Meister Schnaps schreibt Schweizergeschichte
[Von Ralph Bircher in "Der
Wendepunkt", 1938]
I.
Die Branntweinpest
Es sind nun 140 Jahre her, seit im März 1798 zwei französische
Heere von Freiburg und von Solothurn herauf gegen Bern vorrückten.
Es herrschte Verwirrung in Bern und in der Eidgenossenschaft, und darauf
bauten die Generäle Napoleons ihren Kriegsplan.
«In der Nacht vom 4. auf den 5. März», so
spielten sich die Ereignisse nach Jegerlehner ab, «wurden
die bernischen Posten, die den Senseübergang bei Neuenegg verteidigten,
von französischer Uebermacht angefallen und zersprengt.
Wein und Branntwein,
die aus Zubern geschöpft wurden
hatten die Festigkeit gelockert. Die Sturmglocken läuteten von Dorf
zu Dorf und riefen den Landsturm auf. Rasch raffte Generaladjudant Weber
die in der Nähe von Bern kantonnierenden Kompanien, etwa 2300 Mann
zusammen und jagte den Franzosen entgegen, die Oberwangen erreicht hatten,
aber vor der Scharfschützenkompagnie Tscharner, die im Könizberg
biwakierten, Halt machten. Mit Bajonett und Kolben trieben die Berner
die Feinde durch den Wald gegen die Ebene von Neuenegg, wo die vorbrechenden
Bernerschützen in das Massenfeuer von acht feindlichen Bataillonen
und mehrerer Batterien gerieten. Ein Hagel von Geschossen mähte die
ersten Reihen nieder. Da sprangen die Offiziere vor die Front und rissen
die wankenden Truppen mit. Die Soldaten kehrten die Flinten und nun krachten
die Hiebe und Streiche Mann an Mann wie bei Morgarten und Novara. Die
Franzosen wandten sich und stürzten der Sensebrücke entgegen.
Drei bernische Kanonen richteten die Rohre auf den Uebergang. Vergebens
schrieen die französischen Offiziere «avancez, avancez!»
Im Wirbel des Bernermarsches erstickten die Rufe.
«Gegen drei Uhr abends war die Schlacht gewonnen, der Feind in wilder
Auflösung über die Sense geworfen. Trotz der empfindlichen Verluste
sollte eben die Verfolgung aufgenommen werden, als von Bern ein Dragoner
dahergaloppierte und den Befehl überbrachte, das Feuer einzustellen,
die Stadt sei gefallen. Die Botschaft wirkte niederschmetternd auf die
Soldaten. Den Sieg gewonnen, das Vaterland verloren! Immer wieder musste
der Führer die Depesche vorlesen. Vor Wut und Schmerz sinnlos, bedrohten
sie sein Leben. Viele schluchzten, andere schrieen über Verrat, und
als sie auf dem Heimweg die ersten Franzosen erblickten, zerschlugen die
Offiziere den Degen und die Soldaten die Gewehre.»
Das Gefecht im Grauholz.
Was war geschehen? Man hat das lange nicht genau gewusst.
Die bernischen Truppen, die gegen die andere französische Armee kämpften,
die von Solothurn heraufkam, waren plötzlich überflügelt
und zersprengt worden. Erst vorwenigen Jahren deckte eine Untersuchung
in der Revue Militaire Suisse vom Januar 1934 den letzten Grund
des «Verrats» auf: Die Berner, die die Franzosen im Grauholz
hätten aufhalten sollen, waren «halb besoffen»!
Und General v. Erlach, der die Oberländer für den Widerstand
bitte organisieren sollen, wurde von betrunkenen Landstürmlern, die
nicht mehr wussten, was sie taten, erschlagen. Damit war der Untergang
der alten Eidgenossenschaft besiegelt, obwohl es, wie die Landstürmler
von Neuenegg bewiesen, nicht am alten Kampfgeist fehlte. Die allseits
geachtete, ruhmvolle, mehr als ein halbes Jahrtausend alte Eidgenossenschaft
brach nicht nur rasch zusammen, sie wurde auch noch mit Schmach bedeckt.
Im Grunde war daran ein Irrtum der damaligen ärztlichen Wissenschaft
schuld, welche unbeirrt durch gegenteilige Erfahrungen an der Ansicht
festhielt, dass der Branntwein für die Soldaten ein unbedingt notwendiger
Verpflegungsbestandteil sei, und dass die Mannschaft, namentlich bei kaltem
Wetter, nur mit Hilfe des Schnapses dem Frost und dem Feind widerstehen
könne. Die Märztage von Neuenegg und Grauholz waren recht kalt
und man hatte, wie die Geschichte zeigt, dieser Auffassung folgsam nachgelebt.
Der billige «Härdöpfler».
Die Zeitgenossen hätten daraus lernen können, wenn
sie den Grund des Zusammenbruches erfahren hätten. Aber die Autoritäten,
die den Branntwein lobten, wurden weiterhin angehört. Die Fremdherrschaft
ging für einmal vorüber. Im Jahre 1814 erstand eine junge Schweiz,
in der die Freiheit des Gewerbes herrschte. Diese Freiheit öffnete
das Tor für einen grossartigen Aufschwung der Wirtschaft, aber auch
für Meister Schnaps und für die Betätigung rücksichtslosesten
Eigennutzes.
Jeder Krieg fördert ungemein die Versklavung der Bevölkerung
an Alkohol und andere Genussmittel. Auch in der unruhigen Franzosenzeit
von 1798 1814 erwies sich diese Wahrheit. Und es kam noch ein Zweites
dazu: Der Härdöpfler. Man hatte in der Schweiz die Kunst, aus
Kartoffeln Schnaps zu brennen, noch nicht gekannt. Jetzt war sie eingeführt.
Der Branntwein, vorher ein ziemlich teures Getränk für Gelegenheiten,
wurde jetzt auf einmal sehr wohlfeil. Jeder konnte übrigens Kartoffeln
selber bauen, und ein Brennhafen war keine grosse Sache.
Sehen wir zu, was sich unter diesen Umständen in den folgenden 20
Jahren ereignet hat.
«Wo ist ein Dorf, eine Stadt im Lande», rief
im Jahre 1837 Heinrich Zschokke, der grosse und geachtete Patriot,
aus, «worin man nicht Saufgesellschaften und Schnapsbrüder
hätte? Seit etwa 20 Jahren ist der Branntwein so allgemein und leider
ein tägliches Getränk geworden. Selbst Geistliche sieht man
in Wirtshäusern, selbst Jugendlehrer und Professoren bei wilden Saufgelagen
lärmen, dem Trunk ergeben.
So allgemein ist das Laster geworden,
dass es nicht mehr für ein Laster angesehen
wird,
dass man es kaum noch für eine Unart, für
eine verzeihliche Schwäche hält.
Soweit sind wir schon gekommen! »
«Die vielen missfarbenen, bleichen Gesichter unserer
meisten Arbeiter, Taglöhner und armen Leute sind nicht Folge von
schlechter Nahrung, wie die Freunde des Branntweins sagen. Denn bei Wasser,
Milch, Brod und Erdäpfeln gibt es die gesundesten, frischesten, fröhlichsten,
kräftigsten Leute in der Welt. Gesunde, von der Natur angewiesene
Speise und Trank macht nicht ungesund und schwach. Aber die Natur braut
keinen Branntwein!»
Das war vor 100
Jahren. Zschokke schrieb den ersten Gesang zum
schweizerischen Branntweinepos. Einen zweiten
findet man bei keinem geringeren als Jeremias Gotthelf («Dursli
der Branntweinsäufer» und «Wie fünf Mädchen
im Branntwein jämmerlich umkommen»). Er gestaltete diesen Gesang
mit der ganzen Grösse seiner Darstellungskraft. Aber Gottfried Keller,
(das muss in Verehrung einmal gesagt werden, weil sein Name von der Bierreklame
missbraucht wird), ging um diese Aufgabe herum. Ihm, als dem grossen Gestalter
und Mahner des Schweizer Volkes wäre der dritte Gesang zugefallen.
Aber er fand in sich die Kraft nicht, diesem Abgrunde in die Augen zu
sehen. Andere mussten den dritten Gesang schreiben,
mit gutem Willen aber geringerer Gestaltungskraft, unter ihnen namentlich
der bernische Arzt Dr. Schild. An Stoff fehlte es nicht nein,
der war da, als Schild im Jahre 1864, eine Generation nach Zschokke, schrieb.
Man höre:
Härdöpfeler
wird Kaiser und König.
«Das Land ist förmlich mit Schnaps überschwemmt,
und da man die Leute von oben herab zum Trinken nötigt, gewöhnt
man sich allmählich so an denselben, dass er zu einem Bedürfnis
wird. Auf dem Feld, in den Häusern, auf grösseren Arbeitsplätzen
muss man sich leider überzeugen, dass Schnaps das tägliche Getränk
morgens und abends ist. Durch die vielen Brennereien findet sich Schnaps
in den Bauernhäusern genug. Dort müssen sich die Arbeiter nolens
volens daran gewöhnen.»
Selbst die Kinder würden systematisch dazu erzogen.
«Der Schnaps muss natürlich im Uebermass fliessen,
sollen die nahezu 2½ Millionen Mass Trinkbranntwein von den vielen
Brennereien abgesetzt werden können. In Winkeln und Ecken herum stösst
man daher auf lärmende Menschen, die um 3 ½-4 Franken die
5 Mass (7½ Liter) Schnaps bei einem Brenner geholt haben, die dieser
als Minimum verkaufen darf.
«Seines billigen Preises wegen dringt der Kartoffelschnaps
in fast alle geistigen Getränke hinein. Das Volk sagt: Der Kartoffelschnaps
ist der König und Kaiser unter allen Schnäpsen und den übrigen
geistigen Getränken, weil er in alle hin einregiert.» Wein,
Bier und Most wurden nämlich mit Zusatz von «Härdöpfler»
verbessert.
Es klingt etwas sagenhaft und ist doch nur ein Bild
für eine Wirklichkeit, deren Abscheulichkeit in ihrer ganzen Fülle
kaum zu fassen ist, wenn man sagt: Jetzt erst war das Scheusal «Branntweinpest»
derart ausgewachsen, dass es seine Fratze mit kalter Frechheit erheben
konnte. Von 11 Liter je Kopf und Jahr zur Zeit von Dr. Schild stieg der
Konsum an 50%igem «Brönz» in den folgenden 8 Jahren im
Kanton Bern auf 83½ Liter! und das war nach Schneeberger,
der einen weiteren Gesang schrieb, noch «höchst
moderat gerechnet»!
Welch ein Fortschritt! Es war das Jahrzehnt des allgemeinen
Fortschrittes von Eisenbahn und Industrie. Es war die Kehrseite des Fortschrittes.
1870/71
Es war auch die Zeit der langen Grenzbesetzung während
des 1870/71er Krieges, und diese Grenzbesetzung bewährte sich wiederum
als grosszügiger Förderer des Branntweins. Der Militärdienst
sei, so schrieb Schneeberger (1872), ein ergiebiger Anlass zur
Erweiterung des Branntweingenusses:
«Der Soldat glaubt im Branntwein einen Ersatz für seine Strapazen
und Kraft zum Widerstande gegen die Unbilden der Witterung und im Kampfe
gegen den Feind zu finden. Durch Beiwachen ohne Branntwein, glaubt der
Soldat unerschütterlich, würde er bald aufgerieben sein, und
zwar zur Bestätigung vermeintlicher Erfahrungen alter Offiziere,
die selbst gerne dem Branntwein huldigen.»
Was würden wohl die Helden von Sempach für Augen gemacht haben,
wenn sie diese ihre Nachfahren, die Wehrmänner von 1870 hätten
sehen können! Welch ein Glück, denkt man unwillkürlich,
dass deren Wehrkraft, die nur bei Anfeuerung mit Branntwein bestehen zu
können meinte, nicht mit einem neuen Grauholz auf die Probe gestellt
wurde!
«Heute trifft man den Schnaps an allen Orten»,
schrieb Schneeberger nach dem 1870er Krieg, «Im Fuhrkratten des
Wagons der Fuhrleute, in der Busentasche des Bauers und des Handwerkers,
im Habersack oder an der Seite der Rekruten und Soldaten, im Säckli
der Schul- und Unterweisungskinder, im Trögli der Knechte, Mägde,
Taglöhner und Taglöhnerinnen, im Bett des Kranken versteckt
... » Wer diese Aufzählung nicht von selbst in seinem Herzen
fortsetzt, mit der ganzen Kraft seiner Vorstellung, dem werden auch hundert
Beispiele zu, wenig Eindruck machen!
«Wenn's keinen
Schnaps gibt, dingen wir nicht!»
«Wehe dem Arbeitgeber, der sein Herz noch nicht gegen einen Brennhafen
oder gegen Paragraphen eines Käsereireglements vertauscht hat und
es unter seiner Würde hält, bei allen Mahlzeiten und namentlich
bei den Zwischenmahlzeiten Branntwein als Getränk zum besten zu geben!
Entweder wird er um die schöne Zeit und Arbeit betrogen, oder er
muss sich einen permanenten Wechsel von Dienstboten, Arbeitern und Taglöhnern
gefallen lassen, sein Haus in eine Art Taubenschlag umgestalten, in dem
die selben ununterbrochen zu- und abgehen. Auf dem Dienstbotenmarkt in
Bern bedingen sich die Dienstboten, Arbeiter und Taglöhner vom Arbeitgeber
zu den Zwischenmahlzeiten vormittags und nachmittags Branntwein aus, mit
der lakonischen Bemerkung: «Wenn's keinen Schnaps gibt, dingen wir
nicht!»
Viele verstanden das Brennen schlecht und gaben sich auch
keine grosse Mühe. Sie destillierten einen fuseligen, mit Vitriol
durchsetzten Schnaps, der so schlecht war, dass er sich nicht verkaufen
liess. So mussten sie ihn selber trinken und auf Lager legen. Da verfielen
sie auf einen andern Ausweg: «Es wurden Abendsitze veranstaltet
und dabei die Gäste (d.h. ärmere Leute aus der Umgebung) zum
Verrichten von Arbeiten, wie z. B. zum Beschneiden von Rüben und
Möhren bestimmt, wobei dann als Lohn und Dank reichlich Branntwein
gespendet wurde.»
Solcher Branntwein wurde auch Vermittler beim Tauschhandel, bei Kauf und
Verkauf. «So wurde der Branntwein» und namentlich der unverkäufliche
Fusel, «sozusagen planmässig aufgedrängt und zur eingewurzelten
Gewohnheit.»
«Es gibt eine Lebensmittelpolizei» meinte Schneeberger «aber
man lässt die Armen ruhig den gräulichsten Fusel trinken. Es
wird systematisch gesotten, gemischt, gesudelt und gefuselt, das ist bekannt,
man braucht es nicht einmal zu verbürgen. Jeder erhält ohne
weiteres ein Patent; ohne Steuer, ohne Aufsicht kann er 100 Mass Brönz
fabrizieren, ohne dass er etwas davon verstünde und ohne dass man
nach seinem moralischen Rufe fragen würde.» Oft würfen
die Brenner noch Tabakblätter in die Blase, wodurch Nikotin mit dem
Branntwein überdestillierte und dieser berauschender und betäubender
wurde.
«Sparbüchse
der Gewebe.»
Die Brenner und die Schnapsliebhaber waren in einer ausgezeichneten
Lage gegenüber den besonnenen Patrioten, die die Oeffentlichkeit
gegen diese Zustände anrufen wollten. Sie konnten sich das muss leider
auch gesagt werden auf viele Autoritäten berufen, ja sogar einen
der bekanntesten Physiologen, Prof. Moleschott. Dieser nannte
den Alkohol eine «Sparbüchse der Gewebe». Er
mässige die Verbrennung der Blutbestandteile und somit die ersten
Ursachen des Bedürfnisse nach Ersatz, er rege und spanne die Nerven
zu neuer Tätigkeit an, hebe momentan den sinkenden Mut zu neuer Ausdauer
und erleichtere die Verdauung der Nahrungsmittel, mit denen der Magen
überfüllt sei. Der reine Trinkbranntwein sei ein Wohltäter
der Arbeiter und Armen...»
Was wollten da einzelne Aerzte oder gar Nichtärzte ausrichten?
Sie waren zum vorhinein geschlagen, wenn sie öffentliche Massnahmen
verlangten, wenn sie nur die öffentliche Meinung gegen die ärgsten
Missbräuche aufrufen wollten. Frank verlangte «die
stärkende Hand eines obrigkeitlichen Arztes, der, wenn er gleichwohl
zulässt, dass ein Mitglied der Gesellschaft sich im Dunkeln im. Branntwein
ertränke, doch nicht leiden kann, dass ein ganzes Volk seine natürlichen
Anlagen und Vorzüge versaufe.» Schon Dr. Schild hatte es höchst
unbegreiflich gefunden, dass man «sich auf die Aerzte berufen konnte,
die gesagt haben sollen, es gehen mehr Menschen aus Mangel an Schnaps
als am Ueberfluss desselben zugrunde!»
Schneeberger aber fühlte sich wenig unterstützt, wenn er vor
Beschönigungen warnte: «Nur durch offene, rücksichtslose
Wahrheit wird ein sicheres Resultat erzielt. Er herrscht leider bei unendlich
vielen eine eigentümliche Scheu, die Uebel der Zeit mit dem rechten
Namen zu bezeichnen und denselben offen, wahr und mannhaft den Krieg zu
erklären. Man findet hundert Entschuldigungen und Beschönigungen
noch da, wo die schärfste Verurteilung am Platze wäre.»
Beelzebub contra Diabolum.
Das beste, was man noch in den 1860er Jahren zur Bekämpfung
des Branntweins leistete, war nach Schild folgendes: «Bei uns gibt
man sich alle Mühe, Bier und Most einheimisch zu
machen. Bierbrauereien entstehen in erfreulicher Weise immer mehr durch
das ganze Land hinweg und in zahlreichen Wirtschaften sucht man das edele
Getränke des Gambrinus an Mann zu bringen» was also nicht nur
ein gutes Geschäft war, sondern noch als eine verdienstvolle Handlung
im Interesse der Volksgesundheit angesehen wurde!
«Auch für Einrichtung von Baumschulen und grössere
Ausdehnung der Baumpflanzungen werden ernstliche Schritte getan»
damals entstand nämlich ein grosser Teil des gewaltigen schweizerischen
Mostobstwaldes, möglichst viel und oft recht schlechtes Obst, alles
rentierte, diese endlosen Bestände, die heute den Staatsfinanzen
und der Volksgesundheit wie Blei im Magen liegen und die Lager der Alkoholverwaltung
bei grösseren Ernten mit - Schnaps überfüllen. Und doch
wurden sie - das wissen heute die wenigsten - zur Bekämpfung
des Schnapses gepflanzt! In jenen Gegenden der Schweiz, wo man die
Gärmostbereitung nicht kannte (westlich der Linie Brünig-Pilatus-Reuss)
zogen damals wackere landwirtschaftliche Lehrer von Gemeinde zu Gemeinde,
verteilten Mostbüchlein und zeigten den Bauern, wie man Gärmost
herstellt, genau so wie sie heute mit Süssmostkanonen herumziehen,
um die Bauern wieder vom Gärmosten abzubringen!
Schild beschrieb noch, wie in manchen Gemeinden, wo die Schnapspest noch
nicht herrschte, auf diese Weise Bier und Most eingeführt wurden,
weil man wähnte, dies würde dem Branntwein zuvorkommen und sein
Umsichgreifen verhindern:
«Anfangs wollte das Bier nicht recht munden, denn man war von Jugend
auf an gar kein geistiges Getränke oder dann höchstens an Wein
und nur selten an Schnaps gewöhnt. Man probierte es auch mit der
Bereitung von Most, was sofort Gelegenheit gab, eine Reihe von Klageliedern
über Bauchweh, Mattigkeit, Verkältung und andere Uebel mehr
zu hören, die derselbe veranlassen soll.» Er meinte, in den
Wirtshäusern müssten die ersten Männer des Landes sich
nicht genieren, hinter einem Glas Most zu sitzen, dann würden auch
die Bauern und Arbeiter folgen. «Dann werden durch frische, gesunde
Quellen eines wahrhaft göttlichen Getränkes (er meinte den Gärmost!)
die Menschen erlabt und jene Sümpfe weggefegt, aus denen bisher getrunken
wurde» (Schnaps). Dr. Schild stammte eben aus Bern und kannte die
Folgen des überhandnehmenden Mostkonsums, wie sie Pupikofer im Thurgau
27 Jahre vorher schon drastisch beschrieben hatte, nicht.
Im Gegensatz zu dem göttlichen Mostgetränk hielt er aber vom
Wein und vom Bier als Kampfmittel gegen den Schnaps gar nichts: «Ob
durch eine Herabsetzung oder Beseitigung des Ohmgeldes auf Wein, Bier
usw., wie dies zur Bekämpfung des unmässigen Branntweingenusses
in Rede und Schrift so häufig angeraten wird, der angestrebte Zweck
auch nur einigermassen erreicht würde, müssen wir mit allen
Gründen vernünftiger Einsicht durchaus bestreiten. Uns kommt
die Anwendung dieses Mittels gerade so vor, als wenn man ein grosses Uebel
wählt, um ein kleineres damit zu verdrängen.» Bier habe
für Körper und Geist des unmässig Geniessenden nicht weniger
verderbliche Folgen als Wein und Branntwein. «Ferner ist bekannt,
dass die Biertrinker in der Regel zum Branntwein greifen, um die Alkohol
und Kohlesäurewirkung zu dämpfen, dieselben zu erhöhen,
zu vermehren und vollständig zu machen. Gerade auf diesem Wege gelangen
sie in die Vorhallen der Branntweinpest.»
Noch mehr aber als Most glaubte Schneeberger «eine
Mischung von reinem Alkohol mit Wasser und Zucker» empfehlen
zu sollen, denn die Akademie der Wissenschaft in Berlin habe bekanntlich
ein solches Getränk als für Gesundheit, Zweckmässigkeit
und Billigkeit einstimmig als am entsprechendsten erklärt!
Die Geister, die wir
riefen.
Man darf diese Phase des Alkoholkampfes nicht vergessen. Wenn die Bierbrauer
und Weininteressenten heute in ihrer Kalender und anderen Reklame bis
in die Schulhäuser hinein mit einer scheinheiligen Wohltäterlogik
werben, die selbst jenen fast den Magen umkehrt, die nichts gegen ein
gelegentliches Glas Bier einzuwenden finden; wenn sie Tugenden und Wohltaten
für ihre alkoholischen Getränke beanspruchen, so setzen sie
damit nur eine Haltung fort, die man ihnen einst aus lauter Unverstand
aufgedrängt hat. Man hat sie so lange Wohltäter der Menschheit
und Kämpfer gegen den Schnaps genannt und als solche durch Zollschutz
und Steuerbefreiungen gefördert, bis sie zu der Macht im Staate geworden
sind, die heute so oft die Türklinke im Bundeshause drückt.
Damals war das Bierkartell noch kein Staat im Staate, aber
die Zahl der Brennereien und Wirtschaften nahm bis in die 1880er Jahre
hinein ganz gewaltig zu. Die Brenner hatten nun eine Macht, «mit
der zu rechnen war», immer noch konnten sie ungehemmt das Land mit
Branntwein überschwemmen.
Der Sturm.
Nun aber kam der «fünfte Gesang».
Es war plötzlich, als ob die wenigen Einsichtigen nicht mehr allein
stünden. Es erhob sich die öffentliche Meinung. Wie ein Sturm
ging es durch die Presse. Von allen Seiten wurde Remedur und rasches Einschreiten
des Staates verlangt. Vieles dazu hat eine ausgezeichnete, allgemein beachtete
Schrift des ersten eidgenössischen Fabrikinspektors Dr. Fridolin
Schuler beigetragen. Schuler war Arzt und eine der hervorragendsten
Persönlichkeiten in der praktischen. Sozialpolitik jener Zeit. Seine
Stimme besass Autorität und die Wärme eines glühenden Herzens.
Aber all das hätte wohl nicht genügt, um den Branntwein unter
staatliche Kontrolle zu bringen, wie es ein paar Jahre später geschah,
wenn nicht noch ein materielles Interesse hinzugekommen wäre, das
gross genug war, um dem Einfluss der Brenner ein Gegengewicht zu bilden.
II.
Der Kampf um das Branntweinmonopol.*)
Das eidgenössische Departement
des Innern richtete nun ein Rundschreiben an alle Institutionen und gemeinnützigen
Gesellschaften. Die Empfänger wurden darin ersucht, sich zu 16 Fragen
zu äussern, die sich auf mögliche Massnahmen gegen Branntweinnot
bezogen. Punkt 8 betraf eine rationellere Volksernährung, Punkt 9
und 10 den Ersatz des Branntweins durch andere Getränke wie Wein,
Bier und Most. Auch hier wurde ein Kunstgetränk aus verdünntem,
mit Zucker gesüsstem Alkohol gewünscht.
Die schweizerische Aerztekommission meldete sich, wie Hauck in
seiner Arbeit über das Alkoholmonopol schreibt, nicht zur Mitarbeit.
Auf Grund dieser Antworten wurde eine Bundesvorlage ausgearbeitet und
den Kantonen zur Rückäusserung vorgelegt. «Betreffend
das Bedürfnis geistiger Getränke macht die Botschaft die Ansicht
von Binz und König zu der ihrigen, wonach alkoholische Getränke
noch in grossem Umfange zur Erhaltung des Lebens oder der Arbeitsfähigkeit
notwendig seien.» Es war also gewiss noch keine gefährliche
oder gar alkoholgegnerische Botschaft! Behüte sie erklärte ausdrücklich:
«Und zwar ist es nicht der Alkohol im Schnapse, der als solcher
giftig wäre, denn der bei der Destillation gewonnene reine Alkohol
ist bei allen Rohstoffen und in allen Getränken derselbe.»
Giftig erschienen ihr nur die Fuselöle.
Die Verfasser der Botschaft konnten ja den Alkohol nicht als giftig anerkennen,
denn sonst hätten sie als senkrechte Männer selber abstinent
werden müssen.
Die Botschaft wollte den Branntwein aber in der Hand des Staates monopolisieren,
damit womöglich nur noch in grossen Brennereien destilliert würde,
die ein reines Produkt erzeugten, und damit der Preis erhöht werden
konnte. Der niedrige Preis war ja ein Hauptgrund der Schnapsschwemme.
Der Liter Härdöpfler wurde den Leuten zu 50 bis 60 Rp. abgegeben,
halb so billig wie der Wein und nicht gar viel teurer als die Milch! Fortan
sollte der Liter nun einen Franken kosten, und der Gewinn würde ganz
an die Kantone verteilt, damit sie für den Verlust der Ohmgelder
entschädigt würden, d. h. jener zwischenkantonalen mittelalterlichen
Zölle auf alkoholische Getränke, deren Wegfall die Verfassung
für das Jahr 1890 vorsah.
Die Antworten der Kantone sind lehrreich für jene, die in Zukunft
eine Politik der Gesundheit vertreten wollen. Grundsätzlich äusserten
sich alle Kantone in zustimmendem Sinne und gaben der Ueberzeugung Ausdruck,
dass nur durch ernstliches Vorgehen von Bund und Kantonen eine wirksame
Bekämpfung des gemeinsamen Uebels erzielt werden könne. Der
Wille, dabei tatkräftig die Hand zu bieten, wurde ausgedrückt,
aber fast überall wollte man die Sache mit anderem verknüpft
wissen. In der Bundesversammlung zeichnete sich bereits eine heftige Opposition
ab. Der Bundesrat fand jedoch energische Worte: eine solche Verkettung
mit all jenen mannigfaltigen und weitgreifenden Anregungen stelle gegenüber
dem Notstande und der Gefahr, in der sich infolge der Schnapspest ein
grosser Teil des Schweizervolkes befinde, gegenüber den Mahnstimmen
der öffentlichen Meinung, gegenüber den dringenden Einladungen
der Bundesversammlung zu baldiger Einbringung einer Vorlage eine wissentliche
und frei gewollte Verschleppung dar, eine ungerechtfertigte Ausserachtlassung
wachsender. Schäden, für welche er die Verantwortung nicht übernehmen
könnte.
Die Räte nahmen nun an, und im Jahr 1885 entschied nach
einem heftigen Abstimmungskampfe auch die Mehrheit des Volkes mit ja.
Die Gegner ergriffen das Referendum [gegen das Ausführungsgesetz,
das "Alkoholgesetz"] und brachten die Vorlage im Jahre 1887
noch einmal zur Abstimmung, um aber endgültig geschlagen zu werden.
Die schweizerische
Branntweinzone.
In diesen Abstimmungen zeigte sich deutlich, welches die
eigentliche Branntweinzone in der Schweiz war. Sie schloss sich
ziemlich genau an die ostschweizerische Mostzone an und reichte in den
Alpentälern ungefähr von Einsiedeln bis zum Simmental und im
Mittelland von der Reuss bis Genf, überdies gehörte mehr oder
weniger der ganze Jura dazu. Führend war der Kanton Bern und von
ihm ging auch das gegnerische Referendum aus. Nicht dass in der östlichen
und südlichen Schweiz kein Branntwein getrunken worden wäre,
aber dort trat das Uebel weniger krass an den Tag.
Die Schöpfer des Branntweinmonopols hatten zwar das
finanzielle Interesse vorgespannt, aber ihre Einstellung war vor allem
gesundheitspolitisch. Es war die erste, grosse, gesundheitspolitische
Tat der neuen Schweiz. Diese Einstellung kam deutlich in den neuen Verfassungsbestimmungen
zum Ausdruck, denn die Kantone hatten ein Zehntel ihres Anteils am Reingewinn
für die Bekämpfung des Alkoholismus zu verwenden, und zwar
in seinen Ursachen und in seinen Wirkungen. Im gleichen Sinne führte
der Bundesrat bei der Ausarbeitung des Schemas für die Berichterstattung
über die Verwendung des «Alkoholzehntels» eine Rubrik
ein, die betitelt ist: «Für die Hebung der Volksernährung
im Allgemeinen.» Auf Grund dieser Rubrik unterstützen
heute noch viele Kantone, so z. B. Bern, aus dem Alkoholzehntel das Haushaltungsschulwesen.
Man darf also sagen, dass die im «Wendepunkt» vertretene Ernährungsreform,
dem Willen des Gesetzgebers entsprechend, von Gesetzes wegen einen Anspruch
auf Unterstützung aus dem Alkoholzehntel hat, umso mehr als sie bereits
vieles zur Bekämpfung des Alkoholismus in seinen Ursachen und Folgen
beigetragen hat. Das Bestehen eines gemeinnützigen Volkssanatoriums
für Ordnungstherapie wird Gelegenheit geben, in diesem Sinne den
Willen der Gesetzgeber von 1885 zu erfüllen, denn von ihm aus wird
jene Lebensweise in unser Volk praktisch eindringen, die es wie keine
andere und wie keine noch so kostspielige staatliche Massnahme zur Unabhängigkeit
von der Macht des Alkohols befähigt.
Das Loch im Osten.
Das Alkoholmonopol von 1885 hatte indessen ein grosses Loch.
Man hatte den Obstbranntwein nicht mit eingeschlossen. Es schien,
dass das nicht nötig wäre, da ja der Obstbranntwein viel teurer
war als der «Härdöpfler». Ueberdies gewann man damit
die obstreichen Kantone der Ost und Innerschweiz für die Monopolvorlage.
Die Obstbauer und die Tresterbrenner konnten sich sagen, dass sie neben
dem teuren Monopolschnaps einen vorteilhaften Absatz haben würden.
Sieht man das Abstimmungsergebnis an, so erkennt man bald, dass das Monopol
ohne die stark annehmenden Stimmenzahlen von St. Gallen, Thurgau, Zürich,
Uri, Schwyz und Unterwalden verworfen worden wäre.
Man hatte das Ja dieser Stände mit einer Konzession erkauft, die
sich bald als sehr schwerwiegend erwies. Der Schwerpunkt der Branntweinseuche
wanderte jetzt einfach etwas mehr nach dem Osten. Mit grosser Unternehmungslust
warf man sich in den obstreichen Landstrichen auf das Brennen. Die eidgenössische
Alkoholverwaltung verkaufte zwar nur noch 2/5 von dem, was der Konsum
im Jahre 1884 schätzungsweise betragen hatte, aber der Gesamtverbrauch
war 1888 kaum um 1/4 gesunken. Der Unterschied wurde vom Obstbranntwein
bestritten und vom Schmuggel. Auch blieb die Eigenbrennerei der Bauern
von jeder Kontrolle und Gebühr befreit. Das Brennen der Obsttrester
war eben wieder sehr rentabel geworden und damit lohnte sich auch das
Mosten besser, es wurden Mostobstbäume gepflanzt, was das Zeug hielt,
nach dem Spruche: «Hast einen Raum, pflanz einen Baum!» Dies
geschah mit staatlicher Subvention. Mostost zu ernten gibt viel weniger
Arbeit. Deshalb wurden vor allem solche Bäume gepflanzt. Da es mehr
Most gab, hatte man mehr Trester und wieder mehr Branntwein und wenn der
Gärmost nicht glatten Absatz fand, wurde er auch gebrannt.
Most und Schnaps in
der Urschweiz.
Am schlimmsten stand es wohl in der Innerschweiz.
Dort bewährte sich die Auffassung, dass die Mostgewohnheit vor der
Schnapsgewohnheit bewahre, schon gar nicht. Nationalrat Ming
schrieb in den 1890er Jahren von Nidwalden: «Um die Behauptung zu
illustrieren, Most sei das beste Kampfmittel gegen den Branntwein, trinkt
man auf den Most 1-2 Gläschen Branntwein, damit ersterer nicht blähe
oder «kälte». Zuerst nimmt man also das Gegengift und
dann das Gift. eine Logik, der man in Alkoholangelegenheiten nicht selten
begegnet... Sieht man denn nicht, dass der Mostgenuss, wie er hier grassiert,
Trinker züchtet nicht so schnell, aber fast ebenso sicher wie der
Branntweingenuss!»
Das Dörren von Obst, das in diesen Gegenden ehemals eine grosse Rolle
gespielt hatte, hörte nun fast ganz auf. Alles wurde auf Most und
Branntwein verwendet. Der Most, vorher ein Getränk, das man etwa
am Sonntag, oder wenn Besuch kam, getrunken hatte, wurde reichliches Alltagsgetränk
und dazu kam noch der Schnaps. «Man untersuche: es wird sich herausstellen,
dass man in der überwiegenden Zahl von Bauerngewerben das Obst bis
auf einen verschwindenden Teil in Most und Branntwein verwandelt und in
der Familie trinkt, und zwar wickelt sich dieser Konsum häufig mit
solcher Promptheit ab, dass schon um Ostern die Vorräte aufgebraucht
sind.» Da man aber den gewohnten Alkohol nun nicht mehr missen mochte,
wurde für den Rest des Jahres «Bundesschnaps» gekauft
und statt dem Most irgend ein künstlicher «Haustrunk»
gepanscht. «Trotz enormer Mostproduktion nimmt der Konsum von Bier
stets zu». «Mancher Bauer sieht in jedem Apfel, den seine
Kinder den Winter hindurch essen, eine sträfliche Verschwendung,
während er mit dem Glase Most recht freigebig ist.» «Knechte
und Taglöhner», sagen sie, «würden uns davonlaufen,
wenn wir ihnen nicht Most und Schnaps oder gar Bier oder Wein geben würden.»
«Der Branntwein, den der Bauer aus Obst und Obstabfällen in
der Küche destilliert, spielt in seiner Haushaltung eine bedeutende
Rolle. Ja ein grösserer Bauernhof bildet mit seinem Kleinhandel in
Obstbranntwein nicht selten für eine weite Umgebung einen Herd des
Alkoholismus ... »
Wir brauchen Ming nicht weiter zu zitieren. Es sind fast die selben Sätze,
die wir von der Schnapspest im Kanton Bern kennen. Das Ungetier hatte
sich, faul wie es schon war, einfach ein wenig mehr in die Zentral und
Ostschweiz verlagert. Eine neue, dieses Mal vom Obstschnaps stammende
Gefahr bedrohte das Land. Wollte man nicht bald alle Vorteile des Kampfes
von 1885 verlieren, so musste man das Monopol auf den Obstbranntwein ausdehnen.
Aber man kann sich denken, dass das weit schwerer hielt.
Vor dem Weltkrieg gelang es nicht mehr, dieses Ziel in Angriff
zu nehmen. Man setzt vorerst Kraft und Hoffnung in der Abstinenz und bald
in der Süssmostbewegung ein, die in dieser Zeit heranwuchsen. Aber
im Jahre 1923 konnte eine erste Vorlage dem Volke vorgelegt werden. Die
vereinten Kräfte der Wirtesame und einer rückständigen,
verhetzten Bauernschaft verwarfen sie. Wiederum wurde angesetzt und im
Jahre 1930 eine neue Vorlage zustandegebracht, die dann angenommen wurde.
Es ist das die Regelung der Branntweinfrage, welche heute noch in Kraft
ist.
Das Werk von 1930.
Aber auch das war leider ein richtiges Kompromisswerk. Wie vor 45 Jahren
war man, um die Zustimmung einer Mehrheit zu gewinnen, gezwungen, nach
allen Seiten Vorteile zu versprechen und Zugeständnisse zu machen.
Ein Politiker sagte von diesem Kompromisswerk, dass letzten Endes jemand
der Betrogene sein müsse. Er bekam nur allzusehr Recht!
Es liegt eine wichtige Lehre in diesen ersten elementaren
Ansätzen zu einer schweizerischen Gesundheitspolitik: Es fehlte und
fehlt wohl noch heute im Volke das Bewusstsein, dass schliesslich keine
Politik über die Gesundheitspolitik geht, und dass jede Politik
zuletzt mit einem Schiffbruch enden wird, wenn sie ein Volk weniger gesund
an Leib und Seele zurücklässt. Dieses Bewusstsein zu wecken
und diese Ueberzeugung immer wieder zum Ausdruck zu bringen, wird eine
der dringendsten Aufgaben der nächsten Zukunft sein. Denn es harre
ein grosses Pensum von Arbeit der kommenden schweizerischen Gesundheitspolitik,
und es sind dafür noch nicht einmal die geistigen Grundlagen im Volke
gelegt.
Der Betrogene von 1930.
Wer konnte der Betrogene von 1930 sein?
Den Obstbauern war versprochen worden, allen Branntwein,
den sie aus Aepfeln und Birnen brennen würden, in unbegrenzten Mengen
zu hohen Preisen (2 - 2½ Franken je Liter 100 %) abzukaufen.
Den Abstinenten und Alkoholgegnern eine starke Verteuerung
der gebrannten Getränke, damit der Verbrauch abnehme.
Dem Bund die Hälfte der Einnahmen aus dem erweiterten
Alkoholmonopol.
Den Kantonen trotz des neuen Partners noch immer
mindestens eine Verdoppelung ihrer bisherigen, 5 - 7 Millionen Franken
betragenden Jahresbezüge.
Wie es dann herausgekommen ist, wissen wohl auch viele von den Jungen,
denn damit stehen wir mitten in der Gegenwart und nicht mehr in einer
rasch vergessenen Vergangenheit.
Man hätte es sich vorher an den Fingern abzählen können:
Der Branntweinabsatz der Alkoholverwaltung schrumpfte gewaltig zusammen,
weil die Verkaufspreise verdoppelt waren, aber auch weil gegen den Schnaps
ein energischer Aufklärungsfeldzug geführt wurde. Die Preiserhöhung
wirkte sich noch viel stärker aus, als man gedacht hatte, weil auf
1930 die Wirtschaftskrise folgte. Ueberdies hatte der Privathandel in
Erwartung der neuen Gesetze grosse Vorräte angelegt, und es war ein
weiterer Kompromiss, dass man ihm gestattete, diese Vorräte, die
sich in den folgenden Jahren da und dort auf mysteriöse Weise zu
ergänzen schienen, ungestört und natürlich zu glänzenden
Preisen, allmählich zu verkaufen. Es war noch ein weiterer Kompromiss
gewesen, dass man den Bauern das Vorrecht liess, für den eigenen
Bedarf Obst zu brennen (und es gibt etwa 150,000 Bauernfamilien in der
Schweiz, die dieses gefährliche Privileg steuerfreien Eigenverbrauchs
besitzen).
Gewöhnlich ist es die schwächste unter den beteiligten Gruppen,
die betrogen wird. Das wären in diesem Falle die Vertreter der Volksgesundheit
gewesen. Und doch kam es anders. Die Kämpfer gegen den Alkohol verloren
allerdings ihre Unterstützungen aus dem Alkoholzehntel, aber ihr
Ziel, den Branntweinverbrauch stark zurückgehen zu sehen, ist erwiesenermassen
erreicht worden.*)
*) Aus einem Bericht von Dr. Kellerhals,
Direktor der eidg. Alkoholverwaltung: «Wenn der Schnaps vor der
Revision (1930) der Alkoholgesetzgebung in den Verkaufsläden der
Industriequartiere zu einem Preise von 90 Rp. bis Fr. 1.20 je Liter gekauft
werden konnte, so muss er heute mit Fr. 3.- bis Fr. 3.50 bezahlt werden.»
Die Alkoholverwaltung hat zudem 40 Millionen Liter Schnaps zu verlockenden
Preisen übernommen. Man kann sich denken, was diese 40'000'000 Liter
angerichtet hätten, wenn sie billig im Volk verbreitet und getrunken
worden wären. «Die guten, volksgesundheitlichen Ergebnisse
der Konsumverminderung sind schon bald nach dem Inkrafttreten des neuen
Gesetzes erkennbar geworden.» Dies betrifft allerdings nicht die
mehr als 30'000 bäuerlichen Brennereibetriebe, die noch das Recht
steuerfreien Eigenverbrauches ausnützen. Ihre Verminderung durch
Rückkauf der Brennapparate schreitet natürlich nur langsam fort.
Die 30 Millionenschuld.
Nein, der Betrogene war weder die Volksgesundheit noch der
Bauer. Betrogen waren hingegen ganz und gar die Finanzdirektion des Bundes
und der Kantone. Nicht Mehreinnahmen ergaben sich aus der Monopolerweiterung,
wie man gehofft hatte, sondern es wuchs unversehens eine Schuld der Alkoholverwaltung
von 30 Millionen Franken heran.
Das Unglück eigentlich hätte es ein Glück
sein sollen! - hatte es gewollt, dass der Neuordnung einige ausserordentlich
fruchtbare Obstjahre folgten. Dazu kam, dass Deutschland und Oesterreich
ihre bisher weit geöffneten Grenzen für unsere Ausfuhr von Mostobst
verschlossen. Was machte der Bauer? Er hatte keine Sorgen, wie gross auch
die unverkäuflichen Ueberschüsse anschwellen wollten: die Alkoholverwaltung
war ja da. Er brannte den Ueberschuss zu Schnaps, und sie musste es ihm
abnehmen und zwar zu den hohen, durch den Indexrückgang noch überhöhten
Preisen von 1930! Voila! Der Obstbau war recht rentabel. Es wurden noch
neue Mostobstbäume gepflanzt und man sah nicht recht ein, warum man
sich mit der Umstellung auf Edelobst grosse Mühe geben sollte. Das
Bauerngewerbe ging im übrigen nicht gut. Viele waren überschuldet,
und da hielt man sich eben an der Alkoholverwaltung schadlos. Es wurden
selbst Obstabfälle ins Brennfass gelegt, die früher keine wie
immer geartete Verwendung hätten finden können!
Die Alkoholdirektion stand vor unabsehbaren, teilweise minderwertigen
Branntweinvorräten, die noch immer zunahmen und die niemand kaufen
wollte. Sie rang die Hände und erfüllte die Presse mit einem
grossen Notschrei. Es gab Aufregung und Ratschlagung: Die Bundesversammlung
erlaubte durch ein Ausnahmegesetz fürs erste, den Ankaufspreis für
den Branntwein auf Fr. 1.80, dann sogar auf Fr. 1.60 herabzusetzen. Nun
schrie der Bauer lauter als alle andern, er sei der Betrogene. Er hatte
dabei nicht ganz Unrecht, denn man hatte seine Zustimmung zu diesem Werk
der Gesundheitspolitik nicht mit dem Appell an seine Einsicht, sondern
eben mit der Zusicherung des hohen Preises erkauft. Aber auch so war das
Obstbrennen noch immer ein besonders rentabler, ein allzu rentabler Zweig
der Landwirtschaft.
Vor allem aber galt es, der Alkoholverwaltung zu helfen.
Sie musste von den fürchterlichen Vorräten befreit werden. Es
tauchten groteske Vorschläge auf. Man wollte sie als Triebstoff für
die Automobile verwenden. Dazu hätte man fast den ganzen Gestehungspreis
abschreiben müssen. Es ist aber doch nicht zu diesem Streich gekommen,
über den noch unsere Enkel gespottet und geschimpft hätten.
«Obstverwaltung» statt «Alkoholverwaltung».
Die arme Alkoholverwaltung konnte sich, wie ihr langjähriger
erster Direktor zu sagen pflegte, als der grösste Branntweinhändler
Europas fühlen, denn nur Russland war darin grossartiger gewesen,
Russland, das sein «besoffenes Budget» aus dem Wodkamonopol
bestritt. Der Schrecken mit der 30 Millionen Schuld hatte aber seine heilsame
Wirkung, er reifte an vielen Orten den Entschluss zum Handeln und zum
Mit. helfen. Man erinnerte sich endlich, dass die Hauptaufgabe der
Alkoholverwaltung nach der Verfassung nicht darin bestehen sollte,
Schnaps zu kaufen und zu verkaufen, was jeder Krämer auch kann, sondern
dafür zu sorgen, dass immer weniger Branntwein hergestellt werde
und hergestellt werden musste. Sie wollte ja eine Obstbauverwaltung, viel
mehr als eine Alkoholverwaltung sein. Die Verfassung sagte das ganz deutlich
im Artikel 32:
«Die Gesetzgebung ist so zu gestalten, dass sie den
Verbrauch von Trinkbranntwein und dementsprechend dessen Einfuhr und Herstellung
vermindert. Sie fördert den Tafelobstbau und die Verwendung der inländischen
Brennereirohstoffe als Nahrungs- und Futtermittel.»
In dieser Richtung sind in den letzten zwei Jahren denn endlich
auch erfreuliche Fortschritte gemacht worden. Die Zusammenarbeit zwischen
der Alkoholverwaltung, dem Schweizer Obstverband und vielen anderen Organisationen
macht den Eindruck, als ob nun doch der Anfang einer wirklichen Gesundheitspolitik
sich durchsetzen wollte, und dies verdient freudig unterstrichen zu werden.
Die Umstellung auf Tafelobstbau war zwar schon seit 1931
durch Frachtzuschüsse unterstützt worden. Im Jahre 1936 aber
eröffnete der Bundesrat einen ersten Kredit zugunsten einer Reihe
von weitblickenden Massnahmen; und dieser Kredit ist seither erweitert
und erneuert worden. Mit seiner Hilfe wurden die Säuberungsaktion,
die Baumpflegeaktion, die Umpfropfaktion und die Schlagaktion durchgeführt.
Die Säuberungsaktion räumte mit alten, kranken,
minderwertigen Obstbäumen auf; die Baumpflegeaktion schritt in systematischen
Schulungskursen nach dem Vorbild von Hans Spreng in Oeschberg von Gemeinde
zu Gemeinde vor; die Umpfropfaktion stellt unseren Obstbau auf wenige,
aber haltbare Sorten um, um die Bevölkerung auch im Spätwinter
mit genügend einheimischem Obst zu versorgen; die Schlagaktion gewährte
Schlagprämien für ausschliessliche «Schnapsbäume»,
um ihren Bestand zu vermindern.
Mit solchen und weiteren Massnahmen wurde bildlich und wörtlich
die Axt an die Wurzel des Uebels gelegt. Die Aufgabe ist freilich gross
und die Aktionen schreiten nur allmählich vorwärts. Man war
eben allzulange in der falschen Richtung weitergefahren. Die Zahl der
Birnen- und Apfelbäume übersteigt 8 Millionen Stämme. Davon
stand bisher beinahe die Hälfte im Dienst der Most und Branntweinerzeugung.
Im Jahre 1936/37 wurden davon rund 400'000 Bäume nach neuzeitlichen
Schnitt behandelt, 25'700 Kernobstbäume umgepfropft und 10'000 junge
Mostbirnbäume umgehauen. Es wurde überdies die Entschädigung
für alkoholfreie Verwertung der Mosttrester von Fr. 1.80 auf Fr.
2.80 (je 100 kg) erhöht; infolgedessen stieg die brennlose Tresterverwertung
schon 1936 auf 1'105 Wagenladungen. Der gleiche Hilfsbeitrag wurde auch
für das Dörren von Obst ausgerichtet.
Diese und andere Leistungen vermehrten vorerst die Schulden
der Alkoholverwaltung. Sie gingen zwar darauf aus, die Most und Branntweinerzeugung
zu vermindern, aber der Erfolg konnte sich erst im Laufe der Jahre in
der Rechnung erweisen. Hingegen verschafften diese weitblickenden Massnahmen
und Leistungen der Alkoholverwaltung schon jetzt ein moralisches Gewicht,
das sie vorher nicht besessen hatte. Sie konnte nun im Herbst 1936, allerdings
bei schwacher Obsternte, die Losung ausgeben, dass gewerbliche Brennereien
nur ausnahmsweise und erst nach vorheriger Bewilligung Obst und Obstrückstände
brennen durften. Handelten sie dieser Losung zuwider, so war die Alkoholverwaltung
nicht mehr zur Abnahme des Branntweins verpflichtet. Die Brenner wagten
nicht, dieses Vorgehen anzufechten, da sie wegen ihres früheren Verhaltens
die öffentliche Meinung gegen sich hatten. Gegenüber den Hausbrennern,
für welche die brennfreie Obsttrester Verwertung derzeit noch viel
schwieriger ist, musste die Abnahmepflicht allerdings voll aufrecht erhalten
werden. Hier besteht die Aufgabe in einer beschleunigten Verminderung
der Hausbrennhäfen!
Die Probe von 1937.
Wenn diese neue und wirksame Politik dank geringer Ernte
für einmal gelang, so fragte es sich sehr, ob sie sieh auch in dem
obst- und besonders äpfelreichen Herbat 1937 fortführen liesse.
Die Erfahrung mit der 30-Millionen-Schuld war aber so eindringlich, dass
man nun alle Kräfte aufbot, um auch dem «Unglück»
einer grossen Ernte au begegnen. Dass dies mit vereinter Bemühung
gelungen ist, hat allgemein einen tiefen Eindruck gemacht und selbst im
Ausland Beachtung gefunden. Es ist ein Erfolg, der gegen ungezählte
Widerstände erkämpft wurde.
In erster Linie ist rechtzeitig, energisch und geschickt,
mit finanzieller Unterstützung der Alkoholverwaltung, vom Obstverband
und von der Propagandazentrale für die Erzeugnisse des Obst- und
Weinbaues ein sehr erfolgreicher Werbefeldzug für den Frischobstverbrauch
durchgeführt worden. Man veranlasste das Volk, so viel Obst als nur
möglich einzulagern. Da die Ernte vorzüglich in Aepfeln, und
weniger in Mostbirnen gross war, entstand dadurch eine erhebliche Entlastung.
Sodann wurde, wiederum mit Unterstützung der Alkoholverwaltung,
ein Werk durchgeführt, das ernährungspolitisch vielleicht noch
wichtiger ist. Man versorgte die obstarmen und obstlosen Gebirgsgegenden
und die Arbeitslosen mit ganz billigem Frisch und Lagerobst guter Qualität.
Nicht weniger als 45'000 Doppelzentner sind in dieser Weise verkauft worden.
Viele tausend Familien, die zweifellos an einseitiger und mangelhafter
Ernährung litten und Obst oft fast nur vom Hörensagen kannten,
haben. im letzten Herbat gute Aepfel eingekellert und damit ihre täglichen
Mahlzeiten ergänzt.
Verschiedene Mostereien hatten im Hinblick auf die grosse
Ernte besondere Anlagen eingebaut, um Dicksaft, Obstsaftkonzentrat, herzustellen.
Keine Form der Obstverwertung erlaubt so grosse Mengen von Obstüberschüssen
auf so kleinem Raum alkoholfrei aufzubewahren, wie die Saftkondensierung.
Nachdem man alle Herstellungs- und Lagerungsanlagen für Süssmost
und sie sind bekanntlich in unserem Lande nicht gering, ausgenützt
hatte, wurden noch 250'000 Doppelzentner Obst zu dickflüssigem Konzentrat
gemacht. Diese Mengen lagern heute als Vorrat für die Zukunft und
harren der Verwendung.
Endlich besitzen unsere Mostereien heute 26 leistungsfähige Anlagen
zum Dörren von Obsttrester. Sie können in recht kurzer Zeit
grosse Trestermengen in die Trockenform überführen! Der gewaltige
Abfall, der beim Gärmosten, ja auch beim Süssmosten entsteht,
war nämlich lange eine Hauptsorge gewesen, weil man ihn nur zum Brennen
verwenden konnte. Im ganzen wurden im Herbat 1937 rund 75'000 Doppelzentner
Trockentrester bereitgestellt - ebensoviel Gewinn, denn sonst wäre
daraus Branntwein gemacht worden, und die Alkoholverwaltung hätte
ihn übernehmen müssen. Aus dem Apfeltrester wird Pektin gewonnen;
die Birntrester werden als Vieh und besonders als Schweinefutter verbraucht.
Wie ist nun die heutige Lage der Alkoholverwaltung? Dr. Kellerhals, ihr
Leiter, drückt es mit folgenden Worten aus:
«Die Schlacht ist geschlagen ... aber
nicht gewonnen!»
Alles hängt nun davon ab, dass der Verbrauch an Frisch-
und Dörrobst, Süssmost und Obstsaftkonzentrat steigt. Steigt
er nicht, dann werden die gewaltigen Vorräte, in denen der Obstsegen
von 1937 aufgespeichert und ihre Alkoholisierung mehr hinausgeschoben
als verhindert worden ist, letzten Endes doch wieder der Vergärung
und der Verschnapsung zu. geführt, und damit würde eine unserer
schönsten Hoffnungen, eine wahrhaft nationale Aufbauaktion, zunichte.
Diese 400 Eisenbahnwagen Obstsaftkonzentrat, die in den grossen Tanks
der Mostereien lagern, sind eine wunderbare Obstkonserve, bei mässigen
Temperaturen eingedickt, von grossem Nähr- und Gesundheitswert. Unsere
Vorfahren, die nur das Dörren kannten, würden uns darum ausserordentlich
beneidet haben. Sie sind nicht nur eine Reserve für schlechte Jahre
sondern auch für Kriegszeiten. Aber wir dürfen uns nicht darauf
verlassen, dass im nächsten Jahr das Obst missrät oder Krieg
kommt. Diese Vorräte sind für die Mostereien und die Alkoholverwaltung
eine grosse Last. Sie binden Kapital und verschlingen Zinsen. Sie füllen
die Lagerfassungen, die für kommende Ernten gebraucht werden, und
man vermutet für den nächsten Herbat eine grosse Birnenernte.*)
Endlich verliert der eingedickte Saft mit der Zeit etwas an Qualität
und Verkaufswert. Er muss also noch diesen Sommer zu einem grösseren
Teil abgestossen werden, und wenn es nicht anders geht, wird man es erleben,
dass daraus wieder Gärmost und Branntwein gemacht wird.
*) Die inzwischen eingetretenen Fröste sollen die
Ernteaussichten beträchtlich verringert haben. Die Aufgabe der Dicksaftverwertdung
wird dadurch wahrscheinlich etwas erleichtert, aber nicht grundsätzlich
gelöst.
«Die Schlacht
ist geschlagen aber nicht gewonnen!»
Wenige Dinge sind daher heute so wichtig in unserem Lande
- wichtig für die Finanzen wie für die Volksgesundheit - wie
die Gewinnung des Volkes für einen allgemeineren und .vermehrten
Genuss von Frischobst, Dörrobst, Süssmost und Obstkonzentrat.
Das Lebenswerk Bircher-Benners erhält damit eine konkrete, ja sogar
volkswirtschaftliche und finanzpolitische Bedeutung von ganz unmittelbarer
allgemeiner Tragweite.
Wurde einst zur Zeit des Monopolkampfes der 1880er Jahre
eine unzweckmässige Ernährung des Volkes mit Recht, wenn auch
auf Grand sehr primitiver Ernährungslehren, als eine der Hauptursachen
der Branntweinnot betrachtet, so stehen wir heute wieder vor einer ähnlichen
Aussicht: Gelingt es nicht, rasch und grosszügig die Ernährungsweise
breitester Volksschichten auf vermehrten Verbrauch von Obst in fester
und flüssiger Form umzustellen, so droht uns neuerdings eine gewaltige
Branntweingefahr. Hierin liegt die Bedeutung der hier in kurzen Zügen
beschriebenen Geschichte der Alkoholverwaltung und ihrer fiskal- und wirtschaftspolitischen
Probleme für die Bewegung, die unserem Volke den Weg zu einer gesunden
Lebensweise freimachen will. Hier liegt such die vielleicht noch grössere
Bedeutung dieser Bewegung für das schweizerische Alkoholmonopol und
den einheimischen Obstbau.
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