Das schweizerische
Abstinenzsekretariat
(Secrétariat
antialcoolique Suisse)
Seine Entstehung
und seine Organisation
Schon
lange empfanden die Kreise der Alkoholgegner in der Schweiz das Bedürfnis
nach einer gemeinsamen Geschäftsstelle, um die zersplitterten Kräfte
zu sammeln, um anderseits den Behörden, den Enthaltsamkeitsvereinen,
den einzelnen Abstinenten ohne Unterschied der Meinungen oder der Vereine
als Auskunftsstelle zu dienen und überhaupt den Alkoholgegnern die
Dienste zu erweisen, die z. B. das Bauernsekretariat für die Landwirte
leistet.
Endlich kam es im Jahr 1901 zur Tat; das Nationalkomitee
und die Ortsvereine Basel, Zürich und St. Gallen des Alkoholgegnerbundes
vereinigten sich, um ein Abstinenzsekretariat zu gründen und finanziell
sicher zu stellen; die neue Gründung sollte eine Erkundigungsstelle
und ein Mittelpunkt für alle die Alkoholfrage betreffenden Forschungen
und Untersuchungen werden. Der Sitz des Sekretariates wurde im Jahr 1902
nach Lausanne verlegt, wo Herr Prof. Hercod die Leitung übernahm
und bis heute inne hat.
Die Nützlichkeit des Sekretariates wurde
bald von allen Alkoholgegnern anerkannt und die Unternehmung musste deshalb
ausgedehnt werden. Der damalige Sekretariatsausschuss wandte sich an alle
Abstinenz und Mässigkeitsvereine der Schweiz, sowie an viele Private,
und lud sie ein, das Sekretariat zu unterstützen und an seiner Verwaltung
teilzunehmen. Die Einladung war nicht erfolglos, und so wurde im Januar
1904 in Olten die Gesellschaft des Schweiz. Abstinenzsekretariates
gegründet.
Mitglied kann mit Genehmigung des Ausschusses
jeder Verein und jede Einzelperson werden, die sich zu einem Jahresbeitrag
von wenigstens fünf Franken verpflichten.
Mit der Leitung der Gesellschaft und der Ueberwachung des Sekretariates
ist ein Ausschuss von sieben Mitgliedern betraut. Zwei Dritteile derselben,
sowie der Sekretär, müssen Abstinenten sein. Die Hauptversammlung
der Mitglieder findet alle drei Jahre statt. Jedes Jahr erhalten die Mitglieder
einen gedruckten Bericht über die Tätigkeit des Sekretariates.
Diese Tätigkeit ist recht mannigfaltig. Gegenwärtig
kann man drei Hauptarten darin unterscheiden
1. Der Auskunftsdienst.
2. Die Arbeit für die Presse.
3. Wissenschaftliche Untersuchungen und Publikationen.
Der Auskunftsdienst.
Die Alkoholfrage
ist sehr vielseitig. Wer sie nicht eingehend studiert hat, kann nur schwer
alle Tatsachen, Zahlen, wissenschaftlichen Versuche, Gesetze etc. überblicken
oder gar im Gedächtnis behalten, deren Kenntnis ihm zuweilen nötig
ist. Da tritt das Abstinenzsekretariat in die Lücke und stellt sich
jedermann für alle die Alkoholfrage betreffende Auskunft zur Verfügung.
Einige Beispiele mögen zeigen, in welcher Weise
das Abstinenzsekretariat diesen Teil seiner Tätigkeit auffasst und
wie es sich nützlich machen kann. Die im Folgenden aufgeführten
Fälle sind alle der Wirklichkeit entnommen.
Ein Arzt, der am Krankenbette auf die Gefahren des
Alkoholismus aufmerksam geworden ist, möchte am Kampf gegen die Trunksucht
teilnehmen und einen Vortrag halten. Aber seit seiner Studienzeit ist er
als vielbeschäftigter Mann nicht mehr dazu gekommen, sich mit den Resultaten
der Untersuchungen über die Alkoholwirkung auf den gesunden und kranken
Körper näher zu befassen : es fehlen ihm die nötigen Angaben.
Er wendet sich. deshalb an das Sekretariat, welches ihm nicht nur mit Literaturnotizen
zu Hilfe kommt, sondern auch die nötigen Bücher und Schriften,
vielleicht sogar bereitgehaltene graphische Darstellungen und Bilder zur
Verfügung stellt. Der Erfolg eines solchen Vortrages, das Aufsehen
erregende Eingreifen eines beliebten Arztes in den Kampf gegen den Alkohol
hat dann oft die tiefgreifendsten Folgen in seiner Umgebung.
Eine arme Familienmutter sieht mit Betrübnis,
wie ihr Mann ins Trinken hineinkommt. Sie weiss nicht, an wen sie sich wenden
soll. Aus der Zeitung erfährt sie etwas vom Sekretariat: sie schreibt
oder klopft an die Türe des Büreau der Rue Madeleine in Lausanne
und berichtet von ihren bittern Erfahrungen. Der Sekretär rät
ihr, je nach dem einzelnen Fall, sich ans Blaue Kreuz, an den Ortsverein
der Katholischen Abstinentenliga, oder an die Guttemplerloge des Ortes zu
wenden. Er schreibt selbst an den Vereins oder Logenvorsteher und ersucht
ihn, sich mit dem Fall zu befassen. Ist dieser besonders schwer, so dass
der Eintritt in einen Enthaltsamkeitsverein ungenügend scheint, so
werden die nötigen Schritte getan, um den unglücklichen Familienvater
in einer Trinkerheilstätte unterzubringen.
Ein Frauenverein möchte in einer Fabrikstadt
während des Winters einen Handwagen mit warmen alkoholfreien Getränken
in Umlauf setzen, wünscht aber vorher genaue Auskunft über ähnliche
Unternehmungen an andern Orten zu erlangen. Das Sekretariat nimmt es auf
sich, ihm solche zu verschaffen : es schreibt nach Deutschland, England,
Schweden, Frankreich an bereits in ähnlicher Weise wirkende Vereine
und stellt nach einigen Wochen den Fragestellerinnen genaue und vielseitige
Angaben zur Verfügung, die nicht nur das Unternehmen wesentlich erleichtern,
sondern auch Missgriffe vermeiden helfen.
Ein Kanton revidiert seine Wirtschaftsgesetzgebung.
Ein Grossratsmitglied, das bei der Gelegenheit aus dem neuen Gesetz eine
Waffe gegen den Alkoholismus machen möchte, schreibt an das Sekretariat:
„Was kann und was soll geschehen?" Der Sekretär, dem ein
Generalabonnement das Reisen erleichtert, vereinbart mit dem betreffenden
Grossrat eine Zusammenkunft: aus dieser gehen bestimmte Vorschläge
hervor, die sowohl den Kampf gegen die Trunksucht, als auch den gegenwärtigen
Stand der öffentlichen Meinung in dem
betreffenden Kanton berücksichtigen.
Zuweilen richtet auch eine Kantonsregierung selbst
an das Sekretariat Anfragen über eventuell bestehende ausländische
oder kantonale Gesetze, die bei der Neubearbeitung eines Wirtschaftsgesetzes
oder bei der Ausarbeitung eines Gesetzes über Zwangsversorgung von
Trinkern benützt werden können.
Die Schulgesetze des Kantons Aargau sind veraltet
; ein neuer Gesetzesentwurf des Erziehungsdepartements wird veröffentlicht.
Die Abstinenten wollen die Gelegenheit benutzen, um die Einführung
des Antialkoholunterrichts in den Schulen zu erlangen. Sie wenden sich an
den Leiter des Sekretariates. Dieser prüft den Gesetzesentwurf, studiert
die daran im Sinne der Alkoholgegner vorzunehmenden Aenderungen, nimmt in
Aarau an einer Sitzung von Vertretern der Enthaltsamkeitsvereine teil und
arbeitet den Entwurf einer der Grossratskommission einzureichenden Eingabe
aus.
Einige beherzte Männer sehen im schönen
Tessin mit Besorgnis die Verheerungen, welche der Alkoholismus in ihrem
Kanton anrichtet. Entschlossen, etwas dagegen zu tun, aber ohne Erfahrung,
wie vorzugehen sei, wenden sie sich an unser Sekretariat. Nach einem brieflichen
Meinungsaustausch geht der Sekretär zwei Tage nach Lugano ; ein Feldzugsplan
wird entworfen. Eine Privatversammlung wird in Bellinzona zusammen berufen,
der Sekretär leitet die Verhandlungen mit einem Referate ein. Diese
Sitzung in Bellinzona wird den Ausgangspunkt einer Bewegung im Tessin bilden,
von welcher die besten Folgen erhofft werden dürfen.
Diese Beispiele liessen sich leicht vermehren.
Noch muss bemerkt werden, dass das Sekretariat sich
zur Pflicht macht, allen Fragestellern nur genaue Tatsachen
und ganz zuverlässige Angaben zu vermitteln. Um so
vollständig und so schnell als möglich alle Fragen beantworten
zu können, hat der Sekretär eine nach wissenschaftlichem Gesichtspunkt
geordnete Sammlung der diesbezüglichen Schriftstücke, Zeitungsausschnitte,
statistischen Notizen etc. angelegt. Er erhält und durchgeht regelmässig
die bedeutendsten einschlägigen Blätter und Zeitschriften der
ganzen Welt, sowie die meisten neuerscheinenden Arbeiten über den Alkoholismus
und behält die sozialen Bewegungen, von denen ja die Alkoholfrage nicht
getrennt werden kann, im Auge.
Die Bibliothek des Sekretariates
ist wohl eine der vollständigsten Büchersammlungen in der Schweiz
über den Alkoholismus; sie wird fortwährend vervollständigt
und steht jedermann zur Benutzung offen.
Die Arbeit für die Presse.
Der gewaltige
Einfluss der Presse auf das heutige Leben wird von niemand bestritten. Es
gilt daher, diese Macht in den Dienst unsrer guten Sache gestellt.
Deshalb versendet das Sekretariat alle paar Wochen
an etwa 150 Tageszeitungen der deutschen und der französischen, auch
an einige der italienischen Schweiz eine mechanisch vervielfältigte
Zeitungskorrespondenz, welche die Zeitungsredaktoren und durch deren Vermittlung
das Publikum über die wichtigsten Ereignisse und Tatsachen auf unserem
Gebiet unterrichtet. Diese Zuschriften gehen nun seit mehr als zwei Jahren
an die schweizerische Presse ab. Der Anfang, war nicht sehr ermutigend.
Die Sache musste erst ausprobiert werden, man musste darauf achten lernen,
was die Zeitungen am liebsten abdrucken usw. Nach und nach haben sich die
Dinge geändert, zuerst in der französischen, hernach auch in der
deutschen Schweiz. Man kann ohne Uebertreibung sagen, dass jetzt die Hälfte
der Blätter, welche die Zeitungskorrespondenz erhalten, sie auch ganz
oder teilweise abdrucken. Mit der Zeit wird sich dieses schon recht erfreuliche
Verhältnis noch verbessern.
Die Zeitungen bringen manchmal unrichtige Angaben,
tendenziöse oder feindselige Artikel über die Alkoholfrage. Das
Sekretariat macht sich in solchen Fällen zur Pflicht, entweder aus
eigenem Antrieb oder auf die Bitte Anderer, den Blättern eine Berichtigung
zugehen zu lassen. Dabei zeigt es sich, dass seine Einsendungen von Tag
zu Tag bessere Aufnahme finden.
Einige Zeitungen sind sogar aufmerksam genug, dem
Sekretariat für seine Berichtigung zu danken. Die Leitung des Sekretariates
lässt es sich auf diesem Gebiete, wie beim Auskunftsdienst, sehr angelegen
sein, das jeweilen in Frage stehende Thema streng sachlich zu behandeln,
nur ganz zuverlässige Angaben zu liefern und alle politischen oder
konfessionellen Erörterungen zu vermeiden.
Wissenschaftliche Untersuchungen
und Publikationen.
In
diesem Teil seiner Tätigkeit, so wichtig er ist, ist das Sekretariat
noch nicht über die ersten Anfänge hinaus gekommen. Und welch
fruchtbares Arbeitsfeld wartet seiner nicht da ! Das Sekretariat ist besser
als irgend jemand anders mit dem nötigen Material ausgerüstet,
um über die Alkoholfrage eine Reihe von wissenschaftlichen und praktischen
Untersuchungen zu veranstalten. Auf gesetzgeberischem und wissenschaftlichem
Gebiete herrscht noch in vieler Hinsicht eine bedauerliche Verwirrung.
Was für einen Einfluss hat der Alkohol auf die Volkswirtschaft? Welchen
Wert hat das Gothenburgersystem für den Kampf gegen das Wirtshaus?
Was richtet man mit der Verminderung der Wirtschaften aus? Ist das Verbot
des Absinths durchführbar und nützlich ? usw. Alle diese und
noch manche andere Fragen harren der Erledigung durch planmässige,
wissenschaftliche Untersuchung. Bis jetzt hat es dem Leiter des Abstinenzsekretariates
an Zeit gefehlt, um sich hinter diese Aufgaben zu machen : die laufenden
Geschäfte haben ihn zu sehr in Anspruch genommen.
Seit seiner Gründung sind vom Sekretariate
zwei Arbeiten herausgegeben worden, beide in deutscher und französischer
Sprache: eine Schrift über Die Schule im Kampf gegen den
Alkoholismus und das Schweizerische Taschenbuch für
Alkoholgegner; dieses letztere ist eine Zusammenstellung von
kurzen Aufsätzen, Angaben und Adressen, die den Alkoholgegnern den
Ueberblick über die betreffenden Fragen ermöglichen und ihnen
bei Auseinandersetzungen mit anders Gesinnten gute Dienste leisten.
Ausserdem hat das Sekretariat eine Untersuchung
über das lokale Verbotsrecht (Lokal-Option) unternommen, und aus
den Ländern, wo es zu Recht besteht, Gesetze und statistisches Material
kommen lassen, die ein Urteil über den Wert der genannten Kampfmassregel
ermöglichen.
Eine Untersuchung über den Alkoholismus und
seine wirtschaftlichen Folgen für die Schweiz steht im Arbeitsprogramm
des Sekretariates und einige Vorarbeiten dazu sind bereits gemacht; die
Vollendung dieser wichtigen und umfassenden Arbeit wird aber noch Jahre
in Anspruch nehmen.
* *
*
Nun
noch einige Angaben, die eine Uebersicht über die Tätigkeit
des Sekretariates gewähren. Im Jahr 1904 hat es 1650 Briefe und Karten
versandt, zusammen mit den Drucksachen etwa 4500 Sendungen. Die Anfragen
kommen meistens aus der deutschen Schweiz, mit der natürlich in deutscher
Sprache verkehrt wird. In zweiter Linie kommt die französische Schweiz.
Auch aus Deutschland, Oesterreich, Frankreich, Italien, England, Rumänien,
Amerika und sogar aus Neuseeland ist das Sekretariat um Auskunft angegangen
worden. Wir weisen bei der Gelegenheit darauf hin, dass in Deutschland
und in Oesterreich kürzlich ebenfalls Abstinenzsekretariate nach
dem Vorbild des unsrigen gegründet worden sind.
Was bis jetzt, nach dreijährigem Bestehen
des Sekretariates, geleistet worden ist, berechtigt hoffnungsvoll in die
Zukunft zu blicken. Das Sekretariat gedenkt, sein Arbeitsgebiet noch weiter
auszudehnen Unter anderem ist in Aussicht genommen: die Einrichtung einer
beständigen und wirksamen Kontrolle der alkoholfreien Getränke,
einer Zentralstelle für Abhaltung von Vorträgen, ein Stellenvermittlungsbüreau
für Abstinenten.
Um diese und die früher genannten .Pläne
verwirklichen zu können, um dem Abstinenzsekretariat ein ferneres
Bestehen und eine weitere Entwickelung zu sichern, bedarf es der beständigen
Beihilfe aller derer, die, gleichviel ob selbst abstinent oder nicht,
einen energischen Kampf gegen den Alkohol in der Schweiz für nötig
erachten.
-.-.-.-.-.-.- -.-.-.-.-.-.--.-.-.-.-.-.-
Gesellschaft
des
Schweiz. Abstinenzsekretariates
(Auszug aus
den Statuten).
Art.
1. Unter dem Namen „Gesellschaft des Schweiz. Abstinenzsekretariates",
(Société du Secrétariat antialcoolique suisse) besteht
ein Verein im Sinne vom Art. 716 des S. 0. R. mit Sitz in Zürich,
dessen Zweck der Unterhalt und Betrieb eines schweizerischen Abstinenzsekretariates
ist. Dieses dient in erster Linie Behörden, Vereinen und Privaten
als Auskunftsbüreau und widmet sieh ausserdem dem Studium aller den
Alkoholismus berührenden Fragen.
Art. 2. Das Abstinenzsekretariat unterstützt
und fördert den Kampf gegen den Alkoholismus in der Schweiz ohne
Bevorzugung einzelner Vereine und privater Interessen. Es ist sowohl in
politischer als in konfessioneller Hinsicht vollständig neutral.
Art 3. Die Ausgaben des Sekretariates werden gedeckt:
a) durch Beiträge
ans dem Alkoholzehntel der Kantone;
b) durch Beiträge
und Geschenke von Vereinen und Privaten;
c) durch die vom Sekretär
für spezielle Arbeiten erhaltenen Honorare.
Art. 4. Die Gesellschaftsmitglieder sind nur zu
dem Beitrage und nur für die Zeit verpflichtet, für die sie
unterzeichnet haben.
Art. 5. Als Gesellschaftsmitglieder können
aufgenommen werden
a) Personen und Körperschaften,
welche einen regelmässigen Beitrag von wenigstens Fr. 5. an die Gesellschaftskasse
auf drei Jahre hinaus gewährleistet haben;
b) für eine Dauer
von drei Jahren, Personen und Körperschaften, welche eine einmalige
Spende von mindesten Fr. 100. geleistet haben. Die Aufnahme neuer Mitglieder
ist Sache des Ausschusses. Derselbe wird jeweilen definitiv darüber
beschliessen, ob die Aufnahme die Grundsätze und die Unabhängigkeit
der Gesellschaft nicht gefährdet.
Zu jeglicher
weiterer Auskunft ist gerne bereit
das schweiz. Abstinenzsekretariat in Lausanne.
Sein Bureau Rue Madeleine ist täglich geöffnet.
(Prospekt
des SAS aus dem Jahr 1905)
Daten
zur Geschichte der SFA
Die Homepage der SFA
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