Boden für eine durchgreifende Revision der gesamten Alkoholgesetzgebung
vorbereitet wurde.
Der Steuerzahler, der eine Verminderung
der Armenlasten begrüsst.
Der ehrbare Wirt, der gerne den
Schnaps aus seinem Hause verbannt, wenn es alle andern Wirte in seiner
Ortschaft auch tun müssen.
Der Bauer, der weiss, dass Trinkerfamilien
seines Dorfes keine guten Abnehmer für Milch, Fleisch und Obst
sind, dagegen eine schwere Belastung für viele ländliche Gemeinden.
Der Arbeiter, der weiss, dass
der denkende Arbeiter nicht trinkt und der trinkende Arbeiter nicht
denkt.
Der Sportfreund, der weiss,
dass der Schnaps der grösste Feind der körperlichen Leistungsfähigkeit
ist.
Der Arzt und der Richter, weil
sie wissen, dass der Schnaps die körperliche, geistige und moralische
Gesundheit unseres Volkes schädigt.
Der christlich Gesinnte, weil
er nicht länger untätig dem Schnapselend zusehen möchte.
Alle, die an den gesunden Sinn des Schweizervolkes
glauben und wissen, dass ein Volk sich selbst helfen
muss, dass die Gemeinde die Urzelle unseres Staates ist und dass eine
erfreuliche Weiterentwicklung nur von hier aus kommen kann.
Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Volksbegehren über das Kantons- und Gemeindeverbotsrecht für gebrannte Wasser, die zum Genuss bestimmt sind. (Vom 5. Dezember 1927) |
Zurück: Volksabstimmungen zur Alkoholpolitik: Sechs alkoholpolitische Kraftakte
http://www.edimuster.ch/:
Hier ist die Familie Muster in Ecublens VD - Eduard Muster: emuster@hotmail.com
10/03/07 |