August Forel: Arzt, Naturforscher, Sozialreformer, 1848 - 1931


August Forel zum 150. Geburtstag gewidmet von einem Guttempler, Friedensfreund und Esperantisten


Auf dieser Seite:
1. August Forel: Jugend- und Entwicklungsjahre 1848 - 1879
2. August Forel: Arzt, Hirnforscher und Psychiater (Burghölzli 1879 - 1898, Hirnforschung, Neuronenlehre, Hypnose, sozial-eugenische Kastration)
3. August Forel: ein hervorragender Ameisenforscher
August Forel als Sozialreformer
4. Die Alkoholfrage
5. Die sexuelle Frage
6. Irrengesetzgebung und Strafrecht
7. Pazifismus
8. Sozialismus

Auf der zweiten Seite:
http://www.edimuster.ch/abstinenz/forel2.htm
9.August Forel ein Monist
10. August Forel als Bahaï
11. August Forel als Esperantist
12. August Forel als Guttempler (IOGT)
13. Der aktive Ruhestand 1898 - 1931
14. August Forel und die Zeitprobleme...&...die Zeitprobleme und August Forel
15. Auf Spurensuche
Bilder zur Spurensuche

Auguste Forel - Sa vie par Oscar Forel

Zeitgenosse Heberlein zu August Forel


1. JUGEND- UND ENTWICKLUNGSJAHRE 1848 - 1879

Auguste Henri Forel, deutsch meistens August Forel, französisch Auguste Forel genannt, wurde am 1. September 1848 als erster Sohn einer angesehenen Waadtländer Familie in Morges, unweit von Lausanne am Genfersee, geboren.

«Ich wurde im Landgut "La Gracieuse" in Morges am 1. September des berühmten Revolutionsjahres 1848, am Tage der Eröffnung der Jagd, geboren. Dadurch wurde das Jagdvergnügen meines Vaters zu seinem grossen Ärger gestört.» (August Forel, Rückblick auf mein Leben, AB 12)

Von einem waadtländischen Vater und einer südfranzösischen Mutter abstammend, fing der äusserst schüchterne Knabe schon im Alter von sieben Jahren an, Ameisen zu beobachten. Vorerst erhielt er von einem Privatlehrer Unterricht, später besuchte August Forel Schulen in Morges und Lausanne. Das Medizinstudium führte ihn 1866 - 1871 nach Zürich. 1871 fuhr er mit dem "Zürcher Hülfszug" nach Belfort, um die Kriegsverwundeten medizinisch zu betreuen. In Wien, Paris und Tübingen setzte er seine hirnanatomischen und mikroskopischen Studien fort, bevor er während fünf Jahren bei Bernhard von Gudden in München als Forschungsassistent und Psychiater arbeitete und sich dort habilitierte.

Schon im Herbst 1879 wurde August Forel, knapp 31jährig, Professor für Psychiatrie an der Universität Zürich und Direktor der Heilanstalt Burghölzli (nach dem Ausstellungskatalog, AK 13).


2. ARZT, HIRNFORSCHER UND PSYCHIATER

1. Direktor des Burghölzli und Psychiatrieprofessor (1879 – 1898)

Das Burghölzli war 1870 nach dem Prinzip des «no restraint» (möglichst freie Behandlung Geisteskranker) eröffnet worden. Forel führte Arbeitstherapie, Abstinenz und die noch lange umstrittene Hypnose oder Suggestionstherapie ein. Das erlebte Elend führte ihn zur Prävention in der Bevölkerung durch Abstinenz, Prohibition, Eugenik und Moral- und Sozialreform. (Heute: Psychiatrische Universitätsklinik Zürich)

«Alle therapeutischen Erkenntnisse der körperlichen Medizin sollten den Geisteskranken zugute kommen. Gleichzeitig aber entwickelte die Psychiatrie - und hier war Forel ein besonders anerkannter Führer - die Psychotherapie. In deren Anfängen waren Studium und Praxis von Suggestion und Hypnose, aber auch die Arbeitstherapie im psychiatrischen Spital und die Gruppenpsychotherapie. Damals belebten Forel und seine Mitkämpfer auch bereits die soziale Psychiatrie (M. Bleuler, Co 7).»

Als Direktor der psychiatrischen Klinik Burghölzli hatte Forel zuerst mit alkoholischen, administrativen und sexuellen Missständen aufzuräumen und um das Vertrauen von Mitarbeitern und Patienten, aber auch von Behörden und Presse zu kämpfen.

«19 Jahre war er täglichem Elend und peinigendem Entsetzen des Irrenarztes ausgesetzt: schwersten Fällen von Verbrechern und tobsüchtigen Patienten, menschlichen Jammergestalten aller Art. Man vergisst heute allzu leicht, wie die Psychiatrie vor den erst ab 1960 wirksam eingesetzten Psychopharmaka und Drogenentziehungsmitteln machtlos den gewalttätigen, von vermeintlichen Verfolgern Tag und Nacht geplagten und hoffnungslos suizidalen Patienten gegenüberstand. Oft nur durch Brachialgewalt zu bezähmen, waren sie jedem Therapiegespräch unzugänglich (Meier/Akert).»

August Forel gilt als der «Vater der Schweizer Psychiatrie», erreichte er doch, dass Psychiatrie als Pflichtfach ins Medizinstudium eingebaut wurde (AK 9).

In den Jahren 1888/89 gründete er die Trinkerheilstätte Ellikon an der Thur (heute «Forel-Klinik») mit dem abstinenten Schuhmacher Bosshardt als Hausvater. Ihre Methoden und Erfolge erregten europäisches Aufsehen.

2. Hirnforschung, Neuronenlehre, Hypnose

Sowohl seine Dissertation (Zürich 1872) wie seine Habilitationsarbeit (München 1877) waren hirnanatomischen Untersuchungen gewidmet. In München verbesserte er das nach seinem Lehrer Gudden genannte Mikrotom so grundsätzlich, dass er 1874 die erste vollständige Serie von 708 Schnitten durch das menschliche Gehirn erstellen konnte. 1886 wies Forel die Neuronen als kleinster Bestandteil des Gehirnes nach. Diese erhielten erst später diesen Namen; für die Neuronentheorie erhielt später ein anderer den Nobelpreis. Den Namen Forels tragen heute vier hirnanatomische Begriffe. Seine letzte hirnanatomische Arbeit war die Beschreibung seiner 1912 erlittenen Schlaganfälle.

1887 lernte er in Nancy die damals im deutschen Sprachraum kaum bekannte Hypnose kennen und verfasste 1889 ein wegweisendes Handbuch. Es wurde u.a. ins Russische übersetzt und erschien 1923 in 12. überarbeiteter Auflage. Sigmund Freud hat Forels Werk über den Hypnotismus sehr geschätzt; Forel hingegen hat zur Psychoanalyse kein positives Verhältnis finden können.

3. Sozial-eugenische Kastration

1886 und 1892 hatte August Forel je eine sozial-eugenische Kastration bei "hereditär schwer belasteten" Geisteskranken angeordnet, um die Gefahr erblich geschädigter Kinder zu bannen. und falls möglich, die Patienten frei zu lassen.

Beide Kastrationen wurden freiwillig, d.h. im Einverständnis der Patienten vorgenommen. Im zweiten Fall lag auch das Einverständnis des Vormundes vor: "Da (der Patient) drohte, die Testikel eines Tages einfach herunterzureissen, wenn er nicht operiert werde, wurde im Einverständnis mit dem Vormund im Januar 1892 in der Anstalt die Kastration vorgenommen."

Kastrationen sollten "nur in den schlimmsten Fällen" vorgenommen oder "durch die harmlosere Durchtrennung der Samenleiter oder Eileiter (Sterilisation) ersetzt werden," schrieb Forel 1905. Er ist der Ansicht, die Sterilisation "wäre jedenfalls ein viel milderes Schutzmittel gegen Sadisten und dergleichen Leute, als eine dauernde Einsperrung." Für Forel waren diese Eingriffe "eine Vorbeugungsmassregel gegen Kindererzeugung durch die Kranken" und er postuliert, "sie wäre besonders solchen Menschen gegenüber am Platze, deren pathologische Zwangszustände derart sind, dass sie sich absolut nicht zusammennehmen können und jeder Belehrung und jedem vernünftigen Zuspruch unzugänglich sind, weil ihnen danach eine grössere Freiheit gewährt werden könnte".

Damals handelte es sich um die ethisch modernste Massnahme der Eugenik: statt Kastration (Entfernen der Keimdrüsen mit allen Nachteilen) eher Sterilisation (Durchtrennen von Samenleiter oder Eileiter), wodurch die Zeugungsfähigkeit verloren geht, "ohne am Geschlechts-Gefühl und -Trieb etwas zu ändern". (Die ersten Eileiterunterbindungen wurden erst 1897 und die 1. Vasectomie 1898 durchgeführt.) Die erwähnten Massnahmen werden übrigens in Forels Entwurf zum neuen Strafgesetz 1893, ein Jahr nach der 2. Kastration, nicht aufgeführt. Sie werden auch nicht unter der Rubrik "Zwangsmassregelungen" genannt.

Von 1892-98, also bis zu August Forels Rücktritt als Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik, sind keine weiteren Kastrationen oder Sterilisationen an Patienten durchgeführt worden. Während 17 Jahren seiner Amtszeit (1879-1896) sind insgesamt über 3927 Geisteskranke im Burghölzli gepflegt und behandelt worden. Diese Zahlen dürften den Ausnahmecharakter jener sozial-eugenischen Massnahme unterstreichen. Eine 1909 erschienene Arbeit über "Die ersten Kastrationen aus sozialen Gründen auf europäischem Boden" von P. Näcke führt Forels Fälle nicht an. Demnach dürfte trotz der Erwähnung der beiden Kastrationen in Forels "Bestseller" "Die sexuelle Frage" (1. Aufl.1905) die Resonanz der sozial-eugenischen Massnahme in Europa eine geringe gewesen sein.

In einem Leserbrief in der Münchener Med. Wochenschrift schrieb Forel 1898: "Ist es humaner, einen Menschen lebenslänglich einzusperren, als ihn zu castrieren? ... Keiner derselben hat darüber geklagt, im Gegentheil, denn Beiden ging es besser, und es ist eine wahre Beruhigung, diese Menschen ausserdem ohne die Gefahr ihrer Vermehrung frei laufen lassen zu können - ein Glück zugleich für sie selber und für ihre eventuellen unglücklichen Nachkommen. In beiden Fällen konnte ich nur desshalb so vorgehen, weil der Zustand des Kranken es für seine directe Heilung oder Besserung indicierte." (Quelle: R. Meier und K. Akert)


3. EIN HERVORRAGENDER AMEISENFORSCHER

«Forel entdeckte schon im Alter von sieben Jahren die grosse Leidenschaft seines Lebens: die Beobachtung von Ameisen! Das Urteil der Wissenschaftshistoriker ist bis heute kontrovers, ob nicht die Verdienste des Ameisenforschers die des Psychiaters überwiegen (Aerzte Zeitung).» Seine erste wissenschaftliche Veröffentlichung (1869) war einer Ameisenart gewidmet.

Parallel zum medizinischen Studium verfasste er 1872 eine Arbeit über die Ameisen der Schweiz, die den Schläfli-Preis der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft und den Prix Thore der Académie Française des Sciences erhielt. Charles Darwin hat sich mehrmals lobend über dieses Werk geäussert - und Forel veranlasst, Englisch zu lernen.

Seine 273 Ameisenarbeiten umfassen über 7272 Druckseiten. Mehr als 3500 Ameisenarten hat Forel im Verlauf seiner über 60jährigen Forschertätigkeit bestimmt. Acht Insekten sind von Kollegen nach Forel benannt worden. (Die japanischen Ameisen sind mit Bild auf dem Internet zu bewundern… Altavista findet 805 Seiten für «ant AND Forel».) 1921 bis 1923 verfasste er das 5bändige Werk «Le monde social des fourmis comparé à celui de l’homme».


Bild oben: Mayriella Forel 1902:425. Type species: Mayriella abstinens Forel, by monotypy. (Forel, A. 1902. Fourmis nouvelles d'Australie. Rev. Suisse Zool. 10: 405-548)


Bild unten: Cerapachys biroi Forel


Der Bienenforscher Karl von Frisch schrieb 1965: «Angeregt durch eine Beobachtung August Forels (am Frühstückstisch in Yvorne), versuchte ich vor vielen Jahren, Bienen auf eine Futterstunde zu dressieren und hatte sofort Erfolg.»

Mayriella abstinens Forel

Cerapachys biroi Forel

«Unter den Ameisen findet man Weber, Schlächter, Tierzüchter, Maurer, Kartonfabrikanten, Bäcker, Pilzzüchter, Gärtner, Krieger und Pazifisten, Sklavenjäger, Diebe, Räuber und Parasiten; aber keine Professoren, noch Volksredner, Regenten, Bürokraten und Generale, nicht einmal Korporale, auch keine Kapitalisten und Spekulanten, ebensowenig Schwätzer.» (Forel, cit. AK 142)

Auf seinem Ex Libris ist eine Ameise zu finden mit dem Text: "Labor omnia vincit".


AUGUST FOREL ALS SOZIALREFORMER

Ich sagte mir (um 1891/92): «Du hast höhere Pflichten, als Ameisen zu beschreiben und zu beobachten, oder neue Zusammenhänge von Fasern und Zellen im Gehirn zu suchen.»... Ferner wurde mir immer klarer,dass der alte Spruch der Hygiene «Vorbeugen ist besser als Heilen» viel mehr in den Vordergund unseres Strebens treten müsse…Laut schrie in mir eine Stimme, die dem Psychiater sagte: «Hinaus aus deinen Mauern, zur Verkündigung jener Wahrheiten an die Öffentlichkeit sowie zum Studium der Seelenabnormitäten ausserhalb der Anstalten. Du musst Apostel der Wahrheit werden. Was nützt es denn, ewig dazubleiben, um die verlorenen Opfer des Unverstandes der Menschheit als Trümmer in geschlossenen Irrenhäusern zu pflegen und dabei die Ursachen dieses ganzen Elendes ruhig weiterbestehen zu lassen? Das ist Feigheit! (AB 139-142)»


4. Die Alkoholfrage

4.1. Vom Alltäglichen zum Problem und zur Lösung

Als echter Waadtländer trank Forel während seiner Gymnasialzeit und seines Studiums seinen täglichen Wein. Erst als Psychiater lernte er die verheerenden Wirkungen des Alkoholmissbrauchs kennen. 1885 erschien seine erste Schrift zur Alkoholfrage. Am 1. Juli 1886 wurde Forel Abstinent (s. unten).

Er war zur Überzeugung gekommen, dass Alkoholismus heilbar sei. Eine wirksame Prophylaxe sah er in der vollständigen Abstinenz von Alkohol und in der allmählichen Abschaffung des Gebrauchs alkoholischer Getränke. Am 17. Januar 1892 gründete er die erste Guttemplerloge der Schweiz (s. unten).

4.2. Wie Forel Abstinent wurde

«Ich trank früher mässig, von ein paar Räuschen in meiner Jugend abgesehen. In München (etwa 1877) hatte ich Abstinenten (die Nephalia) verhöhnt. (Er schrieb z.B. einem englischen Nephalisten, der Alkoholismus komme in Bayern, wo man nur Bier trinke, kaum vor...Mr.) Als Direktor der Anstalt Burghölzli in Zürich (1879 – 1898) muste ich aber Trinker behandeln. Ein solcher (Ludwig), den ich für unheilbar erklärt hatte, wurde in St. Chrischona bei Basel durch die Abstinenz geheilt. Dies war eine verdiente Ohrfeige; ich trank dennoch weiter Bier und Wein.

Nun kam im Herbst 1885 mein Schwager Fritz Steinheil zu mir. Im Frühjahr brachte er mir einen Schuhmacher, Jakob Bosshardt, der die Schuhe nach der Fussform und nicht umgekehrt machte. Ich wollte ihm ein Glas Wein anbieten; er schlug es ab. Er war Abstinent. Ich frug ihn, ob er meine Säufer der Anstalt Burghölzli in seinen Blaukreuzverein aufnehmen wolle. Jawohl, war seine Antwort. Und seither sah ich geheilte Trinker, trank aber selbst weiter mit schlechtem Gewissen.

Im Jahre 1886 kam Bosshardt zu mir wegen eines Trinkers. – Warum kann ich, dessen Pflicht es wäre, keine Säufer heilen, während Sie es tun? – Ganz einfach, erwiderte mir Bosshardt, ich bin Abstinent und Sie nicht. - Nun ja, sagte ich ihm, da haben Sie meine Hand, von heute an werde ich Abstinent. - So bin ich seit 1886 Abstinent geworden und bis heute 1928 geblieben.» (A. Forel in "Die Junge Schweiz",1929)

4.3. Therapie und Prävention in Zürich

Nach der 2. «Internationalen Versammlung gegen den Missbrauch alkoholischer Getränke» (von Forel im September 1887 in Zürich organisiert) entstanden mit Forels Hilfe verschiedene Abstinenzvereine. Er förderte die vom «Zürcher Frauenverein für Mässigkeit und Volkswohl» gegründeten gemeinnützigen alkoholfreien Gaststätten, die den Gästen günstige Mahlzeiten und dem Personal äusserst fortschrittliche Arbeitsbedingungen boten. In den Jahren 1888/89 gründete er die Trinkerheilstätte Ellikon an der Thur (heute «Forel-Klinik») mit Schuhmacher Bosshardt als Hausvater. Ihre Methoden und Erfolge erregten europäisches Aufsehen.

4.4. Internationale Aktivitäten

Forels Einsatz gegen den Alkohol überschritten die Grenzen Zürichs und der Schweiz. Seit der 2. "Internationalen Versammlung" in Zürich besuchte er diese Veranstaltungen regelmässig und war auch als Übersetzer, Organisator und Publizist für sie tätig. (Im August 1999 findet der "38. Internationale Kongress über Alkohol, Drogen und andere Abhängigkeiten" in Wien statt.) In seinen Erinnerungen schildert er die Kämpfe zwischen den Abstinenten (unter seiner Führung) und den Mässigen (vom Alkoholkapital unterstützt). Er sprach (z.B. in Der Mensch und die Narkose, 1903, Schlusssatz) sogar von einem «Kampf bis aufs Messer», was aus dem Munde eines Pazifisten seltsam klingen mag...

Unermüdliche Reisevorträge und viele Gründungen von Guttemplerorden (IOGT) in Europa, vor allem in Oesterreich und Bulgarien, aber selbst in Konstantinopel und Tunesien, kennzeichneten August Forels Tätigkeit. 1902 verweigerte er als Mitglied der Internationalen kriminalistischen Vereinigung in Moskau, zum Entsetzen der Gäste, einen Toast auf den Zaren, weil nur Champagner vorhanden war.

In seinen weltweit beachteten wisenschaftlichen Arbeiten vertrat er die Auffassung, dass der Alkohol eine der wichtigsten Ursachen für die gesundheitlichen Probleme der Menschen und eines der grössten Hindernisse für die Entwicklung der menschlichen Rasse darstelle. Aus der Tatsache, dass unter den Nachkommen von Alkoholikern mehr psychisch Kranke, Asoziale, Verbrecher und Alkoholiker zu finden sind, schloss er im Jahre 1903, der Alkoholmissbrauch führe zu einer Vergiftung des Keimplasmas bei Männern und Frauen. Im Jahre 1924 erklärte er aber, eine solche «Blastophthorie» sei nicht bewiesen, sondern noch sehr zweifelhaft. (s.u. Forel als Guttempler.)


5. Die sexuelle Frage

5.1 Für die Gleichberechtigung von Frau und Mann

Forel setzte sich energisch für die Gleichberechtigung der Frauen und für die gemeinsame Erziehung ein. Eine der Thesen in seiner Dissertation lautete 1872:

«Alle Hochschulen sollen den Frauen eröffnet werden.»

Im Jahre 1909 forderte er seinen «10 Geboten der Sexualreform» (s. unten) u.a.:

«1. Rechtliche Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen und der ledigen Mütter mit den verheirateten…
2. Gleiche Pflichten aller Erzeuger (Frauen und Männer, sowohl verehelicht als unverehelicht) den Erzeugten gegenüber.
3. Völlige rechtliche Gleichstellung der Frau mit dem Manne… (auch) in allen öffentlichen Angelegenheiten…
7. Trennung der Güter und des Arbeitsertrages in der Ehe.»
(Dass die Schweiz bis zur Erreichung dieser Ziele mehr als ein Jahrhundert braucht, hatte Forel sicher nicht erwartet.)

5.2 Die Abschaffung der Bordelle

Seit 1887 unterstützte Forel den Kampf für die Abschaffung der Bordelle in Zürich, die 1897 nach einer Volksabstimmung verboten wurden. Grunde für dieses Verbot war u.a. die Ausbreitung der damals unheilbaren Geschlechtskrankheiten, von denen auch gekrönte Häupter und Dichter nicht verschont blieben. (Die damaligen Publikationen erinnern an die heutige Diskussion um Aids.) «Der Handel mit jungen Mädchen» (über 700 Mädchen sollen jedes Jahr infolge unheilbarer Erkrankung durch neue ersetzt worden sein – auch hier Parallelen zur Gegenwart…) warf ethische Probleme auf. Der Staat dürfe «keinen Kontrakt mit dem Laster abschliessen». Dies sei «eine Herabwürdigung des weiblichen Geschlechtes, ein Ausnahmegesetz zu dessen Ungunsten und somit eines demokratischen Staates durchaus unwürdig».

In seinen Schriften wies Forel auch auf die Zusammenhänge zwischen Alkohol und Prostitution und zwischen Alkohol und der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten hin.

Dass Forel nicht jede nichteheliche Sexualität ablehnte, zeigt folgendes Zitat: «Der Staat soll die Kuppelei und alle Anreizungen zur Unsittlichkeit strenge bestrafen, die freie und private Prostitution dagegen ignorieren, solange sie kein öffentliches Ärgernis hervorruft.»

5.3 Forels Welterfolg: «Die sexuelle Frage»

1905 veröffentlichte Forel dieses 600 Seiten umfassende, wirkliche "umfassende" Werk, das in über einer halben Million Exemplaren in 16 Sprachen erschien. «Die menschliche Sexualität wurde in ihren vielseitigen Aspekten gleichzeitig naturwissenschaftlich, medizinisch, psycho-physiologisch und soziologisch behandelt… August Forel veröffentlichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts prophetisch neue wissenschaftliche und ethische Erkenntnisse im Bereich der Geschlechtsbeziehungen. Als Arzt und Erzieher nahm er mutig den Kampf auf gegen viktorianische Vorurteile, gegen Heuchelei und falsche Moral. Kinder und Jugendliche sollten die Sexualität als etwas völlig Natürliches erleben… (AK 88).
Die 10 Gebote der Sexualreform:
1. Rechtliche Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen und der ledigen Mütter mit den verheirateten, damit die öffentliche Brandmarkung unehelicher Geburten endlich aufhört.
2. Gleiche Pflichten aller Erzeuger (Frauen und Männer, sowohl verehelicht als unverehelicht) den Erzeugten gegenüber.
3. Völlige rechtliche Gleichstellung der Frau mit dem Manne. Hier muss ich energisch gegen den Sophismus Stellung nehmen, der die Sache so darstellt, als ob die rechtliche Gleichstellung mit Gleichmacherei identisch wäre. Eine Frau, die die Befugnis besitzt, in allen öffentlichen Angelegenheiten als mündiges, vollberechtigtes Glied der menschlichen Gesellschaft ihr Votum abzugeben, so gut wie der Mann, braucht dafür nur einen winzigen Teil ihrer Zeit, wie ein männlicher Gelehrter, Schullehrer, Arbeiter, Kaufmann usw. Sie braucht dabei ihre Pflicht als Mutter, Gattin usw. nicht im mindesten vernachlässigen und auch kein Jota ihrer Weiblichkeit preiszugeben. Hinter den faulen, nach Bier und Kneipe riechenden Witzen, die uns die Zeitungen täglich gegen die Frauenrechte auftischen, verbirgt sich nur schlecht der Egoismus und der Machtmissbrauch des Mannes.
4. Konsequente Erleichterung einer frühzeitigen (eventuell für den Anfang absichtlich sterilen) Ehe für beide Geschlechter.
5. Bewusste und zweckmässige Regulierung der Zeugungen als sozial ethische Pflicht im Sinn einer methodischen qualitativen Verbesserung unserer Rasse mit Bezug auf Körperkraft und Gesundheit sowohl, als auf ethische Qualitäten, Charakter, Willensfestigkeit und Intelligenz.
6. Erleichterung der Ehescheidung.
7. Trennung der Güter und des Arbeitsertrages in der Ehe.
8. Abschaffung aller Strafbestimmungen gegen sexuelle Handlungen, die niemandem und auch der Rasse nicht schaden.
9. Administrative Schutzmassregeln gegen gefährliche Perversionen an Stelle von infamierenden Strafen. Krankheiten und Abnormitäten sind nicht zu bestrafen.
10. Sachgemässe und taktvolle Aufklärung der Kinder über die sexuellen Vorgänge und Gefahren. Schutz derselben vor sexuellem Missbrauch jeder Art und dafür zweckmässige Überwachung der Jugend. Zugleich aber Schaffung eines Rechtsschutzes für die Kinder, der die Achtung ihrer Persönlichkeit garantiert und sie nicht nur vor Misshandlung und grober Vernachlässigung, sondern auch vor gewaltsamer Dressur und launenhafter Willkür von seiten ihrer Eltern, Pflegeeltern oder Vormünder bewahrt.

Alle diese Reformen erfordern zu ihrer Durchführung in erster Linie eine völlige Vorurteilslosigkeit, das heisst eine voraussetzungslose Prüfung der Tatsachen, wie sie ja auch die Wissenschaft von ihren Vertretern verlangt. Hiezu gehört ein freier Geist, der nicht unter dem Bann autoritativer Dogmen steht.
(August Forel: «Ethische und rechtliche Konflikte im Sexualleben in und ausserhalb der Ehen, Ernst Reinhardt, München 1909)

(s.o. die Klammerbemerkung zu den Frauenrechten…)

Das Buch erregte Aufsehen und Widerspruch und wurde z.B. von den Nazis verboten (s.u. «Zeitprobleme»). Referate von Forel wurden u.a verboten in Lausanne, Emmishofen und Leipzig.

« Meiner Ansicht nach liegt die Zukunft aller Sexualreform in der Eugenik, im internationalen Weltfrieden, und dies im Gegensatz zur Kakogenik der Kriege, des Kapitalismus und der Alkoholtrinksitten (Forel 1929 an Magnus Hirschfeld, AK 92)».

Zu August Forels Einsatz für die Sexualaufklärung schreibt Christian Pfister in der Geschichte des Kantons Bern seit 1798, Band IV, im Kapitel "Im Strom der Modernisierung: Bevölkerung, Wirtschaft und Umwelt 1700-1914":
"Antikonzeptionelles Wissen wurde von der Jahrhundertwende an teilweise durch auflagenstarke Bücher und gut besuchte Vorträge verbreitet, wobei der Arzt und Ameisenforscher Auguste Forel eine Vorreiterrolle spielte (98). Rückwandernde Dienstmädchen trugen die Kenntnisse in ländliche Gegenden, wo sie von Frau zu Frau weitergegeben wurden. Ähnlich wirkte für Männer die Mund-zu-Mund-Propaganda im Militärdienst. (98: Der auf der Tausendernote abgebildete AUGUSTE FOREL (1848-1931) publizierte ein Buch über «Die sexuelle Frage» (München 1906), das bis 1928 16 Auflagen mit 100 000 Exemplaren erlebte und in 16 Sprachen übersetzt wurde. Bis 1910 hielt er zudem in Europa rund hundert Vorträge über Sexualleben und -erziehung vor oft tausend bis zweitausend Zuhörern (AUGUSTE-HENRI FOREL: Rückblick auf mein Leben. Zürich 1935)."

«Was aber waren das für Greuel, die Forel gesetzlich zulassen wollte? Es waren zunächst einmal die völlige Gleichberechtigung der Geschlechter und die Anerkennung der weiblichen Hausarbeit als gleichwertig mit männlicher Berufsarbeit. Zudem forderte er die Straffreiheit des Konkubinats und überhaupt aller einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Erwachsenen, einschliesslich der Blutschande und aller "Perversionen", solange sie eben keine Rechte anderer verletzten. Im Falle der Homosexualität bedauerte er es sogar, dass die Heirat zwischen Männern verboten sei, die doch "sozial sehr harmlos" sein würde. Weiter verlangte Forel die freie Verfügbarkeit von Empfängnisverhütungsmitteln, und selbst die Abtreibung wollte er freigeben in Fällen von Notzucht, Gefährdung der mütterlichen Gesundheit, Geisteskrankheit und ähnlichem. Es versteht sich von  selbst, dass zu Anfang unseres Jahrhunderts solche Programmpunkte aus dem Munde eines renommierten Wissenschafters provozierend wirken mussten. Forel hatte sich  all dies aber sehr sorgfältig überlegt und begründete es ausführlich, wenn auch ohne Bezug auf die traditionelle christliche Ethik. Obwohl in frommer calvinistischer Atmosphäre aufgewachsen, war Forel schon früh zum religiösen Zweifler geworden und hatte deshalb mit 16 Jahren sogar die Konfirmation verweigert. Die Willensstärke, die aus dieser jugendlichen Auflehnung spricht,  blieb auch später für ihn bezeichnend. Wenn es um seine ehrliche Überzeugung  ging, scherte er sich wenig um das Zartgefühl anderer Leute.» (Zitiert nach Haeberle; s. Link. - Fast 100 später, am 1. Juli 2003, wurden in Zürich die ersten homosexuellen Paare amtlich registiert. Es ging noch länger als beim Frauenstimmrecht!)

Erwin J. Haeberle: Auguste Forel - der erste Schweizer  Sexologe - Zuerst in: Neue Zürcher Zeitung, 19. Februar 1986, im Internet bei Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwissenschaft


6. Irrengesetzgebung und Strafrecht

«Die Zukunft des Strafrechtes liegt meiner Meinung nach in seiner Aufhebung, das heisst in der Entfernung eines jeden Rechtes zur Strafe (1920).»

So prophezeite der Zürcher Psychiater Auguste Forel 1889: «Die Zeit muss noch kommen, wo die Behandlung der Verbrecher zum Teil eine Abteilung der Psychiatrie, zum Teil die Aufgabe einer sehr verfeinerten auf Stärkung und Verbesserung des Charakters, d. h. auf Hebung von Gehirnschwächen abzielenden, den Schutz de Gesellschaft bezweckenden Psychologie bilden wird.» Psychiater wie Forel oder Strafrechtsreformer wie Carl Stooss und Emil Zürcher sahen in den bestehenden administrativrechtlichen «Sicherungsmassregeln» valable Modell für eine teilweise Medikalisierung und Pädagogisierung des Strafrechts. Namentlich bei vermindert zurechnungsfähigen, rückfälligen und «trunksüchtigen» StraftäterInnen sollten medizinisch psychiatrische Behandlungs- und Versorgungskonzepte an die Stelle der traditionellen strafrechtlichen Repression treten. Resultat dieser Bestrebungen war die Entwicklung eines zweispurigen Straf- und Massnahmenrechts, das schliesslich Eingang ins schweizerische Strafgesetzbuch fand. (in "Psychiatriegeschichte der Schweiz", traverse 2003/1, Chronos-Verlag)

6. 1 Gegen die Todesstrafe

(Der einleitende Text stammt von Ernst Marti, die Zitate sind von C. A. Loosli)
Als besonders sinnlosen und grausamen Racheakt der Gesellschaft bekämpfte Loosli die Todesstrafe. Diese war ja bis zur Einführung eines schweizerischen Strafgesetzes 1942 in einzelnen Kantonen immer noch gebräuchlich. Als die Arbeiterin und Hilfskellnerin Frida Keller wegen Mordes an ihrem fünfjährigen jungen in St. Gallen zum Tode verurteilt wurde, flösste diese Tat Loosli «für sich genommen gerechtes Entsetzen» ein; das harte Urteil aber rief «Abscheu» und das Schicksal der «aus den Reihen der Gesellschaft gewaltsam Gestrichenen tiefes Mitleid» in ihm wach. Von einem ihrer Arbeitgeber verführt und Mutter geworden, hatte sie fünf Jahre lang aus eigener Kraft für das uneheliche Kind gesorgt. Dann aber sah sie keine Möglichkeit mehr, es weiterhin zu ernähren, und tötete es... «Ihr Verbrechen wurde entdeckt, und die menschliche Gerechtigkeit offenbarte sich ihr zum ersten Male in der Form ihres Todesurteils. Der Verführer aber geht straflos aus, und die Gesellschaft, welche sie missachtete und sie dadurch zu einem verwerflichen Akte höchster Verzweiflung trieb, hat sie gerichtet, als wäre sie, das arme, verstossene Mädchen, die Alleinschuldige oder auch nur die Hauptschuldige... Loosli wagt die Prognose, dass man Mitleid walten lassen werde: «Frida Keller wird wahrscheinlich den raschen Tod unter dem Richtschwert gegen ein langsames Dahinsiechen hinter grauen Kerkermauern vertauschen. Das ist unser Mitleid, unsere Gnade!» Er sollte recht behalten. Wenige Tage später wurde Frida Keller vom St. Galler Grossrat mit 156 gegen eine Stimme zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadigt... Im Fall hatte Loosli festgestellt, dass weder die Todesstrafe noch die Einschliessung eine «Lösung» sein konnte, und hatte die Gesellschaft angeklagt: «Das Mitleid, jene Gnade, welche Frida Keller vor ihrem Verbrechen bewahrt hätte, die freilich üben wir nicht!» (C. A. Loosli: Frida Keller. In: Berner Bote, Nr. 6, 19. 11. 1904)

Loosli sah sich unterstützt von Professor Auguste Forel, der das Originalprotokoll des Urteils und die Botschaft des Regierungsrates studiert hatte. Forel sprach von «reinste[r] Barbarenjustiz», von einer «Schmach für das zwanzigste Jahrhundert». Beim gewöhnlichen Kindsmord sei der wahre Mörder meistens nicht die Mutter, sondern viel eher der feige Vater, der die Geschwängerte verliess und verleugnete. Hätten sich die St. Galler Richter alle zur Beurteilung des Falls erforderlichen Fragen gestellt, so Forel, so hätten sie «den Mut zu einer Verurteilung, geschweige zu einem Todesurteil nicht finden können, denn ihr Gewissen hätte ihnen die wahren Schuldigen zu deutlich gekennzeichnet: Feige männliche Rohheit, heuchlerische sexuelle Sitten und ungerechte Gesetze». Auch hinsichtlich der Erwartungen an eine verantwortungsvolle Zukunftsgesellschaft ging Loosli mit Forel einig, als dieser meinte: «Wenn einmal jede Schwangerschaft und Geburt von der Gesellschaft geachtet und jeder Mutter Schutz und Hilfe für ihre Kinder von Gesetzes wegen zukommen wird, dann erst wird man Kindsmorde strenger beurteilen dürfen.» (Auguste Forel in: Berner Bote, Nr. 8, 26. 11. 1904.)
(Quelle: Erwin Marti, Carl Albert Loosli, Band 1, Eulenspiegel in helvetischen Landen, S. 257 ff, Chronos Verlag Zürich, 1996), zu Loosli: CARL-ALBERT-LOOSLI-GESELLSCHAFT, Berndeutsche Gedichte von C. A. Loosli


7. Pazifismus

7.1. Der deutsch-französische Krieg 1870/71

Für Forel wurde das Kriegselend, dessen Zeuge er als Arzt 1871 im Elsass wurde und das ihm einen «unauslöschlichen Eindruck» machte, wohl zum wichtigsten Anlass für seine spätere militant pazifistische Haltung.

Forels Onkel, F.-T. Morin, gehörte 1870 in Paris zu der Minderheit, die im Parlament gegen die Kriegserklärung an Preussen stimmte.

7.2. Der (erste) Weltkrieg

«Ist es nicht herzzerreissend zu sehen, wie die demokratische Schweiz sich im Gefolge dieses ganzen Waffen- und Blechgeklirres, dieser glänzenden Uniformen, Manöver und Scheinkriege hübsch folgsam anspannen lässt, wie sie selbst die Gipfel unserer Alpen in Kasernen verwandelt, statt dass sie mutig die Initiative zu einem Friedensbund der Kulturvölker ergreift, was entschieden ihrer wahren Kulturmission besser entsprechen würde? ... Dieses ist jedoch nur auf der Grundlage solcher sozialer Reformen möglich, die der Übervölkerung und der Ausbeutung des ehrlichen Arbeiters durch die Raubritter unserer mammonischen Anarchie entgegensteuern. ... Bauern und Arbeiter müssen es ablehnen, länger als Kanonenfutter zu dienen…» (Forel 1907 im "Volksrecht": «Der Antimilitarismus und der Patriotismus»).

"Wahr ist, dass ich den deutschen Feudalismus, samt Militarismus und Grössenwahn der Pangermanisten, aufs allerschärfste im Interesse des mir lieben und achtungswerten deutschen Volkes verurteile." (Auguste Forel, Rückblick auf mein Leben, S. 239 ff) Forel wandte sich auch gegen die nationalistischen Aufrufe deutscher Wisssenschafter. (Brief an Haeckel) (Das Elend Europas)

«Am 28. Juni Juni 1919, sieben Monate nach dem Waffenstillstand, wurde der Friede unterzeichnet. Aber was für ein bitterer ironischer Friede mitten im sozialen Krieg; ein Friede mit dem Motto "Vae victis" (Wehe den Besiegten!), hinter welchem das andere Motto "Vae victoribus" (Wehe den Siegern!) lauerte. Dies alles dank dem Schwachsinn von fünf Bonzen, die heute noch das Schicksal der Menschheit bestimmen.» (AB 256)

CHARLES BAUDOUIN
né à Nancy le 26 juillet 1893. mort à Genève le 25 août 1963
Psychanalyste et Philosophe, Humaniste et Poète
Humaniste, Charles Baudouin fut aussi un des grands esprits Européens" qui aux cotés de Romain Rolland et d'autres comme Stephan Zweig, Carl Spitteler, Adolphe Ferrière, et Auguste Forel, voulaient, en pleine folie meurtrière qui déchirait l'Europe, croire en l'avenir d'un "Esprit Européen", "un espace géographique peuplé par des hommes et des femmes chez qui l'esprit humain domine l'esprit national"…
(Quelle)
Claude PIRON: Charles BAUDOUIN: Synthèse ou syncrétisme?
Claude PIRON: Communication, Langues, Espéranto, Psychologie, Société

Neben der "Association internationale médicale contre la Guerre", die über 700 Mitglieder in 21 europäischen, 18 mittel- und südamerikanischen Staaten, aber auch in Kanada und den USA hatte, waren noch weitere Mediziner mit der Gründung antimilitaristischer und pazifistischer Organisationen hervorgetreten: Fritz Brupbacher – ebenfalls 1905 – mit der Schweizer "antimilitaristischen Liga", 1914 der britische Internist und Quäker Henry Hodgkin mit der bis heute bestehenden pazifistischen »Fellowship of Reconciliation« ("Internationaler Versöhnungsbund") und 1919 der Berliner Sexualforscher Magnus Hirschfeld und der Zürcher Psychiater August Forel mit der "Arbeitsgemeinschaft für die Abschaffung der Kriege".
( Friedensärzte)

7.3 Forel und Lettland

Während des 1. Weltkriegs waren die Exil-Letten in der Schweiz politisch aktiv. Sie riefen u.a. 1916 ein «Schweizer Komitee zur Erforschung der lettischen Frage» ins Leben, dem der Nationalrat R. Grimm, der Psychiater A. Forel, der waadtländische Schriftsteller B. Vallotton und verschiedene Intellektuelle, darunter E. Claparède, angehörten. Diese Persönlichkeiten nahmen 1918 in Genf an der Kundgebung für die Unabhängigkeit von Lettland teil.
1917 erschien bei Edition Latvija in Olten die Broschüre "Für ein freies Lettland im freien Russland!" (frz. "Pour la Lettonie libre et unie réunie à la Russie libre!"). Der Verfasser hiess Auguste Forel (1846-1931). Als Mitglied des "Schweizerischen Komitees für die Erforschung der Lettischen Frage" (Basel und Genf) plädierte der berühmte Waadtländer Arzt und Burghölzli-Psychiater, der zugleich ein grosser Ameisenforscher und engagierter Pazifist war, für die Freiheit des lettischen Volkes und protestierte gegen die deutsche Besetzung von Kurland (von wo die Gattin seines Sohnes stammte). Am 26. April 1917 schrieb er dem sozialdemokratischen Schweizer Parlamentarier Robert Grimm, dieser solle sich doch in der russischen Hauptstadt Petrograd dafür einsetzen, dass Kurland nicht in das Deutsche Reich eingegliedert werde. In der erwähnten Broschüre wurde auch ein Aufruf der bekannten Schweizer Pazifisten Pierre Bovet, Edouarde und René Claparède zugunsten der Freiheit der Letten veröffentlicht - dieser Text war zuvor im Journal de Genève vom 13.2.1917 erschienen. (ergänzt von A. Künzli).
(Jetzt nur noch im web.archiv)

7.4. Die Vereinigten Staaten von Europa

Forel sah in Kapitalismus, Nationalismus und Militarismus («kapitalistisch-nationalistische Kanonenkultur») Bedrohungen für den Frieden und die Entwicklung der Menschheit. Er bekämpfte die gegen 1914 in Europa immer stärker werdende Kriegsbereitschaft («die heilige Pflicht zum Kriege»). Forel nahm an pazifistischen Kongressen teil, verfasste Schriften über den Pazifismus und hatte Kontakte mit Pazifisten aus ganz Europa. Auf seinen Vorschlag erhielt das Friedensprogramm der Pazifisten folgenden Abschnitt im ersten Artikel:

«Die Staaten sollen den Nationalitäten ihres Gebietes Rechtsgleichheit, Religionsfreiheit und freien Gebrauch ihrer Sprache garantieren.»

Er setzte sich unentwegt mit vielen Schriften für sein Menschheitsideal einer friedlichen Welt ein. Im Jahre 1914 verfasste er sein prophetisches Buch «Die Vereinigten Staaten der Erde» (AK 97). Seine Forderungen erfüllte der nach dem Krieg von den Siegern gegründete «Völkerbund» nur zu einem kleinen Teil.

7.5. Manifest gegen die Wehrpflicht und das Militärsystem von 1926

Im Namen der Menschlichkeit, für das Wohl aller Zivilisten, die von Kriegsverbrechen bedroht sind, insbesondere der Frauen und Kinder, und zugunsten der Mutter Natur, die unter Kriegsvorbereitungen und Kriegsführung leidet, plädieren wir, die Unterzeichner, für die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht als einen größeren und entscheidenden Schritt zur vollständigen Abrüstung. Wir erinnern uns an die Botschaft der Humanisten des 20. Jahrhunderts:

«Wir glauben, dass auf der Wehrpflicht aufgebaute Heere mit ihrem grossen Stab von Berufsoffizieren eine schwere Bedrohung des Friedens darstellen. Zwangsdienst bedeutet Entwürdigung der freien menschlichen Persönlichkeit. Das Kasernenleben, der militärische Drill, der blinde Gehorsam gegenüber noch so ungerechten und sinnlosen Befehlen, das ganze System der Ausbildung zum Töten untergraben die Achtung vor der Persönlichkeit, der Demokratie und dem menschlichen Tun. Menschen dazu zu zwingen, ihr Leben aufzugeben, oder sie gegen ihren Willen, gegen ihren Sinne für Gerechtigkeit zum Töten zu zwingen, stellt eine Erniedrigung der menschlichen Würde dar. Ein Staat, der sich für berechtigt hält, seine Bürger zum Kriegsdienst zu zwingen, wird auch in Friedenszeiten die gebührende Achtung und Rücksicht auf das Wohl und Wehe des Einzelnen vermissen lassen. Mehr noch: Die Wehrpflicht pflanzt der ganzen männlichen Bevölkerung einen militaristischen Geist von Aggressivität ein, und das in einem Alter, in dem sie solchen Einflüssen am ehesten erliegt. So kommt es, daß durch die Ausbildung für den Krieg schliesslich der Krieg als unvermeidlich, ja als erstrebenswert angesehen wird.» (Neben anderen unterzeichnet von Henri Barbusse, Annie Besant, Martin Buber, Edward Carpenter, Miguel de Unamuno, Georges Duhamel, Albert Einstein, August FOREL, M.K. Gandhi, Kurt Hiller, Toyohiko Kagawa, George Lansbury, Paul Löbe, Arthur Ponsonby, Emanuel Rádl, Leonhard Ragaz, Romain Rolland, Bertrand Russell, Rabindranath Tagore, Fritz von Unruh, H.G. Wells)

7.5. Gegen die Wehrpflicht und die militärische Ausbildung der Jugend von 1930

« Die Wehrpflicht liefert die Einzelpersönlichkeit dem Militarismus aus. Sie ist eine Form der Knechtschaft. Dass die Völker sie gewohnheitsmäßig dulden, ist nur ein Beweis mehr für ihren abstumpfenden Einfluss. Militärische Ausbildung ist Schulung von Körper und Geist in der Kunst des Tötens. Militärische Ausbildung ist Erziehung zum Kriege. Sie ist die Verewigung des Kriegsgeistes. Sie verhindert die Entwicklung des Willens zum Frieden. » (Neben anderen unterzeichnet von Jane Addams, Paul Birukoff und Valentin Bulgakoff (Sekretäre von Leo Tolstoi), John Dewey, Albert Einstein, August FOREL, Sigmund Freud, Arvid Järnefelt, Toyohiko Kagawa, Selma Lagerlöf, Judah Leon Magnes, Thomas Mann, Ludwig Quidde, Emanuel Rádl, Leonhard Ragaz, Henriette Roland Holst, Romain Rolland, Bertrand Russell, Upton Sinclair, Rabindranath Tagore, H.G. Wells, Stefan Zweig)

Quelle: Das GANDHI-INFORMATIONS-ZENTRUM brachte früher die obigen Texte; jetzt bringt es eine aktualisierten Fassung.

Auch in polnisch als MANIFEST PRZECIWKO POWSZECHNEJ SLUZBIE WOJSKOWEJ I SYSTEMOWI MILITARNEMU

7.6. Der zweite Weltkrieg

Den zweiten Weltkrieg erlebte Forel nicht mehr; aber er sah zwar klar die Gefahren, war aber überzeugt, dass die «Vereinigten Staaten der Erde» und die zahlreichen von ihm unterstützten sozialen und politischen Reformen ihn verunmöglichen würden. Während der Naziherrschaft in Deutschland gehörte sein Sohn Oscar Forel zu den Psychiatern, die aus rassistischen und politischen Gründen verfolgten Kollegen in der Schweiz Obdach gewährten (s. Chr. Müller, Wer hat die Geisteskranken von den Ketten befreit?). Sowohl Augusts Sohn Oscar wie dessen Sohn Armand haben im 2. Weltkrieg die italienische bzw. die französiche Résistance unterstützt.


8. «Der wahre Sozialismus der Zukunft»

A. Forel setzte sich zeit seines Lebens für die Benachteiligten und gegen den Mammonismus ein. Er gründete und unterstützte soziale Einrichtungen verschiedener Art (s. Auguste Forel – La vie, l’œuvre, l’homme – Ligue pour l’action morale, Lausanne 1918). 1916 trat er der sozialistischen Partei bei, gründete Sektionen und nahm an Kongressen teil.

Sozialismus war für Forel nicht Parteipolitik, er war Ethik und Kultur: «Entweder wird der Sozialismus ethisch sein oder er wird nicht sein». (Daher lehnte er auch die Ernennung zum Mitglied der sowjetischen Akademie ab, «wenn die erwähnten Gewalttätigkeiten nicht sofort aufhörten (AB 277)». Seine Auffasungen fasste er in zwei Schriften zusammen «Der Weg zur Kultur» (1924) und «Der wahre Sozialismus der Zukunft» (1925).


Die Kapitel 9 bis 15 finden Sie auf der zweiten Seite!

EINE (vorläufige) SCHLUSSBEMERKUNG

Ich habe diese Seite zusammengestellt als Gegengewicht zu einer Anti-Forel-Kampagne, die von Psychiatriegegnern ausgelöst wurde. Ziel war es zu zeigen, dass August Forel nicht der einseitige Menschenverächter war, als der er dargestellt wurde - ganz im Gegenteil. Ich werde diese Seite später weiterführen.

Heute nur soviel: Wo Forel gegen den Zeitgeist ankämpfte - wie gegen Alkohol und Kapitalismus oder für Frieden und Frauenrechte - ist er heute noch Vorbild. Wo er sich vom Zeitgeist treiben liess - wie bei Aussagen zur Rassenfrage - hat er sich geirrt.

Etwas mutet heute seltsam an: Die Freunde Forels in den von ihm unterstützten Bewegungen, die Sozialisten, die Pazifisten, die Abstinenten, die Bahaï, die Guttempler, die Esperantisten … und die zahlreichen "-innen", mit denen er zusammenarbeitete, nie haben sie ihn als Rassisten betrachtet und ihn abgelehnt. Die Rassisten hingegen, die Nazis, Antisemiten und Nationalisten haben in ihm nie einen der ihren gesehen, sondern ihn entweder totgeschwiegen, oder als "gewiss sehr menschenfreundlich" und als "mehr oder weniger gutgläubiger Optimist" verspottet.


Ein Forscherleben für die Ameisen und gegen den Alkoholgenuss, Biographie in der Ärzte Zeitung, 31.08.1998
Verfasser und Webmaster: Eduard Muster - email: emuster@hotmail.com
Ins Web gestellt am 1. September 1998 - neue URL am 21. August 2001 - ergänzt am 13. Januar 2002, am 21. März 2002, am 13. April 2003, am 9. Juli 2003 - Zeitgenosse Heberlein zu August Forel am 20. November 2003 - Auguste Forel - Sa vie par Oscar Forel am 15. Dezember 2003 - ergänzt am 1. April 2004, am 14. Dezember 2006
- War August Forel ein Rassist? Artikel von Gottfried Sondheimer am 10. April 2007
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